Zusammenfassung
Diabetes mellitus bezeichnet eine Gruppe von heterogenen Erkrankungen, deren gemeinsamer Befund die Erhöhung der Blutglukose ist. Die gegenwärtigen Klassifikationen von Diabetes mellitus Typ 1–4 werden beschrieben und die wesentlichen Merkmale von Typ 1 und Typ 2 Diabetes werden zur besseren Unterscheidung dieser Diabetestypen gegenübergestellt. Darüber hinaus werden die Kriterien für die korrekte biochemische Diagnose unter Nüchtern-Bedingungen und im oralen Glukosetoleranz-Test sowie die Anwendung des Hämoglobin A1c (HbA1c) zusammengefasst. Diese Daten bilden die Grundlage der Empfehlungen der Österreichischen Diabetes-Gesellschaft für die klinische Praxis der Diabetesbehandlung.
Summary
Diabetes mellitus comprises of a group of heterogeneous disorders, which have an increase in blood glucose concentrations in common. The current classifications for diabetes mellitus type 1–4 are described and the main features of type 1 and type 2 diabetes are compared to allow for better discrimination between these diabetes types. Furthermore, the criteria for the correct biochemical diagnosis during fasting and oral glucose tolerance tests as well as the use of hemoglobin A1c (HbA1c) are summarized. These data form the basis of the recommendations of the Austrian Diabetes Association for the clinical praxis of diabetes treatment.
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Definition
Diabetes mellitus bezeichnet eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, deren gemeinsamer Befund die Erhöhung des Blutglukosespiegels, die Hyperglykämie, ist. Schwere Hyperglykämie führt von klassischen Symptomen wie Polyurie, Polydipsie, anders unerklärbarer Gewichtsverlust über Sehstörungen und Infektanfälligkeit bis hin zu Ketoazidose oder nicht-ketoazidotischem hyperosmolarem Syndrom mit Gefahr des Komas. Chronische Hyperglykämie führt zu Störungen der Sekretion und/oder Wirkung von Insulin und assoziiert mit Langzeitschäden und Funktionsstörungen verschiedener Gewebe und Organe (Augen, Nieren, Nerven, Herz und Blutgefäße).
Klassifikation
Insulinabhängigkeit (z. B. insulin (in)dependent diabetes mellitus, IDDM, NIDDM) stellt keine Klassifikation dar. Die Klassifikation des Diabetes mellitus erfolgt in 4 Typen [1, 2]:
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1.
Typ 1 Diabetes: Störung der Insulinsekretion durch überwiegend immunologisch vermittelte Zerstörung der pankreatischen Betazellen mit meist absolutem Insulinmangel. LADA (latenter autoimmuner Diabetes der Erwachsenen) ist durch das Auftreten im Erwachsenenalter und den langsameren Verlust der Insulinsekretion gekennzeichnet.
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2.
Typ 2 Diabetes: Störung der Insulinwirkung (Insulinresistenz) mit zunächst meist relativem Insulinmangel (typischerweise Störung der Glukose-abhängigen Insulinsekretion). Die Funktionsstörungen sind schon lange vor der klinischen Manifestation des Diabetes allein oder im Rahmen eines metabolischen Syndroms mit erhöhtem Risiko für makrovaskuläre Folgen vorhanden. Tabelle 1 listet Hinweise zur klinischen Differentialdiagnose zum Typ 1 Diabetes auf.
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3.
Andere spezifische Diabetes-Formen: Ursachen, wie Erkrankungen des exokrinen Pankreas (z. B. Pankreatitis, Traumen, Operationen, Tumoren, Hämochromatose, zystische Fibrose), endokriner Organe (z. B. Cushing-Syndrom, Akromegalie), medikamentös-chemisch (z. B. Glukokortikoide, α-Interferon, Posttransplantations-Diabetes, HIV/ADIS-Therapie), genetische Defekte der Insulinsekretion (z. B. Formen des Maturity Onset Diabetes of the Young, MODY) und der Insulinwirkung (z. B. Lipoatropher Diabetes), andere genetische Syndrome (z. B. Down-, Klinefelter-, Turner-Syndrome), Infektionen (z. B. kongenitale Röteln) und seltene Formen des autoimmun-vermittelten Diabetes (z. B. „Stiff-man“-Syndrom).
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4.
Gestationsdiabetes (GDM): erstmals während der Schwangerschaft aufgetretene/diagnostizierte Glukosetoleranzstörung, wobei allerdings das Auftreten des Diabetes vor der 20. Gestationswoche nicht für einen GDM, sondern für einen präkonzeptionell bestehenden manifesten Diabetes mellitus spricht (siehe ÖDG-Leitlinien-Gestationsdiabetes).
Diagnose
Die Diagnose des Diabetes erfolgt anhand von Nüchtern-Glukose, oralem Glukosetoleranz-Test (OGTT) oder Hämoglobin A1c (HbA1c). Die Hyperglykämie entwickelt sich kontinuierlich und die Störungen von Nüchtern- und postprandialer Glykämie weisen unterschiedliche Zeitverläufe auf. Die etablierten Grenzwerte sind daher nicht in kompletter Übereinstimmung in der Identifizierung von Patienten mit Diabetes, des Weiteren unterliegen alle Tests einer Variabilität, so dass Testwiederholung oder Bestätigung eine Testresultates durch einen anderen Test – außer bei Vorliegen klassischer klinischer Symptome – immer erforderlich ist.
Nüchtern-Glukose und OGTT
Die Diagnose wird unabhängig von Alter und Geschlecht durch Messung mehrfach erhöhter Blut-Glukosewerte an mindestens zwei verschiedenen Tagen gestellt (Tab. 2). Bei klinischem Verdacht und widersprüchlichen Ergebnissen wird die Diagnose mittels OGTT gestellt. Als „normal“ gelten derzeit Nüchtern-Glukose-Werte im venösen Plasma von < 100 mg/dl (< 5,6 mmol/l). Niedrigere Werte schließen das Vorliegen von einer Glukosestoffwechselstörung oder Folgeschäden aber nicht aus. Grundlage für die Wahl der Grenzwerte liegt in der überwiegend kontinuierlichen Beziehung zwischen höheren Blut-Glukose-Werten (nüchtern und 2 Stunden nach oraler Glukosebelastung) und der Zunahme des Risikos für Folgeschäden.
Voraussetzungen zur Glukosebestimmung sind:
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ausschließlicher Einsatz qualitätsgesicherter Maßnahmen oder Tests;
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vorzugsweise Bestimmung im venösen Plasma (Zusatz von Lithium-Heparin oder besser EDTA + Natrium-Fluorid). Serumproben sind nur zu verwenden, wenn ein Glykolysehemmstoff zugesetzt wurde;
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keine Bestimmung mit Blutglukosemessgeräten, die zur Selbstkontrolle verwendet werden, durchgeführt werden;
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„Nüchtern“ bedeutet eine Zeit von ≥ 8 h ohne jegliche Kalorienaufnahme;
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Bei der Durchführung ist auf die mögliche Verfälschung der Diagnose durch interkurrente Erkrankungen (z. B. Infektionen, Dehydratation, gastrointestinale Krankheiten) oder Medikamenten-Einnahme (z. B. Glukokortikoide) zu achten;
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Für die Diagnose des GDM gelten andere als die in Tab. 2 gelisteten Kriterien (siehe ÖDG-Leitlinien zu Gestationsdiabetes).
HbA1c
Mit den ÖDG-Leitlinien 2012 wurden auch erhöhte HbA1c-Werte in die Standardkriterien zur Diagnose des Diabetes mellitus übernommen [3, 4]. Demgemäß kann ein Diabetes mellitus anhand der HbA1c-Grenzwerte ≥ 6,5 % diagnostiziert werden (Tab. 2). Grundlage dafür ist die Zunahme des Risikos für diabetische Retinopathie ab HbA1c-Werten von > 6,5 % [4, 5]. Für HbA1c-Werte von 5,7 % bis einschließlich 6,4 % ist ein erhöhtes Diabetes-Risiko anzunehmen, so dass in diesem Fall eine Abklärung mittels Nüchtern-Glukose und OGTT empfohlen wird. Vergleichbare HbA1c-Schwellenwerte für andere mikrovaskuläre oder makrovaskuläre Diabetesfolgen sind bisher nicht etabliert [5]. So ist ein erhöhtes Risiko für Diabetes mellitus auch bei niedrigeren HbA1c-Werten nicht ausgeschlossen. Von besonderer Bedeutung ist die eingeschränkte Aussagekraft des HbA1c-Wertes unter den folgenden Umständen, die den Einsatz des HbA1c zur Diagnose des Diabetes mellitus ausschließen sollten:
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Veränderungen des Hämoglobin (Hb): z. B. angeborene Hämoglobinopathien (HbS, HbE, HbF, HbC, HbD); Hb-Modifikationen bei Urämie (karbamyliertes Hb) oder Azetylsalizylsäure (azetyliertes Hb);
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Veränderung der Erythrozyten-Lebensdauer (Turnover): z. B. verlangsamter Turnover bei Eisenmangel- und Vitamin-B12-Mangel-Anämien oder Niereninsuffizienz erhöht das HbA1c; beschleunigter Turnover bei hämolytischen Anämien oder chronischen Leber-Erkrankungen senkt das HbA1c;
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Hemmung der Glykierung: z. B. Dauertherapie mit Vitamin C oder Vitamin E;
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Schwangerschaft: 2. und 3. Trimester;
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Alter: bei identen Glukosewerten nimmt das HbA1c mit dem Alter zu;
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Ethnizität: z. B. höhere HbA1c-Werte bei Afroamerikanern und Südasiaten als bei nicht hispanischen Weißen.
Zur besseren Vergleichbarkeit der Methoden zur Bestimmung des HbA1c sollen ausschließlich Methoden verwendet werden, die nach dem neuen Standard der International Federation of Clinical Chemistry (IFCC) referenziert sind [3, 6]. Diese Werte sollen, um Verwechslungen zu vermeiden, nach dem IFCC-Standard in mmol/mol ausgegeben werden. Die Umrechnung in den HbA1c-Wert in Prozent nach dem National Glycohemoglobin Standardization Program (NGSP) bzw. dem Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) ist wie folgt:
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HbA1c in Prozent = (0,09148*HbA1c in mmol/mol) + 2,152
Ein DCCT HbA1c-Wert von 6,5 % entspricht somit einem IFCC-HbA1c von 48 mmol/mol.
Durchführung des oralen Glukosetoleranztests (OGTT) nach WHO-Richtlinien
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Indikationen:
Risikogruppen (siehe ÖDG-Leitlinien-Screening und Prävention), ältere Patienten (aber nicht routinemäßig), gestörte Nüchternglukose
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Durchführung:
≥ 3-tägig kohlenhydratreiche (≥ 150 g/Tag) Ernährung 10–16 h Nahrungs- und Alkohol-Karenz vor dem Test
Testung am Morgen im Liegen/Sitzen (kein Rauchen vor/während des Tests)
Glukosebestimmung (Zeitpunkt 0 min)
Trinken von 75 g Glukose (oder äquivalente Menge Stärke) in 250–350 ml Wasser (Kinder: 1,75 g/kg bis maximal 75 g Glukose) innerhalb 5 min
Glukosebestimmung (Zeitpunkt 60 min nach Glukoseaufnahme): nur bei Abklärung von GDM notwendig
Glukosebestimmung (Zeitpunkt 120 min nach Glukoseaufnahme)
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Kontraindikationen:
interkurrente Erkrankungen, St. p. Magen-Darm-Resektion, Resorptionsstörungen, nachgewiesener Diabetes mellitus.
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Einflussfaktoren:
Längeres Fasten, Kohlenhydrat-Mangelernährung können auch bei Gesunden zur pathologischen Glukosetoleranz führen. Eine Reihe von Medikamenten, wie z. B. Glukokortikoide, Adrenalin (Epinephrin), Phenytoin und Furosemid können die Glukosetoleranz verschlechtern.
Literatur
Kerner W, Brückel J. Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus. Diabetol Stoffwechs. 2011;6 Suppl 2:107–10. (Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG)).
American Diabetes Association. Standards of Medical Care in Diabetes – 2015. Classification and diagnosis of diabetes. Diabetes Care. 2015;38 Suppl 1:S8–16.
Report of a World Health Organization Consultation. Use of glycated haemoglobin (HbA1c) in the diagnosis of diabetes mellitus. Diabetes Res Clin Pract. 2011;93:299–309.
Roden M. Diabetes mellitus: definition, classification and diagnosis. Wien Klin Wochenschr. 2012;124 Suppl 2:1–3.
Kowall B, Rathmann W. HbA1c for diagnosis of type 2 diabetes. Is there an optimal cut point to assess high risk of diabetes complications, and how well does the 6.5 % cutoff perform? Diab Met Syn Obes. 2013;6:477–91.
Hübl W, Haushofer A, Weitgasser R, Gemeinsame Empfehlungen der ÖGLMKC und der ÖDG zur Referenzierung der HBA1C Bestimmung nach dem IFCC Standard ÖGLMKC. ÖDG; 2011 www.oedg.org/1105_empfehlung.
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Roden, M. Diabetes mellitus – Definition, Klassifikation und Diagnose. Wien Klin Wochenschr 128 (Suppl 2), 37–40 (2016). https://doi.org/10.1007/s00508-015-0931-3
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00508-015-0931-3