Unerträgliches Leid und Schmerzen werden in der momentanen Debatte zur Sterbehilfe immer wieder als ein Argument herangezogen, um Suizidwilligen eine „professionelle“ Hilfe zukommen zu lassen. Auf der anderen Seite betonen Mediziner, dass eine suffiziente Schmerztherapie in nahezu allen Fällen in der Lage ist, Schmerzen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, und die Palliativmedizin Leidenszuständen auf den unterschiedlichen Ebenen effizient begegnen kann. Dennoch bleibt in weiten Teilen der Bevölkerung die Angst vor dem, was am Lebensende auf einen zukommen kann; die Angst vor einem würdelosen Sterben. Wobei Begriffe wie „Würde“, „Selbstbestimmung“ und „Freiverantwortlichkeit“ von allen Seiten teilweise in unerträglicher Weise überstrapaziert werden.

Die aktuelle Diskussion, und vor Allem die Berichterstattung in den Medien, scheint wenig dazu beizutragen vorhandene Ängste zu minimieren, sondern verstärkt diese teilweise sogar. Ein Grund hierfür liegt sicherlich in dem großen Wirrwarr der Begrifflichkeiten und deren unklarer Verwendung, sowie der Umstand, dass nicht eindeutig ersichtlich ist, ob die unterschiedlichen Positionen und insbesondere die vorliegenden Gesetzesinitiativen eine Liberalisierung oder eine Verschärfung der aktuellen Rechtssituation zum Ziel bzw. zur Folge haben. Auch dem in allen Vorlagen postulierten Wunsch, Rechtssicherheit zu schaffen, werden die vorliegenden Entwürfe weitestgehend nicht gerecht.

Zum Wirrwarr der Begrifflichkeiten

Immer wieder tauchen in Medienberichten, Stellungnahmen und Positionspapieren die Begriffe „aktive“, „passive“ und „indirekte“ Sterbehilfe auf, die dann teilweise auch noch nach Belieben modifiziert und „verschlimmbessert“ werden, wie bspw. im Spiegel (Nr. 6/2014), wo der Begriff „indirekte aktive Sterbehilfe“ kreiert wurde, oder in einem aktuellen Glossar der Deutschen Palliativstiftung, die vorschlägt, nunmehr von „aktiver Lebensverkürzung“ (als Sammelbegriff für aktive und passive Sterbehilfe, Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen) zu sprechen. Fakt ist, dass keiner dieser Begriffe in irgendeinem deutschen Gesetz und auch nicht in der Musterberufsordnung oder den Grundsätzen zur Sterbebegleitung der Bundesärztekammer auftauchen. Sicher ist auch, dass genau diese Definitionen bereits in der Vergangenheit zu großer Unsicherheit und Missverständnissen geführt haben. So hat z. B. eine Untersuchung gezeigt, dass selbst Vormundschaftsrichter diese Begriffe hinsichtlich ihrer rechtlichen Relevanz nicht richtig einordnen konnten. Dabei gaben z. B. 34,5 % der befragten Richter an, dass die Beendigung einer künstlichen Beatmung als unzulässige „aktive Sterbehilfe“ zu betrachten sei, obwohl eine solche Maßnahme seit jeher nicht nur erlaubt ist, sondern sogar verpflichtend umgesetzt werden muss, sofern es dem Wunsch des Patienten entspricht oder keine Indikation hierzu vorliegt. Vor diesem Hintergrund scheint es also fraglich, welche Aussagekraft die immer wieder herbeigeführten Umfrageergebnisse haben, die darauf verweisen, dass eine große Mehrzahl der Deutschen sich für „aktive Sterbehilfe“ ausspricht. Viele der Befragten werden hierunter ebenfalls den Verzicht oder die Beendigung einer lebenserhaltenden Maßnahme verstehen. Ebenso begründen sich viele der aktuell im Umlauf befindlichen Umfrageergebnisse von Organisationen, Verbänden und Fachgesellschaften auf eine eklatante Unkenntnis bezüglich der rechtlichen Situation in Deutschland. Somit sollte in der Diskussion sorgfältig darauf geachtet werden, welche Begriffe verwendet werden und was damit gemeint ist. Es muss klar werden, ob die strafbare Tötung auf Verlangen gemeint ist, die zulässige Hilfe zum Suizid oder gar die Beendigung einer Behandlung, die sogar zwingend vorgeschrieben ist, sofern dies dem Patientenwunsch entspricht.

Hinsichtlich dieses Umstandes ist es auch zwingend geboten, über Patientenrechte und die Möglichkeiten der Hilfe beim Sterben aufzuklären, und zwar noch bevor über die besonderen Möglichkeiten der Palliativmedizin und Hospizbegleitung diskutiert wird.

Was dürfen wir – was können wir?

Die rechtliche Situation in Deutschland ist denkbar einfach. Verboten ist die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), womit gemeint ist, dass niemand einen anderen Menschen töten darf; auch nicht, wenn dieser es wünscht. Eine Änderung dieses § 216 StGB sieht keiner der aktuell vorliegenden Gesetzesentwürfe vor. Nicht verboten ist hingegen der Suizid, was zur Folge hat, dass auch die Beihilfe hierzu keinen Straftatbestand darstellt, solange die Selbsttötung als freiverantwortlich zu bezeichnen ist und dem Willen des Suizidenten entspricht. Wichtig hierbei ist, dass die Tatherrschaft bei dem Menschen bleibt, der seinen eigenen Tod herbeiführen möchte, was bedeutet, dass dieser bspw. ein zum Tode führendes Medikament im letzten Schritt selbst einnehmen muss, wobei das aktive Saugen an einem Strohhalm hierfür genügen kann. Diese äußerst liberale Gesetzgebung unterscheidet Deutschland bspw. von Ländern wie Österreich oder den Niederlanden, wo die Beihilfe zum Suizid einen Straftatbestand darstellt. Somit ist auch die weitverbreitete Vorstellung, dass die Gesetzgebung in den Niederlanden bezüglich der Sterbehilfe als liberaler zu bezeichnen ist als bei uns, definitiv falsch, auch wenn dort ausschließlich Ärzten bei der Einhaltung bestimmter Vorgaben eine Straffreiheit gewährt wird, wenn sie einen Patienten auf dessen Verlangen töten (Euthanasiegesetz von 2001).

Wo liegt das Problem?

Treibende Faktoren der aktuellen Sterbehilfediskussion sind vor allem zwei Dinge unterschiedlicher Ebenen, die zunehmend miteinander vermischt werden. Dies ist zum einen die Entwicklung organisierter Formen der Suizidbeihilfe wie der Verein Sterbehilfe Deutschland um Roger Kusch oder die Aktivitäten einzelner „Sterbehelfer“ wie z. B. des Urologen Herrn Arnold aus Berlin. Bereits im Jahr 2012 hatte die damalige Regierung den Versuch unternommen, die gewerbsmäßige (also auf Gewinn ausgerichtete) Förderung der Selbsttötung zu verbieten. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde bereits im August 2012 vom Bundeskabinett angenommen und verabschiedet, scheiterte dann allerdings im Bundesrat. Im weiteren Verlauf der Gesetzesinitiativen wurde zunehmend der Versuch unternommen, auch die geschäftsmäßige/organisierte (also nicht auf Gewinn orientierte) Sterbehilfe zu verbieten. Aufgrund dieser Entstehungsgeschichte lässt sich auch erklären, weshalb alle derzeit vorliegenden Entwürfe keine Liberalisierung, sondern eine eindeutige Verschärfung der gesetzlichen Regelungen darstellen. Es ging eben niemals darum, etwas Zusätzliches zu legalisieren, sondern etwas Legales zu verbieten. Paradoxerweise gelingt es den Protagonisten der einzelnen Entwürfe immer wieder, diese als Liberalisierung und Vereinfachung der Situation darzustellen. Trotz einer großen Missbilligung jeglicher Form der organisierten „Sterbe-/Suizidhilfe“ sieht der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin alle vorliegenden Gesetzesinitiativen sehr kritisch und plädiert bisher dafür, keine neuen rechtlichen Regelungen zur Sterbehilfe zu schaffen. Dies begründet sich neben Abgrenzungsproblemen (vorgesehene Reichweitenbeschränkung für bestimmte Patientengruppen) und vielen zu befürchtenden „Nebenwirkungen“ solcher Gesetze (wie z. B. eine erneute Ächtung des Suizides und eine Diskriminierung Angehöriger) vor allem in der besonderen Herausstellung des Arztberufes, wie es die meisten Gesetzesinitiativen vorsehen.

Und damit kommt die zweite der angesprochenen Ebenen ins Spiel: Das ärztliche Berufsrecht, welches streng genommen nichts mit den gesetzgeberischen Bemühungen zu tun hat, dem aber dennoch eine große Verantwortung für die Diskussion zukommt.

Der „Mythos“ von den Konsequenzen des ärztlichen Berufsrechts

Für einigen Wirbel hat in diesem Zusammenhang die auf dem Ärztetag 2011 von einer großen Mehrheit der Delegierten beschlossene Änderung der Musterberufsordnung (MBO) für Ärzte gesorgt. Hier hatte die Bundesärztekammer nach ausgiebigen Überlegungen die bisherige Formulierung des § 16 der MBO, in der es hieß:

Ärztinnen und Ärzte dürfen das Leben der oder des Sterbenden nicht aktiv verkürzen“ dahingehend geändert, dass es nun heißt: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.

Sehr bewusst hatte man die verwirrende Bezeichnung der „aktiven Lebensverkürzung“ aufgegeben, da diese, wie oben erläutert, zu vielen Unsicherheiten geführt hat. Während nun der erste Satz des neuen § 16 der MBO sicherlich bei niemandem Widerspruch hervorruft und der zweite Satz nichts weiter ist als ein Verweis auf den o. g. § 216 StGB und somit ohnehin bedeutsam ist und durch eine Berufsordnung nicht außer Kraft gesetzt werden kann, hat der letzte Satz für erheblichen Unmut bei einigen Ärzten gesorgt. Wenngleich sich darüber streiten lässt, ob die alte Regelung mit dem Verbot der „aktiven“ Lebensverkürzung (aufgrund der damit verbundenen Missverständnisse) nicht sogar als einschränkender zu betrachten ist als die neue Regelung, die Ärzten „nur“ die gezielte Hilfe zur Selbsttötung verbieten möchte, sei dahin gestellt (Infobox 1).

Infobox 1

Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung:

Alt:

„Aktive Sterbehilfe ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch dann, wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein.“

Neu:

„Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.“

Auf jeden Fall hat die erneute Unschärfe für Irritationen und Widerstand gesorgt. Die Frage, wo denn die Hilfe zur Selbsttötung anfängt, ob dies schon bei einer Beratung über die toxischen Wirkungen von Medikamenten beginnt oder sich gar in der Versorgung von Patienten, die sich zum Sterbefasten entschieden haben, manifestiert, hat bei einigen das Gefühl hervorgerufen, von ihrer Standesvertretung nun unangemessen eingeschränkt zu werden. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass leider kaum beachtet wird, dass die Bundesärztekammer analog hierzu auch die Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung geändert hat. Diese Änderungen wurden, entgegen der Berufsordnung, an vielen Stellen als „zu liberal“ empfunden, weil hier nun nicht mehr von einem vorgegebenen „ärztlichen Ethos“ gesprochen wurde, der einer Mitwirkung an der Selbsttötung widerspricht, und nicht mehr von „aktiver Sterbehilfe“, die mit Strafe bedroht sein kann, sondern lediglich der Hinweis erfolgte, dass die Mitwirkung des Arztes an der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe sei. Die Intention hierbei lag darin, keinen Anspruch an Ärzte zu einer solchen Handlung zu ermöglichen, die dann konsequenter Weise sogar mit einer Gebührenziffer hinterlegt werden müsste. An anderer Stelle verweisen diese Grundsätze sogar sehr detailliert darauf, welche Möglichkeiten der Hilfe beim Sterben für Ärzte bestehen, wie z. B. durch die Beendigung von Therapien, Beatmung und Ernährung, sowie der Inkaufnahme einer Lebensverkürzung durch symptomlindernde palliative Maßnahmen.

Zurück zur Musterberufsordnung, die erst dann überhaupt eine Relevanz erhält, wenn diese von den zuständigen Landesärztekammern übernommen wird. Hier ist es bedauerlicherweise dazu gekommen, dass dieser § 16 von den einzelnen Kammern in unterschiedlicher Weise übernommen wurde. Das Ergebnis ist, dass es nun fünf unterschiedliche „Übersetzungen“ des § 16 MBO in den 17 Landesärztekammern gibt. So gibt es diejenigen, die:

  • Den § 16 so übernommen haben

  • Den letzten Satz des § 16 weggelassen haben

  • Aus dem „darf nicht“ ein „soll nicht“ gemacht haben

  • Das „soll nicht“ aus dem § 16 herausgelöst und an anderer Stelle aufgenommen haben

  • Es bei der alten Fassung von vor 2011 belassen haben

Dieser Zustand ist sicherlich als unglückliche Folge des Föderalismus zu bezeichnen und die Ärzteschaft (und nicht der Gesetzgeber!) ist aufgerufen, hier für eine Vereinheitlichung zu sorgen.

Erstaunlicherweise kommen aber die lautesten Vorwürfe bezüglich der MBO aus Ärztekammerbereichen, in denen aus dem „darf nicht“ ein „soll nicht“ geworden ist bzw. in denen auf diesen strittigen letzten Satz des § 16 gänzlich verzichtet wurde. Der Eindruck, dass es bei der Kritik an dem berufsrechtlichen Verbot in den allermeisten Fällen nicht um konkrete Probleme in der Patientenbegleitung, sondern um Selbstdarstellungsversuche und das generelle Sich-zur-Wehr-Setzen gegen Reglementierungen geht, verschärft sich noch, wenn man die tatsächliche Relevanz dieses „Verbotes“ genau betrachtet.

Noch nie ist in Deutschland seit der Gründung der Bundesärztekammer im Jahr 1947 ein Arzt oder eine Ärztin berufsrechtlich wegen unzulässiger Sterbehilfe sanktioniert worden. Das einzige Verfahren hierzu rankte sich um den Arzt Julius Hackethal, der aber auch nicht wegen unzulässiger Sterbehilfe belangt wurde, sondern wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht. Es gibt zudem eine klare Aussage des ehemaligen und inzwischen verstorbenen Ärztekammerpräsidenten Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, der die Neuregelungen entscheidend mit auf den Weg gebracht hat, die da lautet: „Ärzte könnten Patienten beim Suizid etwa durch das Ausstellen eines Rezeptes helfen, ohne Angst haben zu müssen, bestraft zu werden oder die ärztliche Zulassung zu verlieren.“ (Spiegel Interview vom 19. Juli 2010).

Und auch als die Ärztekammer Berlin den Versuch unternommen hat, die Unterlassung der Suizidbeihilfe durch den Arzt Uwe-Christian Arnold gerichtlich zu erwirken, hat im Jahr 2012 das Verwaltungsgericht Berlin Folgendes in der Begründung zur Ablehnung der Unterlassungsverfügung formuliert:

Ein gesetzliches Verbot ärztlicher Beihilfe zum Suizid etwa durch Überlassen todbringender Medikamente besteht nicht (vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 676). Beihilfe zur Selbsttötung ist straflos, auch soweit sie von einem Arzt geleistet wird.

Insbesondere wenn Ärzte eine Beihilfe zum Suizid außerhalb ihrer ärztlichen Tätigkeit begehen, scheint es also keinen Grund für die geäußerten Bedenken zu geben, solange die Tötung auf Verlangen nicht angestrebt wird.

Warum gerade Ärzte? Was kann die Palliativmedizin leisten?

Gewiss wäre die aktuelle Diskussion eine andere, würde nicht immer wieder der Arztberuf als „Lösung“ für Sterbewünsche herangezogen werden. Und gewiss neigen Ärzte zu Recht und aus guten Gründen auch dazu, in der Situation eines Sterbewunsches Verantwortung zu übernehmen. Dennoch stellt sich die Frage, ob allein die Tatsache, dass jemand Arzt ist, ihn immer dazu befähigt Sterbewünsche von Menschen als unumkehrbar und freiverantwortlich zu identifizieren? Können sie immer mit Sicherheit entscheiden, wie freiverantwortlich ein leidender Mensch, der sich in einer leistungsorientierten Welt als nutzlosen Kosten- oder Störfaktor empfindet, seinen Sterbewunsch äußert? Können sie immer Sterbewünsche von depressiven Episoden, von Zukunftsängsten oder gar psychischen Erkrankungen abgrenzen? Eine aktuelle Umfrage unter Palliativmedizinern hat gezeigt, dass diese sich zwar sehr sicher und qualifiziert in der Behandlung von Schmerzen, Luftnot sowie im Bereich der Kommunikation fühlen, dem hingegen aber die größte Unsicherheit bei der Einschätzung und Behandlung von Depressionen verspüren. Durch die moderne Palliativmedizin wissen wir auch, dass Leid und Schmerzen nicht nur körperliche Dimensionen haben, sondern ebenso psychische, soziale und spirituelle. Viele der vorliegenden Gesetzentwürfe, in denen Ärzte explizit für die Suizidassistenz als prädestiniert bezeichnet werden, sehen vor, dass diese z. B. „objektives Leid“ feststellen sollen (Leid ist aber immer subjektiv), Ärzte sollen die Freiverantwortlichkeit der Betroffenen und die „Unerträglichkeit“ von Leid diagnostizieren, sie sollen entscheiden, ab welchem Stadium einer Erkrankung ein Sterbewunsch als „berechtigt“ bezeichnet werden kann, ob dieser Wunsch ernst gemeint ist, und darüber hinaus noch umfänglich über alle palliativmedizinischen Optionen aufklären. Und das, obwohl nur ca. 3 % der 357.000 in Deutschland tätigen Ärzte über eine Zusatzqualifikation im Bereich der Palliativmedizin verfügen.

Auch ist durch Studien hinlänglich bekannt, dass Sterbewünsche zumeist von großer Ambivalenz gekennzeichnet sind, was dazu führen kann, dass Patienten, die in einem Moment explizit nach einem zum Tode führenden Medikament verlangen, im nächsten Moment oder auch Tage später einen ausgeprägten Lebenswillen äußern, weil sie bspw. noch etwas Bestimmtes regeln oder erleben wollen. Der Auslöser für Sterbewünsche ist in sehr vielen Fällen auch nicht ein akutes Leiden, sondern die Angst vor dem, was noch bevorsteht. Hier kann durch eine offene Aufklärung über Möglichkeiten, die bis hin zur palliativen Sedierung oder der Möglichkeit des freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit reichen, viel dazu beigetragen werden, Ängste zu minimieren.

Was brauchen wir?

Nicht nur, weil die aktuelle Diskussion zur Sterbehilfe den äußerst positiven „Nebeneffekt“ zur Folge hatte, dass sich eine breite Mehrheit für einen massiven Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung ausspricht und die Politik dankenswerterweise sogar einen Gesetzentwurf zur Verbesserung dieser Versorgungsform auf den Weg gebracht hat, benötigen wir die Diskussion darüber, wie wir in unserer Gesellschaft mit dem Thema Sterben und Sterbehilfe umgehen wollen. Wir benötigen hierfür einen ethischen und moralischen Wertediskurs darüber, wie wir Sterbewünschen begegnen wollen und welche Hilfen wir anzubieten haben. Wollen wir tatsächlich als „Ultima Ratio“ anbieten, dass wir unerträglichem Leid durch gezielte Hilfe beim Suizid begegnen? Müssen wir uns dann nicht auch konsequenter- und ehrlicherweise für die Tötung auf Verlangen aussprechen, da es auch Patienten geben wird, denen es nicht mehr möglich ist, die Tatherrschaft über ihren eigenen Suizid zu behalten? Kann oder soll Tötung eine Antwort auf Leidenssituation sein? Und wenn ja, in welchen Fällen? Werden wir dann nicht zwangsläufig auch vor der Aufgabe stehen, lebenswertes und schützenswertes Leben von dem zu unterscheiden, welches als nicht mehr lebenswert betrachtet werden darf? Und wenn wir das auch noch in Regeln oder gar Gesetzen erfassen wollen, werden wir nicht umhin kommen, Kriterien für dieses lebensunwerte Leben zu definieren. Aus diesen Gründen halte ich die offene Beschäftigung mit der eigenen Haltung zum Suizid und den entstehenden Fragen für unerlässlich und gleichzeitig für völlig ungeeignet, diese Diskussion nur vor dem Hintergrund zu führen, welches Gesetz man dafür am Ende braucht. Zu individuell werden die jeweiligen Situationen sein, als dass sich die Lösungen dafür in Gesetze fassen lassen.

Auch die Aufklärung der Öffentlichkeit über Möglichkeiten der Palliativmedizin und darüber, dass jede ärztliche und pflegerische Maßnahme, auch wenn sie lebenserhaltend wirkt, das Einverständnis des Patienten benötigt, und ansonsten den Tatbestand einer Körperverletzung darstellen kann, ist wichtig, um Ängsten vorzubeugen, am Ende des Lebens einer Medizin ausgeliefert zu sein, derer man sich nicht erwehren kann. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin hat in ihrer Broschüre „Ärztlich assistierter Suizid – Reflexionen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin“ einen Versuch unternommen, Klarheit in die Begrifflichkeiten und bestehende Regeln zu bringen sowie über Möglichkeiten der Unterstützung für Patienten, Angehörige und das Behandlungsteam aufzuklären. Diese Broschüre kann kostenlos bestellt oder auf der Website der DGP (www.pallliativmedizin.de) unter „Veröffentlichungen“ heruntergeladen werden.

Auch wenn nicht abschließend nachgewiesen werden kann, dass die Palliativmedizin tatsächlich jeden realen Wunsch nach einer vorzeitigen Herbeiführung des Todes ausräumen kann, so bietet sie auf jeden Fall die Möglichkeit, Sterbewünsche offen zu thematisieren und auf ihre wirkliche Bedeutung hin zu identifizieren. Der oftmals von Patienten geäußerte Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, bedeutet in der Regel „so“ (unter den aktuellen Bedingungen) nicht mehr leben zu wollen. Diese unerträglichen Bedingungen können aber durch palliativmedizinische Optionen verändert werden, wodurch Beschwerden und Ängste auf ein erträgliches Maß reduziert werden können. Auch aus diesen Gründen postuliert die Palliativmedizin, dass sie sehr wohl Hilfe BEIM Sterben anbietet, aber keine gezielte Hilfe ZUM Sterben, im Sine eines ärztlich assistierten Suizides.

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H. Melching