Krankheitsentitäten wie z. B. Diabetes mellitus und die eingeschränkte Nierenfunktion im Alter stellen wichtige mögliche Gesundheitseinschränkungen des multimorbiden älteren Rheumapatienten dar. Hierbei wird zudem deutlich, dass physiologische Organveränderungen im Alter eine veränderte Reservek apazität auslösen, wodurch eine andersartige Krankheitsausprägung wie auch eine veränderte Pharmakodynamik/-kinetik bedingt werden.

Im Rahmen der Behandlung eines multimorbiden älteren Rheumapatienten ist der sachgerechte Umgang mit Einschränkungen der Compliance äußerst wichtig. Der differenzierten Betrachtung von entsprechenden Auslösern soll daher Raum gegeben werden. Die unterschiedlichen Einflussgrößen von Compliance-Problemen werden nachstehend beschrieben. Funktionseinschränkungen von Motorik und Sensibilität, Vorliegen von Schwerhörigkeit und von veränderten Formen der Kommunikation wie auch eine bestehende Depression oder beginnende Demenz können isoliert wie auch nebeneinander auftreten und die Umsetzung von Therapiemaßnahmen erschweren.

Die (Poly)-Pharmakotherapie ist schließlich eine weitere große Herausforderung im Behandlungskonzept des älteren Rheumapatienten.

Diabetes mellitus Typ 2

Epidemiologische Befunde

Der Diabetes mellitus ist eine der häufigsten Komponenten der Multimorbidität älterer Patienten. In Deutschland ist jeder zweite Patient mit Diabetes mellitus (aktuell 52 %) über 65 Jahre alt [7]. Epidemiologische Studien zeigen eine Diabetes-mellitus-Häufigkeit bei den 70- bis 74-Jährigen in Deutschland (DDG-Leitlinie) von

  • 22,8 % (Männer) bzw.

  • 18,9 % (Frauen).

Insbesondere makro- und mikrovaskuläre Komplikationen führen bei unzureichender glykämischer Kontrolle zu gravierenden Komplikationen und insgesamt zu einer Reduktion der Lebenserwartung, bei über 65-Jährigen um bis zu 4 Jahre [11].

Rheumatoide Arthritis und Diabetes mellitus erhöhen das kardiovaskuläre Risiko

Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) gilt die chronisch-systemische Entzündung, die zu vorzeitiger Atherosklerose führt, als einer der Hauptgründe für die erhöhte kardiovaskuläre Mortalität [12, 13, 16]. Diese Entzündungsaktivität gilt aber auch als gesicherter Faktor für die Entstehung von Insulinresistenz und Diabetes mellitus Typ 2. So fanden sich bei RA-Patienten mit erhöhter Entzündungsaktivität eine erniedrigte Insulinsensitivität [21] bzw. eine erhöhte Insulinresistenz bei erhöhten C-reaktives-Protein(CRP)-Spiegeln [3, 4]. Es ist daher anzunehmen, dass es bei RA-Patienten zu einer höheren Prävalenz des Diabetes mellitus Typ 2 kommt, wobei die vorliegenden Studien dies nur teilweise unterstützen [5]. Daher gilt der bei RA-Patienten auftretende Diabetes mellitus als Schlüssel in der Vorhersage der kardiovaskulären Mortalität, da beide – RA sowie Diabetes mellitus – das kardiovaskuläre Risiko wesentlich erhöhen [1].

Doch der Diabetes mellitus stellt auch einen wesentlichen Faktor der Morbidität von RA-Patienten dar, wie Bartels et al. [1] in einer retrospektiven Kohortenstudie von 256.331 Diabetikern zeigen konnten. Es fanden sich bei Diabetikern mit RA

  • 17 % häufiger eine Herzinsuffizienz,

  • 19 % mehr Nierenbeteiligung,

  • 32 % häufiger eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) und

  • mehr als doppelt so häufig (77 %) periphere Ulzerationen

im Vergleich zu Diabetikern ohne RA [1]. Dies alles sind Faktoren, die gerade beim geriatrischen RA-Patienten mit Diabetes mellitus zusammen mit den alterstypischen Einschränkungen (besonders der Immobilität und Instabilität) und weiteren Erkrankungen – wie der Osteoporose – zu erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität und der Lebenserwartung führen können. Studien zu dieser Trias fehlen bislang.

Multimorbidität und Diabetes mellitus

Aus eigenen Erfahrungen und Studienergebnissen ergibt sich beispielhaft für geriatrische Patienten mit Immobilität, RA und Diabetes mellitus die in Abb. 1 dargestellte Konstellation.

Abb. 1
figure 1

Mögliche Konstellation bei geriatrischen Patienten mit rheumatoider Arthritis und Diabetes mellitus

Die RA verschlechtert besonders im entzündlichen Schub die oft schon vorbestehende Immobilität. Die zunehmende Immobilität führt zu einer weiteren Verschlechterung des bestehenden Diabetes mellitus mit dem weiteren Risiko z. B. einer Exsikkose durch hyperosmolare Entgleisung des Diabetes mellitus. Dies kann wiederum zu Schwindel und Verwirrtheitszuständen und nachfolgendem Sturzrisiko führen.

Als Spätkomplikationen des Diabetes mellitus erhöhen auch

  • eine sich bei unzureichender glykämischer Kontrolle verschlechternde Polyneuropathie,

  • eine Vaskulopathie (pAVK),

  • das diabetische Fußsyndrom sowie

  • eine Visusverschlechterung

das Sturzrisiko. Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 weisen ein erhöhtes Frakturrisiko besonders an Hüfte, Wirbelsäule und Unterarm auf. Das ist nicht nur auf die beschriebenen Komplikationen, sondern auch auf eine veränderte Knochenqualität zurückzuführen. Diese durch die Knochendichtemessung nicht zu erfassende Minderung der Knochenqualität wird möglicherweise verursacht durch ein Differenzierungsungleichgewicht von Osteoblasten und Osteoklasten (zuungunsten der Osteoblasten), das durch sich in der Knochenmatrix ansammelnde „advanced glycation end products“ (AGE) bedingt wird, die bei Typ-2-Diabetikern erhöht gemessen werden [18].

Doch auch die RA hat über die Faktoren Schmerz und Entzündung und Funktionseinschränkung einen deutlichen Einfluss auf die Ausbildung einer Osteoporose mit entsprechender Frakturgefährdung. Dass eine dann stattgehabte Fraktur (z. B. Schenkelhalsfraktur) die Mobilität nochmals einschneidend reduziert und die Diabetes-mellitus-Einstellung weiter erschwert ist unzweifelhaft.

Die RA sowie der Diabetes mellitus aber auch die bestehende Immobilität führen weiterhin zu deutlich vermehrten kardiovaskulären Komplikationen bzw. verschlechtern die bestehende koronare Herzkrankheit (KHK). Dies erhöht nicht nur zusätzlich das Mortalitätsrisiko, sondern reduziert erheblich die ohnehin schon eingeschränkte Lebensqualität z. B. bei Ausbildung einer Herzinsuffizienz.

So zeigt dieses Beispiel die Multidimensionalität für geriatrische Patienten mit RA und Diabetes mellitus auf, wobei sich die einzelnen Komponenten gegenseitig verstärken.

Diabetes-mellitus-Diagnostik

Aus dieser geschilderten Problematik ergibt sich die Notwendigkeit einer gezielten Diabetes-mellitus-Diagnostik beim älteren Rheumatiker mit Bestimmung von

  • Bluckzuckerwert des nüchternen Patienten,

  • HbA1c-Wert sowie

  • ggf. der Durchführung eines oralen Glukosetoleranztests (oGTT).

Dies vor dem Hintergrund, dass die Prävalenz des nicht diagnostizierten Diabetes mellitus (Dunkelziffer) als etwa ebenso hoch angenommen werden kann wie die des bekannten Diabetes mellitus und Patienten mit unerkanntem Diabetes mellitus ein signifikant erhöhtes Risiko von KHK, Schlaganfall und peripheren vaskulären Erkrankungen haben [7].

Eine Studie an 55- bis 74-Jährigen in Süddeutschland zeigte, dass 8,7 % einen bekannten und 8,2 % einen neu diagnostizierten Diabetes mellitus aufwiesen [11]. Wenn auch die Übertragung auf die ältere Bevölkerung in ganz Deutschland diskutiert werden kann, so fanden sich in dieser Studie zusätzlich noch 23,6 % Menschen gleichen Alters mit einem Prädiabetes, sodass etwa 40 % der Menschen dieser Altersklasse einen pathologischen Glukosestoffwechsel aufwiesen. Doch obwohl die Kenntnis einer diabetischen Stoffwechsellage bei diesen Patienten so wichtig ist, konnte in einer Studie gezeigt werden, dass gerade Diabetiker mit RA signifikant seltener eine Messung des HbA1c-Werts erhielten als Diabetiker ohne rheumatische Erkrankung [1].

Gerade ältere RA-Patienten sollten eine gezielte Diabetes-mellitus-Diagnostik erhalten

So ergibt sich für die Praxis, dass gerade ältere RA-Patienten eine gezielte Diabetes-mellitus-Diagnostik erhalten sollten. Bei bekannten Diabetikern sollte eine regelmäßige Überwachung der Blutzuckereinstellung auch mittels HbA1c durchgeführt werden. Bei der Diagnostik sowie bei den Therapieoptionen kann der ältere Rheumapatient von einer interdisziplinären Betreuung (Rheumatologe, Diabetologe) sicher nur profitieren.

Therapie

Zur Therapie des älteren Rheumatikers mit Diabetikes mellitus herrscht die Maxime der individualisiert gestalteten Therapie, wobei oftmals die Facetten der Multimorbidität mit entsprechender Syndromkonstellation das therapeutische Handeln bestimmen [11]. Gerade beim älteren Diabetiker mit RA stehen

  • Lebensqualität,

  • im Alltag taugliche Therapieregime,

  • eine zufriedenstellende Diabetes-mellitus-Einstellung mit Vermeidung von hypo- bzw. hypergykämischen Akutkomplikationen sowie

  • eine Hierarchisierung der Medikamente mit kritischer Bewertung von Polypharmazie

vornan. So sollte der Blutzucker im geriatrischen Zielbereich zwischen 120 und 180 mg/dl eingestellt werden, um Hypo- sowie Hyperglykämien zu vermeiden [11]. Anzustreben ist häufig ein HbA1c-Wert von etwa 7–7,5 % bei eingeschränktem funktionellem Status.

Doch auch beim geriatrischen multimorbiden RA-Patienten sollte ein besonderes Augenmerk auf die Behandlung der Grunderkrankung gelegt werden. Eine Behandlung mit „disease-modifying antirheumatic drug“ (DMARD) und/oder Biologicals stellt eine bedeutende Verbesserung der Mobilität mit nachfolgend verbesserter glykämischer Kontrolle, verbessertem Knochenstoffwechsel und vermindertem vaskulären Risikoprofil dar. Zusätzlich bedeutet die Senkung der entzündlichen Aktivität des RA-Patienten für den Glukosestoffwechsel eine erhebliche Verbesserung. So verbesserte sich unter Infliximab-Infusionen über 14 Wochen die Insulinresistenz stetig [22]. Bei Patienten mit RA und schlecht kontrolliertem Diabetes mellitus Typ 2 konnte unter Hydroxychloroquin eine deutliche Verbesserung des HbA1c-Werts gezeigt werden [17]. Aber es konnte auch dargestellt werden, dass das Risiko für Patienten mit RA oder Psoriasis-Arthritis, einen Diabetes mellitus zu entwickeln, unter TNFα-Antagonisten-Therapie oder Hydroxychloroquin signifikant geringer im Vergleich zur Therapie mit anderen nichtbiologischen DMARDs ist [19].

Der Einsatz von Kortikosteroiden bei dieser Patientengruppe ist zurückhaltend zu sehen. Zwar konnten erst bei höheren kumulativen Dosierungen signifikante Veränderungen im Glukosestoffwechsel aufgezeigt werden [9], doch birgt die Kortikoidgabe neben der beeinträchtigten Diabetes-mellitus-Einstellung bei diesen Patienten ein nicht unerhebliches Infektionsrisiko, das zu schweren Hyperglykämien führen kann. Negative Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel bestehen ebenfalls.

Die Therapie beim älteren Rheumatiker mit Diabetes mellitus ist individualisiert zu gestalten

So ist die Therapie beim älteren Rheumatiker mit Diabetes mellitus individualisiert zu gestalten, wobei auch ein besonderes Augenmerk auf die Senkung der Entzündungsaktivität der rheumatischen Erkrankung zu legen ist. Hier sollte auch der Einsatz von Hydroxychloroquin in Erwägung gezogen werden.

Adhärenz, Compliance, Kognition

Adhärenz im Sinn einer von Überzeugung getragenen Bereitschaft des Patienten, Lebensstiländerungen und/oder Medikamenteneinnahmen im Interesse einer bestmöglichen Behandlung so durchzuführen, wie das gemeinsam mit dem behandelnden Arzt festgelegt wurde, setzt naturgemäß kognitive Fähigkeiten beim Patienten voraus.

Von vielen, nicht geriatrisch tätigen Ärzten wird der Aspekt Adhärenz bzw. der ältere, weniger Eigenleistung des Patienten einfordernde Begriff Compliance häufig bei älteren Patienten grundsätzlich infrage gestellt. Zum Teil verhindert diese Fehleinschätzung sogar die Initiierung sinnvoller Medikationen.

Eine derartige Pauschalisierung ist jedoch sicher nicht zulässig. Zu hinterfragen ist vielmehr, inwiefern zu Adhärenzproblemen führende Altersveränderungen wahrgenommen und ihnen entgegen gewirkt wurde.

Beispiele von Alterveränderungen

Funktionseinschränkungen von Motorik und Sensibilität

Gerade für rheumatologische Patienten kann der Umgang mit Medikamentenbehältern eine erhebliche Problematik darstellen. Druck- und Drehverschlüsse, Blisterverpackungen oder Verpackungen für transdermale Applikationsformen benötigen häufig eine erhebliche Finger- und Gelenkfertigkeit, die für rheumatologische Patienten ein Problem darstellen kann. Die früher in der Geriatrie standardmäßig durchgeführte Gewöhnung von Patienten an die erforderlichen Medikamentenpackungen ist heute aufgrund der häufig wechselnden Formen der Verpackungen im Rahmen von Aut-idem-Verordnungen nicht mehr möglich [14].

Presbyakusis

Bei insgesamt unzureichenden epidemiologischen Daten wird heute davon ausgegangen, dass bis zu 40 % der über 65-Jährigen in unterschiedlichen Ausprägungen an Schwerhörigkeit leiden [25]. Die funktionellen Einschränkungen hierdurch werden häufig lange kompensiert. Der Übergang in alltagsrelevante Störungen ist fließend. Diese Situation wird häufig von den Betroffenen über lange Zeit negiert und über (oft zustimmende) Verständnisfloskeln kaschiert. Eine langfristig bestehende Wahrnehmungsstörung auditiver Inputs führt letztendlich zu einer graduellen Verschlechterung kognitiver Leistungen.

Selbst wenn ein Hörgerät vorliegt, muss die funktionelle Hörleistung zumindest klinisch abgeschätzt werden. Leider erfolgt die Hörgeräteversorgung in Deutschland immer noch relativ spät und auch nicht immer symmetrisch, sodass die Anpassungsmöglichkeit an Hörgeräte von vielen älteren Patienten als unbequem und nach einer längeren Zeit der relativen Ruhe als überlaut empfunden wird.

Bei nicht durch Hörgeräte kompensierter erheblicher Schwerhörigkeit kann Kommunikation durchaus ein erhebliches Problem darstellen.

Die 1:1-Kommunikation von Arzt zu Patient kann hierbei in Einzelfällen erheblich gefördert werden durch den reziproken Einsatz des Stethoskops als Hörhilfe für den Patienten.

Form der Kommunikation

Als zweiter Aspekt der die Adhärenz einschränkenden Faktoren ist die Form der Kommunikation insgesamt zu sehen. Ältere Patienten benötigen auch ohne messbare kognitive Einschränkungen häufig eine etwas längere Zeit zur Verarbeitung von Informationen. Dies bedeutet in zahlreichen Fällen, dass nicht alle Informationen aus dem Erstgespräch adäquat verarbeitet werden können. Ohne die Möglichkeit zu wiederholtem Nachfragen kann daher bei älteren Patienten häufig eine hinreichende Adhärenz nicht sicher gestellt werden.

Depression

Depression gehört im höheren Lebensalter zu den häufigen psychischen Erkrankungen. Ein deutlicher Anstieg des Depressionsgipfels mit Ende der Berufstätigkeit ist nicht zu verzeichnen, auch nicht mit weiterer Alterszunahme. Im Alter ändert sich jedoch die Phänomenologie der Erkrankung. In einer repräsentativen Berliner Alterspopulation fanden sich hier Werte zwischen 20 und 30 % einer messbaren und damit alltagsrelevanten depressiven Erkrankung [8]. Auch unter Berücksichtigung der nationalen Versorgungsleitlinie Depression ist die Prävalenz von Depression bei Patienten mit begleitenden chronischen Erkrankungen, z. B. aus dem rheumatologischen Formenkreis, als deutlich höher anzusetzen. Hier ist bei Alterspatienten regelhaft ein Screening durchzuführen. Bei Ersthinweisen ist eine weitergehende Diagnosestellung mit dem Ziel, Adhärenz durch eine gezielte, nicht-medikamentösen wie ggf. auch medikamentöse Therapie zu ermöglichen oder zu erhalten, notwendig.

Demenz

Alltagsrelevante kognitive Einschränkungen im Sinn einer Demenz werden für ein geriatrisches Patientengut häufig automatisch unterstellt. Hier ist es wichtig zu betonen, dass die Prävalenzrate der Demenz von

  • etwa 1 % im Alter ab 65 Jahre

  • bis zum Alter von 89 Jahre auf 23 % und

  • bis 94 Jahre auf 34,6 %

ansteigt. Diese Daten der Berliner Altersstudie zeigen jedoch, dass sich dieser exponentielle Anstieg über das Alter von 94 Jahren hinaus nicht fortsetzt, sondern ab einem Alter von 95 Jahren etwa auf einem vergleichbaren Niveau der bis 94-Jährigen verbleibt. Somit ist Demenz eine wichtige und im fortschreitenden Alter die wichtigste psychische/psychiatrische Diagnose. Dennoch ist sie auch bei hochbetagten Patienten nicht der Regelfall.

Bei dieser Erkrankung bleibt zu berücksichtigen, dass es erhebliche graduelle Abstufungen gibt. In leichten Stadien der Demenz bleibt durchaus Verständnis- und Zustimmungsfähigkeit des Betroffenen bestehen. Gleichzeitig besteht ein erhebliches Bestreben, die Fassade aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund ist zum Adhärenzerhalt immer eine zumindest im Hintergrund ein Aufsicht anbietende zweite Bezugsperson erforderlich.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Altersunabhängig besteht ein erheblicher Anteil an Adhärenzbegrenzung durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) einzelner Medikamente, die nicht nur durch Fehl- oder Überdosierungen, sondern auch durch die Zahl der Medikamente insgesamt im Rahmen einer Polypharmakotherapie entstehen. Bereits vor über 20 Jahren hat Platt darauf hingewiesen, dass die Compliance-Einschränkungen bei Polypharmakotherapien altersunabhängig bestehen [15].

Ausgewählte Aspekte der geriatrischen Pharmakokinetik

Eingeschränkte Nierenfunktion

Besonders relevant ist die Berücksichtigung der häufig eingeschränkten Nierenfunktion im Alter. Hierfür ist ein zunehmender Ausfall von Nephronen mit ursächlich. Es zeigt sich diesbezüglich jedoch eine hohe Individualität innerhalb der Altersgruppe der Hochbetagten. Letztendlich ist in dieser Patientengruppe ein möglicherweise nicht diagnostizierter Einfluss von Hypertonus oder Diabetes mellitus über die Lebensspanne mit zu berücksichtigen.

Insgesamt gilt jedoch die altersabhängig verminderte renale Funktionsleistung als regelhaft auftretende Besonderheit in der geriatrischen Pharmakokinetik. Diese lässt sich über Rechenformeln, wie die Cockroft-Gault- oder Modification-of-diet-in-renal-disease(MDRD)-Formel, mit hinreichender Genauigkeit abschätzen [23].

Die Cockroft-Gault- und MDRD-Formel relativeren scheinbar normale Kreatininwerte

Der entscheidende Vorteil dieser Schätzformeln ist, dass sie scheinbar normale Kreatininwerte relativieren. Da Alterspatienten und insbesondere ältere Rheumapatienten sehr oft eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Sarkopenie aufweisen, müsste im Alter bei unveränderter Nierenfunktion der Kreatininwert deutlich sinken. Wird der Kreatininwert des älteren Rheumaptienten an dem Normalbereich gemessen, der aus einer Klientel durchschnittlich jüngerer Erwachsenen ermittelt wurde, muss dies keineswegs einen Normalwert für ältere Patienten darstellen. Hierbei hat die Cockroft-Gault-Formel den Vorteil, einfach unter Berücksichtigung des Gewichts des Patienten bestimmt werden zu können. Die MDRD-Formel gibt es in verschiedenen Varianten. Alle verwenden eine Standardkörperoberfläche als Rechengrundlage. MDRD gilt als minimal genauer in der Variante, die auch Serum-Harnstoff und Serum-Albumin berücksichtigt. Die am häufigsten angewandte einfache MDRD-Formel (Berechnung nur aus Alter, Kreatinin und Geschlecht) überschätzt die Nierenfunktion bei norm- und untergewichtigen Alterspatienten und ist, zumindest entsprechend der Originalveröffentlichung, nur eingeschränkt anwendbar in stationären Einrichtungen und ohne Evidenz für Patienten über 70 Jahre.

So weist eine 80-jährige Patientin mit einem Körpergewicht von 70 kg und einem Serum-Kreatinin-Wert von 0,9 mg/dl nach Cockroft-Gault (in Klammern der MDRD-einfach-Wert) lediglich noch eine Kreatinin-Clearence von 56 (64) ml/min auf. Eine 85-jährige Patientin mit einem Körpergewicht von 60 kg und einem Kreatininwert von 0,9 mg/dl eine Kreatinin-Clearence von 44 (63,2) ml/min.

Somit müssen bei diesen Patienten mit scheinbar normalen Kreatininwerten sämtliche nierengängigen Medikamente um die Hälfte reduziert werden, um nicht eine Überdosierung mit absehbaren unerwünschten Arzneimittelwirkungen hervorzurufen.

Eine Pharmakotherapie bei Alterspatienten sollte daher nie ohne die gewichtsadjustierte Nierenfunktionsbestimmung erfolgen.

Entsprechend sollte bei schnell wechselndem Körpergewicht (z. B. im Rahmen einer ausschwemmenden Therapie) die Cockroft-Gault-Formel nur unter Vorbehalt angewandt werden.

Veränderungen im Gastrointestinaltrakt

Im Alter treten funktionell relevante Veränderungen im Gastrointestinaltrakt auf. Hier wirken jedoch

  • herabgesetzte Motilität,

  • verzögerte Magenentleerung und

  • erhöhter Magen-pH-Wert bei geringerer Säureproduktion

zum Teil gegenläufig, sodass die verlangsamte Aufspaltung bei geringerer Säureproduktion durch die verzögerte Motilität und damit Magenentleerung wieder ausgeglichen werden kann.

Veränderungen des Medikamentenstoffewechsels in der Leber

Die Veränderung des Medikamentenstoffwechsels in der Leber wird unzulässigerweise häufig vernachlässigt.

Zytochrom-P-abhängige Medikamente

Prinzipiell ist es richtig, dass die Dimension altersassoziierter Veränderungen der Leber gegenüber interindividueller Variabilität im hohen Alter weniger relevant sein können. Dennoch kann es bei einzelnen Patienten eben auch hier zu erheblichen und relevanten Veränderungen kommen. Diese betreffen typischerweise die Phase-I-Reaktion, in der das Pharmakon mithilfe der Zytochrom-P-abhängigen Oxidasen verändert wird. Von daher sind alle Medikamente mit einer Zytochrom-P-Abhängigkeit mit besonderer Vorsicht zu betrachten. Hier sind stets Medikamenteninteraktionen zu berücksichtigen. Besonders relevant für den hochaltrigen Rheumapatienten ist hier sicher das Zytochrom P2C9, das zur Verarbeitung von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) benötigt wird und erhebliche Interaktionen hervorrufen kann. Sehr beachtenswert ist darüberhinaus das Zytochrom P3A4, über das 30–40 % aller Arzneimittel abgebaut werden. Hier würde beispielsweise Simvastatin mit Cyclophosphamid interagieren.

First-pass-Effekt

Des Weiteren sind Medikamente entsprechend zu reduzieren, die eine ausgeprägte Biotransformation durch den First-pass-Effekt erfahren, da dieser im Alter um bis zu 30 % reduziert ist (typische Beispiele NSAR, Theophyllin).

Messung von reduzierter Leberfunktion

Die reduzierte Leberfunktion insgesamt ist z. B. erfassbar an einer Reduktion

  • des Albuminwerts und

  • des Gesamteiweißes.

Veränderungen der Gerinnungsparameter und der Cholinesterase sind in diesem Zusammenhang sehr späte Parameter. Die Leberfunktion insgesamt ist beispielsweise bei Metrotrexat zu berücksichtigen. Zusätzlich gilt für die Leberfunktion, dass sie bei eingeschränkter Perfusion im Rahmen einer Herzinsuffizienz zunehmend weiter eingeschränkt sein wird [24].

Verschiebung von Flüssigkeits- und Fettkompartimenten

Eine pharmakokinetische Relevanz hat auch die Verschiebung von Flüssigkeits- und Fettkompartimenten. In Relation zum Körpergewicht verdoppelt sich der Fettanteil vom 25. zum 70. Lebensjahr. Sämtliche Flüssigkeitsräume vermindern sich unter besonderer Betonung der Intrazellulärflüssigkeit und des intravasalen Kompartiments [6]. Weiterhin ist zu betonen, dass alle Medikamentenspiegel, so lange sie nicht hochselektiv ausschließlich den nicht an Albumin gebundenen Teil der Medikamente messen, als nicht geriatrietauglich zu betrachten sind.

Albuminmangel ist eine häufige Begleiterscheinung bei geriatrischen Patienten. In dieser Situation wäre dann der zur Wirkung freie Anteil höher und damit ein Toxizitätsrisiko auch innerhalb oder sogar unterhalb des therapeutischen Spiegels möglich (siehe beispielhaft Bestimmungen des Digitalisspiegels).

Pharmakotherapie im Alter

Zusammenfassend setzt adäquate Pharmakotherapie im Alter

  • eine Bestimmung der Nierenfunktion nach Schätzformeln,

  • eine spezielle Berücksichtigung der eingeschränkten hepatischen Clearence bei ausgewählten Medikamenten sowie

  • eine generelle milde Reduktion leberverstoffwechselter Präparate aufgrund der Altersinvolution der Leber

voraus. Bei begleitender Herzerkrankung muss die Leberfunktion speziell als zunehmend reduziert betrachtet werden.

Für die Medikatmentenüberwachung („drug monitoring“) gibt es für Alterspatienten keine Normalwerte. Die Albuminsituation muss berücksichtigt werden.

Ausgewählte Aspekte der geriatrischen Pharmakotherapie

NSAR

Für die Behandlung geriatrischer Rheumapatienten ist von besonderer Wichtigkeit, NSAR als Medikamente wahrzunehmen, die analgetisch gut und antipyretisch hochwirksam sind, die jedoch ein ausgeprägtes Nebenwirkungsprofil aufweisen. Dieses umfasst neben dem gastrointestinalen Blutungsrisiko insbesondere eine nahezu regelhaft eintretende Verschlechterung der Nierenfunktion und ein damit einhergehendes, erhebliches kardiopulmonales Risiko (Herzinsuffizienz).

Die automatische NSAR-Begleittherapie mit Protonenpumpenhemmern ist ernsthaft zu hinterfragen, da diese wiederum im Zytochrom-P-Bereich (Omeprazol, z. B. Zytochrom P2C19) erhebliche Wechselwirkungen verursachen kann und gleichzeitig durch eine Verschlechterung der hepatischen Clearence zusätzliche Probleme eintreten.

NSAR müssen prinzipiell im Alter deutlich niedriger dosiert werden. Sie sind keine Dauertherapeutika, sondern gezielt punktuell einzusetzen unter engmaschiger Überwachung der Patienten klinisch sowie laborchemisch. Cox-II-Hemmer bieten keine relevanten Vorteile. Die Patienten sind auf die besondere Gefährdung durch Einnahme freiverkäuflicher NSAR hinzuweisen.

Glukokortikosteroide

Glukokortikosteroide müssen aufgrund von Stoffwechselveränderungen im Alter nicht spezifisch dosisangepasst werden. Zu berücksichtigen ist hier in der Dauertherapie schon bei inhalativen Präparaten das erhöhte Osteoporoserisiko. Die häufig schnell einsetzende und dann durchaus bis zur Immobilisation führende Steroidmyopathie sowie eine zeitweilige psychotische Entgleisung unter Steroidgabe begrenzen den Einsatz von Glukokortikoiden.

DMARD und Biologicals

Bezüglich DMARDs und Biologika sind in den meisten Fällen Nierenfunktion bzw. Leberfunktion besonders zu berücksichtigen. Spezielle Daten zu UAW bei Hochaltrigen fehlen.

Polypharmakotherapie

Veröffentlichungen der letzten 10 Jahre [2] haben auf die besondere, allerdings altersunabhängige Häufung kalkulierter wie klinisch beobachteter Interaktion durch Polymedikation hingewiesen. Ab 7 Medikamenten ist kalkuliert, ab 8 Medikamenten ist kalkuliert wie auch klinisch beobachtet mit mindestens einer relevanten Interaktion zu rechnen. Bezüglich der Adhärenz hat Platt bereits vor über 20 Jahren nachgewiesen, dass etwa 10 Medikamente die Adhärenz soweit senken, dass durchschnittlich ein Medikament nicht korrekt eingenommen wird [15].

Die Berliner Altersstudie zeigte auf, dass über 70-jährige Berliner Bürger zu 96 % ein Medikament einnahmen. Bei 87 % war dies ärztlich verordnet. Fünf oder mehr Medikamente nahmen 56 % aller Bürger ein, nur zur Hälfte waren diese ärztlich verordnet.

Dieses zeigt, dass das Problem der Polypharmazie nur im gewissen Umfang (etwa 50 %) auf ärztliche Verordnungen zurückzuführen ist. Selbstgekaufte Medikamente tragen zu einem etwa gleichgroßen Anteil dazu bei. Bei diesem Thema der Eigenmedikamente („over the counter“, OTC) spielen NSAR eine erhebliche Rolle, ebenso

  • Vitamine,

  • durchblutungsfördernde Präparate,

  • Geriatrika/Roboranzien und

  • Laxanzien sowie

  • Venenmittel.

    Bei multimorbiden Patienten mit chronischen Leiden ist die Erfassung der Eigenmedikamentation unerlässlich

Gerade bei mehrfach erkrankten Patienten mit chronischen Leiden ist daher die Erfassung der Eigenmedikation unerlässlich, um unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Wechselwirkungen oder unspezifische Probleme der Polymedikation, wie z. B. fehlende Adhärenz, wahrzunehmen.

Polypharmakotherapie darf aber nicht zu einem unsachgemäßen Kritisieren oder Absetzen der Therapie führen. Vielmehr ist ein regelmäßiges, kritisches Überprüfen aller Medikamente erforderlich. Hierbei sind insbesondere Medikamente, die zur Prophylaxe oder Behandlung von UAW eingesetzt werden, kritisch zu hinterfragen, ebenso Medikamente, die als Dritt- oder Viertmedikament für gleiche Krankheitsbilder eingesetzt werden (z. B. 3- bis 4-fach Kombination in der antihypertensiven Therapie). Absetzen von Medikamenten muss ebenso wie das Ansetzen engmaschig bezüglich unerwünschter Effekte begleitet werden.

Bei festgestellter Polymedikation kann dennoch eine Untermedikation bestehen. Dies hat die Berliner Altersstudie ebenfalls deutlich aufgezeigt [20].

Inwieweit Medikamentenbeurteilunghilfen wie die Beers-Liste oder die Priscus-Liste zur Reduktion von Polypharmazie beitragen können, ist unklar. Fehlmedikationen im Einzelfall können erkannt werden, jedoch ist die Anwendbarkeit im Alltag begrenzt.

Fazit für die Praxis

Das ärztliche Handeln in der Geriatrie unterscheidet sich vom primär rheumatologischen Behandlungsansatz. Bei multimorbiden Rheumapatienten im Alter z. B. mit gleichzeitigem Vorliegen eines Diabetes mellitus wird nicht die eine Erkrankung therapiert. Es findet vielmehr eine Abwägung statt, welche der vorliegenden Erkrankungen im Schwerpunkt versorgt werden sollen, sodass oftmals die Grenzen zu anderen Fachgebieten, z. B. bei Abklärung von Schwindel, Rehabilitation von Frakturpatienten und Demenz [10], überschritten werden.

Auch altersphysiologische Veränderungen der Leber- und Nierenfunktion müssen im Therapiekonzept des älteren Rheumapatienten beachtet werden. Häufig liegen bei diesen Patienten Einschränkungen der Kognition, Adhärenz bzw. Compliance vor, was gerade bei der oft erforderlichen Polypharmazie eine Schwierigkeit darstellt.