Die Ad-hoc-Kommission „Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Begriff „multimodale Schmerztherapie“ zu definieren und dafür notwendige Strukturen, Organisationsformen und Inhalte zu beschreiben. Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die die Ergebnisse dieser Arbeit zusammenfasst.

Bei chronisch Schmerzkranken liegt in der Regel ein vielschichtiges Wechselspiel zwischen somatischen, psychischen und sozialen Faktoren vor. Alle genannten Dimensionen sind dabei als integrale Teile des Schmerzes und nicht nur als Folge der Nozizeption zu verstehen; in einem komplexen Geschehen bedingen, unterhalten und verstärken sie sich wechselseitig.

Aufgrund des multidimensionalen Geschehens haben sich in der Behandlung chronischer Schmerzen „multimodale Behandlungsprogramme“, in denen diese Einzelaspekte wie auch ihr Zusammenspiel und übergeordnete Chronifizierungsmechanismen differenziert angesprochen werden, als eine effektive Behandlungsmethode erwiesen.

Abgesehen von der internationalen Situation (z. B. [8]) wurden sehr positive Ergebnisse übereinstimmend auch in schmerztherapeutischen Einrichtungen in Deutschland erreicht [5, 17, 25, 32, 34, 35]. Die grundsätzliche Definition der multimodalen Schmerztherapie wurde von der Ad-hoc-Kommission „Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie“ der Deutschen Schmerzgesellschaft 2009 vorgelegt [2].

In der Nationalen VersorgungsLeitline „Kreuzschmerz“ (Bundesärztekammer 2010) wurde erstmals die Notwendigkeit einer vielschichtigen Diagnostik vor Durchführung multimodaler Therapieprogramme formuliert. Diese Diagnostik soll die Indikation und Zuweisung zur Behandlung sicherstellen und bereits differenzierte Hinweise auf die spezifische Gestaltung und individuelle Kombination von Maßnahmen geben. Eine solche Diagnostik muss insofern bereits als erster Schritt des Behandlungsprozesses verstanden werden und ist vermutlich eine Voraussetzung für gute Behandlungseffekte. Dafür gibt es in der Literatur bereits deutliche Hinweise. Rothman et al. [33] untersuchten an 182 Patienten mit chronischen bewegungsbezogenen Schmerzen, ob die Durchführung eines multimodalen Assessments vor der Behandlung einen positiven Einfluss auf den Therapieeffekt hat. Verglichen wurde eine Patientengruppe, die ein solches Assessment erhalten hatte, mit einer Gruppe, bei der nur die Routinediagnostik stattgefunden hatte. Die Patientengruppe mit vorhergehendem multimodalem Assessment zeigte bei der 15-Monats-Katamnese signifikant bessere Ergebnisse in verschiedenen Bereichen der Lebensqualität, ein geringeres Beeinträchtigungserleben und eine höhere Ergebniszufriedenheit.

Klar definierte Kriterien für Form und Inhalte eines solchen multimodalen Assessments fehlen noch weitgehend. Der Auftrag der Ad-hoc-Kommission „Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie“ der Deutschen Schmerzgesellschaft umfasst die Formulierung dieser Kriterien. In einem konstruktiven Konsens von Mitgliedern verschiedener Berufsgruppen (Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten) wurden Vorgaben erarbeitet, die Inhalt der folgenden Ausführungen sind.

Aufgaben des Assessments

Ein interdisziplinäres schmerztherapeutisches Assessment erlaubt die fundierte Beurteilung bei 2 Gruppen von Schmerzpatienten [2]:

  • Patienten mit rezidivierenden oder anhaltenden Schmerzen, die sich noch am Beginn des Chronifizierungsprozesses befinden, aber ein erhöhtes Risiko zur Chronifizierung aufweisen

  • Patienten, die sich bereits in einem höheren Chronifizierungsstadium befinden und bei denen eine bisherige mono- oder multidisziplinäre Behandlung nicht zum Erfolg geführt hat

Im engeren Sinne stellt das interdisziplinäre Assessment die Voraussetzung für die Indikationsstellung zu einer interdisziplinären multimodalen Therapie dar.

In den Empfehlungen der Nationalen VersorgungsLeitlinie „Kreuzschmerz“ von 2010 wird mit hohem Empfehlungsgrad gefordert, dass die Indikation zu einer multimodalen Therapie möglichst durch ein umfassendes interdisziplinäres Assessment spätestens nach 6 Wochen Schmerzdauer und bei gleichzeitig bestehenden alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen sowie positivem Nachweis von Risikofaktoren zur Chronifizierung („yellow flags“) geprüft werden soll. Bestehen die Beschwerden und alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen trotz leitliniengerechter Versorgung bereits > 12 Wochen, soll generell die Indikation zu einer multimodalen Therapie, möglichst durch ein umfassendes interdisziplinäres Assessment, geprüft werden. Dabei soll die Zuweisung zum entsprechenden Versorgungsbereich in Abhängigkeit von den Ergebnissen des Assessments und in Abhängigkeit von der Prognose unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten erfolgen (Nationale VersorgungsLeitlinie „Kreuzschmerz“ 2010). Hintergrund der engen zeitlichen Vorgaben ist die Erkenntnis, dass bei diesen Patienten eine frühzeitige konsequente Zusteuerung in eine umfassendere und dem Krankheitsbild der chronischen Schmerzerkrankung angemessenere Versorgung erforderlich ist.

Im OPS-Code 1-910 „Multidisziplinäre algesiologische Diagnostik“ werden eine standardisierte interdisziplinäre somatische, funktionelle, psychotherapeutische und psychosoziale Diagnostik bei Patienten mit chronischen Schmerzzuständen aller Art beschrieben und neben Patientenkriterien auch qualitative Kriterien dafür festgelegt (Infobox 1). Die Vorgaben des OPS-Codes werden dem hier beschriebenen Anspruch jedoch nicht oder nur z. T. gerecht. In diesem Beitrag werden deshalb die notwendigen Themenbereiche, die Inhalte und die beteiligten Disziplinen sowie der Umfang eines multidisziplinären schmerztherapeutischen Assessments vor umfassender multimodaler Schmerztherapie beschrieben, wie sie von der Ad-hoc-Kommission „Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie“ der Deutschen Schmerzgesellschaft als notwendige Voraussetzungen definiert wurden.

Sinn und Zweck des multimodalen Assessments ist die möglichst umfassende, ganzheitliche Erfassung der Beschwerden des Patienten. Es stellt eine neue, aktuelle und unabhängige interdisziplinäre Untersuchung und Befunderhebung dar, die nicht auf der unkritischen Übernahme der Diagnosen und Befunde der Vorbehandler beruht. Gleichwohl fließen vorausgegangene Maßnahmen und Befunde in die Gesamtbeurteilung ein.

Die Qualität des interdisziplinären Assessments ergibt sich aus der Zusammenschau, der Abstimmung und der gemeinsamen Wertung der Untersuchungsergebnisse durch die beteiligten Fachdisziplinen. Die daraus resultierende gemeinsame Einordnung der individuellen Schmerzstörung ist die Basis für das weitere therapeutische Vorgehen.

Das Ergebnis des Assessments ist offen, d. h., dass der Patient aufgrund des Ergebnisses entweder mit Empfehlungen zu seinen bisherigen Behandlern entlassen, dass eine weiterführende fachspezifische Behandlung empfohlen oder dass die Indikation für ein interdisziplinäres Therapieprogramm ambulant, tagesklinisch oder stationär gestellt wird.

Lutz et al. [23] konnten anhand der Daten von > 800 Patienten mit Schmerzerkrankungen zeigen, dass nach einem intensiven multidisziplinären Assessment letztlich nur 54,3 % der untersuchten Patienten gemäß der Ergebnisse des Assessments für eine (stationäre) multimodale Schmerztherapie in Betracht kamen. Ein Anteil von 72,7 % dieser Patienten nahm das Angebot an; damit wurde in nur 39 % der eingangs untersuchten Fälle letztlich wirklich eine multimodale Schmerztherapie durchgeführt. Dieses Ergebnis zeigt sehr eindrucksvoll, dass multidisziplinäre Diagnostik nicht vorrangig dem Zweck dient, eine multimodal ausgerichtete Behandlung zu indizieren, sondern dass sie ergebnisoffen unterschiedliche Möglichkeiten der für den Einzelfall sinnvollen Behandlungswege prüft. Damit leistet die umfassende schmerztherapeutische Diagnostik als eine von der eigentlichen Behandlung unabhängige Leistung einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Versorgungseffizienz chronisch Schmerzkranker bei gleichzeitig hoher Transparenz und verhindert auf diese Weise kostenintensive Fehlbehandlungen.

Organisation

Das Beschwerdebild chronischer Schmerzpatienten kann nicht nach der in der Gesundheitsversorgung vorherrschenden diagnostischen Vorgehensweise mit symptombezogener Anamnese und Untersuchung sowie weitem Überwiegen apparativ-technischer Diagnostik erfasst werden. Chronische Schmerzpatienten sind oftmals durch dieses Versorgungsraster gefallen, das ihre Krankheitsentwicklung nicht aufhalten konnte und nicht selten sogar gefördert hat. Anders als die sonst übliche rein medizinische bzw. monodisziplinäre Diagnostik muss das schmerztherapeutische Assessment breit aufgestellt sein, um mit hoher interdisziplinärer Kompetenz möglichst alle Dimensionen des Beschwerdebilds zu erfassen. Das schmerztherapeutische Assessment wird daher regelhaft durch ein interdisziplinäres Untersuchungsteam in engem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang gemeinsam erbracht. Es beinhaltet die medizinische inklusive der körperlich-funktionellen Diagnostik, die psychotherapeutische Diagnostik sowie die Sozialanamnese und wird nach interdisziplinärer Teambesprechung unter Einbeziehung aller beteiligten Disziplinen durch ein Patientengespräch abgeschlossen. Die Inhalte der Untersuchungen sind zwischen den einzelnen Disziplinen abgestimmt.

Teilnehmende Untersucher sind mindestens ein Arzt unter enger Supervision eines ärztlichen Schmerztherapeuten mit Zusatzqualifikation, der mindestens in der Teamsitzung eingebunden ist, mit der Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“, ein ärztlicher oder psychologischer Psychotherapeut sowie ein Vertreter aus der Sport- und Physiotherapie, möglichst jeweils mit entsprechender schmerztherapeutischer Qualifikation. Die beteiligten Personen und Disziplinen sollten zeitlich und räumlich gemeinsam in einer Institution arbeiten und zumindest eine enge, vertraglich definierte Zusammenarbeit aufweisen, insbesondere bezüglich der Teamarbeit mit Festlegung regelmäßiger vorgeplanter Teamsitzungen. Die Arbeits- und Anwesenheitszeiten der einzelnen Teammitglieder sollten auch kurzfristige Terminänderungen zulassen.

Wie unsere Kommission bereits an anderer Stelle ausgeführt hat, wird eine spezifische schmerztherapeutische Weiterbildung für alle Berufsgruppen als sinnvolle und langfristig notwendige Spezialisierung angesehen, um den hohen qualitativen Anforderungen an die multimodale Schmerztherapie auch bei zunehmender Verbreitung des Angebots gerecht werden zu können. Bisher ist diese Bedingung lediglich für den ärztlich verantwortlichen Mitarbeiter mit der Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ zwingend vorgegeben. Die offizielle Anerkennung etwa der „Speziellen Schmerzpsychotherapie“ wird deshalb von der Deutschen Gesellschaft für psychologische Schmerztherapie und -forschung (DGPSF) gemeinsam mit der Deutschen Schmerzgesellschaft und dem Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin (BVSD) mit Nachdruck verfolgt. Einen ebenso hohen Stellenwert sehen wir in der Ausbildung zur „Algesiologischen Fachassistenz“ für Pflegekräfte und in dem aktuell in Entwicklung befindlichen Curriculum für den bewegungstherapeutischen Bereich, z. B. Physio-, Ergo-, Sport- oder Mototherapie. Die curricularen Weiterbildungen und Qualifikationen von Teammitgliedern, die bereits jetzt teilweise umsetzbar sind, stellen ein wichtiges Kriterium der Strukturqualität multimodaler Einrichtungen dar.

Als Voraussetzung für ein multimodales Assessment sind der vorausgehende möglichst vollständige Erhalt und die Durchsicht der vom Patienten einzureichenden Unterlagen wie Arzt- und Befundberichte, Bildgebung und Stellungnahmen bisheriger Therapeuten sowie ein möglichst vollständig ausgefüllter Basisfragebogen anzusehen. Dafür ist der Deutsche Schmerzfragebogen (DSF) konzipiert, ein konsentiertes Instrument der Deutschen Schmerzgesellschaft, das eine schmerzrelevante strukturierte Befragung mit gut validierten Instrumentarien (DASS, SBL, Schwereindex nach von Korff, FW7, SF-12) erlaubt und in der Schmerztherapie breit eingesetzt wird. Zur umfassenden Dokumentation der erhobenen Daten und Qualitätssicherung steht mit KEDOQ-Schmerz ein Datenerfassungs- und -auswertungssystem zur Verfügung, das neben den Strukturdaten der schmerztherapeutischen Einrichtungen den Kerndatensatz enthält, der sich aus dem DSF, der Bestimmung des Chronifizierungsgrads (MPSS), den Diagnosen sowie den relevanten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zusammensetzt [7]. So lässt sich die Qualität des durchgeführten Assessments transparent belegen, insbesondere auch gegenüber Kostenträgern und Kassenärztlichen Vereinigungen (KV).

Zudem werden von den einzelnen Einrichtungen in unterschiedlicher Konstellation weitere Instrumente verwendet, z. B. der Pain Disability Index (PDI, [9]), der Funktionsfragebogen Hannover (FFbH, [18]), der Patient Health Questionnaire (PHQ-D, [21]) oder der Coping Strategies Questionnaire (CSQ, [22]; vgl. Abschnitt „Testverfahren und standardisierte klinische Interviews“). Die Einbestellung und der Ablaufplan des Assessments müssen die häufig deutlich reduzierte psychische und physische Belastbarkeit des Patienten berücksichtigen. Den Einschränkungen der Patienten muss ggf. auch während des laufenden Assessments durch Pausen Rechnung getragen werden. Ein Zeitaufwand von 3 Behandlungstagen für ein schmerzmedizinisches Assessment wurde vor Kurzem seitens der Sozialgerichtsbarkeit für den stationären Sektor bestätigt (Sozialgericht Erfurt, Aktenzeichen S 38 KR 8795/10). Auch für den teilstationären Sektor nimmt das Assessment insbesondere bei höher chronifizierten Schmerzpatienten mit langer Vorgeschichte in der Regel mindestens 2 volle Behandlungstage in Anspruch. Ein kürzeres Verfahren kann ausreichend sein, wenn Teile des Assessments zeitnah im Vorfeld in der zur Einrichtung gehörenden Schmerzambulanz erfolgen konnten. Dabei muss jedoch sicher gestellt sein, dass die Untersucher ebenfalls zum therapeutischen Team gehören.

Alle beteiligten Professionen führen eine bereichsbezogene detaillierte Anamnese durch. Zwangsläufig resultierende inhaltliche Überlappungen werden genutzt, um die Konstanz der Angaben zu prüfen, aber auch als mögliche erste Hinweise auf Veränderungen des patienteneigenen Krankheitsmodells. Die Angaben des Patienten werden dazu in der Teamsitzung thematisiert und abgeglichen.

Ärztliche Untersuchung

Der medizinischen Diagnostik geht ein sorgfältiges Aktenstudium voraus, das die Sichtung sämtlicher relevanter Arztbriefe, Befunde, Schmerzfragebogen und Testergebnisse umfasst. Dies erleichtert die Vorbereitung sowohl für den Patienten als auch für den Untersucher und erlaubt ein problemzentriertes Gespräch mit dem Patienten.

Die medizinische Diagnostik beinhaltet eine ausführliche Anamnese, deren Umfang von der Komplexität der Vorgeschichte bestimmt wird. Chronische Schmerzpatienten sind in der Regel ausführlich vordiagnostiziert. Dennoch ist die erneute Abklärung potenziell bedrohlicher Erkrankungen, z. B. „red flags“ beim Rückenschmerz, aber auch von Hinweisen für symptomatische Kopfschmerzen, Malignome, internistische Erkrankungen u. a. obligat.

Medizinische Vorgeschichte

Die schmerztherapeutische Anamnese geht immer über eine rein symptombezogene Exploration hinaus. Es empfiehlt sich jedoch, zunächst die aktuellen Beschwerden anzusprechen und zu lokalisieren, bevor auf Details der bei chronischen Schmerzpatienten zumeist sehr langen Vorgeschichte eingegangen wird. Zu klären sind auch die Beweggründe des Patienten für die Vorstellung zum Assessment und mögliche Überweisungsgründe.

Große Bedeutung für das Verständnis der Schmerzerkrankung hat die Krankheitsentwicklung bzw. Krankheitsgeschichte. Erfragt werden: Erstmanifestation, mögliche Auslösesituationen, damalige Lebensumstände und frühere und heutige Auswirkungen der Beschwerden. Besonders der vermutliche Zeitpunkt des Übergangs in eine chronische Problematik, relevante Lebensumstände, auslösende und unterhaltende Faktoren und die sich daraus ergebenden gesundheitlichen und psychosozialen Konsequenzen sind von Relevanz. Hierzu gehören auch die Wertung der Beschwerden durch frühere Behandler und die Reaktion darauf, etwa die Verordnung von Schonung. Die Klärung der verschiedenen Punkte ist zeitintensiv und erfordert nahezu regelmäßig mehrfaches Nachfragen, um die notwendige Explorationstiefe zu erreichen.

Bei der Erfassung körperlicher, psychischer und sozialer Chronifizierungsfaktoren und der Beurteilung der Chronifizierungsgefährdung stellen z. B. der Heidelberger Kurzfragebogen oder der Örebro-Fragebogen wertvolle Hilfsmittel dar. Die Ermittlung des Chronifizierungsstadiums [Mainzer Stadiensystem (MPSS), [14]] ist obligatorisch. Die Erkrankungsschwere nach von Korff [19] kann anhand der Angaben des Patienten im DSF bestimmt werden.

Der bisherige Diagnostik- und Therapieverlauf wird in der Regel von Fragebogen nicht detailliert erfasst. Er sollte mit Angabe des Vorbehandlers inklusive Institution und Fachgebiet möglichst genau nachgezeichnet und dokumentiert werden. (Teil-)stationäre und ambulante konservative, interventionelle und operative Maßnahmen, aber auch Rehabilitations- und Kuraufenthalte, ggf. auch komplementäre Behandlungen bei Heilpraktikern werden erfragt. Unverzichtbar sind die Medikamentenanamnese inklusive der Effekte bzw. Nebenwirkungen wie auch der aktuellen Medikation. Hier ergeben sich nicht selten bisher ungenutzte Therapieoptionen, häufiger aber auch Hinweise auf einen Fehlgebrauch. Schließlich ist auch die Bewertung des Patienten bezüglich Erfahrung, Erfolg und Wiederholung von Therapiemaßnahmen von Bedeutung. Bei den häufig jahre- und jahrzehntelangen Vorgeschichten kann dieses Vorgehen mühsam sein, da den Patienten viele Schritte ihrer „Schmerzkarriere“ nicht mehr gegenwärtig sind.

Die genaue Beschreibung der derzeitigen Beschwerden bezüglich Lokalisation, Ausstrahlung, Qualität, Auslöse- und Verstärkungsfaktoren, z. B. bei bestimmten Körperpositionen und Tätigkeiten, einschließlich der zirkadianen Schmerzcharakteristik erlaubt eine erste Einordnung der Beschwerden als strukturelle Schädigung – z. B. Neuropathie – oder eher funktionelle Störung. Die endgültige Einordnung erfolgt dann in der obligatorischen Teambesprechung.

Weitere Körperbeschwerden und funktionelle symptomatische Syndrome, z. B. Palpitationen, Magenbeschwerden, Colon irritabile und Schlafstörungen, sind aufzunehmen. Hinzu kommen die Erfassung von Komorbiditäten, früher und auch aktuell, sowie familienanamnestische Angaben.

Das subjektive Krankheitsmodell und die Erklärung des Patienten zu Ursachen und Verlauf seiner Beschwerden stehen in engem Kontext mit den Therapieerwartungen des Patienten, aber auch mit der Bereitschaft zur Verhaltensänderung. Nicht selten ist im Verlauf des Assessments über die einzelnen Stationen hinweg eine Modifikation des subjektiven „Schmerzmodells“ inklusive der Einstellung zu aktiven bzw. passiven Therapiemaßnahmen zu beobachten.

Ärztliche Untersuchung

Die ärztlich-schmerztherapeutische Untersuchung erfolgt ebenfalls nicht nur symptombezogen, sondern sehr viel umfassender. Neben der Erfassung schmerzhafter Strukturen und, sofern möglich, deren Ursachen zielt sie auch auf die Diagnostik von schmerzbedingten Folgeveränderungen und schmerzunabhängigen Komorbiditäten ab. Weiter dient sie der Klärung, ob die Patienten körperlich dazu in der Lage sind, umfassende multimodale Therapieprogramme zu absolvieren.

Es erfolgt deshalb eine orientierende orthopädische, neurologische und internistische Untersuchung durch den Schmerzmediziner. Die orthopädische Untersuchung sollte auf jeden Fall die Körperstatik, die Beweglichkeit der Wirbelsäule und auch der Gelenke, den Zustand der Muskulatur sowie Funktionsuntersuchungen umfassen, was manualmedizinische Grundkenntnisse voraussetzt.

Neurologisch werden Motorik und Sensibilität, Hirnnerven, Koordination, Muskeleigenreflex, grobe Kraft, Nervenkompressionszeichen und auch die vegetative Symptomatik geprüft.

Schwerpunkte der orientierenden internistischen Untersuchung stellen eine Herz-Kreislauf-Basisuntersuchung mit Blutdruck und Puls sowie eine Auskultation von Lunge und Herz, eine Abdomenbefundung und der Gefäßstatus dar.

Eine weitergehende Diagnostik, die möglicherweise in Abhängigkeit vom Beschwerdebild erforderlich wird, z. B. mit Laboruntersuchungen von Entzündungsparametern oder zur Rheumaabklärung, spezielle Organuntersuchungen, bildgebende und elektroneurographische Verfahren, aber auch die konsiliarische Zuziehung weiterer Fachdisziplinen erfolgen fakultativ. Insbesondere die invasive Diagnostik, z. B. mit Liquorpunktionen, diagnostischen Punktionen, Infiltrationen und Blockaden ist nicht primärer Inhalt des schmerztherapeutischen Assessments, sondern erfolgt erst nach kritischer Indikationsstellung.

Physio-/moto-/ergotherapeutische Diagnostik

Anamnese

Auch für diesen Bereich können Arztberichte wertvolle Informationen bieten, z. B. Angaben zu aktiven und passiven Behandlungsverfahren sowie Hinweise auf die Verträglichkeit und Effekte der Maßnahmen. Im Mittelpunkt der Anamnese steht ebenfalls zunächst das aktuelle Beschwerdebild, aber auch die bisherige Entwicklung und insbesondere die Auswirkungen auf Funktionsstatus und Aktivitätsgrad sowie die Teilhabe am täglichen Leben (z. B. ADL, auch berufsspezifische Befragung). Neben der Schmerzqualität und Lokalisation werden Auslöse- und Entlastungssituationen erfragt, abhängig von Körperpositionen, Belastungen und dem Zeitpunkt des Auftretens. Außerdem gibt die Frage nach lindernden Maßnahmen, Bewegungen und Positionen hilfreiche Hinweise für die erforderliche Therapie. Die Behandlungsanamnese liefert Informationen zu Anzahl, Frequenz und Art durchgeführter Maßnahmen, ob aktive oder passive Maßnahmen bzw. kombinierte Programme zum Einsatz kamen, im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzepts oder als Einzelmaßnahme. Wie wurden die Behandlungsmaßnahmen vertragen, welche Effekte traten auf, Linderung oder Verstärkung, und wie nachhaltig wurden sie vom Patienten empfunden? Fand eine Umsetzung des Übungsprogramms zu Hause oder im täglichen Leben statt und, wenn ja, in welcher Form?

Untersuchung

Der Schwerpunkt der physio-/moto-/ergotherapeutischen Untersuchung ist weniger schadens- als vielmehr funktionell orientiert. Dabei geht es nicht nur um die Beschreibung von Funktionsminderungen bei Affektionen des Bewegungsapparats, sondern auch um Auswirkungen sonstiger chronischer Schmerzen auf Haltung, Bewegungsverhalten und Aktivitätsniveau. Weiter liegt das Augenmerk darauf, bisher ungenutzte Bewegungsoptionen als mögliche Ressourcen zu identifizieren.

Im Einzelnen wird die Diagnostik abhängig von den Hauptbeschwerden durch die Erfassung der Wirbelsäulen- und Gelenkbeweglichkeit, die Durchführung von Funktionstests, die manuelle Diagnostik und die Bewertung der Muskelkraft, der muskulären wie kardiovaskulären Ausdauerfähigkeit (z. B. Ergometer) sowie der Koordination erweitert. Bei speziellen Fragestellungen sind auch Aktivitätstests wie die „progressive isoinertial lifting evaluation“ (PILE; Hebekapazität) oder Handfunktionstests, etwa in der Ergotherapie, hilfreich. Auch dieser Fachbereich profitiert von eingesetzten Fragebogen wie dem FFbH [18]. Falls vorhanden, ist auch eine gerätegestützte isometrische oder dynamische Funktionstestung der Rumpf- und Nackenmuskulatur quantitativ auswertbar. Gleichgewichtsstörungen sind ebenfalls zu erfassen, nicht zuletzt um ein mögliches Gefährdungspotenzial oder Sturzrisiko des Patienten während körperlicher Übungen abzuschätzen. Die Beurteilung der Körperwahrnehmung ist einerseits für die Gestaltung des Therapieplans von Bedeutung, andererseits lässt sie auch Rückschlüsse auf den Umgang des Patienten mit Körpersignalen wie etwa das Ignorieren erster Überlastungssignale beim Durchhalten oder die Überbewertung von Schmerz bei Vermeidungsverhalten zu und gibt so den psychotherapeutischen Untersuchern nützliche Hinweise.

Psychologische und psychosomatische Diagnostik

Die psychologische Diagnostik ist bei chronischen Schmerzen Teil der Basisdiagnostik, gerade für den Übergang des akuten oder subakuten zum chronischen Schmerz sind psychologische Kriterien besonders relevant.

Für eine differenzierte psychologische Diagnostik stehen die psychologische Anamnese (ausführlich in [27]), die biographische Anamnese für Schmerzpatienten [1, 10], die Verhaltensbeobachtung, psychologische Testverfahren (ausführlicher in [17]) sowie standardisierte Instrumente zur Erhebung psychischer Komorbiditäten (PHQ-D, SKID; DIPS, DIA-X) zur Verfügung. Ziel der psychologischen Diagnostik ist die Identifikation prädisponierender, auslösender und aufrechterhaltender Bedingungen [28]. Hinzu kommt die Diagnostik psychischer Komorbiditäten.

Grundlage des diagnostischen Prozesses ist ein sorgfältiges Aktenstudium, das – abgesehen von seinem informativen Gehalt – auch die Beziehungsaufnahme zum Patienten erleichtern kann.

Anamnese

Die psychologische Anamnese ist ein diagnostisches Routineverfahren ohne verbindliche Standardisierung. Für die Untersuchung von Schmerzpatienten wird die Erhebung folgender Aspekte der Lebens- und Krankheitsgeschichte des Patienten empfohlen: aktuelle Beschwerden, Entwicklung der Chronifizierung, Einflussfaktoren, Bedingungen und Folgen chronischer Schmerzen im Alltag, Krankheitskonzept, sonstige körperliche oder seelische Beschwerden, eine ausführliche Familienanamnese (auch unter Berücksichtigung von Erfahrungen hinsichtlich Krankheit und Schmerzen) sowie Informationen zur persönlichen Entwicklung und zur aktuellen Lebenssituation (einschließlich Partnerschaft und Beruf). In der biographischen Anamnese sollte dem früheren Schmerzerleben (z. B. als Folge von Verletzungen, Unfällen und Krankheiten, Schmerzen bei nahen Angehörigen), traumatisch erlebten Ereignissen, aktuellen Konflikten mit wichtigen Bezugspersonen oder in der Arbeit sowie überdauernden Konfliktmustern besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Hinzu kommen die Erhebung von Ressourcen, Bewältigungsansätzen, instrumentellen Funktionen chronischer Schmerzen sowie deren Einfluss auf die Beziehungsgestaltung des Patienten im Alltag. Neben den schmerzrelevanten Informationen werden auch psychologische Besonderheiten wie eine Persönlichkeitsakzentuierung und psychopathologische Besonderheiten erfasst, die den Behandlungsverlauf beeinflussen können.

Gegebenenfalls früher aufgetretene psychische Beschwerden oder Störungen und psychotherapeutische, psychiatrische und psychosomatische Vorbehandlungen sollten erfasst und daraufhin geprüft werden, ob ein Zusammenhang zur aktuellen Krankheitssituation bzw. Beschwerdesymptomatik besteht.

Fremdanamnestische Daten können von Bedeutung sein. Der Schwerpunkt der Anamnese sollte nicht auf den historischen Aspekten der Erkrankung, sondern vielmehr auf dem Chronifizierungsprozess und den dabei bedeutsamen Faktoren liegen.

Ähnlich wie bei der ärztlichen Anamnese ist eine Kategorisierung in psychogene vs. somatische Beschwerden zu vermeiden.

Verhaltensbeobachtung und Erhebung des psychopathologischen Status

Parallel zur Anamneseführung werden Informationen zu Schmerzverhalten, Stimmung, Kontakt und sozialen Fähigkeiten erhoben. Wie bereits in den historischen Arbeiten von W. Fordyce [12] dargestellt, kommt dem Schmerzverhalten im Kontext der Genese bzw. Aufrechterhaltung von Schmerzerkrankungen eine besondere Bedeutung zu. Gerade für das partnerschaftliche Interaktionsverhalten ist dies immer wieder bestätigt worden [11, 37]. Die schmerztherapeutische Untersuchung ist zwar ein Sonderfall der sozialen Interaktion, dennoch können sich Interaktionsstile und Verhaltensmuster auch dort manifestieren und erkennbar werden. Parallel zur verbalen Anamneseführung werden daher auch Informationen zum Schmerzverhalten und zum Sozial- und Interaktionsverhalten des Patienten in der Anamnese bzw. Exploration erhoben, um daraus ggf. Hypothesen über Funktionen des Schmerzverhaltens im sozialen Kontext ableiten zu können. Hier empfiehlt sich auch eine sorgfältige Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den 3 Untersuchungsebenen Arzt, Psychologe und Physiotherapeut. Diese fließen in die Hypothesenbildung zur Aufrechterhaltung der aktuellen Beschwerden ein; sie können auch Anhaltspunkte für prädisponierende bzw. auslösende Faktoren bilden. Die regelmäßige Erhebung des psychopathologischen Status erfolgt nach den dafür bestehenden Kriterien.

Testverfahren und standardisierte klinische Interviews

Testverfahren sind in der Schmerzdiagnostik inzwischen Standard, wobei sie nicht dazu verwendet werden können, Diagnosen zu stellen [28]. Sie können allenfalls den Eindruck aus Anamnese und Aktenstudium ergänzen bzw. neue Anhaltspunkte liefern, die aber anhand der Anamnese abgeklärt bzw. gesichert werden müssen. Einige der Instrumente sind standardmäßig im Fragebogen der Deutschen Schmerzgesellschaft enthalten, andere können auch nach Hinweisen aus dem Aktenstudium ergänzend herangezogen werden.

Die im Folgenden angeführten Instrumente sind bei entsprechender Indikationsstellung zu empfehlen: Hinweise zur psychischen Komorbidität können z. B. mithilfe des PHQ-D [21] erhoben werden. Testverfahren stehen je nach Zielsetzung zur Erhebung von Schmerzerleben bzw. Schmerzqualität (SES, [13]), maladaptiven Kognitionen (z. B. CSQ, [22]; FESV, [13]; FABQ, [30]), gefühlsmäßigen Beeinträchtigungen (DASS, [28]; HADS, [16]; ADS, [15]), zur Erfassung von Beeinträchtigungserleben (PDI, [9]; FFbH, [18]) und Schmerzkatastrophisierung [Pain Catastrophizing Scale (PCS)] sowie der Lebensqualität (SF-12 [6]) zur Verfügung. Eine ausführliche Einführung zu psychometrischen Testverfahren in der Diagnostik von Schmerzpatienten geben Kröner-Herwig u. Lauterbacher [20] bzw. Pioch [31].

Bei geriatrischen Patienten sollte sich die Diagnostik an Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Schmerz und Alter“ orientieren [4].

Sozialdiagnostik

Die Sozialanamnese kann im Rahmen der medizinischen wie auch der psychologischen Anamnese, aber auch getrennt davon erfasst werden. Sie geht über die Erfassung berufsbezogener („blue flags“) und sozioberuflicher Faktoren („black flags“) und ihre Relevanz für die Schmerzchronifizierung hinaus.

Beginnend mit der Familienstruktur (Partner, Kinder, Eltern, Geschwister) und innerfamiliären Belastungen, wie der Pflege Angehöriger oder chronischen Erkrankungen in der Familie, werden die Wohnsituation sowie Beruf, Ausbildung und Erwerbsstatus erfragt. Die wirtschaftliche Situation – Einkommen und eventuell Belastungen, auch die Arbeitsunfähigkeit – gibt in Zusammenschau mit sozialrechtlichen Aspekten wie dem Versichertenstatus, sozialen Kompensationen oder anhängigen Rechtsverfahren wichtige Hinweise auf mögliche Zielkonflikte oder auch nur terminliche Zwänge. Die ethnische Zugehörigkeit, der Migrantenstatus und die sprachlichen Fähigkeiten zeigen fallbezogen mögliche Therapiehindernisse auf. In engerem Bezug zum Schmerzgeschehen stehen die Ausgestaltung und Häufigkeit sozialer Kontakte, die ebenso wie die noch bestehenden Freizeitaktivitäten und die verbliebene Mobilität Hinweise auf sozialen Rückzug geben.

Teambesprechung

Nach Abschluss der getrennt durchgeführten Untersuchungen in den einzelnen Bereichen finden sich die beteiligten Untersucher möglichst im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zu einer Teambesprechung zusammen. Diese ist das Herz des interdisziplinären Assessments. Die anamnestischen Daten sowie die erhobenen Befunde werden von den beteiligten Untersuchern vorgestellt und gegeneinander abgeglichen. Das Ergebnis der Besprechung ist ein gemeinsames Modell zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung der Schmerzsymptomatik und die Formulierung einheitlicher (Verdachts-)Diagnosen. Besondere Bedeutung hat die Erörterung der Therapiemotivation des Patienten, auch vor dem Hintergrund sich ergebender Zielkonflikte. Nicht selten zeigen sich hier unterschiedliche Sichtweisen der einzelnen Untersucher, wodurch ein Konsens im Team erschwert werden kann. Ebenso kann sich aber auch eine Entwicklung seitens des Patienten im Verlauf des Assessments hin zu einer günstigeren Therapieeinstellung abbilden.

Ein weiteres Thema der Teambesprechung ist die Abstimmung über das weitere Vorgehen inklusive der Frage der Organisationsform: ambulant, tagesklinisch oder stationär. Erörtert werden ggf. noch erforderliche diagnostische Maßnahmen, Umstellung oder Beendigung der Medikation, Art und Umfang interdisziplinärer multimodaler Therapieprogramme, psychotherapeutische Verfahren und auch der Einsatz interventioneller Maßnahmen. Wird die Indikation für eine multimodale Therapie gestellt, sollte ein individuelles Therapieprogramm erstellt und die Therapieplanung festgelegt werden. Dabei ist auch zu klären, ob vor diesem Therapieprogramm noch vorbereitende Maßnahmen zu ergreifen sind. Diese können auch zur Abklärung der Therapieerwartung und Therapiemotivation des Patienten eingesetzt werden.

Sollte keine Indikation für ein interdisziplinäres multimodales Therapieprogramm generell oder zum jetzigen Zeitpunkt bestehen, sollten die Empfehlungen für die Weiterbehandler und auch die Dringlichkeit weiterer Therapiemaßnahmen abgestimmt werden, z. B. bei möglicher Operationsindikation.

Abschlussgespräch mit dem Patienten

Das Assessment wird durch ein zeitnah zu führendes abschließendes Gespräch mit dem Patienten abgeschlossen. Dabei werden dem Patienten das Beschwerdebild in seiner gesamten Breite sowie mögliche Ursachen und Auswirkungen erläutert und die im Team gefundene diagnostische Einordnung erklärt. Wichtig ist dabei, die Ausgangssituation des Patienten, wie sie sich bei der Anamnese ergeben hat, und seine eigenen Vorstellungen mit zu berücksichtigen bzw. ihn dort „abzuholen“. Weiter werden mögliche Therapieansätze und Therapieangebote erläutert und ggf. ein Therapieangebot konkretisiert, für das sich der Patient dann eigenständig und motiviert entscheiden kann. Andernfalls können Bedenkzeit oder ein weiteres Aufklärungsgespräch eingeräumt werden. Auch ein zeitlich befristeter Therapieversuch kann erfolgen. Zum Abschlussgespräch gehören auch die organisatorischen Aspekte der Behandlung und die konkrete Therapieplanung mit Terminierung.

Fazit für die Praxis

Das vielschichtige und für den chronischen Schmerz prägende Wechselspiel zwischen somatischen, psychischen und sozialen Faktoren, die sich in einem komplexen Geschehen wechselseitig bedingen, unterhalten und verstärken, erfordert ein gemeinsames, abgestimmtes multidisziplinäres Vorgehen zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt der Krankheitsentwicklung. Dieses teamorientierte, interdisziplinäre diagnostische Update beinhaltet eine neue detaillierte Anamnese unter besonderer Berücksichtigung des Krankheitsverlaufs und eine unvoreingenommene Untersuchung, beides aus somatisch-strukturellem, funktionellem, schmerzpsychologischem und psychotherapeutischem sowie sozialem Blickwinkel. Damit lässt sich die Krankheitsentwicklung für alle Beteiligten – auch für den Patienten! – transparent und nachvollziehbar machen. Auf dieser Erkenntnis aufbauend können adäquate Behandlungsmaßnahmen eingeleitet sowie Behandlungsinhalte individuell angepasst werden. Nicht selten führt die vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Erkrankungsverlauf bereits während des Assessments zu einer Veränderung des Krankheitsmodells des Patienten mit zunehmender Offenheit gegenüber einem multifaktoriellen biopsychosozialen Geschehen. Früher erhobene klinische, apparative und bildgebende Befunde dürfen dabei nicht kritiklos übernommen werden, zumal sie häufig Widersprüche aufweisen und ebenso häufig eine einseitige Krankheitsinterpretation des Patienten induziert haben. Die Interpretation vorausgegangener Untersuchungsergebnisse, die in die abschließende Bewertung einbezogen werden, erfordert in Abhängigkeit vom Krankheits- und Beschwerdebild möglicherweise die Hinzuziehung eines fachspezifischen Arztes bzw. Therapeuten, insbesondere zum sicheren Ausschluss möglicher spezifischer Ursachen. Bei aller diagnostischen Intensität darf nicht die Grundregel außer Acht gelassen werden, dass der Ausschluss potenziell gefährlicher und kausal therapierbarer Krankheitsverläufe einer Schmerztherapie zwingend vorausgehen muss.

Die Nationale VersorgungsLeitlinie „Kreuzschmerz“ fordert nach spätestens 6 Wochen therapieresistenter Schmerzen trotz leitliniengerechter Therapie ein interdisziplinäres Assessment zur Klärung der Indikation multimodaler Therapie mit dem Ziel, eine Chronifizierungsgefährdung zu erkennen und ein intensives, interdisziplinäres Therapieprogramm mit verbesserter Prognose einzuleiten. Grundsätzlich kann diese Anforderung für jede Art von Schmerzerkrankung bereits im Chronifizierungsprozess gelten, zwingend jedoch bei bereits chronischen Schmerzzuständen. Das hier beschriebene strukturierte Assessment hilft, die bekannten Odysseen unserer Schmerzpatienten zugunsten eines abgestuften schmerztherapeutischen Angebots zu vermeiden bzw. zu beenden. Die dargestellten Forderungen sind aus Sicht eines ambulant tätigen Schmerztherapeuten in der Regelversorgung des KV-Systems schwierig umzusetzen, werden aber im Rahmen von Selektivverträgen bereits berücksichtigt [38]. Die Übertragung dieser Strukturen in die Regelversorgung ist Bestandteil des Qualitätsanspruchs der Schmerzmedizin. Eine entsprechende Honorierung ist allerdings erforderlich, zumal das Assessment hohe Kompetenz und Erfahrung vom Team verlangt.