Bis heute sind Fibromyalgie–Patienten bei Allgemeinärzten, Internisten, Neurologen und Orthopäden damit konfrontiert, dass ihnen eine Überbewertung allgemeiner Befindlichkeitsbeschwerden oder gar Simulation unterstellt wird. Besonders offensichtlich wird dies im Rahmen von Begutachtungen. Körperliche wie apparative Untersuchungen erbringen meist unauffällige Befunde, Behandlungsversuche greifen wenn überhaupt nur kurzfristig. Die betroffenen Patienten leiden, fühlen sich unverstanden und suchen weitere Ärzte auf (durchschnittlich 9 bis 11), bevor sie letztlich oft ihr Heil bei selbst ernannten Spezialisten und Außenseitermethoden suchen. Für Krankenkassen und Rentenversicherer ebenso wie für die Betroffenen selbst bedeutet dies nicht zuletzt enorme Kosten, ohne dass wesentliche Verbesserungen erzielt werden. Bei einer Häufigkeit von 3–4% betroffener Frauen in der Allgemeinbevölkerung summiert sich dies zu einer auch gesundheitspolitisch relevanten Summe.

Forschungserkenntnisse der letzten Jahre scheinen einen Ausweg aus diesem – sicherlich etwas plakativ skizzierten – Dilemma aufzuzeigen: Immer mehr zeichnet sich ab, dass die multilokulären Schmerzen von Fibromyalgie-Patienten nicht in erster Linie durch periphere Prozesse, sondern durch eine zentrale Verarbeitungsstörung bedingt sind. Bei dieser wiederum spielen Einflüsse aus Gehirnbereichen, welche für die zentrale Stressverarbeitung zuständig sind, eine wesentliche Rolle (vgl. van Houdenhove et al. 2005).

Parallel zu den Fortschritten der Schmerzforschung gab es in den letzten 10 Jahren auch beim Verstehen des primär genetisch determinierten Stressverarbeitungssystems erhebliche Fortschritte. Schon länger war klar, dass beim Erhalt des körperlichen Gleichgewichtes (Homöostase) unter biologischen ebenso wie unter psychosozialen Stressoren die sog. Hypophysen-Nebennierenrindenachse (HPA-Achse) neben dem Sympathikus (LC-NE-Achse) eine wesentliche Rolle spielt. Durch die Aktivierung von Nebennierenrinde bzw. –mark und der daraus resultierenden Sekretion von Cortisol bzw. Adrenalin/Noradrenalin wird die Voraussetzung geschaffen, dass der Körper auf Kampf bzw. Flucht eingestellt wird und dafür hinreichend Energie zur Verfügung steht. Die zentrale Steuerung erfolgt über ein Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH), das vor allem im Hypothalamus ausgeschüttet wird. Dies wiederum wird ganz wesentlich durch das Zusammenwirken von Amygdala und Hippocampus gesteuert. Für die Wahrnehmung einer bedrohten Homöostase sind Bereiche der vorderen Insula zuständig. Ein anhaltender peripherer Schmerzinput aktiviert als biologischer Stressor diesen Bereich der zentralen Stressverarbeitung genauso wie psychosoziale Belastungen dies tun können.

Forschungsergebnisse der letzten Jahre belegen, dass neben der genetischen Determinierung frühe Umweltfaktoren darüber entscheiden, wie gut sich dieses Stressverarbeitungssystem neurobiologisch entfalten kann. Überfordernde Belastungssituationen und Traumatisierungen in der Kindheit, vor allem in der frühen Kindheit, bedingen durch eine massive Glukokortikoid-Ausschüttung toxische Schädigungen von Hirnbereichen, die für die zentrale Stressverarbeitung bedeutsam sind, z.B. Hippocampus und bestimmte Bereiche des Präfrontalcortex (vgl. McEwen 1998, 2003). In einer ganzen Reihe prospektiver Longitudinalstudien (vgl. Egle et al. 2005), von denen leider keine einzige in Deutschland stattfand, wurde eine umschriebene Zahl von frühen Stressfaktoren gesichert, welche bei kumulativem Einwirken neurobiologische Schädigung bedingen können. Bestimmte kompensatorische Schutzfaktoren können in gewissem Ausmaß solche Langzeitfolgen verhindern. Neben den neurobiologischen Folgen führt eine Dysbalance von Risiko- und Schutzfaktoren in der frühen Kindheit auch zu entwicklungspsychologischen Störungen, unreifen Konfliktbewältigungsstrategien und letztlich Risiko-Verhaltensweisen (Felitti 2002, Nickel u. Egle 2006). Das Langzeitergebnis: Ein häufigeres Auftreten von belasteten Lebenssituationen bei gleichzeitig neurobiologisch eingeschränkter Stressverarbeitung.

Dass Fibromyalgie-Patienten biographisch mehr stressbezogene Belastungssituationen aufweisen, wurde bereits in den 80iger- und 90iger-Jahren in Studien mehrfach belegt. Erst kürzlich konnten Kivimäki et al. (2004) in einer prospektiven Kohortenstudie einen Zusammenhang zwischen Stress belasteten Arbeitsbedingungen und dem Auftreten einer Fibromyalgie belegen. Das Risiko an einer Fibromyalgie zu erkranken war um das 2- bis 4fache erhöht, wenn bei starker Arbeitsbelastung ein geringer Entscheidungsspielraum und zusätzlich gar noch Mobbing besteht. Hinzu kommt die Neigung zur Selbstüberforderung, d.h. die eigenen Leistungsgrenzen nicht zu erkennen und sich immer wieder vor allem für andere aufzuopfern (Wentz et al. 2004, van Houdenhove et al. 2001).

Ein gehäuftes Einwirken früher Stresserfahrung in der Kindheit konnte bei Fibromyalgie-Patienten ebenfalls in einer Reihe von Studien belegt werden (vgl. van Houdenhove u. Egle 2004). Dabei scheint weniger der in amerikanischen Studien häufig untersuchte sexuelle Missbrauch relevant zu sein. Bedeutsamer sind körperliche Misshandlungen, welche früh eine innere Verknüpfung von Schmerzerleben und Auslieferungssituationen (Stress) schaffen, sowie emotionale Vernachlässigung. Auch fehlende Selbstfürsorge und Aufopferung für andere scheinen danach früh gelernt zu werden, da in diesen psychosozial belasteten Familien noch am ehesten über Pflicht und Leistung Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erzielen war.

Auf diesem Hintergrund zeichnen sich für eine Verknüpfung von Schmerz und Stress bei Fibromyalgie-Patienten zumindest pathogenetische Mechanismen ab: Bei einem Teil der Fibromyalgie-Patienten fand durch körperliche Misshandlungen – solchen sind nach epidemiologischen Studien immerhin 11% aller deutschen Kinder ausgesetzt – eine frühe Verknüpfung von Schmerz und Stress statt, welche hippocampal gespeichert wird. Kommen die Betreffenden später wieder in Situationen, welche mit Gefühlen hilfloser Auslieferung verknüpft sind, so aktiviert dies alte Schmerzerfahrungen, ohne dass dafür ein neuer peripherer Input erforderlich wäre; dies dürfte auch bei der Entwicklung einer somatoformern Schmerzstörung zugrunde liegen und macht die Überlappung beider Störungsbilder verständlich. Bei anderen Fibromyalgie-Patienten kommt es durch Einflussnahme eines chronisch überaktivierten Stressverarbeitungssystems auf Bereiche des Hirnstamms (PAG) zu einer Funktionseinschränkung des deszendierend hemmenden Schmerzsystems (Cook et al. 2004).

Dies bewirkt eine Absenkung der Schmerzschwelle auf spinaler Ebene und damit eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit in weiten Teilen des Körpers. Diese beschränkt sich insofern keineswegs auf die sog. Tender-Points. Zusätzlich zu den genannten frühen und späteren biographischen Belastungsfaktoren kann auch ein genetischer Polymorphismus im Bereich des Serotonintransporter-Gens die Stressvulnerabilität erhöhen und in Kombination mit den genannten frühen Umweltbedingungen diese noch weiter verschärfen.

Insgesamt zeichnet sich bei Fibromyalgie wissenschaftlich zunehmend klarer eine enge Verknüpfung zwischen Störungen der zentralen Schmerz- und Stressverarbeitung ab. Die beiden Beiträge von Häuser und Mitarbeitern in diesem Heft sind weitere Mosaiksteine eines sich zunehmend klarer konturierenden Puzzles.

Im Rahmen einer Evidenz basierten schmerztherapeutischen Versorgung sollte diesen Zusammenhängen künftig auch therapeutisch mehr Gewicht gegeben werden. Infiltrationsbehandlungen von Schmerztherapeuten tragen wie alle primär peripher orientierten Interventionen vor allem zur weiteren Chronifizierung bei. Auch multimodale Behandlungsprogramme, wie sie in vielen auf Fibromyalgie spezialisierten rheumatologischen Reha-Kliniken Standard sind, sind nach den Ergebnissen einer breiten Metaanalyse der Cochrane Collaboration (Karjalainen et al. 2002) einer Placebo-Wirkung nicht überlegen. Gleiches gilt für die Behandlung mit Analgetika (Rossy et al. 2003). Eine gewisse Wirksamkeit konnte jedoch für ein gut dosiertes Herz-Kreislauf-Training („aerobic exercise“) nachgewiesen werden (Bush et al. 2003). Die beste Wirksamkeit haben jedoch psychotherapeutische Maßnahmen (Williams et al. 2003). In einer gerade abgeschlossenen DFG-Studie konnten wir mit einem für stressbedingte Schmerzsyndrome (somatoforme Schmerzstörung und Fibromyalgie) störungsspezifisch entwickelten Therapiekonzept eine gute und in der 1-Jahres-Katamnese stabile Schmerzreduktion belegen, wobei sich Fibromyalgie-Patienten von solchen mit somatoformer Schmerzstörung diesbezüglich nicht unterschieden. Im Rahmen eines Ausbildungscurriculums wurde dieses Behandlungskonzept (Nickel u. Egle 2001) zwischenzeitlich auch von etwa 150 Psychotherapeuten erlernt. Neben einer gezielten Bearbeitung von Stressverarbeitung sowie der Veränderung von Beziehungsmustern und unreifen Konfliktbewältigungsstrategien ist diese Wirkung ganz wesentlich auch auf die Aufklärung der betroffenen Patienten über die oben skizzierten Zusammenhänge zwischen Schmerz- und Stressverarbeitung zurückzuführen. Katastrophisieren und andere die Chronifizierung begünstigende und das Schmerzerleben verstärkende Copingstrategien werden durch psychoedukative Maßnahmen abgebaut und gleichzeitig die Selbstwirksamkeit des Patienten verbessert. Dies wirkt nicht zuletzt dem Stressor Schmerz als Auslieferungssituation entgegen und stellt einen ganz wesentlichen Schritt zur Schmerzreduktion dar. Allen Schmerztherapeuten sei deswegen dringend geraten, statt „Stechen“ und „Rezeptieren“ klar strukturierte Aufklärungsgespräche über den Zusammenhang von Schmerz und Stress bei dieser Patientengruppe zu führen. Sicherlich könnten diesbezüglich auch Selbsthilfeorganisationen einen wesentlichen Beitrag leisten (Informationen unter www.fibrostress.de). Aus Angst davor, dass die Patienten mit ihren Schmerzen sonst nicht hinreichend ernst genommen werden könnten, halten sie jedoch entgegen aller Forschungsergebnisse nicht selten weiterhin an einer peripheren Verursachung ihrer Schmerzen fest. Leider werden sie darin von Vertretern einiger darauf spezialisierten rheumatologischen Fachkliniken bestärkt, welche aufgrund wirtschaftlicher Interessen einer im weitesten Sinne rheumatologischen Verursachung der Beschwerden nicht klar genug entgegen treten. Für eine Evidenz basierte Behandlung ist ein Umdenken dringend erforderlich. Bei der Häufigkeit des Krankheitsbildes wäre dies nicht zuletzt auch ein durchaus spürbarer Beitrag für eine Kostenreduktion im Gesundheitswesen.