Im Juni 2008 veröffentlichte die FDA eine Meldung, wonach etwa 30 mit verschiedenen Tumor-Nekrose-Faktor- (TNF-)α-Blockern (Infliximab, Etanercept, Adalimumab, Certolizumab) behandelte Kinder und Jugendliche über einen Meldezeitraum von 10 Jahren an einem Malignom erkrankt sind. Bei den Grunderkrankungen handelt es sich um juvenile idiopathische Arthritiden, entzündliche Darmerkrankungen, Psoriasis sowie andere entzündliche Erkrankungen. Alle Patienten wurden vor dem 18. Lebensjahr mit TNF-α-Blockern, teilweise auch mit Methotrexat, Azathioprin oder 6-Mercaptopurin behandelt. Die Tumoren waren zu 50% Lymphome, Non-Hogkin- und Hodgkin-Lymphome, Leukämien, Melanome und solide Tumoren (http://www.fda.gov/Cder/drug/early_comm/TNF_blockers. htm: „Early communication about ongoing safety review of tumor necrosis factor blockers“).

Die Schwierigkeit, einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Behandlung mit TNF-α-Blockern und einem Malignom im Kindesalter nachzuweisen, ergibt sich zwangsläufig aus dem statistischen Dilemma, seltene Ereignisse valide zu erfassen. Epidemiologische Untersuchungen für diese Altersgruppe liegen nicht vor und wären in der jetzigen Situation mit vergleichsweise noch kurzen Beobachtungszeiten wenig aussagekräftig, da naturgemäß das Potenzial einer kanzerogenen Noxe erst nach Jahren bis Jahrzehnten annähernd eingeschätzt werden kann. So würde auch das Risiko für das Auftreten eines Bronchialkarzinoms nicht nach einjähriger Zigarettenrauchexposition beurteilt [2].

Für das Erwachsenenalter wurde die Frage eines erhöhten Malignomrisikos unter TNF-α-Blockern in vielen Studien untersucht; dabei waren die Ergebnisse widersprüchlich [2, 6]. Eindeutig konnte in verschiedenen Studien ein erhöhtes Risiko für Malignome durch den anhaltend hohen Entzündungsprozess im Rahmen der Grunderkrankung nachgewiesen werden [5]. Einige Autoren berichteten über eine erhöhte Inzidenz von Lymphomen [8, 12], Melanomen und Nicht-Melanomhautkrebs [4, 23] sowie generell für Malignome bei Patienten mit rheumatoider Arthritis [6]. Bei anderen Untersuchungen ließ sich dieser Zusammenhang nicht bzw. nicht für alle Malignomarten nachweisen [1, 3, 10, 17, 19, 20, 21].

Für die TNF-α-Antikörper Infliximab sowie Adalimumab sind „Rote Handbriefe“ publiziert: Bei 8 mit Infliximab behandelten Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen mit einem M. Crohn traten hepatosplenale T-Zell-Lymphome auf, die zumeist tödlich verliefen. Alle diese Patienten waren zusätzlich mit Azathioprin und/oder 6-Mercaptopurin behandelt. Für Adalimumab wurden 3 Patienten mit dieser Konstellation gemeldet (http://www.pei.de/nn_289900/DE/infos/fachkreise/pharmakovigilanz/rote-hand-briefe/rhb-node.html). Unter Etanercept ist ein Auftreten eines hepatosplenalen T-Zell-Lymphoms bislang nicht beschrieben.

Für Patienten mit einer juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA), die mit TNF-α-Blockern behandelt wurden, liegen wenige Daten vor.

Im weltweit größten Register mit über 1000 dokumentierten Patienten [14] sind 3 Kinder und Jugendliche dokumentiert, bei denen nach Anti-TNF-Exposition ein Malignom diagnostiziert wurde. Bei einem 16-jährigen Jungen mit einer JIA, Subtyp Enthesitis-assoziierte Arthritis, wurde 3 Wochen nach Therapiebeginn ein Keimzelltumor diagnostiziert. Bei einem 18-jährigen Patienten mit einer JIA, Subtyp Enthesitis-assoziierte Arthritis, wurde 10 Monate nach Beginn der Therapie ein Schilddrüsenkarzinom nachgewiesen. Bei einem 14-jährigen Jungen mit einer seronegativen Polyarthritis trat 12 Jahre nach Erkrankungsbeginn ein Non-Hodgkin Lymphom auf, nachdem er über nahezu 7 Jahre mit TNF-α-Blockern behandelt wurde. Dieser Junge wurde bereits vor der Therapie mit Etanercept über viele Jahre mit mehreren Immunsuppressiva behandelt (Azathioprin, Methotrexat, Ciclosporin) und erhielt diese auch in Kombination mit Etanercept. Für 4 Monate wurde der Patient auch mit Adalimumab behandelt. Darüber hinaus ist ein weiterer mit Etanercept behandelter JIA-Patient aus Italien bekannt, bei dem ein Schilddrüsenkarzinom auftrat.

Im August 2008 wurde über 4 mit TNF-α-Blockern (u. a. auch Etanercept) behandelte JIA-Patienten berichtet, die an einem M. Hodgkin erkrankten [15, 24]. Zum aktuellen Zeitpunkt ist nicht ersichtlich, ob diese Patienten bereits in der FDA-Meldung erfasst sind. Bei diesen Patienten bestand eine seronegative (n=2) oder seropositive (n=1) Polyarthritis bzw. eine systemische JIA (n=1). Alle waren über viele Jahre schwer erkrankt und einer Vielzahl von Medikamenten exponiert.

In einer unlängst publizierten Studie zur Effektivität und Sicherheit von Etanercept bei 58 JIA-Patienten trat über einen Zeitraum von bis zu 8 Jahren bei keinem Patient ein Malignom auf [16]. Im holländischen TNF-Therapie-Register findet sich unter 146 Patienten ebenfalls kein Malignompatient [18]. In einem Review über 11 Studien, in dem insgesamt 519 JIA-Patienten mit Etanercept zusammengestellt wurden, fand sich kein Malignom [11].

Ein Vergleich mit der Inzidenz für Malignome bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist schwierig, da diese Daten nur bis zum 15. Lebensjahr erfasst sind. Hiernach erkranken 14,7/100.000 Kinder und Jugendliche im Alter von bis zu 15 Jahren jährlich an einem Malignom. Dies entspricht einer Häufigkeit von 0,0147/100 Patientenjahre (http://www.kinderkrebsregister.de). Für die 3 im Register aufgetretenen Fälle würde sich rein rechnerisch bei 1950 Patientenjahren unter Therapie mit TNF-α-Blockern eine Inzidenz von 0,15/100 Patientenjahren ergeben. Im Rahmen einer Internetkorrespondenz versuchten die amerikanischen Kollegen eine ungefähre Risikoschätzung vorzunehmen (ped-rhe-list-admin@mailman1.cis.McMaster.CA). Dabei wurde ein Erkrankungsrisiko für Malignome von 1:7000 für Kinder und Jugendliche <18 Jahren pro Jahr zugrunde gelegt. Das würde bedeuten, dass bei 30 der FDA über einen Zeitraum von 10 Jahren gemeldeten Patienten 210.000 Kinder und Jugendliche in den USA mit TNF-α-Blockern behandelt sein müssten, wenn das Risiko äquivalent der üblichen Population verteilt sein sollte.

Diese vordergründig nahe liegenden Vergleiche sind allerdings aus statistischen Gründen problematisch, da die Zahl der Anti-TNF-exponierten Kinder und Jugendlichen in den USA nicht bekannt ist. Weiterhin ist zu bedenken, dass sich die FDA-Warnmeldung auf verschiedene TNF-α-Blocker und verschiedene Grunderkrankungen bezieht und somit keine spezifischen Aussagen zum einzelnen Medikament und/oder der Grunderkrankung möglich sind. Ein Vergleich mit den Daten zur Inzidenz von Malignomen für Deutschland ist nicht zulässig, da 2 der 3 erkrankten Jugendlichen älter als 15 Jahre sind und sich somit außerhalb des erhobenen Altersspektrums befinden. Dies ist insbesondere aufgrund der bekannten Altersabhängigkeit der Tumoren im Kindes- und Jugendalter zu berücksichtigen. Die bei einem Patienten sehr kurze Expositionszeit von 3 Wochen macht einen kausalen Zusammenhang unwahrscheinlich. Die meisten Patienten wurden wegen einer hohen Entzündungsaktivität verschiedenen Medikamente exponiert, sodass der potenziell kanzerogene Effekt einzelner Substanzen und insbesondere der TNF-α-Blocker zum jetzigen Zeitpunkt nicht abzuschätzen ist. Nicht zuletzt ist auch an die Möglichkeit zu denken, dass bereits zum Zeitpunkt der Diagnose „JIA“ ein Malignom bestand. Dieser Thematik der Malignom-maskierenden Arthritis widmen sich verschiedene Arbeiten [7, 9, 13, 22].

Derzeit kann kein Zusammenhang zwischen vereinzelt aufgetretenen Malignomfällen und der Behandlung mit TNF-α-Blockern hergestellt werden

Als Fazit ist festzustellen, dass aufgrund der nicht bekannten Inzidenz maligner Erkrankungen im Zusammenhang mit der Grunderkrankung und der inflammatorischen Aktivität sowie einer Vielzahl möglicher Einflussfaktoren und dem spärlichen Vorhandensein von Langzeitdaten zum jetzigen Zeitpunkt kein monokausaler Zusammenhang zwischen vereinzelt aufgetretenen Malignomfällen im Kindes- und Jugendalter und einer Behandlung mit Etanercept und anderen TNF-α-Blockern herzustellen ist. Selbstverständlich kann ein permissiv-additiver Effekt auch nicht ausgeschlossen werden. Die Daten von erwachsenen Patienten können nicht herangezogen werden, da sowohl Spektrum und Frequenz von Malignomen als auch die Biologie der beiden Grunderkrankungen, rheumatoide Arthritis und JIA, unterschiedlich sind. Für eine realistische Beurteilung von Etanercept und möglichen Malignomen ist es in der Zukunft wichtig, dass die Patienten wachsam und langfristig betreut werden, sowohl durch Kinder- und Jugendrheumatologen als auch im Verlauf durch internistische Rheumatologen. Nebenwirkungen oder assoziierte Erkrankungen sollen an das Etanercept-Register gemeldet werden. Zur Erfassung von langfristigen Verläufen wurde erst unlängst das JUMBO- („Juvenile Arthritis Methotrexat/Biologics long-term Outcome“-) Melderegister am Deutschen Rheumaforschungszentrum Berlin ins Leben gerufen.

Fazit für die Praxis

Bis weitere aufschlussreichere Daten vorliegen, ist es notwendig, die Therapieindikation mit TNF-α-Blockern mit Sorgfalt zu stellen. Der Hinweis auf diese möglicherweise zufällige Assoziation sollte in die Elternaufklärung integriert werden. Gleichwohl ist es aber auch ärztliche Pflicht, die Eltern und Patienten beim jetzigen Kenntnisstand keinen unnötigen Sorgen und Ängsten auszusetzen oder das Spektrum notwendiger und effektiver Behandlungsoptionen einzuschränken.

Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie wird in regelmäßigen Abständen eine kritische Neubewertung vornehmen.