Für Osteoporosepatienten liegen verschiedene Übungs- und Trainingsprogramme vor, deren Wirksamkeit in Bezug auf die Verbesserung der Knochendichte und Senkung des Sturzrisikos belegt ist. Die DVO-Leitlinien enthalten Empfehlungen zu individuellen Programmen und geben die Evidenzgrade der einzelnen Maßnahmen an.

Die WHO zählt Osteoporose zu den 10 häufigsten Erkrankungen des Stürz- und Bewegungsapparates. Es ist eine systemische Skeletterkrankung, die durch niedrige Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes charakterisiert ist, mit einem konsekutiven Anstieg der Knochenfragilität und der Neigung zu Frakturen [13]. Nach einer oder mehreren Osteoporose-bedingten Frakturen liegt eine klinisch manifeste Osteoporose vor.

Als Physiotherapie oder physikalische Therapie werden alle Therapieformen bezeichnet, deren physikalische Mittel im Körper zu physiologischen Veränderung führen. Bewegung lässt sich physikalisch erklären. Bewegung lässt sich therapeutisch nutzen. Bewegung bewirkt multiple physiologische Anpassungsmechanismen. Nicht nur die Muskulatur und die kardiovaskuläre Ausdauer, sondern auch das Bindegewebe, wie der Knochen, passt sich an regelmäßige mechanische Stimuli an.

Adaptation des Knochens an mechanische Stimuli

Durch die Raumfahrt mit den umfangreichen Studien zur Schwerelosigkeit konnten viele für die Medizin interessante Forschungsergebnisse zur Immobilität und langzeitigen Bettruhe gewonnen werden [7]. Nahezu parallel zum Flüssigkeits- und Elektrolytverlust treten nicht nur hämatologische Veränderungen auf, es kommt nach mehrwöchiger Bettruhe auch zur Muskelatrophie, zur Abnahme der orthostatischen und koordinativen Anpassungsmechanismen und zum Verlust an Knochenmasse und dessen Stärke.

Entgegen früheren Ergebnissen konnte in einer kürzlich publizierten Studie eine vollständige muskuloskelettale Rehabilitation erreicht werden, allerdings erst ein Jahr nach 90-tägiger Bettruhe bei gesunden Männern in der 3. und 4. Lebensdekade [11].

Die Adaptierung des Knochens an seinen ständigen Gebrauch als Stütz- und Schutzapparat wurde seit dem vorletzten Jahrhundert durch viele Untersuchungen belegt. Stärke und Frequenz der durch die Muskelkontraktionen gegen die Schwerkraft auftretenden elastischen Verformungen des Knochens stimulieren die Knochenformation. Dies wirkt sich insbesondere bei Kindern vor der Pubertät und bei Jugendlichen positiv auf deren Knochenentwicklung und damit die „peak bone mass“ aus [3, 6]. Im Erwachsenenalter und bei Frauen in der Postmenopause ist ein Training nicht im gleichen Ausmaß effektiv.

Eine Knochendichtezunahme durch Training ist im Erwachsenenalter nur in einem sehr geringen Ausmaß zu erwarten.

Das Ziel hier ist es, dem physiologischen Knochenmasse- und Knochenstärkeverlust, der durch Inaktivität verstärkt wird, entgegen zu wirken.

Wirksamkeit von Übungsprogrammen und Training bei Osteoporose

In der Schlussfolgerung der systematischen Übersicht der „Cochrane Collaboration“, Update 2008, werden aerobes Training, Übungen unter Ausnützung des Körpergewichts, „weight bearing exercises“ (mit und ohne zusätzliche Gewichte), und Widerstandstraining als effektiv zur Verbesserung der vertebralen Knochendichte bei postmenopausalen Frauen beschrieben [1]. Wandern bzw. Gehen wirkt sich auf die Knochendichte der Hüfte positiv aus.

In Absprache mit der Leitlinienkommission des Dachverbandes Osteologie (DVO) wurde in Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten, Sportwissenschaftlern und Ärzten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eine deutschsprachige Leitlinie zur Physiotherapie und Bewegungstherapie bei Osteoporose erarbeitet [2, 13]. In einer umfangreichen Literaturrecherche wurde ausschließlich nach randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) aus „Peer-reviewed“ Journalen im Zeitraum von 1995 bis 2005 gesucht. Primärer Endpunkt war die Wirksamkeit von Trainings- und Übungsformen auf die Frakturrate. Da die Studienlage zu diesem Endpunkt sehr rar ist, kann dazu nur eine vage Empfehlung abgegeben werden. Höhere Evidenzgrade wurden nur zu den Surrogatendpunkten Knochendichte und Sturz gefunden (Abb. 1).

Abb. 1
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DVO-Leitlinien zu Physio- und Bewegungstherapie bei Osteoporose: RCTs zu den Endpunkten Fraktur, Knochendichte, Sturz

Risikosenkung für vertebrale Frakturen durch progressives Widerstandstraining

Im Anschluss an eine RCT über 2 Jahre wurden postmenopausale Frauen nach 10 Jahren untersucht [12]. Bei den Frauen der Verumgruppe, die ein progressives Widerstandstraining mit Gewichten von 30% des Einwiederholungsmaximums (1 RM), 10 Wiederholungen (WH), 5-mal pro Woche für die Rückenstreckmuskulatur über 24 Monate als Heimprogramm durchgeführt hatten, konnten nach 10 Jahren signifikant weniger Wirbeleinbrüche diagnostiziert werden.

Übungsprogramme und Training zur Verbesserung der Knochendichte

Für gesunde postmenopausale Frauen:

  • Progessives Training mit multidimensionalen Sprüngen und Stepping mit einer axialen Krafteinwirkung bis zum 5fachen des Körpergewichts in Kombination mit Dehnen usw., 3-mal pro Woche je 20 min – hoher Evidenzgrad.

  • Progressives Widerstandstraining von 60–90% des 1 RM, 2- bis 3-mal pro Woche für alle großen Muskelgruppen alleine oder in Kombination mit Sprüngen und Steppen – mittlerer Evidenzgrad.

Für Frauen mit Osteopenie oder präklinischer Osteoporose nach WHO:

  • Kombination aus progressivem Widerstandstraining mit 70% des 1 RM für alle großen Muskelgruppen und Ausdauertraining mit 70% der maximalen Herzfrequenz, wie Tanz- und Step-Aerobic, 2-mal pro Woche – hoher Evidenzgrad.

Keine evidenzbasierten Empfehlungen können derzeit für Männer und zu den unterschiedlichen Formen des Trainings mit Vibrationsplatten abgegeben werden.

Wirksamkeit von Übungsprogrammen und Training zur Sturzprävention

Nach der Schlussfolgerung des systematischen „Cochrane Review“, Update 2009, können folgende Interventionen als wirksam zusammengefasst werden [4]:

  • multidisziplinäres, multifaktorielles Gesundheits- und Umgebungs-Risikofaktoren-Screening mit daraus folgenden Interventionsprogrammen für im eigenen Haushalt lebende Senioren allgemein (relatives Risiko/RR 0,73), für Senioren mit Sturzanamnese oder bekannten Risikofaktoren (RR 0,86) sowie für Heimbewohner („incidence rate ratio“ 0,6),

  • individuell verordnetes Heimübungsprogramm bestehend aus progressivem Widerstandstraining mit Gewichtsmanschetten für die unteren Extremitäten und einem „Balance-Retraining“ („pooled“ RR 0,8),

  • Wohnraumadaptierung bei positiver Sturzanamnese (RR 0,66),

  • Absetzen psychotroper Medikamente („relative hazard“ 0,34),

  • Schrittmacherimplantation bei Stürzern mit Carotissinus-Hypersensitivität,

  • Tai Chi als Gruppentherapie („risk ratio“ 0,51),

  • (?) Vitamin D.

    Der Sturz ist neben der Knochenstärke nahezu für alle nichtvertebralen Frakturen verantwortlich.

Deshalb wurde das Sturzrisiko als Surrogatparameter in die DVO-Leitlinien Physiotherapie und Bewegungstherapie bei Osteoporose aufgenommen. Insgesamt konnten 32 RCT eingeschlossen werden. Empfehlungen zu Übungs- und Trainingsprogrammen als überwiegend alleinige Intervention können, wie auch aus der „Cochrane Review“ hervorgeht, ausschließlich für im eigenen Haushalt lebende Senioren gegeben werden.

Für Senioren ohne Sturzanamnese

  • Heimübungsprogramm: Progressives Widerstandstraining mit freien Gewichten für die Muskeln der unteren Extremitäten und ein „Balance-Retraining“, 3-mal pro Woche je 30 min, ergänzt durch Spaziergänge 2- bis 3-mal pro Woche – hoher Evidenzgrad.

  • Tai Chi mit progressivem Übungsaufbau, angeleitet über 15 Wochen, Heimprogramm 2-mal täglich je 15 min oder Konditionstraining inklusive Aufwärm- und Abkühlphase oder Widerstandstraining und Balanceübungen in Kombination mit Wohnraumadaptierung und Visusabklärung – mittlerer Evidenzgrad.

Für Senioren mit positiver Sturzanamnese oder erhöhtem Risiko

  • Widerstands- und Balancetraining inklusive Beratung und Langzeitbetreuung unmittelbar nach einem Sturz und ein Langzeitprogramm mit ähnlichen Trainingsinhalten inklusive Beratung und Informationsmaterial – hoher Evidenzgrad.

  • Niedrig dosierte Übungsprogramme sind nur bei dekonditionierten Personen wirksam, und ein alleiniges Muskelaufbautraining für den M. quadriceps zeigt keinen Effekt – mittlerer Evidenzgrad.

Ergänzend ist anzumerken, dass in einigen Studien auch die Sturzangst mit berücksichtigt wurde. Durch die oben erwähnten Übungsprogramme konnte auch die Sturzangst gesenkt werden – hoher bis mittlerer Evidenzgrad.

Schmerztherapie und Verbesserung der Lebensqualität bei klinisch manifester Osteoporose

Akuter Schmerz, beispielsweise nach frischer Wirbelfraktur, muss meist mit wirksamen Medikamenten behandelt werden, um so eine rasche Mobilisierung zu gewährleisten [5]. Bei chronischen Schmerzen sollte die medikamentöse Therapie soweit wie möglich reduziert werden. Als Ursachen für chronische Schmerzen nach Wirbelfrakturen werden die kyphotischen und skoliotischen Veränderungen der Wirbelsäule, der durch die Kyphosierung bedingte iliokostale Kontakt, die Lockerung des Bandapparats und die eingeschränkte Thoraxexkursion nach multiplen Wirbeleinbrüchen angenommen [8].

Rigide Orthesen sind für den Osteoporosepatienten ungeeignet und für das Frakturmanagement nicht notwendig. Spezielle Orthesen, wie die Spinomed, ein an die Wirbelsäule angepasster Stab mit einer ventralen Pelotte bewirkt bei täglicher Anwendung über wenige Stunden eine Schmerzlinderung, eine Verbesserung der Lebensqualität und eine Zunahme der Kraft in der Rumpfmuskulatur [8, 9]. Eine ähnliche Wirkung wird auch einer rucksackähnlichen propriozeptiv wirkenden Orthese („Pusture Training Support“) zugeschrieben.

Passive physikalische und komplementärmedizinische Maßnahmen sollten zur Schmerzlinderung versucht werden

Übungsprogramme mit dem Ziel der Verbesserung des Körperbewusstseins, der Haltung und Balance [10] sowie eine kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining können chronische Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates lindern. Sämtliche passiven physikalischen Maßnahmen, wie thermotherapeutische Anwendungen, Elektrotherapie oder Ultraschalltherapie, und komplementärmedizinische Interventionen, wie Akupunktur, Neuraltherapie usw., sollen zur Schmerzlinderung zusätzlich versucht werden. Spezielle Empfehlungen können zum derzeitigen Zeitpunkt nicht gemacht werden.

Fazit für die Praxis

Physiotherapie, insbesondere ein kontrolliertes Übungsprogramm mit definierten Trainingszielen, hat für das Management des Osteoporosepatienten einen wichtigen Stellenwert. Training ist nur wirksam bei individuell progressiv angepasster Intensität, bei entsprechend der Anatomie und dem Trainingsziel angepasster Übungsdurchführung, bei Einhaltung der vorgegebenen Trainingsfrequenz, d. h. regelmäßige Durchführung mit Pausen, und Übungsdauer bzw. Übungswiederholung. Die laufende medikamentöse Therapie und chirurgische Interventionen, beispielsweise nach nichtvertebralen Frakturen, müssen bei physio- oder trainingstherapeutischen Verordnungen berücksichtigt werden. Unkontrolliertes Üben kann ineffektiv sein oder zu Gesundheitsschäden führen. Orthesen, passive physikalische und komplementärmedizinische Maßnahmen können den therapeutischen und rehabilitativen Erfolg unterstützen.