Unter den über 200 verschiedenen rheumatologischen Krankheitsbildern gibt es eine Reihe chronisch-entzündlicher Formen, bei denen die Zeitdauer der Diagnosestellung und damit der Beginn der Therapie entscheidend für den weiteren Verlauf sind. Hierzu gehören u. a. die rheumatoide Arthritis (RA), die Psoriasisarthritis (PsA) und die axiale Spondyloarthritis (axSpA). Rheumatologische Erkrankungen nehmen in ihrer Häufigkeit weiter zu. Vor allem diese 3 kristallisieren sich immer weiter in ihrer Relevanz heraus. In Deutschland leiden aktuell ca. 540.000 bis 550.000 Personen unter einer RA. Dies bedeutet, dass nach Schätzung des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums jeder ambulant tätige Rheumatologe ca. 500 RA-Patienten betreut [17]. Die Inzidenzrate wird dabei auf 25 RA-Fälle im Jahr je niedergelassenen oder in einer Klinik tätigen Rheumatologen geschätzt [15, 16]. Abhängig von der jeweiligen Studie weist die PsA eine Prävalenz von ca. 140.000 bis 480.000 Betroffenen auf, wobei die Inzidenz bei ca. 6 von 100.000 Personen pro Jahr liegt [1, 4, 7]. Darüber hinaus besteht eine hohe Schnittmenge mit der Psoriasis. Nach einer amerikanisch-europäischen Studie weisen ca. 30 % der an Psoriasis Erkrankten ebenso eine PsA auf [7]. Die axiale Spondyloarthritis hat eine Prävalenz von 0,5 %. Sie tritt vergleichbar häufig wie die RA auf [3].

Zusammengefasst scheinen allein in Deutschland bis zu 1,2 Mio. Menschen von einem dieser 3 rheumatologischen Erkrankungsbilder betroffen zu sein.

In den letzten Jahren wurden große Fortschritte in der Behandlung der rheumatologischen Erkrankungen erzielt. Bei rechtzeitiger Diagnosestellung und Therapieeinleitung ist es mittlerweile möglich, irreversible Schäden zu verhindern und Patienten in eine lang anhaltende Remission (keine Krankheitsaktivität, keine Schmerzen, keine Schwellungen) zu bringen.

Dieser Fortschritt wird jedoch durch ein erhebliches rheumatologisches Versorgungsdefizit vermindert. Im gesamten Bundesgebiet und v. a. in den ländlichen Regionen mangelt es an internistischen Rheumatologen. Nach Analysen des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums führt dies zu einer durchschnittlichen Beschwerdedauer bis zur Diagnosestellung von ca. 1 Jahr für die RA, 3 Jahren für die PsA und ca. 5 Jahren für die axSpA [2, 17]. Ebenso konnten Westhoff et al. (2010) bei 17.908 dokumentierten Patienten eine mittlere Symptomdauer bis zur Diagnosestellung beim Rheumatologen von 30 Monaten feststellen [14].

Es besteht ein erhebliches rheumatologisches Versorgungsdefizit

Dem gegenüberstehend empfiehlt die interdisziplinäre, evidenzbasierte Leitlinie „Management der frühen rheumatoiden Arthritis“ bei gesicherter Diagnose den Behandlungsbeginn mit DMARDs („disease modifying antirheumatic drugs“) und Glukokortikoiden innerhalb von 12 Wochen nach Beginn der Beschwerden [11,12,13].

Aufgrund der demografischen Entwicklung – die geburtenstarken Jahrgänge 1960 bis 1964 erreichen jetzt das Hauptmanifestationsalter der RA – wird sich die Versorgungsproblematik eher noch verschärfen. Dies bedeutet nach aktuellen Schätzungen, dass jeder Rheumatologe vermutlich deutlich mehr als die oben genannten ca. 500 RA-Patienten betreuen muss [15].

Im Rahmen des rheinland-pfälzischen Rheumanetzwerks ADAPTHERA („risikoADAPtierte RheumaTHERApie“), das von 2012 bis 2015 durch die Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz finanziert wurde, erreichten ca. 63 % der Patienten aus der Früharthritiskohorte eine Remission (DAS28 [Disease Activity Score 28] < 2,6), und die Glukokortikoiddosierung konnte von 10,5 ± 4 mg Prednisolon/Tag auf 3 ± 0,9 mg/Tag reduziert werden. Landesweit konnten 454 Patienten eingeschleust werden. Dabei lag die durchschnittliche Zeit von der Stellung der Verdachtsdiagnose durch den Hausarzt bis zur Bestätigung durch den Rheumatologen bei 23,7 Tagen [10]. Zudem konnten Lauter et al. (2019) darlegen, dass eine frühe Diagnose mit einer geringeren Verschreibungsnotwendigkeit von Biologika einhergeht. Letztendlich befanden sich ca. 75 % der Patienten aus der Früharthritiskohorte nach 2 Jahren nach wie vor in einer lang anhaltenden Remission (DAS28 < 2,6 über mindestens 12 Monate) [6].

Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse des ADAPTHERA-Rheumanetzwerks wurde das Nachfolgeprojekt „Rheuma-VOR“ als Proof-of-Concept-Studie durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) „Neue Versorgungsformen“ positiv begutachtet. Wie bereits von Schwarting beschrieben, konnte das ADAPTHERA-Netzwerk von 1 Bundesland und 1 Erkrankungsbild auf 3 Bundesländer und 3 Erkrankungsbilder erweitert werden ([9] und Tab. 1).

Tab. 1 Erweiterung des ADAPTHERA(„risikoADAPtierte RheumaTHERApie“)-Netzwerks

Material und Methoden/Patienten

Kernansatz des Netzwerks Rheuma-VOR ist das Konzept der koordinierten Kooperation zwischen Primärversorgern, Schwerpunktrheumatologen, den Kliniken und den jeweiligen Rheumazentren. Durch Einrichtung einer Koordinierungszentrale sollte primär ein Filter zur Risikostratifizierung eingesetzt werden, um die wertvollen Ressourcen der Rheumatologen für die zeitkritische Diagnose der RA zu schonen. Mit Unterstützung durch die Initiative Gesundheitswirtschaft Rheinland-Pfalz, die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz, den Hausärzteverband und die niedergelassenen Schwerpunktrheumatologen wurde das landesweite Rheumanetzwerk von 2012 bis 2015 krankenkassenübergreifend implementiert [6].

Die Entwicklung von ADAPTHERA zu Rheuma-VOR wurde bereits 2018 beschrieben und publiziert [9].

Rheuma-VOR wird aus Mitteln des Innovationsfonds über 3 Jahre gefördert. Aufgrund einer kostenneutralen Laufzeitverlängerung in der Anfangsphase des Projektes wurde die Projektlaufzeit auf 3,5 Jahre erweitert. Der Studienbeginn war im Mai 2017. Im Oktober 2017 begann die 35-monatige Erhebungsphase. In diesem Zeitraum sollen bis zu 8700 Patienten gescreent werden. Die Zeitspanne von August 2020 bis Oktober 2020 ist für die Evaluation vorgesehen.

Das Ziel der prospektiven Studie „Rheuma-VOR“ ist es, in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Saarland und Niedersachsen Versorgungsstrukturen für Patienten, die von einer RA, einer PsA oder einer axSpA betroffen sind, aufzubauen, um diese 3 Erkrankungsbilder früher zu diagnostizieren und die Therapie einzuleiten. Der primäre Endpunkt ist der Anteil der Fälle mit tatsächlicher Indikation für eine unverzügliche Facharztüberweisung in allen gemeldeten Fällen. Weitere Endpunkte sind die in Tab. 2 dargelegten spezifischen und messbaren Indikatoren zur Zielerreichung, die durch Rheuma-VOR positiv beeinflusst werden sollen.

Tab. 2 Spezifische Indikatoren und Messparameter zur Zielerreichung

Insgesamt kooperieren die Universitätsmedizin Mainz, die Medizinische Hochschule Hannover, das Rheumazentrum Niedersachsen, das Rheumazentrum Saarland des Universitätsklinikums des Saarlandes, das ACURA Rheumazentrum Rheinland-Pfalz, die niedergelassenen Rheumatologen und Rheumaorthopäden, die Hausärzteverbände, die 3 Landesverbände der Deutschen Rheuma-Liga e. V. und die Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e. V., um die ca. 13 Mio. Einwohner der 3 Bundesländer zu erreichen. Der Ablauf der Proof-of-Concept- Netzwerkstudie Rheuma-VOR von der Erstsymptomatik bis zur Bestätigung oder dem Verwerfen der Diagnose wird in Abb. 1 aus Sicht der Koordinationsstellen inklusive der Sichtungssprechstunde in Rheinland-Pfalz dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Ablaufplan von Rheuma-VOR aus Sicht der Koordinationsstelle inklusive der Sichtungssprechstunde in Rheinland-Pfalz

Eine Schlüsselposition nehmen dabei die Primärversorger ein. Sie erhalten Zugang zu einem 1‑ bis 2‑seitigen Screeningbogen, um damit eine mögliche Verdachtsdiagnose von RA, PsA oder axSpA zu dokumentieren. Diese Bogen werden in der bundeslandspezifischen Koordinationsstelle gesichtet, und der Patient wird bei manifestiertem Verdacht schnellstmöglich an den Facharzt weitervermittelt. Wenn dieser die rheumatische Erkrankung bestätigt, erhalten die Ärzte und Patienten Fragebogen zu den Bereichen Soziodemografie, Lebensqualität, Funktionalität, Medikation, Diagnose, Wohlbefinden und depressive Symptomatik, um die sekundären Endpunkte zu überprüfen. In Tab. 3 wird ein Überblick über die Interventionsinstrumente von Rheuma-VOR auf den unterschiedlichen Ebenen ermöglicht. Die Fragebogen werden nach einem 12-monatigen Follow-up erneut ausgefüllt und mit einer gematchten Referenzgruppe des DRFZ (Deutsches Rheuma-Forschungszentrum) abgeglichen. Sowohl für den Primärversorger als auch für den Facharzt wurden Abrechnungsziffern eingerichtet, über die der Dokumentationsaufwand abgerechnet werden kann (bei Studieneinschluss 30 € bzw. 70 € je Patient).

Tab. 3 Interventionsinhalte auf den jeweiligen Versorgungsebenen bei Rheuma-VOR

Teilstudien innerhalb Rheuma-VOR

Im Zuge der Studie Rheuma-VOR wurden einige Teilprojekte verortet, aus denen sich verschiedene Substudien herausgebildet haben. Dabei handelt es sich um die rheinland-pfälzische Sichtungssprechstunde, die jährlichen Rheuma-Bus-Touren, die Rheuma-VOR-Screening-App und die rheumatologische Fachassistenz(RFA)-Sprechstunde in Niedersachsen (ERFASS). Einen Überblick über die Teilprojekte gibt Tab. 4.

Tab. 4 Überblick über die Rheuma-VOR-Teilprojekte, deren Inhalte/Erhebungsinstrumente und die teilnehmenden Bundesländer

Sichtungssprechstunde

Um eine weitere Steigerung der Sensitivität mit konsekutiver Entlastung der rheumatologischen Ressourcen zu erreichen, wurde ab Oktober 2018 in Zusammenarbeit mit der Konsortialführung im ACURA Rheumazentrum Bad Kreuznach eine 15-minütige Sichtungssprechstunde eingeführt. Jeder Patient, der anhand der Screeningbogen durch die rheinland-pfälzische Koordinationszentrale an einen Rheumaspezialisten überwiesen wird, erfährt eine viertelstündige Untersuchung. Hierbei filtert der Facharzt oder die Fachärztin für internistische Rheumatologie die Patienten über Anamnese und Untersuchung (ohne Labor- oder bildgebende Diagnostik) hinsichtlich der Notwendigkeit einer Vorstellung beim Rheumatologen. Im Zuge dessen wird auch die Rheuma-VOR-Screening-App entwickelt, getestet und validiert.

Rheuma-VOR-Screening-App

Die Einsatzmöglichkeiten von Smartphone-Apps bergen auch für chronische Erkrankungen ein großes Potenzial. Durch sie können z. B. Gesundheitsinformationen vermittelt oder auch Möglichkeiten des Selbstmonitorings und des Selbstscreenings angeboten werden [5, 8]. Ein weiteres Teilprojekt von Rheuma-VOR ist die Entwicklung einer Smartphone-App, um die Detektionsrate der rheumatischen Erkrankungen RA, PsA und axSpA zu erhöhen. Dies wird in der Rheuma-VOR-Screening-App-Studie geprüft. Die App soll zum einen den Primärversorger bei der möglichen Diagnose einer der 3 Rheuma-VOR-relevanten entzündlichen rheumatischen Erkrankungen unterstützen und zum anderen dem Patienten die Möglichkeit geben, die App zu nutzen und die Ergebnisse dem Primärversorger vorzulegen, um eine Verdachtsdiagnose in der Koordinationszentrale zu melden (s. Infobox 1). Die Entwicklung und Validierung der Rheuma-VOR-App findet hauptsächlich in der in Rheinland-Pfalz durchgeführten Sichtungssprechstunde statt. Zusätzlich wird sie auch in der Koordinationsstelle Niedersachsen und der Studienzentrale in Mainz durchgeführt und evaluiert. Eine weitere Validierung mit einem nicht vorselektierten Kollektiv findet im Zuge der Rheuma-Bus-Tour 2019 in allen 3 Bundesländern statt.

Rheuma-Bus-Tour

Die Rheuma-Bus-Tour ist eine jährliche, 2‑wöchige „Open-Access-Screening“-Veranstaltung in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Saarland und Niedersachsen, die das Bewusstsein für rheumatische Erkrankungen schärfen und Menschen mit potenziellen Frühfällen von RA, axSpA und PsA identifizieren soll. Diese wird v. a. in ländlichen Gegenden durchgeführt. Im Zuge dessen wird immer eine Studie zu verschiedenen rheumatisch relevanten Fragestellungen durchgeführt.

ERFASS – Effektivität der rheumatologischen Fachassistenz-Sprechstunde

Die Substudie ERFASS wird in Niedersachsen durchgeführt.

Ziel dieser prospektiven, randomisierten, kontrollierten und multizentrischen Studie ist es zu untersuchen, ob eine strukturierte Erfassung der Krankheitsaktivität und des Therapieverlaufs bei Patienten mit einer seropositiven rheumatoiden Arthritis (ICD-10 M05.8) durch rheumatologische Fachassistenz (RFA) mit anschließendem kurzen Kontakt zu dem behandelnden Arzt zu einer vergleichbaren Versorgungsqualität gemäß dem derzeitigen Versorgungsstandard führt.

Ergebnisse

In den Koordinationsstellen Rheinland-Pfalz, Saarland und Niedersachsen werden die Anmeldungen von Primärversorgern angenommen und von einem interdisziplinären Team, bestehend aus einem rheumatologischen Facharzt und einer/einem rheumatologischen Fachassistentin/-en, beurteilt. Patienten mit einer Verdachtsdiagnose wurden für entsprechende Termine an rheumatologische Fachärzte zur Diagnoseabklärung und Weiterbehandlung vermittelt.

Insgesamt wurden bis zum 30.06.2019 3710 eingehende Screeningbogen beurteilt. Die Gesamtanzahl der Verdachtsfälle teilt sich wie folgt auf: Verdacht auf RA 2195 Fälle, PsA 737 Fälle, axSpA 490 Fälle.

Die Screeningbogen wurden im Berichtszeitraum von 1298 verschiedenen Primärversorgern an die 3 Koordinationsstellen gesendet. Die Koordinationsstellen vermittelten auf Basis der Aktenlage 1958 Termine bei den 53 mit Rheuma-VOR kooperierenden Ärzten. Die geografische Verteilung der Anmeldungen zeigt eine durchaus flächendeckende Bekanntheit des Projektes mit Beteiligung der Bundesländer Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland, welche in den Abb. 2 und 3 dargestellt wird.

Abb. 2
figure 2

Primärversorger und Rheumatologen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland

Abb. 3
figure 3

Primärversorger und Rheumatologen in Niedersachsen

Die Wartezeit vom Eingang des Screeningbogens bis zum rheumatologischen Facharzttermin lag in Niedersachsen bei durchschnittlich 35,2 Tagen, in Rheinland-Pfalz bei 41,7 Tagen und im Saarland bei 50,5 Tagen. Ungefähr 65 Patienten hatten bereits ihren Follow-up-Termin. Durch die Risikostratifizierung der Koordinationsstellen war es möglich, die Rheumatologen um 1281 Patiententermine (34,5 %) zu entlasten. Bei 44,7 % (N = 876) der untersuchten Patienten bestätigte sich eine der 3 rheumatischen Erkrankungen bei finaler Abklärung.

In 55,3 % der Fälle (N = 1082) wurde entweder der Verdacht einer Erkrankung verworfen oder eine andere rheumatische Erkrankung diagnostiziert. Die Tab. 5 enthält eine Übersicht über die aktuellen Probandenzahlen in den 3 teilnehmenden Bundesländern.

Tab. 5 Übersicht über die aktuellen Probandenzahlen in den 3 Bundesländern (Stand 30.06.2019)

Sichtungssprechstunde

In Rheinland-Pfalz wurden bis zum 30.06.2019 insgesamt 1191 Verdachtsdiagnosen durch die Koordinationsstelle bestätigt. Seit der Einführung der Sichtungssprechstunde im Oktober 2018 wurden 424 Patienten je 15 min untersucht, von denen 263 Patienten als rheumatologisch nicht auffällig eingeschätzt wurden.

Auch wenn der Zeitfaktor sich initial aufgrund des zusätzlichen logistischen Aufwands verschlechtert hat und die Patienten durchschnittlich 18 Tage auf einen Termin in der Sichtungssprechstunde warten, konnte die Quote der „richtig positiven“ Patientenvorstellungen beim Rheumatologen deutlich verbessert werden. So wurde bei 98 der 161 Kurzsichtungspatienten eine der 3 rheumatischen Erkrankungen diagnostiziert (60,8 %).

Rheuma-VOR-Screening-App-Studie

Im Zuge der Entwicklung der Rheuma-VOR-Screening-App wurden anhand des mehrstufigen Delphi-Verfahrens 17 Fragen zur Detektion und Differenzierung zwischen den 3 Erkrankungen festgelegt (s. Infobox 1). Die Apps für iOS und Android werden seit November 2018 im Rahmen der Screeningsprechstunde am ACURA Rheumazentrum in Bad Kreuznach eingesetzt. Zudem werden sie an der Medizinischen Hochschule Hannover und an der Universitätsmedizin Mainz getestet. Die Fragen werden dem Patienten vorgelesen und bieten die Antwortmöglichkeiten „Ja“, „Nein“ und „Weiß nicht“. Das Beantworten der Fragen benötigt ungefähr 4 min. Die Verdachtsdiagnosen basieren auf einem kumulierten Score. Einige Diagnosen werden bereits nach wenigen Fragen ausgeschlossen bzw. bestätigt. Bis dato wurde die App bei 289 Patienten verwendet. Die Sensitivität lag dabei bei 0,82, während die Spezifität 0,29 betrug. Der positive prädiktive Wert und der negative prädiktive Wert lagen bei 0,57 respektive 0,51. Zudem wurden der falsch positive Wert mit 0,33 und der falsch negative Wert mit 0,10 bestimmt. Die letzte Anpassung im Auswertungsalgorithmus wurde am 19.06.2019 vorgenommen. Im Zuge der Rheuma-Bus-Tour 2019 wurden die App-Fragen von 730 Personen beantwortet.

Rheuma-Bus-Tour

Während der Rheuma-Bus-Tour 2018 wurde in allen 3 Bundesländern eine Querschnittstudie mit dem Fokus auf psychischen und physischen Gesundheitsparametern bei bekannten und vermuteten rheumatischen Frühpatienten durchgeführt. Insgesamt nahmen 853 Teilnehmer an der Umfrage teil. Bei 214 dieser Personen wurde eine entzündlich-rheumatische Erkrankung diagnostiziert. Von 533 durchgeführten CRP(C-reaktives Protein)-Tests waren 107 pathologisch erhöht. Nach der Konsultation wurden 58 Patienten für einen sofortigen rheumatologischen Termin über das Netzwerk Rheuma-VOR überwiesen, von denen 16 mit RA, axSpA oder PsA diagnostiziert wurden. Zur Erhebung der Daten im Jahr 2019 wird zusätzlich die Rheuma-VOR-Screening-App genutzt. Insgesamt füllten 730 Interessenten den Fragebogen aus. Die Auswertung erfolgt zurzeit.

ERFASS – Effektivität der rheumatologischen Fachassistenz-Sprechstunde

Im Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.08.2018 wurden 236 Patienten nach Therapieneueinstellung, Therapieumstellung oder Therapieeskalation konsekutiv für ERFASS rekrutiert und in 8 Zentren im Verhältnis 1:1 auf die Interventionsgruppe (RFA) oder Kontrollgruppe (Versorgungsstandard) randomisiert. Die Beobachtungszeit beträgt 12 Monate.

Alle vorgestellten Daten sind präliminiert und ändern sich fortwährend. Weiterführende Ergebnisse dürfen aufgrund der laufenden Studie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht publiziert werden.

Diskussion

Die ersten Ergebnisse und Erfahrungen zeigen die hohe Relevanz und die Sinnigkeit von Rheuma-VOR, um die begrenzte Kapazität aufgrund des vorherrschenden Mangels an Rheumatologen durch eine möglichst effektive und effiziente Ressourcennutzung zu optimieren. Dank des mehrstufigen Verfahrens durch die zuweisenden Ärzte und der bundeslandspezifischen multidisziplinären Koordinationsstellen konnte der Verdacht, von einem der 3 Erkrankungsbilder betroffen zu sein, bereits bei 1281 Patienten (34,5 %) vor einer Abklärung durch einen rheumatologischen Spezialisten verworfen werden. Dies stellt eine entscheidende Entlastung der Rheumatologen dar. Aktuell wurde bei ca. 23,6 % der den Koordinationsstellen gemeldeten Patienten eine der 3 Zielerkrankungen diagnostiziert. Dies ist unter dem Aspekt der Regelversorgung als sehr positiv zu bewerten, liegt jedoch hinter den Studienerwartungen zurück. Es ist möglich, dass die im Vorfeld durchgeführten Inzidenzschätzungen nicht zutreffen, da für Deutschland keine Inzidenz-, sondern lediglich Prävalenzschätzungen vorliegen. Daher könnten die Zahlen zu hoch angesetzt worden sein.

Ersten Ergebnisse und Erfahrungen zeigen die hohe Relevanz und die Sinnigkeit von Rheuma-VOR

Ebenfalls hervorzuheben ist die durchschnittliche Wartezeit von 42,5 Tagen. Auch wenn sie fast doppelt so lang ist wie die 23,9 Tage im rheinland-pfälzischen Vorgängerprojekt ADAPTHERA für das Erkrankungsbild der rheumatoiden Arthritis, sind die gegenwärtigen Studienergebnisse angesichts der Dimension eines flächendeckenden Versorgungsansatzes mit 13 Mio. Einwohnern in 3 Bundesländern im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt als außerordentlich positiv zu bewerten [6]. Entsprechende Entwicklungen werden bei allen Erkrankungsbildern innerhalb von Rheuma-VOR erwartet.

Kritisch zu betrachten ist, dass trotz vorhandener Infrastruktur der regionalen kooperierenden Rheumazentren die Zahlen hinter dem Gesamterwartungswert von 8700 Patientenscreenings zurücklagen. Durch intensivierte Marketingmaßnahmen, Fachzeitschriftenbeiträge, Vorträge und Schulungsmaßnahmen auf Patientenebene, Primärversorgerebene und rheumatologischer Facharztebene konnten der Bekanntheitsgrad von Rheuma-VOR und die öffentliche Wirksamkeit schrittweise gesteigert werden. Allerdings gibt es bundeslandspezifische Unterschiede, die im Verlauf identifiziert und adressiert werden sollen.

Der aktuelle Fokus der Studie liegt auf der Steigerung der Screening- und Zuweisungsqualität. Zudem werden die Maßnahmen intensiviert, die Screeningzahlen weiterhin zu steigern. Hierzu dienen auch die beschriebenen Teilprojekte innerhalb von Rheuma-VOR wie die Entwicklung der Rheuma-VOR-App, die Sichtungssprechstunde, die Rheuma-Bus-Tour oder die Untersuchung zur Effektivität der RFA-Sprechstunde in Niedersachsen.

Schlussfolgerung

Bei erfolgreicher Evaluation der Studie Rheuma-VOR ist geplant, das Modell auf weitere Bundesländer auszudehnen. Die geografischen und strukturellen Rahmenbedingungen sind auf Basis der regionalen und kooperativen Rheumazentren bereits vorhanden. Zudem ist die Struktur von Rheuma-VOR adaptierbar, variabel und erweiterbar. Andere Zugänge, wie beispielsweise eine mobiltelefonbasierte Screening-App oder Sichtungssprechstunden, können z. B. regional implementiert werden.

Infobox 1

www.rheuma-vor.de

Rheuma-VOR-App:

App Store

figure b

Google Play

figure c

Fazit für die Praxis

  • Die rheumatoide Arthritis, die Psoriasisarthritis und die axiale Spondyloarthritis zählen zu den häufigsten rheumatischen Erkrankungen.

  • Bei allen 3 Erkrankungsbildern sind eine möglichst frühe Diagnose und Therapieeinleitung entscheidend.

  • „Rheuma-VOR“ verfolgt das Ziel, diese 3 entzündlich-rheumatischen Erkrankungen so früh wie möglich zu erkennen und die Versorgungsqualität mithilfe von multidisziplinären Koordinationsstellen zu verbessern.

  • Darüber hinaus zeigen die 2‑wöchige Rheuma-Bus-Tour und die in Rheinland-Pfalz begleitend durchgeführten Initiativen (Rheuma-VOR-Screening-App, Sichtungssprechstunde) erste vielversprechende positive Ergebnisse.