Die rheumatoide Arthritis (RA) ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, osteoporotische Frakturen zu erleiden [1]. Dieses Risiko steigt aufgrund einer Interaktion von periartikulärem Knochenschwund [2], generalisierter Osteoporose/Osteopenie [3, 4] und aufgrund von Stürzen. Eine eingeschränkte Mobilität der unteren Extremität und die Behandlung mit Antidepressiva [5] sind weitere Ursachen für eine erhöhte Sturzanfälligkeit [6]. Glukokortikoide werden zur Behandlung der RA eingesetzt und können neben der Verursachung einer Osteoporose zu myopathischen Veränderungen, besonders der Muskulatur der unteren Extremitäten, und damit potenziell zu einem erhöhten Sturzrisiko führen. Es liegen Studien zur Sturzhäufigkeit bei RA vor [6, 7]. Klinische Testungen, die das Sturzrisiko untersuchen, sind bei der RA nur wenig [8] beschrieben.

Glukokortikoide können zu einem erhöhten Sturzrisiko führen

Patienten

In einer monozentrischen Kohorte wurden 67 Patienten ausgewählt. Die Einschlusskriterien waren weibliches Geschlecht, Alter über 45 Jahre, die Diagnose einer RA gemäß den ACR-Kriterien (1987) und mindestens 2 Konsultationen im Rheumazentrum des Klinikums Süd in Rostock.

Ausschlusskriterien betrafen Patienten, deren Krankengeschichte unvollständig dokumentiert war und die während des Untersuchungszeitraums verstarben.

Demographische und klinische Variablen

Demographische und klinische Angaben wurden den Patientenakten entnommen und durch Patienteninterviews ermittelt. Folgende Daten wurden erhoben:

  • Alter,

  • Body-Mass-Index (BMI, kg/m2),

  • Krankheitsdauer der RA,

  • derzeitige Krankheitsaktivität (DAS 28),

  • Medikamente, die das Sturzrisiko beeinflussen,

  • bereits erlittenen Frakturen.

Gefragt wurde nach Stürzen in den letzten Monaten und vorher, ohne den Sturzgrund zu benennen (Tab. 3).

Anhand der Akten wurden die aktuelle tägliche und die kumulative Glukokortikoiddosis ermittelt. Altersgruppen wurden anhand der WHO-Klassifikation gebildet. Die Krankheitsaktivität wurde mithilfe des DAS („disease activity score“) 28 bestimmt; dieser errechnet sich aus der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSR), der Schmerzangabe anhand der visuellen Analogskala Schmerz (VAS) und der Anzahl der geschwollenen und druckschmerzhaften Gelenke aus jeweils 28 möglichen. DAS-28-Werte zwischen 0 und 2,6 entsprechen einer Remission, zwischen 2,6 und 3,2 einer niedrigen und Werte zwischen 3,2 und 5,1 einer mittleren Krankheitsaktivität; Werte über 5,1 bedeuten eine hohe Aktivität der RA.

Ermittlung des Sturzrisikos

Um die Koordination und die muskulären Fähigkeiten und damit das Sturzrisiko der Patientinnen zu bestimmen, kamen der Chair-rising (CR)- und der Timed-up-and-go (TUG)-Test sowie der Tandemstand (TS) zur Anwendung. Der CR-Test beurteilt die Muskelkraft der unteren Extremität, der TUG-Test die Mobilität des Patienten und der Tandemstand das Gleichgewicht [9, 10].

Beim CR-Test mussten die Patientinnen die Arme vor dem Oberkörper verschränken und so 5-mal von einem Stuhl (Sitzhöhe 45 cm) aufstehen. Es besteht eine signifikant erhöhte Sturzgefahr, wenn die Patientin für die Testausführung mehr als 10 s benötigte [9].

Beim TUG-Test, der sich an den CR-Test anschloss, sollte die Testperson 1-mal ohne Unterstützung der Arme von einem Stuhl aufstehen, 3 m gehen, sich umdrehen, zurück zum Stuhl laufen und sich wieder hinsetzen. Wurden dazu mehr als 10 s benötigt, galt dieser Test als pathologisch.

Zum Abschluss wurde der TS durchgeführt. Dazu musste die Patientin die Füße voreinander positionieren, ohne sich dabei abzustützen. Diese Position galt es für 10 s zu halten; war dies nicht möglich, galt der Test als beeinträchtigt.

Alle Zeitmessungen erfolgten mit einer Stoppuhr. Zur Sicherung der Testergebnisse folgte jeder Untersuchungsgang dem gleichen Schema: Zuerst erfolgte die Patientenbefragung zur Sturzvergangenheit, dann die Aufklärung der Patientinnen über die Bedeutung der Übungen und anschließend die Testdurchführung in stets der gleichen Reihenfolge. Alle Interviews und Untersuchung wurden standardisiert von stets derselben Person durchgeführt.

Statistische Analyse

Die statistische Analyse wurde mittels SPSS, Version 15.0, durchgeführt. Um Zusammenhänge zwischen dem Sturzrisiko und den einzelnen Tests sowie den Tests untereinander zu erkennen, kamen Korrelationsanalysen nach Spearman-Rho zum Einsatz. Der Zusammenhang von BMI, Alter, Krankheitsdauer der RA, Osteoporose und Glukokortikoideinnahme mit der Anzahl der pathologischen Tests wurde durch Bildung von Gruppen (Alter <60 Jahre u. >60 Jahre, BMI <25 kg/m2 u. >25 kg/m2, Anzahl der pathologischen Tests) praktiziert. Zum Vergleich der Gruppen bezogen auf den jeweiligen Parameter nutzten wir den Chi2-Test. Eine Einteilung nach der derzeitigen Krankheitsaktivität erfolgte, um mittels Chi2-Test Zusammenhänge mit dem Sturzrisiko zu detektieren.

Ein zweiseitiger p-Wert von höchstens 0,05 wurde als statistisch signifikant angenommen. Multivariate Analysen waren aufgrund der kleinen Fallzahl nicht möglich.

Ergebnisse

Demographische und klinische Variablen

Alle demographischen und klinischen Parameter der 67 eingeschlossenen Patientinnen sind in Tab. 1, Tab. 2 u. Tab. 3 zusammengefasst. Die Studiengruppe besteht aus Patientinnen im Alter zwischen 46 und 90 Jahren (Median 69 ±7,4 Jahre). Bei 80% der Patientinnen besteht die RA seit mehr als 10 Jahren, bei über 50% seit mehr als 20 Jahren. 45% erlitten bereits eine Fraktur. 43 (64,2%) der 67 Patientinnen berichteten, dass sie in der Vergangenheit Stürze erlitten, 19 (28,4%) stürzten in den letzten 12 Monaten, davon 10 (6,7%) mehr als 1-mal. Zum Untersuchungszeitpunkt lag beim Großteil der Patientinnen (61%) eine mittlere Krankheitsaktivität (DAS 28 = 3,2–5,1) vor; 10% zeigten DAS-28-Werte über 5,1. 55% der Teilnehmerinnen wurden zum Testzeitpunkt mit Medikamenten behandeltet, die das Sturzrisiko beeinflussen (Antidepressiva, Sedativa, Diuretika, Antihypertensiva); 95% erhielten Vitamin D (2×400 E/Tag). Zum Zeitpunkt der Befragung betrug bei 76% der Patientinnen die tägliche GC-Dosis mehr als 5 mg; die kumulative GC-Dosis lag bei 48% zwischen 10 und 30 g. Es zeigte sich keine Korrelation zwischen Krankheitsaktivität und Glukokortikoidosis; die Glukokortikoide dienen als ergänzende und nicht als Monotherapie. Alle Patientinnen waren in augenärztlicher Behandlung.

Es zeigte sich keine Korrelation zwischen Krankheitsaktivität und Glukokortikoidosis

Tab. 1 Demografische Variablen
Tab. 2 Krankheitsbezogene Daten
Tab. 3 Daten zum Sturz- und Frakturverhalten

Tests

Der Fragebogen zu den Stürzen besteht aus 4 Fragen, die Antworten sind „ja“ oder „nein“ (Tab. 4).

Tab. 4 Interviewfragen zum Sturzverhalten

Tab. 5 zeigt die normwertigen und pathologischen Testergebnisse der Patientinnen. 63 (94%) der 67 Patientinnen zeigen auf der Basis der 3 Tests ein erhöhtes Sturzrisiko. In 39% der Fälle waren alle 3 Tests pathologisch, in 32% 2 und in 28% nur 1 Test (Tab. 6). Über 60-jährige Patientinnen führen häufiger 3 Tests nicht korrekt aus; der Vergleich zu jüngeren Teilnehmerinnen erreicht keine statistische Signifikanz (Tab. 7). Normalgewichtige Patientinnen führen zu 46% nur 1 Test nicht korrekt aus; übergewichtige RA-Patientinnen können in 85% der Fälle 2 und mehr Tests nicht korrekt durchführen (p=0,005; Tab. 8). Im Hinblick auf die Krankheitsdauer ergeben sich keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Anzahl der pathologischen Tests. Bei hoher Krankheitsaktivität findet sich ein signifikant erhöhtes Sturzrisiko im Vergleich zu niedrigerer Krankheitsaktivität (p=0,05); signifikant mehr Tests fielen pathologisch aus (p=0,03; Abb. 1).

Hinsichtlich Krankheitsdauer ergeben sich keine signifikanten Unterschiede in der Anzahl pathologischer Tests

Tab. 5 Übersicht der Testergebnisse
Tab. 6 Verteilung der pathologischen Testergebnisse
Tab. 7 Anzahl pathologischer Testergebnissen bezogen auf das Patientenalter
Tab. 8 Anzahl pathologischer Testergebnisse bezogen auf den BMI (p=0,005)
Abb. 1
figure 1

Anzahl pathologischer Testergebnisse bezogen auf die Krankheitsaktivität (DAS 28)

Die kumulative Glukokortikoiddosis war ohne Einfluss auf die Anzahl der Stürze und auf die Zahl der pathologisch ausgeführten Tests.

Patienten mit weniger als 5 mg Prednisolonäquivalent/Tag zeigen in der Testauswertung ein erhöhtes Risiko für Stürze gegenüber Patienten mit mindestens 5 mg/Tag (p=0,01; Abb. 2). Eine Korrelation zwischen der aktuellen Glukokortikoiddosis und der Krankheitsaktivität fand sich nicht (r=0,09).

Abb. 2
figure 2

Sturzrisiko bezogen auf die durchschnittliche tägliche Glukortikoiddosis

Alle Patientinnen, die beim TUG-Test länger als 10 s benötigten, überschritten auch im CR-Test die vorgegebenen Zeitgrenzen. Konnte eine Patientin den TUG-Test nicht ausführen, war es ihr auch nie möglich, die beiden anderen Tests in den Zeitgrenzen auszuführen. Das Absolvieren des TS als auch des CR-Test innerhalb der Norm war in jedem Fall verknüpft mit einem normwertigen TUG-Test. Der Tandemstand war von 21 Patienten nicht ausführbar; 10 Patientinnen waren nicht fähig, den CR-Test auszuführen, 5 gelang es nicht, den TUG-Test zu absolvieren. Gründe dafür waren Unsicherheit, Atrophie der Oberschenkelmuskulatur, Gehen nur mit Gehhilfe und schmerzhafte Gelenke der unteren Extremität.

Die stärkste Korrelation zwischen einem einzelnen pathologischen Test und dem ermittelten Sturzrisiko findet sich für den CR-Test (r=0,8; p≤0,01); TUG- und CR-Test korrelieren weniger (r=0,58). Der geringste Zusammenhang jedoch besteht zwischen CR-Test und TS (r=0,17). Testpersonen, die im vergangenen Jahr häufiger als 1-mal gestürzt sind, zeigen ohne statistische Signifikanz zu 100% einen pathologischen Ausfall des CR-Tests.

Diskussion

Die Prüfung von Koordination, Kraft und Balance bei einem komplexen Krankheitsbild wie der RA wurde zur Ermittlung des Sturzrisikos bisher wenig beschrieben [6, 7]. In der hier vorgestellten Studie werden 3 verschiedene Test (CR-Test, TUG-Test und TS) gleichzeitig angewandt.

Die überwiegend lange Krankheitsdauer (75% über 10 Jahre, 51% über 20 Jahre) ist eine mögliche Erklärung für die hohe Zahl an Stürzen (64%). Auch stürzen Frauen häufiger als Männer [11].

Die überwiegend lange Krankheitsdauer ist eine mögliche Erklärung für die hohe Zahl an Stürzen

Bei 94% der gestesteten Patientinnen mit RA findet sich anhand der Testergebnisse ein erhöhtes Sturzrisiko. 39% dieser Patientinnen konnten keinen der 3 Tests in der vorgegebenen Zeit ausführen, d. h. Defizite der Muskelkraft der unteren Extremität bzw. des Gleichgewichts oder eine Mobilitätseinschränkung finden sich bei mehr als einem Drittel der Patientinnen mit RA. Diese 39% sind folglich besonders gefährdet, zu stürzen. Ein erhöhtes Frakturrisiko bei Patienten mit RA wird beschrieben[1, 12, 13, 14, 15, 16], seltener das Sturzrisiko [5, 6]. Ein Teil der Frakturen bei RA resultiert jedoch aus Stürzen [17]. Als Ursache der Frakturen könnten die eingeschränkte Beweglichkeit und die Kraftminderung der unteren Extremität bedeutsamer sein als die Einnahme der Glukokortikoide [12].

Faktoren wie Übergewicht, Alter über 60 Jahre und Aktivität der RA erhöhten in unserer Studie das Sturzrisiko.

In der Normalbevölkerung ist eine Erhöhung des Sturzrisikos mit steigendem Alter [17, 18] in Studien beschrieben. Die chronische Entzündung mit abnehmender Knochendichte erhöht bei Patientinnen mit RA das Frakturrisiko infolge von Stürzen [1, 12, 13, 14, 15, 16]. Ohne Einfluss war die kumulative Glukokortikoiddosis. Eine tägliche Glukokortikoiddosis von mehr als 5 mg verbessert die Beweglichkeit und bewirkt in unserer Untersuchung bessere Testergebnisse. Obwohl auch geringe Glukokortikoiddosen den trabekulären Knochenabbau fördern, scheint der Gewinn an Beweglichkeit den Verlust zu kompensieren [4, 5, 6].

Zur Ermittlung des Sturzrisikos liefern neben der Sturzanamnese der CR-Test, der TUG-Test und der TS wichtige Anhaltspunkte. Die Muskelkraft der unteren Extremität sowie Gleichgewicht und Mobilität können eingeschätzt werden. Der Beginn mit dem TUG-Test ist aufgrund unserer Untersuchungen zu empfehlen. Ist dieser eingeschränkt, ist ein pathologischer Ausfall der beiden anderen Tests zu erwarten. Wurde der TUG-Test in 10 s oder weniger ausgeführt, sollte sich der CR-Test, gefolgt vom TS, anschließen. In Abhängigkeit von den defizitären Bereichen Kraft, Koordination und Balance sollte ein individuelles Übungsprogramm zur Sturzprävention eingeleitet werden.

Limitationen

Es wurden ausschließlich Patientinnen untersucht; Aussagen bezüglich des Sturzrisikos für männliche Patienten mit RA sind daher nicht möglich. Unberücksichtigt bleiben der Einfluss von Gelenkendoprothesen, die anamnestisch nicht erfragt wurden, und neuromuskulären Erkrankungen wie Polyneuropathien, die trotz möglicher Einflüsse auf die erlangten Ergebnisse unbeachtet blieben. Unberücksichtigt bleibt der Einfluss der Basistherapie der RA. Alle Angaben zu Frakturen und Stürzen in der Vergangenheit gründen auf Patientenaussagen und können so nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Unserer Studie fehlt eine alters -und geschlechtsgleiche gesunde Kontrollgruppe; somit sind Vergleiche mit gesunden Menschen nicht möglich.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich bei Patienten mit RA ein erhöhtes Sturzrisiko findet, welches mit Hilfe des TUG-Tests erfasst werden kann.

Fazit für die Praxis

Angesichts des erhöhten Fraktur- und Sturzrisikos bei Patienten mit RA wurden erstmals Testverfahren zur Ermittlung des Sturzrisikos in dieser Patientengruppe erprobt. Die Durchführung des TUG-Tests, des CR-Tests und des Tandemstands sowie die Erstellung eines individuellen Risikoprofils ermöglichen es, physische Defizite zu detektieren und diese gezielt zu therapieren.