Prävalenzdaten europäischer Studien zeigen, dass Schmerz eine ernst zu nehmende Herausforderung in der stationären Langzeitpflege ist. In einer Multicenterstudie in Altenpflegeheimen in Italien, Finnland und den Niederlanden liegt die Schmerzprävalenz zwischen 32 und 57 % [1]. Ähnlich hoch ist sie in einer Studie in Altenheimen der Niederlande mit 41–52 % [27]. In einer deutschen Studie hatten etwa 49 % der Altenheimbewohner in Ruhe und 67 % bei Belastung Schmerzen [17].

Angesichts der zunehmend älteren Bevölkerung in Europa werden Schmerz und seine Behandlung in der Langzeitpflege alter Menschen an Bedeutung gewinnen. Das betrifft auch Österreich mit einem Anteil über 65-Jähriger an der Gesamtbevölkerung von derzeit 18,5 %, der laut Statistik Austria bis zum Jahr 2030 auf 24 % und bis 2050 auf 28 % zunehmen wird [22]. Für die stationäre Langzeitpflege bedeutet diese Verschiebung der Altersstruktur die Bewältigung einer verhältnisbezogen größeren Versorgungsaufgabe und infolgedessen auch die Notwendigkeit eines effektiven und effizienten Umgangs mit der Herausforderung im multiprofessionellen Schmerzmanagement.

Die Möglichkeiten zur Behandlung bei chronischen Schmerzen alter Menschen sind durch die Fortschritte in der Technik und Pharmakologie deutlich gestiegen [6]. Sollen jedoch die Betroffenen eine angemessene Schmerzbehandlung erhalten, muss Schmerz rechtzeitig und verlässlich erkannt werden. Die unverzichtbare Basis sind eine sorgfältige Schmerzerfassung und konsequente Diagnostik [6]. Bereits das Erkennen von Schmerz ist bei alten und insbesondere bei kognitiv eingeschränkten Menschen eine Herausforderung, wenn Schmerzen nicht oder unzureichend geäußert werden können. Zudem mangelt es an evidenzbasierten Empfehlungen für eine einheitliche Vorgehensweise bei der Schmerzerfassung und für die Verwendung geeigneter Instrumente [4]. Schmerzmanagement und Erfolg der Schmerztherapie können jedoch auch durch die Betroffenen behindert werden, wenn Schmerz im Alter als normal oder unvermeidbar angesehen und daher nicht geäußert wird [6]. Um die Compliance der Betroffenen zu erwirken und damit den langfristigen Therapieerfolg zu sichern, müssen die Betroffenen dauerhaft als aktive Partner in das Schmerzmanagement einbezogen werden [6].

Der Fokus des vorliegenden Beitrags richtet sich auf die Schmerzsituation von Bewohnern mit und ohne Einschränkungen der kognitiven Funktionen zum Zeitpunkt der Baseline-Erhebung.

Methoden und Studienteilnehmer

Die hier vorgestellten Querschnittsdaten sind Teil der Baseline-Erhebung der OSiA-Studie (Optimiertes Schmerzmanagement in Altenpflegeheimen). Bei der OSiA-Studie handelt es sich um eine nichtexperimentelle Prä-Post-Studie mit standardisierten und teilstandardisierten Interventionen. Die heimweiten Interventionen umfassten die Qualifikation der Pflegenden (Pain-Nurse-Lehrgang), die Implementierung einer standardisierten Schmerzerfassung (Screening und tiefergehendes Assessment) sowie die Aufklärung über Optimierungspotenziale im Schmerzmanagement auf Basis der Baseline-Ergebnisse.

Die OSiA-Studie wurde zwischen Oktober 2011 und Mai 2014 durchgeführt. Die Daten dieser Publikation wurden bei den kognitiv leistungsfähigen Bewohnern zwischen Oktober und November 2011 und bei den kognitiv Beeinträchtigten im Juli 2012 erhoben.

Für die Studiendurchführung gab die Ethikkommission Land Salzburg ein positives Votum ab (415-E/1412/8-2012 v. 19.6.2012).

Auswahl der Einrichtungen und Bewohner

Es handelt sich um Einrichtungen eines privaten Trägers, der Altenpflegeheime in 7 von 9 Bundesländern Österreichs betreibt. Der Träger unterliegt bezüglich der Personal- und Einrichtungsstrukturen den Heimverordnungen der jeweiligen Bundesländer.

Zur Einschätzung der Struktur der zum Erhebungszeitpunkt 30 Altenpflegeheime wurde eine Datenerhebung wesentlicher Merkmale (Bewohnerstruktur, pflegekonzeptionelle Schwerpunkte und Personalstruktur) durchgeführt. Nach Exklusion eines strukturell abweichenden Heims wurden aus den übrigen 29 Altenpflegeheimen über eine Zufallsstichprobe 12 Heime selektiert und eine Vollerhebung der Bewohner in diesen Einrichtungen angestrebt (Cluster-Stichprobe).

Die Grundgesamtheit umfasste alle Bewohner der 29 Einrichtungen zum Erhebungszeitpunkt, die den Einschlusskriterien entsprachen (Tab. 1).

Tab. 1 Ein- und Ausschlusskriterien der teilnehmenden Bewohner

Die Rekrutierung der Studienteilnehmer erfolgte durch vom Forscherteam instruierte Koordinatoren der ausgewählten Altenpflegeheime. Mittels Codezuweisung durch die Koordinatoren wurde die Identität der potenziellen Teilnehmer anonymisiert. Die Bewohner bzw. deren gesetzliche Vertreter wurden durch die Koordinatoren mündlich und schriftlich über die OSiA-Studie informiert. Bei Vorliegen einer schriftlichen Einwilligung wurden die Bewohner in die Studie eingeschlossen.

Datenerhebung

Die Datenerhebung wurde von Personen aus dem Forscherteam durchgeführt, unterstützt von geschulten Studienassistenten mit weitreichenden Erfahrungen in der Altenpflege und im Umgang mit demenzkranken Menschen.

Es erfolgten ein standardisiertes „computer-assisted personal interview“ (CAPI) und standardisierte Beobachtungen sowie eine Analyse der Bewohnerdokumentation zur Schmerzsituation und Schmerzerfassung.

Instrumente und Untersuchungsverlauf

Die Bewohner wurden in 2 Erhebungsgruppen unterteilt. Zur Einteilung in die Gruppe der „kognitiv Leistungsfähigen“ (KL) bzw. der „kognitiv Beeinträchtigten“ (KB) wurde eine Einschätzung mit der Mini-Mental State Examination (MMSE; nach Folstein [5], modifiziert von Kaiser et al. 2009 [12]) vorgenommen. Bewohner mit einem MMSE-Score ≤ 18 wurden der Gruppe KB zugeordnet, Bewohner mit höheren MMSE-Scores der Gruppe KL.

In der Gruppe KL schloss sich an die MMSE eine Befragung zu Schmerzsituation, Schmerzerfassung und Umgang mit sowie Einstellung zu Schmerz an. Als Instrument diente ein eigens entwickelter Fragebogen mit integrierter verbaler Rating-Skala (VRS).

In der Gruppe KB wurde nach der MMSE-Messung eine Pause von mehreren Stunden eingelegt. Alle kognitiv beeinträchtigten Bewohner wurden um eine Selbstauskunft zu ihren Schmerzen in Ruhe und bei Belastung gebeten. Die Schmerzintensität wurde sowohl mit der VRS [9, 18] mittels der 5 Ausprägungen „kein“, „leicht“, „mittel“, „stark“ und „unerträglich“ als auch mit der Faces Pain Scale – Revised (FPS-R5; [2, 8, 16]) ermittelt. Die FPS-R wurde zur besseren Vergleichbarkeit mit der VRS in Anlehnung an Hicks et al. [8] und Miro et al. [16] von 6 auf 5 Gesichter modifiziert.

Bei allen kognitiv beeinträchtigten Teilnehmern (KB) wurde zudem eine Fremdeinschätzung von schmerzassoziiertem Verhalten mit dem Instrument Beurteilung von Schmerz bei Demenz (BESD; [10, 11, 20, 25, 28]) und mit Doloplus2(AT) [14, 19, 26] vorgenommen. Die BESD, die übersetzte Version der englischen Pain Assessment in Advanced Dementia Scale (PAINAD; [25]), erfasst die Verhaltensmusterdimensionen Atmung, negative Lautäußerung, Gesichtsausdruck, Körpersprache sowie Trost im Zusammenhang mit Belastungsschmerz, um anschließend das beobachtete Verhalten von 0 Punkten für kein Schmerzverhalten bis 10 Punkten für maximal ausgeprägtes Schmerzverhalten zu bewerten. Als Score für das Vorhandensein von Schmerzen verwenden Zwakhalen et al. [28] den Cut off 2. Jordan et al. [11] sprechen bei einem Cut off von 3 von potenziellen Schmerzen. Das übersetzte Doloplus2(AT) [19] dient der Beobachtung von schmerzassoziiertem Verhalten im Zusammenhang mit Schonhaltung, Schutz schmerzhafter Körperregionen, Gesichtsausdruck und Äußerungen über somatische Beschwerden sowie Schlafmustern, Aktivitäten des täglichen Lebens, Mobilität, Kommunikation, Sozialleben und Verhaltensauffälligkeit. Die ersten vier Merkmale wurden direkt bei den Bewohnern beobachtet, zu den übrigen wurden die Bezugspflegenden befragt. Bei Doloplus2(AT) können maximal 30 Punkte erreicht werden, wobei ein Cut off von 5 Schmerz repräsentiert [14, 26]. In dieser Studie wird die Überschreitung eines Cut off dieser beiden Instrumente als „relevantes Schmerzverhalten“ bezeichnet.

Um in der Gruppe der kognitiv Beeinträchtigten eine standardisierte Schmerzerfassung bei Belastung – sowohl während der Selbsteinschätzung als auch während der Fremdeinschätzung – zu gewährleisten, wurden in Anlehnung an Husebø et al. [10] standardisierte Bewegungen durchgeführt: das selbstständige oder assistierte Heben der Arme in die Luft, das Heben der Beine mit möglichst weit durchgestrecktem Knie sowie Aufstehen und wieder Hinsetzen von einem Stuhl oder alternativ das Drehen im Bett auf eine Seite.

Die Gruppe der kognitiv beeinträchtigten Bewohner wurde in 2 Untergruppen unterteilt: jene, die zur Selbstauskunft in der Lage waren (KBs), und jene, bei denen nur eine Fremdeinschätzung möglich war (KBf). Kriterium für eine Zuordnung in die Untergruppe KBs war die Fähigkeit zur Schmerzauskunft mittels VRS bei Ruhe- und Belastungsschmerz.

Ergebnisse

Struktur der Altenpflegeheime

Die grundlegenden Strukturmerkmale der ausgewählten Heime unterscheiden sich nur geringfügig von den nicht ausgewählten Heimen des Trägers (Tab. 2).

Tab. 2 Strukturmerkmale der Einrichtungen des Trägers

Der Pflegeschlüssel für die stationäre Langzeitpflege in Gesamtösterreich (n = 74.788 betreute Personen in stationären Diensten, Vollzeitäquivalente: n = 30.672,8) ist mit 2,44 Pflegenden [21] zum Rekrutierungszeitunkt ähnlich wie in den Heimen des Trägers. Weitere Vergleichsdaten sind derzeit nicht verfügbar.

Stichprobe

Ausschöpfung

Von 742 potenziellen Studienteilnehmern im Herbst 2011 konnten insgesamt 545 (73,5 %) für die Untersuchung rekrutiert werden. Von diesen gaben 23,7 % keine schriftliche Einwilligung und bei 2,8 % war der gesetzliche Vertreter nicht erreichbar.

Von 82,4 % der rekrutierten Teilnehmer (n = 449) konnten Daten erfasst werden. Die Gründe für die Nichtteilnahme von 17,6 % waren eine kurzfristige Ablehnung und der zwischenzeitliche Tod.

Aufgrund eines Datenbankfehlers musste die Erhebung bei den kognitiv beeinträchtigten Bewohnern im Sommer 2012 erneut durchgeführt werden. Nachdem 25 Bewohner bereits verstorben waren und 46 neu rekrutiert wurden, standen 227 potenzielle Teilnehmer zur Verfügung. Zum Zeitpunkt der Erhebung lehnten 19,8 % die Teilnahme ab oder waren inzwischen verstorben. So konnten letztlich von 182 kognitiv beeinträchtigten Bewohnern Daten erfasst werden. Die Ausschöpfungsquoten der Erhebungsinstrumente bei der Gruppe KL lagen zwischen 96,3 und 99,2 %, in der Gruppe KB bei 100 %.

Stichprobenprofil

Die Gesamtstichprobengröße in der Baseline-Erhebung betrug 425 Personen. Davon wurden 243 Teilnehmer (57,2 %) der Gruppe KL zugeordnet, 182 (42,8 %) der Gruppe KB. Etwa zwei Drittel der Gruppe KB waren zur Selbstauskunft fähig (KBs), bei etwa einem Drittel konnte lediglich eine Fremdeinschätzung des Schmerzverhaltens durchgeführt werden (KBf).

Das Durchschnittsalter der teilnehmenden Bewohner lag bei 84 Jahren. Es zeigte sich in allen Gruppen ein deutlich höherer Anteil an Frauen. Pflegestufe 5 war die häufigste der 7 möglichen Eingruppierungen für Pflegebedürftigkeit. Die Teilnehmer der Gruppe KL (überwiegende Pflegestufe 4) waren etwas weniger pflegebedürftig. Diagnostisch dominierten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologische Erkrankungen, orthopädische und degenerative Erkrankungen des muskuloskeletalen Systems sowie Stoffwechsel- und endokrine Krankheiten inklusive Malnutrition (Stichprobenprofil s. Tab. 3).

Tab. 3 Stichprobenprofil der Baseline-Erhebung

Schmerzsituation

Selbstauskunft Gruppe KL

Durch die Zusammenfassung der Schmerzintensität von „leicht“ bis „unerträglich“ ergab sich eine Schmerzprävalenz von 47,7 % in Ruhe. Bei Belastung stieg der Anteil der Befragten aus Gruppe KL mit Schmerzen auf 62,8 %. Die maximale Schmerzangabe in Ruhe oder bei Belastung (im Folgenden als Maximalschmerz bezeichnet) lag bei 66,4 %, wobei 22,4 % „starke“ bis „unerträgliche“ Schmerzen angaben (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Schmerzprävalenz und -intensität in der Gruppe kognitiv leistungsfähiger Bewohner (KL). Verbale Rating-Skala (VRS). Baseline n = 241

Befragt nach Schmerzen seit Einzug ins Altenpflegeheim (Abb. 2) gaben 24,1 % der Bewohner (KL) an, bislang noch nie Schmerzen gehabt zu haben. Im Gegensatz dazu hatten 60 % der Bewohner hatten seit mehr als einem Jahr Schmerzen.

Abb. 2
figure 2

Schmerzdauer in der Gruppe kognitiv leistungsfähiger Bewohner (KL). Fragebogen. Baseline n = 237

Bezüglich der Schmerzhäufigkeit hatten 42 % der Befragten „ständig“ oder zumindest „täglich“ Schmerzen verschiedener Intensität. Ein Anteil von 81 % der Bewohner mit ständigen bzw. täglichen Schmerzen hatte diese bereits länger als 1 Jahr und etwa 41,4 % der Bewohner mit ständigen Schmerzen hatten starke bis unerträgliche Schmerzen (Abb. 3). Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Schmerzhäufigkeit und Schmerzintensität (Kendall-τ, b = 0,356).

Abb. 3
figure 3

Schmerzhäufigkeit in der Gruppe kognitiv leistungsfähiger Bewohner (KL). Fragebogen. Baseline n = 240

Selbstauskunft Gruppe KBs

In der Gruppe KB waren insgesamt 64 % zur Selbstauskunft mittels VRS in der Lage (Gruppe KBs). Die Schmerzprävalenz lag in Ruhe bei 49,1 % und unter Belastung bei 56 %, der Maximalschmerz bei 68 % (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Schmerzprävalenz und -intensität in der Gruppe kognitiv beeinträchtigter Bewohner mit Fähigkeit zur Selbstauskunft (KBs). Verbale Rating-Skala (VRS). Baseline n = 116

Unter Verwendung der Gesichterskala FPS-R5 war nur etwa die Hälfte der Gruppe KBs dazu in der Lage, Angaben zu machen (n = 67). Fasst man die Gesichter zusammen, die leichten bis maximal vorstellbaren Schmerz ausdrücken sollen, so wählten in Ruhe 65 % ein Gesicht für Schmerzen, bei Belastung 69,6 %. Der Maximalschmerz lag bei 71,6 %.

Fremdeinschätzung Gruppe KB

Die Erfassung von schmerzassoziiertem Verhalten bei Belastung innerhalb der gesamten Gruppe KB mittels BESD ergab je nach Cut off des BESD-Scores unterschiedliche Werte (Abb. 5). Bei einem Cut off von 2 wurde bei 73,1 % ein relevantes Schmerzverhalten beobachtet, bei einem Cut off von 3 bei 57,7 %. Bei der Erfassung mittels Doloplus2(AT) zeigten bei einem Cut off von 5 des Doloplus2(AT)-Scores 47,3 % der kognitiv beeinträchtigten Bewohner relevantes Schmerzverhalten.

Abb. 5
figure 5

Schmerzrelevantes Verhalten in der Gruppe kognitiv beeinträchtigter Bewohner (KB). Beurteilung von Schmerz bei Demenz (BESD). Baseline n = 182

Fremdeinschätzung Gruppe KBs

In der Untergruppe der kognitiv Beeinträchtigten, die zur Selbstauskunft fähig waren (Abb. 6), wurde mit einem Cut off für die BESD von 2 bei 69 % der Bewohner ein relevantes Schmerzverhalten beobachtet, bei einem Cut off von 3 waren es 54,3 %.

Abb. 6
figure 6

Schmerzrelevantes Verhalten in der kognitiv beeinträchtigten Gruppe mit Fähigkeit zur Selbstauskunft (KBs). Beurteilung von Schmerz bei Demenz (BESD). Baseline n = 116

Auf Basis der Selbstauskunft (VRS) als Vergleichskriterium wurden die Sensitivität und Spezifität der Cut off berechnet. Für den Cut off von 2 lag die Sensitivität bei 87,7 % und die Spezifität bei 54,9 %, für den Cut off von 3 die Sensitivität bei 73,8 % und die Spezifität bei 70,9 %.

Mittels Doloplus2(AT) wurde bei einem Cut off von 5 bei 37,9 % ein relevantes Schmerzverhalten beobachtet. Die VRS-basierte Sensitivität betrug 47,7 %, die Spezifität 74,5 %.

Fremdeinschätzung Gruppe KBf

In der Untergruppe der kognitiv Beeinträchtigten, die nicht zur Selbstauskunft fähig waren, zeigte sich mit einem Cut off für die BESD von 2 bei 80,3 % ein relevantes Schmerzverhalten, bei einem Cut off von 3 ergaben sich 63,6 %. Mit Doloplus2(AT) und einem Cut off von 5 wurde bei 63,6 % ein relevantes Schmerzverhalten beobachtet.

Hinnahme und Verschweigen von Schmerz in Gruppe KL

Dass Schmerzen im Alter „einfach dazu gehören“, bejahten etwa 68 % der kognitiv leistungsfähigen Bewohner. Über 40 % der Befragten gaben an, Schmerz schon einmal verschwiegen zu haben. Der häufigste Grund (64 %) war, den Pflegenden nicht zur Last fallen zu wollen. Bedenken wegen Nebenwirkungen (27 %), kurz zuvor bereits eingenommene Schmerzmittel (19 %), eine fehlende Bezugspflegekraft (18 %) und Bedenken wegen Medikamentenabhängigkeit (16 %) wurden als weitere Gründe genannt.

Diskussion

Gesamtbild der Schmerzsituation

Etwa zwei Drittel der Bewohner haben in Ruhe oder bei Belastung Schmerzen (Maximalschmerz). Die Schmerzprävalenz in der vorliegenden Studie ist ähnlich oder höher als in vergleichbaren aktuellen europäischen Studien [1, 17, 27]. Im Gruppenvergleich zeigt sich, dass insbesondere bei Bewohnern, die nicht zur Selbstauskunft in der Lage sind, von einer hohen Schmerzprävalenz ausgegangen werden muss. Die Schmerzprävalenz der auskunftsfähigen Bewohner (KL und KBs) ist hingegen unabhängig vom kognitiven Status. In der Verteilung der Schmerzintensität zeigt sich allerdings eine erhöhte Intensität in der Gruppe KBs.

Häufig zu beobachtende schmerzrelevante Einschränkungen des Bewegungsapparats bei alten Menschen [13, 23, 24] stellen auch in den Ergebnissen der OSiA-Studie einen bedeutenden Faktor dar. Dementsprechend ist der Anteil der Bewohner mit Schmerz bei Belastung höher als jener unter Ruheschmerz, eine Differenz, die Osterbrink et al. [17] 2012 auch in einer vergleichbaren deutschen Studie feststellten.

Herausforderungen beim Erkennen von Schmerz

Differenzierte Auskünfte wie die berichteten Ergebnisse zu Schmerzintensität, Schmerzdauer und Schmerzhäufigkeit sind bei zahlreichen Bewohnern aufgrund kognitiver Beeinträchtigungen nicht möglich oder zumindest problembehaftet [2, 26]. Und selbst bei kognitiv leistungsfähigen Bewohnern birgt das Erkennen von Schmerz Problempotenzial, denn eine besondere Herausforderung in der Schmerzerfassung und für ein zielführendes Schmerzmanagement ist das Verschweigen und Hinnehmen von Schmerz [6]. Auch in der vorliegenden Studie erachtete ein erheblicher Anteil Schmerz als im Alter dazugehörig (68 %) oder verschwieg aus unterschiedlichen Gründen vorhandene Schmerzen (42 %). Hieraus ist ein Optimierungspotenzial in der Aufklärung über die Möglichkeiten moderner Schmerzbehandlung selbst im hohen Alter ableitbar. Die Identifizierung der tatsächlich von Schmerz Betroffenen kann auch besser gelingen, wenn Bewohner, die bewusst Schmerz verschweigen oder als unabwendbar erdulden, dazu ermutigt werden können, ihre Schmerzen rechtzeitig zu äußern.

Vergleich der Erhebungsinstrumente

Neben einer ohnehin erschwerten Schmerzerfassung bei kognitiver Beeinträchtigung können veränderbare Faktoren wie Qualifikationsdefizite in der Instrumentenanwendung oder kontextuell wenig geeignete Erfassungsinstrumente zum Verkennen von Schmerz führen. Die vergleichende Anwendung verschiedener Instrumente in verschiedenen Bewohnergruppen der vorliegenden Untersuchung illustriert zumindest letztere Problematik. So zeigte sich etwa, dass etwa die Hälfte der kognitiv beeinträchtigten Befragten, die auf der VRS antworten konnten, ihre Schmerzintensität auf der für die Schmerzerfassung bei alten Menschen empfohlenen FPS-Skala [2, 7, 8, 15] über die Symbolik der Gesichter nicht ausdrücken konnte. Die Schmerzerfassung über Selbstauskunft und damit die Erfüllung des Goldstandards der Schmerzerfassung [3] erweist sich hier als vom Selbstauskunftsinstrument abhängig.

Doch auch beim Einsatz von Fremdeinschätzungsinstrumenten besteht die Gefahr von Instrumenteneffekten. Der Rückschluss von Schmerzverhalten auf zumindest potenziellen Schmerz erweist sich nicht nur über die in der Literatur diskutierte Wahl verschiedener Cut offs der Instrumenten-Scores, wie beispielsweise bei der BESD, als variabel [11, 25, 28]. Die Ergebnisse unserer Studie verweisen bei den Instrumenten BESD und Doloplus2(AT) auch auf deutliche Differenzen beim Rückschluss von Schmerzverhalten auf Schmerz und die Identifizierung Schmerzbetroffener. Bei Anwendung von Doloplus2(AT) mit dem empfohlenen Cut off 5 [14, 26] lag die Prävalenz relevanten Schmerzverhaltens der kognitiv beeinträchtigten Bewohner (KB) bei 47,3 %. Demgegenüber ergibt die Anwendung der BESD bei einem Cut off von 2 [28] eine entsprechende Prävalenz von 73,1 %, bei einem Cut off von 3 beträgt sie 57,7 %. Die Beurteilung des Verhaltens liefert somit abhängig vom Instrument bei jedem zehnten bis jedem vierten Bewohner eine unterschiedliche Bewertung. Im Falle von Doloplus2(AT) resultiert ein deutlich geringerer Anteil an Bewohnern, deren beobachtetes Verhalten als schmerzrelevant bewertet wird. Angesichts des gleichen Ziels (Schmerzerkennung) der beiden Instrumente sowie der vorhandenen Definition von Cut offs, die relevantes von nicht relevantem Schmerzverhalten unterscheiden sollen, müssten jedoch trotz inhaltlicher Unterschiede der Instrumente ähnliche Prävalenzen auftreten.

Diese Diskrepanz lässt sich ebenso anhand der Gruppe KBs zeigen, da dort die Selbstauskunft per VRS als Vergleichsgröße zur Berechnung von Sensitivität und Spezifität der Instrumente herangezogen werden kann. Dabei zeigt sich mit 47,7 % eine im Vergleich zu beiden BESD Cut offs (87,7 und 73,8 %) geringere Sensitivität von Doloplus2(AT). Die Spezifität von Doloplus2(AT) ist ähnlich jener der BESD bei einem Cut off von 3; bei einem BESD Cut off von 2 ist sie höher. Der Anteil der auf Basis von Fremdeinschätzung erkannten Schmerzbetroffenen ist damit von der Wahl des Fremdeinschätzungsinstruments abhängig.

Für die Forschung legen die beschriebenen Differenzen nahe, dass weiterer Bedarf an einer Güteprüfung von Schmerzerfassungsinstrumenten besteht, insbesondere im gruppenspezifischen Kontext (z. B. kognitive Beeinträchtigungsgrade).

Limitationen der Studie

Eine Limitation der Studie ergibt sich aus dem zeitlichen Abstand von etwas mehr als 6 Monaten zwischen den Baseline-Erhebungen in den Gruppen KL und KB und der Nachrekrutierung von kognitiv beeinträchtigten Bewohnern, wenngleich beide Erhebungen in einem eng begrenzten Zeitraum erfolgten. Eine weitere Einschränkung ist das potenzielle Auftreten von Designeffekten aufgrund des Cluster-Stichprobendesigns. Zudem ist die Grundgesamtheit auf die Einrichtungen eines Trägers begrenzt.

Fazit für die Praxis

Ein großer Anteil an Bewohnern ist von Schmerz betroffen und dies in teilweise hohem und langfristigem Ausmaß. Die durch die OSiA-Studie gewonnene Datenlage zur Schmerzsituation zeigt Optimierungspotenziale im Schmerzmanagement auf. Insbesondere kognitiv beeinträchtigte Altenheimbewohner sind in Gefahr, an unerkannten Schmerzen zu leiden. Der Wahl adäquater Schmerzerfassungsinstrumente sollte mehr Beachtung zukommen, da nur eine valide Schmerzerfassung als Basis für ein zielführendes Schmerzmanagement dienen kann.