1 Einleitung

Kunststoffe sind aus dem Alltag nicht mehr weg zu denken. Ein Einsatz dieser Werkstoffe erfolgt in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens, von der Verpackung für Lebensmittel über die Medizin- und Kommunikationstechnik bis zu technischen Anwendungen z. B. im Automobil (PlasticsEurope 2015). Auch die großen Leitthemen der Zukunft, wie beispielweise Leichtbau oder Elektromobilität sind ohne Kunststoffe nicht denkbar. Hierbei besteht der weitaus größte Teil dieser Kunststoffe aus fossilen bzw. petrochemischen Rohstoffen wie beispielsweise Erdöl. So lag im Jahr 2014 die weltweite Produktionsmenge für Kunststoffe bei 311 Millionen Tonnen (PlasticsEurope 2015). Vor dem Hintergrund der Endlichkeit fossiler Rohstoffe (Speirs et al. 2015) sowie dem Anstieg von fossilem CO2 in der Atmosphäre (NOAA 2015) steht auch im Kunststoffbereich eine Ressourcenwende im Fokus derzeitiger Forschung und Entwicklung. Eine Alternative zu den konventionellen Kunststoffen bieten Biokunststoffe bzw. biobasierte Kunststoffe die auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden und somit auf biogenem Kohlenstoff basieren (Narayan 2011). Insbesondere bei der Schonung von fossilen Rohstoffen und der Verringerung von fossilen CO2-Emissionen bieten Biokunststoffe das Potenzial einen Beitrag zur Ressourcenwende zu leisten. Im Jahr 2014 lagen die weltweiten Produktionskapazitäten für Biokunststoffe bei 1,7 Millionen Tonnen mit einer prognostizierten Kapazität von 7,85 Millionen Tonnen im Jahr 2019 (European Bioplastics et al. 2015) und haben damit im Vergleich zu den konventionellen Kunststoffen noch immer einen relativ kleinen Marktanteil. Bei Biokunststoffen handelt es sich nicht um eine völlig neuartige, sondern um eine (wieder entdeckte) Werkstoffklasse innerhalb der vielfältigen Materialgruppe der Kunststoffe. Unter dem Begriff Biokunststoffe existieren drei Polymergruppen, abbaubare petrobasierte Polymere, abbaubare (überwiegende) bio-basierte Polymere, nicht abbaubare bio-basierte Polymere, vergleiche auch Abb. 1 (Endres und Siebert-Raths 2009).

Abb. 1
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Definition der Biokunststoffe (Endres und Siebert-Raths 2009)

Darüber hinaus lassen sich Biokunststoffe in die Bereiche „Old Economy“ und „New Economy“ einteilen. Zu Old Economy Biokunststoffen zählt man Stoffe wie beispielsweise Linoleum oder Gummi welche schon lange Zeit am Markt erhältlich sind. Zu den New Economy Biokunststoffen zählen die Drop-in Biokunststoffe wie bspw. Bio-Polyethylen oder Bio-Polyamid, mit gleicher chemischer Struktur wie ihre fossilen Pendants und die chemisch neuartigen Biokunststoffe wie bspw. Polylactide und Polyhydroxyalkanoate oder die fossil basierten abbaubaren Kunststoffe wie PBAT (IfBB 2015). Insbesondere für die New Economy Biokunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe stehen die Vor- und Nachteile im Vergleich zu konventionellen Kunststoffen im Fokus der Gesellschaft. Entsprechend ist es essentiell, eine möglichst transparente und belastbare Nachhaltigkeitsbewertung von Biokunststoffen in direkter Gegenüberstellung zu konventionellen Kunststoffen anzustreben und die verschiedenen Akteure in Wissenschaft und Unternehmen durch verbesserte und einheitliche Methodiken hierbei zu unterstützen. Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick zum Stand der Nachhaltigkeitsbewertung von Biokunststoffen in den Bereichen Ökologie und Sozio-Ökonomie zu geben sowie Herausforderungen und Lösungsansätze aufzuzeigen. Entstanden ist der Beitrag im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojektes „Neue Wege, Strategien, Geschäfts- und Kommunikationsmodelle für Biokunststoffe als Baustein einer Nachhaltigen Wirtschaft“ (BiNa), welches sich im Zeitraum vom April 2015 bis März 2018 unter anderem mit der Erstellung von Handlungsempfehlungen zur Nachhaltigkeitsbewertung von Biokunststoffen beschäftigt. Die Nachhaltigkeitsbewertung basiert dabei auf einem ganzheitlichen Ansatz, der basierend auf Massen- und Energieflussmodellen ökologische und sozio-ökonomische Aspekte der Wertschöpfungsketten von Biokunststoffen analysiert. Die ökologische Analyse folgt dabei der Methodik der produktbezogenen Ökobilanz, für die sozio-ökonomische Analyse wird die Methode der Life Cycle Working Environment LCWE eingesetzt und weiterentwickelt, die diesen Produktbezug aufgreift und ebenfalls die zugrundliegenden Sachbilanzmodelle nutzt. Im Folgenden werden der aktuelle Forschungsstand im Allgemeinen und für Biokunststoffe im Speziellen, verwendete Methoden und Herausforderungen dieser Bewertung dargestellt und diskutiert.

2 Stand der Forschung

2.1 Ökologie

Die auf dem Lebenszyklusansatz (Life Cycle Thinking) basierende ökologische Bewertung (Ökobilanzierung – engl. LCA – Life Cycle Assessment) von Produkten wie Biokunststoffen oder konventionellen Kunststoffen ist in einer Reihe von Normen und Standards geregelt (DIN CEN ISO/TS 14067:2014 2014; DIN EN ISO 14046:2015 2015). Das Grundgerüst hierfür bilden die Normen 14040 und 14044 (DIN EN ISO 14040:2009 2009 und 14044:2006 2006) in welchen die allgemeinen Richtlinien und Rahmenbedinungen zur ökologischen Bewertung festgelegt sind. Diese bieten dem Anwender allerdings eine Reihe von Freiheiten bei Erstellung der produktbezogenen Ökobilanzen. So können unterschiedliche Lebenszyklusabschnitte (bspw. Wiege bis zum Fabriktor oder Wiege bis zur Bahre), Wirkungskategorien (bspw. Treibgashauspotentzial, Versauerungspotenzial oder Eutrophierungs-potenzial) oder Allokationsmethoden (bspw. Allokation nach Masse oder Preis) verwendet werden. Diese Freiheitsgrade führen zu einer hohen Variabilität in den Ergebnissen bei gleichen Ausgangswerten und erschweren so den direkten Vergleich zwischen verschiedenen Produkten (Svanes et al. 2011). Zur Gewährleistung einer möglichst transparenten und ganzheitlichen Bewertung sollten zum einen möglichst der gesamte Lebensweg von der Wiege bis zur Bahre betrachtet werden und zum anderen ein möglichst umfassendes Bild der Umweltwirkungen gegeben werden und sich nicht nur auf einzelne Kategorien bei der Wirkungsabschätzung fokussiert werden.

Um insbesondere zwischen den verschiedenen Produkten einer Produktgruppe einen transparenten Vergleich unter einheitlicheren Richtlinien zu ermöglichen, wurde im Rahmen der Norm 14025 (DIN EN ISO 14025:2011 2011) Umweltproduktdeklarationen ins Leben gerufen, die durch spezifische Produktkategorieregeln die Richtlinien zur ökologischen Bewertung für unterschiedliche Produktgruppen, beispielsweise „Kunststoffe in primärer Form“ (PCR 2010), klar definieren. Die Idee der Produktkategorieregeln wurde von der EU Kommission im Rahmen des Umweltfußabdruckes aufgegriffen. Bei diesem Fußabdruck handelt es sich um einen neuen Methodenvorstoß, mit dem Ziel der transparenteren und einheitlicheren Durchführung ökologischer Bewertungen für unterschiedliche Produkte bzw. Produktgruppen. Darüber hinaus soll auch eine ganzheitlichere Betrachtung der unterschiedlichen Wirkungskategorien im Feld der ökologischen Bewertung mit bis zu 14 verpflichtenden Kategorien erfolgen (Europäische Kommission 2013).

Bei der ökologischen Bewertung von Produkten auf Basis nachwachsender Rohstoffe ergeben sich besondere methodische Herausforderungen wie bspw. die Bilanzierung von pflanzengebundenen biogenem Kohlenstoff (Patel et al. 2013). Um diesen Herausforderungen entgegenzutreten wird derzeit die Norm 16760 (DIN EN 16760:2014 2014) entwickelt, welche Richtlinien zur Ökobilanzierung von bio-basierten Produkten setzt. Entsprechend bildet dieser Standard auch eine wichtige Grundlage für die Bilanzierung der bio-basierten Biokunststoffe, macht jedoch keine konkreten Vorgaben für bspw. oben genannte Herausforderung der Kohlenstoffbilanzierung. Für Biokunststoffe existieren bis dato noch keine spezifischeren Richtlinien. In diesem Zusammenhang kann die Erstellung von Handlungsempfehlungen zur ökologischen Bewertung ein erster Schritt sein und die Basis für Produktkategorieregeln und Standards bilden. Ein Beispiel für eine solche Handlungsempfehlung bildet die „Guideline for the LCA of electric vehicles“ (Del Duce et al. 2013).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es schon eine Reihe von Standards zur ökologischen Bewertung von Produkten gibt und die Erstellung von produktkategoriebezogenen Richtlinien für eine transparente und belastbare Bewertung essentiell ist. Handlungsempfehlungen für die Bewertung von Biokunststoffen entlang der Wertschöpfungskette sind noch nicht vorhanden.

2.2 Sozio-Ökonomie

Wie im vorangegangenen Abschnitt dargestellt ist die ökologische Bewertung von Produkten und deren Wertschöpfungsketten bereits eine standardisierte Methode. Zunehmend steht jedoch auch die Betrachtung sozialer Aspekte von Produkten als Teil einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbetrachtung im Fokus von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Einhaltung sozialer Standards wird als wichtiger Teil unternehmerischer Verantwortung erachtet und bildet somit die Grundlage für die Akzeptanz des Unternehmens und seiner Produkte seitens der Gesellschaft. Soziale Nachhaltigkeit in Unternehmen wird bereits durch zahlreiche Normen und Gesetze adressiert. Zu nennen wäre hier zum Beispiel die Richtlinie 2014/95/EU zur Nachhaltigkeit innerhalb von Großunternehmen (Europäische Kommission 2014). Darüber hinaus gibt es auch Rahmenwerke, die nicht rechtlich bindend sind, jedoch seitens der Politik mit getragen werden. So erstellt die Global Reporting Initiative GRI als unabhängige internationale Organisation in Partnerschaft mit Organisationen wie der OECD und der UNEP weltweit eingesetzte Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen (GRI 2013). Zudem verpflichten sich Unternehmen zunehmend dem Konzept des Corporate Social Responsibility (CSR) welches von Seiten der Politik unterstützt und gefördert wird (z. B. in Deutschland durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS 2015). Allerdings beziehen sich die genannten Rahmenwerke und Richtlinien in erster Linie auf die Unternehmens- bzw. Standortebene. Die Unternehmen und deren Kunden interessieren sich jedoch zunehmend auch für die Betrachtung sozialer Nachhaltigkeit einzelner Produkte und deren Lieferketten. Eine detaillierte Zusammenfassung hierzu findet sich in Hof (2015).

Hierfür ist eine Analyse basierend auf den Stoffstrom- und Energiemodellen der Ökobilanz besonders geeignet, da diese die komplette Wertschöpfungskette abbildet und nicht nur eine Ex-post-Analyse erlaubt, sondern auch Ex-ante Optimierungsmöglichkeiten von Produktionswegen identifiziert. Wie bereits dargestellt, ist diese produktbasierte Betrachtung von Wertschöpfungsketten für obligatorische Aspekte im Rahmen einer Ökobilanz bereits als Methode seit langer Zeit etabliert und standardisiert. Ebenso findet eine ökonomische Analyse von Wertschöpfungsketten im Rahmen von Lebenszykluskostenrechnungen (engl. LCC – Life Cycle Costing) weitreichend Anwendung.

Die Betrachtung sozialer Aspekte innerhalb der Lebenszyklusanalyse ist, verglichen mit den ökologischen Aspekten, ein relativ junges Forschungsfeld. Dies liegt unter anderem an methodischen Herausforderungen wie der eingeschränkten Linearität zwischen einigen sozialen Aspekten und deren Wirkung (die Wirkungslinearität gilt in der Ökobilanz als Grundannahme). Eine einheitliche Wirkungsrichtung aller Indikatoren kann nicht immer angenommen werden und ist zudem abhängig von (dynamischen) kulturellen Rahmenbedingungen (Arvidsson et al. 2014; Pizzirani et al. 2014). Des Weiteren stellt sich das Problem der teils mangelnden Datenverfügbarkeit und der methodischen Einbindung von qualitativen Indikatoren. Ein Beispiel für eine datenbankbasierte Bewertungsmethode ist die Social Hotspot Database SHDB (Benoît-Norris et al. 2012), welche Auskunft über soziale Risiken bezogen auf Branche und Land gibt und zunehmend Anwendung in unterschiedlichen Fallstudien findet. Diese Datenbank basiert auf dem internationalen Rahmenwerk der UNEP/SETAC Life Cycle Initiative (Benoît und Mazijn 2009). Das UNEP/SETAC Rahmenwerk bietet einen umfassenden Katalog von Wirkungskategorien an, der nach Stakeholdern gruppiert wird. Darüber hinaus gibt es weitere integrierte Methoden der lebenszyklusbasierten Nachhaltigkeitsbewertung wie z. B. die PROSUITE Methode, die als soziale Wirkungskategorien Gesundheit, soziales Wohlergehen und Wohlstand auswerten (Gaasbeek und Meijer 2013).

Forschungslücken bestehen derzeit aber noch u. a. bei geeigneten Methoden zur Verknüpfung von Primär- und Sekundärdaten und dem teils mangelnden Konsens hinsichtlich sozialer Zielsetzungen mancher Indikatoren (Martinez-Blanco et al. 2014) sowie der Bildung geeigneter Charakterisierungsmodelle und dem Bezug zur Funktionellen Einheit (Hosseinijou et al. 2014), dem im Rahmen einer Lebenszyklusanalyse definierten Nutzen eines Produktes.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in der Betrachtung sozialer Aspekte innerhalb der Lebenszyklusanalyse ein gesellschaftlich relevanter und zunehmend beachteter Forschungsbereich liegt. Wichtige Teilbereiche sind methodische Fragestellungen sowie der Aufbau einer geeigneten Datengrundlage. Dabei müssen unterschiedliche Produktsysteme in Fallbeispielen untersucht werden damit auch für zunehmend wichtige Produkte der Bioökonomie, wie die Biokunststoffe, Ergebnisse für Forschung und Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

3 Nachhaltigkeitsbewertung von Biokunststoffen

3.1 Ökologie

Die ökologischen Aspekte stehen bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Biokunststoffen weiterhin im Fokus, während es im Bereich Ökonomie und Soziales noch wenig Informationen entlang der Wertschöpfungskette gibt. Die Wertschöpfungskette von Biokunststoffen lässt sich in die Phasen Herstellung, Verarbeitung, Nutzung und End-of-Life einteilen, vgl. Abb. 2. Die Wertschöpfungskette beginnt hierbei mit der Herstellung bzw. dem Anbau der Biomasse und verläuft über das fertige Biokunststoffprodukt und dessen Nutzung bis zur End-of-Life-Phase, welche je nach Anwendungsfall beispielsweise im Recycling, der thermischen Verwertung oder dem biologischen Abbau abgebildet werden kann. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei der Anbau der Biomasse bzw. der nachwachsenden Rohstoffe, welche zum Teil in direkter Flächenkonkurrenz zu anderen Bereichen wie der Nahrungsmittelproduktion aber auch zur sonstigen stofflichen und energetischen Nutzung stehen. Im Gegensatz zu Biokraftstoffen zeigen Biokunststoffe jedoch in der Gesamtsicht einen realtiv geringen Landbedarf von 0,001 % der globalen Landfläche in 2014 und prognostizierten 0,003 % in 2019 (IfBB 2015) Über die letzten Jahre wurden mit steigender Tendenz eine Reihe von Ökobilanzen für Biokunststoffe entlang der gesamten Wertschöpfungskette oder für einzelne Abschnitte erstellt (Endres et al. 2014). Jüngste Beispiele für Ökobilanzen aus Wissenschaft und Industrie sind Tsiropoulus et al. (2015) und Vink und Davies (2015), welche die ökologischen Aspekte von Polylactid, Bio-Polyethylen und Bio-Polyethylenterephthalat untersucht haben.

Abb. 2
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Nachhaltigkeitsbewertung von Biokunststoffen entlang der Wertschöpfungskette

Ein Vergleich von Novamont (2010) und Vink und Davies (2015) zeigt exemplarisch die große Variabilität in der Methodik bei der ökologischen Bewertung von Biokunststoffen. So wurde im ersten Fall der biogene Kohlenstoff, welcher durch den nachwachsenden Rohstoff aufgenommen wird, in dem Lebensabschnitt Wiege bis zum Fabriktor nicht mitbilanziert, im zweiten Fall jedoch schon. Solche methodischen Herausforderungen ergeben sich auch in anderen Bereichen die Biomasse einsetzen, wie beispielsweise im Nahrungsmittelsektor (Notarnicola et al. 2015). Dies erschwert zum Einen den Vergleich zwischen unterschiedlichen Biokunststoffen, aber auch einen Vergleich zu konventionellen Kunststoffen. Unter den bio-basierten Produkten müssen sich insbesondere Biokraftstoffe als auch Biokunststoffe aufgrund ihrer direkten konventionellen Pendants (Drop-In-Biokunststoffe) einem Vergleich im Bereich der Nachhaltigsbewertung und besonders der ökologischen Bewertung stellen. Entsprechend ist bei den Biokunststoffen ein möglichst objektiver und transparenter Vergleich zu den konventionellen Kunststoffen essentiell. In diesem Zusammenhang gibt es derzeit noch eine Reihe von Fehlstellen bzw. methodischen Herausforderungen die berücksichtigt werden müssen. Hierzu zählen beispielsweise nicht berücksichtigte Ereignisse wie Leckagen oder Havarien bei der Ölförderung (Detzel 2015). Einen Beitrag hierzu und insbesondere zur Entwicklung einer ersten Handlungsempfehlung zur ökologischen Bewertung soll das Forschungsvorhaben BiNa leisten.

3.2 Sozio-Ökonomie

Wie bereits in Abschn. 2.2 dargestellt, wurden bislang wenige Fallstudien zu sozialen Aspekten in der LCA vorgestellt. Dementsprechend gibt es kaum Ergebnisse, die sich speziell auf die soziale Auswirkung von bio-basierten Werkstoffen, speziell Biokunststoffen, beziehen. Verfügbar sind jedoch einige wenige LCA Studien zu Produkten, die den Vorprodukten einiger Biokunststoffe ähnlich sind (z. B. Bioethanol) wodurch eine zumindest teilweise Übertragbarkeit der Ergebnisse möglich ist. Diese geben Aufschluss über regionsspezifisch relevante Indikatoren v. a. in Südamerika und Asien, wo die benötigten Rohstoffe (z. B. Zuckerrohr) größtenteils angebaut werden. Den Studien folgend sollte ein besonderes Augenmerk auf die Bereiche Arbeitsbedingungen, Achtung der Menschenrechte sowie Gesundheit und Sicherheit gelegt werden (Ekener-Peterson 2013). Dies betrifft u. a. die Themen Stärkung des lokalen Arbeitsmarktes und der lokalen Infrastruktur, Abnahme von Migration und somit Festigung der Gemeinschaft, Einkommenssicherung (Grigoletto Duarte et al. 2014) sowie Entfremdung und der Schutz kulturellen Lebens (Manik et al. 2013).

Im Rahmen des Projektes wird zur Bewertung sozialer Aspekte von Biokunststoffen die in der Abteilung Ganzheitliche Bilanzierung entwickelte Methode LCWE (Life Cycle Working Environment) angewendet und weiter entwickelt (Barthel 2015). Aufbauend auf den Informationen einer vorangegangenen Kosten- und Strukturanalyse des Ökobilanzmodells ermöglicht die Methode die Quantifizierung und Bewertung arbeitsplatzbezogener Aspekte von Produktionsprozessen.

Der Prozessbezug, der durch eine Allokation über die Arbeitszeitwertschöpfungsquote (AWQ) hergestellt wird, stellt einen grundlegenden Unterschied gegenüber bestehenden social LCA Ansätzen wie zum Beispiel dem UNEP/SETAC Rahmenwerk (Benoît und Mazijn 2009) dar. Er erlaubt zum einen eine detaillierte Unterscheidung von Wirkungen sozialer Aspekte entlang der Wertschöpfungskette und zum anderen die Verbindung mit ökologischen und ökonomischen Analysen basierend auf dem selben Massen- und Energieflussmodell. Somit können Indikatoren aller drei Säulen der Nachhaltigkeit ausgewertet werden (Ökologie, Ökonomie und Soziales). Dies ist wichtig, da sich eventuelle Änderungen in Materialzusammensetzung und Energieaufwand für die Prozessschritte (wie z. B. der Austausch eines fossilen Rohstoffs gegen einen biogenen) auf alle drei Nachhaltigkeitsbereiche auswirken können (z. B. Kostenstrukturen, Arbeitsplätze in anderen Branchen oder Regionen, regionale Verschiebung der Wertschöpfung). Folglich kann die Nachhaltigkeit von Wertschöpfungsketten und deren Produkte ganzheitlich in einem Modell betrachtet und unterschiedliche Produktionswege direkt verglichen werden.

Ausgewertet werden u. a. Indikatoren wie die insgesamt benötigte Arbeitszeit, die Wertschöpfung sowie die benötigten Qualifikationsniveaus (s. Abb. 2). Im Rahmen der Modellierung der Massen- und Energieströme können mit Hilfe der Ökobilanz Umweltwirkungen wie die CO2 Emissionen, die durch ein Produkt und deren Herstellungsprozesse verursacht werden, berechnet werden. Die in diesem Modell verwendeten Strukturen und Daten können aber auch Informationen über den Bereich Ökologie hinaus geben. Zum Beispiel können im Rahmen einer ökonomischen Betrachtung des Produktsystems Preisinformationen gewonnen werden, die den Stoff- und Energieströmen zugeordnet sind. Somit können Verteilung und Hotspots von Wertschöpfung und Kosten entlang der Wertschöpfungskette identifiziert werden. Darüber hinaus kann festgestellt werden, wie sich Preise innerhalb der Prozesskette zu den Energiekosten verhalten (Albrecht 2014).

Als weiteren Schritt können auch soziale Aspekte betrachtet werden, indem die im Modell hinterlegten Preisinformationen genutzt werden, um arbeitsplatzbezogene Indikatoren wie Qualifikationsniveau oder Arbeitszeit für jeden Schritt der Wertschöpfungskette zu berechnen. Das methodische Vorgehen der LCWE Methode wird in Abb. 3 skizziert:

Abb. 3
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Methodisches Vorgehen LCWE

Grundidee der LCWE Methode ist es, Informationen aus der Kostenstruktur des Modells mit statistischen Daten zu verbinden. Aktuell werden für Berechnungen von Sozialindikatoren mit LCWE die Datenbanken von Eurostat genutzt (z. B. Europäische Union 2014), es können jedoch auch andere generische Datensätze oder direkt von Unternehmen erhobene Primärdaten genutzt werden. Dies erlaubt das Schließen eventueller Datenlücken entlang der Wertschöpfungskette und adressiert somit eine der grundlegenden, oben beschriebenen Herausforderungen bei der prozessbasierten Betrachtung sozialer Aspekte. Mehr noch als bei der Ökobilanz wird für die Analyse sozialer Aspekte ein hoher Detailierungsgrad verwendeter Daten gefordert, um vor allem kulturellen und regionalen Besonderheiten sozialer Aspekte Rechnung zu tragen (s. z. B. Zusammenfassung von Datenanforderungen für social LCA bei Benoît Norris 2014). Es ist daher wünschenswert auch im Rahmen der Datenerhebung für die LCWE Methode nach Möglichkeit auf regionalisierte und unternehmensspezifische Primärdaten zurückzugreifen. In vielen Fällen ist es jedoch nicht möglich, v. a. für das Hintergrundsystem, eine so hohe Datenqualität zu erreichen. Durch den Rückgriff auf statistische Daten und deren Verbindung mit Primärdaten ist es jedoch möglich, die ganze Wertschöpfungskette mit allen vor- und nachgelagerten Prozessen abzubilden.

Als Schnittstelle von Kostenstruktur und statistischen bzw. Primärdaten wird die Wertschöpfung genutzt, welche eine Allokation der Sozialdaten auf den Prozess erlaubt. Die Wertschöpfung wird in Statistiken branchenspezifisch erhoben. Mit derselben Branchenzuteilung werden Indikatoren wie Arbeitszeit, Unfallstatistiken, benötigte Qualifikationsprofile etc. zur Verfügung gestellt. Durch eine Verrechnung von Arbeitszeit, Wertschöpfung und Indikatorwert kann nun ein Sozialprofil für eine bestimmte Branche berechnet werden. Dieser Wert wird dann mittels der errechneten Wertschöpfung des Prozesses aus dem Stoffstrom- und Energiemodell auf den jeweiligen Prozess bezogen. Hierdurch kann eine weitere der oben erwähnten methodischen Herausforderungen adressiert werden: der Bezug auf den Einzelprozess und damit in aggregierter Form auf die Funktionelle Einheit des Endproduktes.

Aktuelle Herausforderungen der Methode bestehen in der methodischen Anbindung qualitativer Indikatoren, sowie in der Erweiterung durch geeignete Indikatorensets für unterschiedliche Produktsysteme und Branchen. Darüber hinaus müssen für diese Indikatoren hinsichtlich Qualität und regionalem Bezug geeignete Datenquellen identifiziert werden.

Als Erweiterung des Ansatzes sollen im Rahmen des Projektes alle Prozesse der Wertschöpfungskette mit ortsbezogenen Informationen hinterlegt werden. Dadurch sollen Aussagen darüber getroffen werden, in wieweit Produktionsalternativen unterschiedliche Auswirkungen auf den Arbeitnehmer direkt haben, aber auch auf den Arbeitsmarkt der Branche. Es kann also nicht nur festgestellt werden, wie sich die Verteilung der Wertschöpfung und der Qualifikationsprofile entlang der Wertschöpfungskette verhält, sondern auch in welcher Region bei welchem Lebenszyklusabschnitt diese entstehen. Des Weiteren sollen zusätzliche geeignete Indikatoren identifiziert und in die Methode integriert werden. Dies geschieht mittels Literaturrecherche und Befragungen von Stakeholdern, die in die Wertschöpfungskette von Biokunststoffen involviert sind.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Bei der ökologischen Betrachtung von Biokunststoffen gibt es noch eine Reihe von Unsicherheiten sowie fehlende methodische Richtlinien, die eine transparente und belastbare Bewertung erschweren. Eine weitere Herausforderung ist der direkte ökologischeVergleich zu koventionellen Kunststoffen die auf fossilen Rohstoffen basieren. Für biobasierte Produkte im Allgemeinen gibt es derzeit Bestrebungen erste Richtlinien zu erstellen, diese gilt es für Biokunststoffe zu übertragen und weitere Richtlinien bzw. Handlungsempfehlungen zu etablieren.

Zum jetzigen Zeitpunkt ergeben sich folgende Fragestellungen und Herausforderungen für die sozio-ökonomische Betrachtung von Biokunststoffen in der Lebenszyklusanalyse: derzeit gibt es kaum verfügbare Studien zu sozialen Aspekten von Wertschöpfungsketten bio-basierter Kunststoffe, was die Auswahl geeigneter zusätzlicher Indikatoren und einer entsprechenden Datenbasis für die LCWE Methode erschwert. Des Weiteren muss eine geeignete Methode zur standardisierten Betrachtung, Auswertung und Darstellung der Prozesse mit regionalem Bezug entwickelt werden. Als Ergebnis der Analyse soll es mittelfristig für an der Wertschöpfungskette beteiligte Stakeholdergruppen möglich sein, Handlungsempfehlungen zu formulieren z. B. für eine gezielte Arbeitsmarktpolitik zur Stärkung des ländlichen Raums. Die Anwendung der Methode soll langfristig auch für andere Produktgruppen und Dienstleistungen, sowie global anwendbar sein. Das Forschungsfeld sozialer Aspekte in der LCA gewinnt in den letzten Jahren zwar stark an Bedeutung, doch bestehen noch große Herausforderungen v. a. im Bezug der Ergebnisse auf die Funktionelle Einheit sowie der Verfügbarkeit geeigneter Daten. Somit kann das teilweise Schließen von Datenlücken für bio-basierte Wertschöpfungsketten und die Erprobung der Anwendbarkeit und Aussagekraft der LCWE Methode als vielversprechend eingeschätzt werden.

Diese und weitere Forschungsfragen sollen im Rahmen der Forschungsplattform BiNa (weitere Informationen siehe www.biokunststoffe-nachhaltig.de) betrachtet werden.