Funktionelle somatische Syndrome (FSS) werden durch einen typischen Symptomkomplex ohne spezifische Ätiologie und ohne eindeutige somatische Krankheitsursachen (Syndrom) definiert. Die Behandlung von Patienten mit FSS wie dem Reizdarmsyndrom (RDS) oder Fibromyalgiesyndrom (FMS) kann für Betroffene und Behandler beschwerlich sein [23]. Die medikamentöse Therapie von Patienten mit FSS führt zu hohen direkten Behandlungskosten [29].

Evidenzbasierte Empfehlungen zur Behandlung von FSS durch Spezialisten mit Antidepressiva oder Antikonvulsiva sind mit der Tatsache konfrontiert, dass die Verummedikation einer Placebomedikation nur in geringem Maße überlegen ist. Die US Food und Drug Administration (FDA) gab 3 Medikamenten (Duloxetin, Milnacipran und Pregabalin) eine Zulassung für die Therapie des FMS, während die European Medical Agency (EMA) die Zulassung verweigerte, weil der Nutzen die Risiken nicht überwog [3].

Die geringe Überlegenheit von Duloxetin, Milnacipran und Pregabalin gegenüber der Placebogabe beim FMS [14] gibt Anlass, das Potenzial einer Placebotherapie von FFS zu diskutieren. Es wird angenommen, dass ein Placebo am besten bei Schmerzen und bei Störungen des autonomen Nervensystems wirkt [17]. Der klinische Placebogebrauch wurde in Leitartikeln [12, 17] und von einflussreichen Kommentatoren [5] bei folgenden Konstellationen befürwortet:

  • Die Behandlung mit Verummedikamenten ist teuer.

  • Die Behandlung mit Verummedikamenten ist der Placebobehandlung nur gering überlegen.

  • Die Behandlung mit Placebo führt wahrscheinlich zu einem relevanten klinischen Nutzen.

Die ersten beiden Bedingungen treffen auf das FMS zu. Die medikamentöse Therapie des FMS ist teuer [4, 29]. Die durchschnittliche zusätzliche Reduktion von Schmerz und Müdigkeit durch die Verummedikation gegenüber der Placebobehandlung durch die 3 von der FDA zugelassenen Medikamente ist statistisch signifikant, aber klinisch nicht bedeutsam [14, 15]. Ob die dritte Bedingung für eine Placebotherapie des FMS erfüllt ist, wurde noch nicht ausreichend untersucht. Die durchschnittliche Schmerzreduktion durch Placebogabe war – nach klinischen Maßstäben [9] – bei FMS-Patienten klinisch nicht bedeutsam: Die durchschnittliche Schmerzreduktion lag in Medikamentenstudien bei 7,7 Punkten [95%-Konfidenzintervall (KI): 6,1–9,3] auf einer Skala von 0–100 [15]. Eine Analyse individueller Patientendaten in Medikamentenstudien chronischer Schmerzsyndrome zeigte jedoch, dass Gruppendurchschnittswerte das individuelle Ansprechen nicht genau wiedergeben [25]. Personen mit einem klinisch relevanten Ansprechen (mindestens 30%ige Schmerzreduktion) auf die Placebobehandlung (sog. Placeboresponder) zeigen wahrscheinlich ein Ansprechen auf das Placebo, das wesentlich höher ist als der Durchschnittswert [33]. Unseres Wissens wurde die Rate der Placeboresponder bisher nur bei funktionellen gastrointestinalen Störungen wie dem RDS untersucht. In Medikamentenstudien über das RDS waren 16–71% (Mittelwert: 40%) der Patienten Placeboresponder [8].

Die Placeboresponserate und ihre potenziellen patientenbezogenen Prädiktoren bei nichtgastrointestinalen FSS wie dem FMS wurden bislang nicht untersucht. Wir führten daher im Zuge der Erstellung einer systematischen Übersichtsarbeit eine Metaanalyse von randomisierten Langzeitmedikamentenstudien (≥12 Wochen) bei erwachsenen FMS-Patienten durch, um die Placeboresponserate und potenzielle patientenbezogene Prädiktoren zu bestimmen.

Methoden

Protokoll

Die Übersicht wurde gemäß dem Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses (PRISMAS) Statement [24] durchgeführt. Analysemethoden und Einschlusskriterien wurden a priori festgelegt.

Auswahl der Studien

Studientypen

Doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) mit einem Paralleldesign wurden eingeschlossen. Studien ohne Randomisierung und Studien mit einfacher Verblindung wurden ausgeschlossen. Studien mit einem Crossover-Design wurden ausgeschlossen, wenn die Placeboresponseraten für die einzelnen Studienphasen nicht getrennt aufgeführt wurden. Studien mit einem „enriched enrollment with randomized withdrawal design“ wurden aufgrund der möglichen Auswirkungen des Studiendesigns auf die Placeboresponse ausgeschlossen [30]. Da wir am potenziellen therapeutischen Einsatz von Placebos interessiert waren, schlossen wir nur Studien mit einer Behandlungsdauer ≥12 Wochen ein, wie in Medikamentenzulassungsstudien gefordert [26]. Ein Ausschluss aufgrund der Publikationssprache erfolgte nicht.

Studienteilnehmer

Eingeschlossen wurden erwachsene Patienten (≥18 Jahre) mit FMS, diagnostiziert nach definierten Kriterien.

Interventionsarten

RCT, die jede Art von medikamentöser Therapie mit einem pharmakologischen Placebo verglichen, wurden eingeschlossen. Des Weiteren wurden Studien mit nichtpharmakologischen Placebos und mit Pseudoplacebos (Verum ohne Evidenz für Wirksamkeit beim FMS) ausgeschlossen. Studien, die pharmakologische Placebos mit einer anderen definierten Therapie kombinierten, deren Effekte auf Schmerz überprüft wurden, wurden ebenfalls ausgeschlossen.

Maße der Wirksamkeit

Die Studien sollten die Einschätzung der Schmerzintensität durch den Patienten erfassen. Wurde mehr als eine Schmerzskala eingesetzt, erfolgte der Einschluss in die Analyse in der folgenden Reihenfolge:

  • Wert auf der visuellen Analogskala (VAS) im Bereich von 0–100,

  • Wert auf der numerischen Rating-Skala (NRS) im Bereich von 0–100,

  • VAS-Wert im Bereich von 0–10,

  • NRS-Wert im Bereich von 0–10,

  • jeder andere VAS- oder NRS-Wert.

Wir definierten eine mäßige Placeboresponserate als Schmerzreduktion ≥30% und eine substanzielle Responserate als Schmerzreduktion ≥50% [25, 26].

In Studien mit mehreren Dosisarmen in der Verumgruppe wählten wir zum Vergleich mit der Placebogruppe die Gruppe mit der höchsten Dosierung. Wurde über Intention-to-treat(ITT)- und Studienbeenderanalysen berichtet, verwendeten wir die ITT-Ergebnisse.

Literatursuche

Wir erweiterten die Literatursuche unserer systematischen Übersicht über die durchschnittliche Schmerzreduktion durch Placebogabe in Medikamentenstudien des FMS in den Datenbanken MEDLINE, SCOPUS, Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL) sowie den Datenbanken des U.S. National Institute of Health (NIH; http://www.clinicaltrials.gov) und von Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA; http://www.clinicalstudyresults.org) bis auf den 31. Dezember 2010 [15]. Zudem wurden die Literaturverzeichnisse der eingeschlossenen Studien überprüft.

Überprüfung der methodischen Studienqualität

Unabhängig voneinander überprüften 2 Autoren die berichtete methodische Studienqualität mit den Items der Jadad-Skala (Beschreibung der Randomisierung und doppelten Verblindung, Angemessenheit der Randomisierung und doppelten Verblindung sowie Beschreibung der Studienabbrecher; Spannweite: 0–5; [19]). Diskrepanzen wurden überprüft und im Konsens gelöst. Bedarfsweise wurde ein dritter Autor hinzugezogen.

Datensammlung

Unabhängig voneinander überprüften 2 Autoren die Titel und Zusammenfassungen von potenziellen Studien, die mit der oben beschriebenen Suchstrategie identifiziert wurden. Die vollständigen Artikel wurden dann unabhängig von 2 Autoren daraufhin überprüft, ob die Einschlusskriterien erfüllt waren. Diskrepanzen wurden überprüft und im Konsens gelöst.

Unabhängig voneinander extrahierten 2 Autoren die Studiendaten anhand eines strukturierten Schemas, das vor der Datenanalyse entwickelt worden war. Diskrepanzen wurden überprüft und im Konsens gelöst. Bedarfsweise wurde ein dritter Autor hinzugezogen, um einen Konsens zu erzielen. Die im Folgenden aufgeführten Daten wurden extrahiert: Publikationsstatus, Studiendesign, Patientencharakteristika, Dosis der Verummedikation, Wirksamkeitsmaße, Studienfinanzierung sowie die Zulassung durch die FDA zur FMS-Behandlung.

Bei fehlenden Daten wurden die Studienautoren und die finanzierenden pharmazeutischen Firmen angeschrieben. War die Anzahl der Patienten mit einer 30%igen oder 50%igen Schmerzreduktion nicht angegeben, wurden sie aus den Mittelwerten und Standardabweichungen der Schmerzwerte zu Beginn und am Ende der Studie durch eine Imputationsmethode mit Worst-case-Analyse (Anzahl der Patienten bei Studienbeginn eingesetzt) errechnet [13]. Wir erfragten keine nichtberichteten Details des Studiendesigns, z. B. die Methode der Randomisierung oder äußere Identität von Verum und Placebo, da wir diese Details im Rahmen einer anderen systematischen Übersichtsarbeit über Antidepressiva beim FMS auf Anfrage nicht erhalten hatten [14].

Statistische Analyse

Die Charakteristika der eingeschlossenen Studien wurden mit Maßen der deskriptiven Statistik dargestellt. Die Interrater-Reliabilität für Studiencharakteristika und Items der methodischen Qualität wurde errechnet. Um die Genauigkeit der Imputationsmethode zu überprüfen, errechneten wir Spearman-Korrelationskoeffizienten der berichteten und errechneten Patientenzahlen mit einer 30%igen oder 50%igen Placeboresponserate.

Gepoolte Schätzungen der Placebo- und Verumresponseraten und relative Risiken für die Verum- gegenüber der Placebogabe wurden mit einem Random-effects-Modell errechnet [7]. Der „test of interaction“ mit einem zweiseitigen α von 0,05 wurde eingesetzt, um mögliche Subgruppenunterschiede zu überprüfen [1]. Die Assoziation von kontinuierlichen, potenziellen patientenbezogenen Prädiktoren (Alter, Geschlecht, Rasse und Schmerzintensität zu Studienbeginn) mit der Ansprechrate (30%ige oder 50%ige Schmerzreduktion) wurde mit einer Metaregression und einem Random-effects-Modell berechnet. Die τ2-Varianz wurde mit dem Verfahren der maximalen Wahrscheinlichkeit berechnet.

Mit der I2-Statistik wurde der Anteil der Variation zwischen den Studien geschätzt, der auf Heterogenität (z. B. Unterschiede bei Patienten, Design und Wirksamkeitsmaße) und nicht auf Zufall zurückzuführen ist. I2-Werte <25% weisen auf eine geringe, Werte von 25–50% auf eine mäßige und Werte ≥50% auf eine substanzielle Heterogenität hin [16].

Ein möglicher Publikationsbias wurde durch das Zeichnen eines Trichters des Standardfehlers der 50%igen Schmerzreduktion durch das Verum gegenüber dem Placebo geschätzt. Zusätzlich wurden der Egger-Intercept-Test [11] und Begg-Rangkorrelationstest [2] mit einem zweiseitigen α von 0,05 durchgeführt. Der Egger-Test liefert einen Schätzwert der Asymmetrie des Streudiagramms in einem kartesischen Koordinatensystem, wobei die standardisierte Mittelwertdifferenz (SMD) jeder Studie auf der x-Achse gegen die Studiengröße auf der y-Achse aufgetragen wird. Werte >0 weisen auf höhere Effektstärken in Studien mit kleineren Fallzahlen hin [11]. Im Begg-Rangkorrelationstest wird die Stichprobengröße mit der Effektstärke korreliert. Positive Werte legen eine höhere Testgenauigkeit in Studien mit kleinen Fallzahlen nahe [12].

Wir entschieden a priori, eine Subgruppenanalyse der Medikamente mit und ohne FDA-Zulassung für das FMS und eine Metaregression der 30%igen und 50%igen Schmerzreduktionsraten mit dem Jadad-Score durchzuführen. Diese Analysen wurden auch durchgeführt, um mögliche Ursachen von Heterogenität zu überprüfen.

Die statistischen Analysen wurden mit SPPS Version 17.0 (SPSS Inc., Chicago, Illinois, USA; 2009), Review Manager Version 5.1 (The Nordic Cochrane Centre, The Cochrane Collaboration, Copenhagen, Denmark; 2010) und Comprehensive Metaanalysis Version 2.0 (Englewood, NJ, USA; 2010) durchgeführt.

Ergebnisse

Literatursuche

Die erste Stufe der Studienauswahl erfüllten 1315 Studien. Nach dem Ausschluss von Studien aufgrund der Informationen in der Zusammenfassung, wurden 66 vollständige Studienberichte im Detail gelesen. Von diesen erfüllten 30 Studien die Einschlusskriterien und wurden in die Analyse eingeschlossen (Abb. 1 und gesondertes Literaturverzeichnis im Anhang). Während 26 Studien in Zeitschriften mit Peer-review-Verfahren veröffentlicht worden waren, konnte auf 2 Studien, in denen das Verum dem Placebo nicht überlegen war, nur in Datenbanken zugegriffen werden (Tab. 1). Von 20 kontaktierten Autoren lieferten 3 die Zahl der Patienten mit einer 30%igen oder 50%igen Schmerzreduktion.

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm der Studiensuche und -auswahl. FMS Fibromyalgiesyndrom; NIH National Institute of Health; PhRMA Pharmaceutical Research and Manufacturers of America

Tab. 1 Studien- und Patientencharakteristika von randomisierten, kontrollierten Studien des FMS, die in die Analyse eingeschlossen wurden

Studiencharakteristika

Die im Folgenden aufgeführten Daten werden als Mittelwerte und Spannweiten angegeben, falls nicht anders vermerkt.

In Nordamerika wurden 18 Studien durchgeführt, 7 in Europa und 5 in gemischten Kontinentstichproben. Von pharmazeutischen Firmen wurden 23 Studien (76,7%) finanziert. Mit Antidepressiva wurden 14 Studien (46,7%) durchgeführt, in 4 Studien (13,3%) wurden Antikonvulsiva und in 12 Studien (36,0%) andere Medikamentenklassen verwendet. In 26 Studien (86,7%) wurde das Placebo als Pille und in 4 (13,3%) parenteral verabreicht. Von der FDA wurden 3 Medikamente, die mit 13 Studien (43,3%) vertreten waren, für die Therapie des FMS zugelassen. Die Studiendauer lag bei 15,9 (12–27) Wochen. Die Zahl der Studienorte lag bei 28 (1–89).

Die Studien schlossen 3846 Patienten in den Placebo- und 5770 Patienten in die Verumgruppen ein. Die Zahl der Patienten lag in den Placebogruppen bei 128 (14–509), in den Verumgruppen bei 192 (14–806). Das Durchschnittsalter in den Placebogruppen betrug 48,9 (46,0–58,8) Jahre. In den Placebogruppen lag der durchschnittliche Frauenanteil bei 95,1% (88,2–100%), der von Kaukasiern betrug 92,7% (77,2–100%; Tab. 1).

Der Jadad-Score der berichteten Studienqualität lag bei 3,2 (1–5).

Die Interrater-Reliabilität für die Extraktion der Studiencharakteristika reichte von 0,84 bis 0,94 und lag für die Studienqualität bei 0,95.

Schmerzreduktionsraten

Die gepoolte Schätzung einer 30%igen Schmerzreduktionsrate durch das Placebo lag bei 30,8% (95%-KI: 29,4–32,3%), die einer 50%igen Schmerzreduktionsrate durch das Placebo bei 18,8% (95%-KI: 17,5–20,1%).

Die gepoolte Schätzung einer 30%igen Schmerzreduktionsrate durch das Verum lag bei 41,9% (95%-KI: 38,8–45,9%), die einer 50%igen Schmerzreduktionsrate durch das Verum bei 26,9% (95%-KI: 23,5–30,6%).

Das relative Risiko einer 30%igen Schmerzreduktion von Verum vs. Placebo lag bei 1,38 (95%-KI: 1,27–1,49), das einer 50%igen Schmerzreduktion von Verum vs. Placebo bei 1,57 (95%-KI: 1,38–1,61; Abb. 2, Abb. 3).

Abb. 2
figure 2

Grafische Darstellung des relativen Risikos einer 30%igen Schmerzreduktion von Verum vs. Placebo

Abb. 3
figure 3

Grafische Darstellung des relativen Risikos einer 50%igen Schmerzreduktion von Verum vs. Placebo

Die Korrelation zwischen einer kalkulierten und berichteten Placeboresponserate von 30% (n=16 Studien) lag bei r=0,99, die Korrelation zwischen einer kalkulierten und berichteten Placeboresponserate von 50% lag bei r=0,98 (n=11 Studien).

Subgruppenanalyse

Die gepoolte Schätzung einer 30%igen Schmerzreduktionsrate in den 13 Studien mit Medikamenten, die von der FDA zugelassen waren, lag bei 32,0% (95%-KI: 29,8–34,2%; I2=36,1%). In den 17 Studien ohne FDA-Zulassung betrug sie 27,3% (95%-KI: 24,0–30,9%; I2=18,0%; pinteraction=0,20).

Die gepoolte Schätzung einer 50%igen Schmerzreduktionsrate in den 13 Studien mit Medikamenten, die von der FDA zugelassen waren, lag bei 18,9% (95%-KI: 16,3–21,8%; I2=71,4%). In den 17 Studien ohne FDA-Zulassung betrug sie 15,1% (95%-KI: 12,9–18,8%; I2=24,9%; pinteraction=0,04).

Patientenbezogene Prädiktoren der Placeboresponseraten

In der Metaregressionsanalyse waren die gepoolten Schätzungen einer 30%igen und 50%igen Schmerzreduktionsrate nicht mit weiblichem Geschlecht, Rasse, Alter oder der Schmerzintensität bei der Ausgangsmessung assoziiert (Tab. 2).

Tab. 2 Metaregressionsanalyse von patientenbezogenen Prädiktoren einer Schmerzreduktion von ≥30% oder ≥50% in Medikamentenstudien des Fibromyalgiesyndroms

Risiken eines systematischen Fehlers

Heterogenität

Die Heterogenität der gepoolten Schätzung einer 30%igen Schmerzreduktionsrate durch das Placebo war mäßig (I2=35,6%). Die Heterogenität der gepoolten Schätzung einer 50%igen Schmerzreduktionsrate durch das Placebo war hoch (I2=62,4%). Die Heterogenität des relativen Risikos einer 30%igen Schmerzreduktion von Verum vs. Placebo war mäßig (I2=30%), die Heterogenität des relativen Risikos einer 50%igen Schmerzreduktion von Verum vs. Placebo war hoch (I2 = 52%).

Berichtete methodische Studienqualität

Der Jadad-Score und der Logarithmus eines Odds der gepoolten Schätzung einer 30%igen und 50%igen Schmerzreduktionsrate durch das Placebo waren signifikant negativ assoziiert (β=−0,64 und β=1,42; beide p-Werte <0,0001).

Publikationsbias

Die grafische Darstellung des Trichters des relativen Risikos einer 50%igen Schmerzreduktion von Verum vs. Placebo zeigte keine Asymmetrie (Abbildung nicht dargestellt). Der Egger-Test (p=0,29) und Begg-Test (p=0,54) waren nicht signifikant und somit nicht hinweisend auf einen Publikationsbias.

Diskussion

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

In einer Metaanalyse von 30 Studien mit einer Studiendauer ≥12 Wochen gaben 31% von 3846 FMS-Patienten, die mit Placebo behandelt wurden, eine mäßige (≥30%ige) und 19% eine substanzielle (≥50%ige) Schmerzreduktion an. Das Ausmaß der mäßigen und substanziellen Schmerzreduktion durch Placebogabe war nicht mit demografischen Variablen (Alter, Geschlecht, Rasse) assoziiert. Die Verummedikation war dem Placebo überlegen. Ein Anteil von 42% der Patienten berichtete über eine mäßige (≥30%ige) Schmerzreduktion, 27% gaben eine substanzielle (≥50%ige) Schmerzreduktion an.

Vergleich mit anderen Studien

Unseres Wissens wurden bisher keine Studien zu Placeboresponserate beim FMS publiziert. Wir können daher unsere Ergebnisse nur mit Studien zu Placeboresponseraten bei Erwachsenen mit anderen FSS vergleichen. Die gepoolte Schätzung der Placeboresponseraten (definiert als vordefinierte Verbesserung eines globalen Symptomscores) in Studien mit komplementären und alternativen Verfahren der Therapie des RDS lag bei 42,6% (95%-KI: 38,0–46,5%; 19 Studien, 1782 Patienten; [8]). Die gepoolte Placeboresponserate (eine zumindest 50%ige Reduktion von essensassoziierten Beschwerden) bei der funktionellen Dyspepsie lag bei 35% (4 Studien, 864 Patienten; [31]). Die gepoolte Schätzung der globalen Responserate bei der nichterosiven Ösophagitis lag bei 18,3% (24 Studien, 8999 Patienten; [6]). Zusammengefasst lag die Placeboresponserate beim FMS in der Spannweite der Placeboresponseraten bei den zitierten funktionellen gastrointestinalen Störungen.

Wir fanden keine systematische Übersichtsarbeit, die den Einfluss der Rasse der Teilnehmer auf die Placeboresponse bei FSS analysierte. In der vorliegenden Übersicht fanden wir keine Assoziation von Rasse, Geschlecht, und Alter mit der Placeboreponserate. Beim RDS waren die Placeboresponseraten negativ mit dem Alter assoziiert (29 Studien, 5651 Teilnehmer; [28]). Die globale Responserate unter Placebo war beim RDS nur bei einem warmherzigen und empathischen Untersucher mit weiblichem Geschlecht assoziiert [22]. Alter und weibliches Geschlecht waren bei der funktionellen Dyspepsie nicht mit der Placeboresponserate assoziiert [31]. Zusammengefasst sind die Daten zu potenziellen demografischen Prädiktoren der Placeboresponse bei FSS inkonsistent. Potenzielle Placeboresponder lassen sich nicht durch leicht zugängliche demografische Kennwerte identifizieren.

Einschränkungen der Übersicht

Die berichteten Placeboresponseraten wurden im Kontext einer klinischen Studie erzielt, in der die Patienten wussten, dass sie eine 30–80%ige Chance hatten, mit dem Verum behandelt zu werden. Wir kennen nicht den Wert der Placeboresponse, der erreicht worden wäre, wenn die Patienten gewusst hätten, dass sie mit Placebo behandelt werden. Ob eine Regression zum Mittelwert und spontane Symptombesserung zur Placeboresponserate beigetragen haben, konnte nicht bestimmt werden, da keine Studie einen Studienarm ohne Behandlung einschloss. Eine Analyse von 30 RCT (1414 Patienten) mit verschiedenen nichtpharmakologischen Behandlungen des FMS zeigte jedoch, dass die Veränderung der Schmerzintensität von der Ausgangsmessung bis zum Ende der Therapie in den Studienarmen mit üblicher Behandlung beinahe bei 0 lag (Häuser et al., zur Publikation eingereicht). Daher ist unwahrscheinlich, dass eine Regression zum Mittelwert und spontane Symptombesserung zur Placeboresponserate bei FMS-Patienten in klinischen Studien beitragen.

Die Erfassung der klinischen Signifikanz der Placebobehandlung unterliegt möglichen systematischen Fehlern. Ein Hauptproblem ist der Antwortbias in Studien, die sich auf Variablen gründen, die durch Patienten berichtet werden. Andere mögliche systematische Fehler sind nichtkontrollierte Kointerventionen, Abbruchraten sowie die selektive Publikation von Studien mit positiven Ergebnissen bzw. von positiven Ergebnissen in Studien. Weiterhin ist die Extrapolation auf die klinische Praxis problematisch, da eine eindeutige Identifikation der Wirkfaktoren in klinischen Studien bislang aussteht [18, 34]

Die wahre Studienqualität einiger Studien, die für das Zulassungsverfahren bei der FDA verwendet wurden, wurde unterschätzt, da die Details der Randomisierung und Geheimhaltung der Behandlungszuordnung nicht berichtet wurden. Die Hersteller der Produkte hatten uns diese fehlenden Informationen über die methodische Studienqualität für systematische Übersichtsarbeiten zur Wirksamkeit dieser Medikamente zur Verfügung gestellt [14]. Wir beschlossen, uns bei der Analyse auf die in den Publikationen zugängliche, berichtete methodische Qualität zu beschränken, da wir Details zur methodischen Qualität von nicht industriegesponserten Studien bei früheren systematischen Übersichten nicht erhalten hatten [14].

Nur 3 der kontaktierten Autoren stellten die in Studien nicht berichteten Responseraten zur Verfügung. Daher wendeten wir eine validierte Kalkulationsmethode für fehlende Responseraten an [13]. Wir konnten eine hohe Korrelation zwischen kalkulierten und berichteten Responseraten nachweisen. Daher sind die errechneten Responseraten als verlässlich anzusehen.

In einigen Studien wurde die Rasse der Teilnehmer nicht angegeben, weshalb diese Arbeiten in der Metaregression nicht berücksichtigt werden konnten. Ein möglicher Einfluss des Alters auf die Placeboresponserate wurde möglicherweise nicht erfasst, da das Durchschnittsalter in den Studien ähnlich war.

Wir überprüften nicht den Einfluss weiterer möglicher Prädiktoren, z. B. des Studiendesigns [34], auf die Placeboresponserate. Um den relativen Einfluss einzelner Prädiktoren auf die Placeboresponserate abzuschätzen, wäre eine multiple Metaregressionsanalyse angemessen gewesen. Mit der eingesetzten Software konnten nur einfache Metaregressionen durchgeführt werden.

Für die Metaregression nutzten wir Studiendurchschnittswerte. Die Sensitivität der Analyse war daher niedriger als erwünscht. Eine Analyse individueller Patientendaten war nicht möglich.

Wir konnten den Einfluss der Patientenerwartungen und der Qualität der verbalen Suggestionen der Behandler nicht erfassen. Diese kontextuellen Faktoren, welche die Placeboresponse beeinflussen, wurden nicht in den Studien erfasst.

Ethische Bedenken gegen eine Placebotherapie

Aufgrund der Patiententäuschung im Falle einer versteckten Placebotherapie in der klinischen Routineversorgung wurden ethische Bedenken geäußert [5, 32]. Es kann jedoch auch unethisch sein, auf eine heilsame Therapie zu verzichten (sog. Placeboparadox). Newman [27] schlägt vor, dieses Dilemma zu lösen, indem man sich die Bedeutung von „Antwort oder Ansprechen“ in der Medizin zu eigen macht, d. h., die Placebowirkung nutzt, solange derjenige, der das Placebo einsetzt, ehrlich ist und seiner heilenden Kraft vertraut. Eine aktuelle Studie zeigte, dass die offene Placebogabe bei vergleichbarer Patient-Behandler-Interaktion keiner Behandlung beim RDS überlegen war. Das Placebo wurde den Patienten wie folgt vorgestellt: „Placebomedikamente sind aus einer inaktiven Substanz hergestellt, wie Zuckertabletten. In klinischen Studien wurde gezeigt, dass diese Substanzen bedeutsame Veränderungen von RDS-Symptomen durch Geist-Körper-Selbstheilungsprozesse hervorrufen „ [21].

Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer stellte fest: „Stehen mehrere, praktisch gleichwertige Methoden zur Verfügung, so z. B. der Einsatz von Verum oder Placebo, darf der Arzt das nach seinem Ermessen am besten geeignete Mittel bzw. Verfahren wählen. Stehen mehrere gleich geeignete Vorgehensweisen mit unterschiedlicher Risikoquote zur Verfügung, ist diejenige zu wählen, welche den Heilerfolg am besten gewährleistet und in den damit verbundenen Nebenwirkungen am wenigsten schädigend ist“ [35].

Fazit für die klinische Forschung

Das von der FDA ins Leben gerufene Programm Analgesic Clinical Trial Innovations, Opportunities and Networks (ACTION; [10]) sollte auch die offene Placebogabe in Studien zur Identifizierung von sicheren und wirksamen Medikamenten zur Schmerztherapie berücksichtigen.

Die verfügbaren Daten zur Wirksamkeit der Placebobehandlung bei FSS rechtfertigen direkte Vergleiche der offenen Placebogabe mit zugelassenen Medikamenten bezüglich Wirksamkeit, Verträglichkeit und Kosten in großen und internationalen Studien mit Patientenstichproben, die repräsentativ für die klinische Versorgung sind. Ohne Unterstützung durch öffentliche Institutionen werden solche Studien nicht möglich sein.

Fazit für die Praxis

Im Kontext randomisierter klinischer Medikamentenstudien beim FMS berichteten 31% der Patienten über eine 30%ige und 19% der Patienten über eine 50%ige Schmerzreduktion durch ein Placebomedikament. Ein Anteil von 42% der Patienten berichtete über eine 30%ige Schmerzreduktion, 27% der Patienten gaben eine 50%ige Schmerzreduktion durch ein Verummedikament an. Studien zur Wirksamkeit einer versteckten und offenen Placebotherapie des FMS sind daher gerechtfertigt.

Dem Placebogebrauch in der klinischen Praxis stehen bisher ethische Bedenken entgegen. Eine Studie über das Reizdarmsyndrom zeigte, dass die offene Placebogabe verbunden mit positiven Suggestionen zur Wirksamkeit bei 50% der Patienten zu einer klinisch bedeutsamen Beschwerdereduktion führte [20]. Der offene Gebrauch von medikamentösen Placebos kann daher bei Patienten mit funktionellen somatischen Syndromen erwogen werden. Eine Placebobehandlung kann dem Patienten gegenüber als Behandlung mit einem Medikament, das Geist-Körper-Selbstheilungsprozesse auslösen kann, beschrieben werden [21]. Der Gebrauch eines medikamentösen Placebos in der Behandlung funktioneller somatischer Syndrome ist nach Ansicht der Autoren aufgrund der Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer zur Verwendung von Placebos möglich.

Die Wirksamkeit jeder Form der Behandlung von funktionellen somatischen Syndromen kann wahrscheinlich durch empathisches ärztliches Verhalten gesteigert werden. Ein einfühlsamer Interaktionsstil gegenüber Patienten mit funktionellen somatischen Syndromen ist daher – unabhängig davon, ob ein Verum- oder Placebomedikament verabreicht wird – sinnvoll.