Zusammenfassung
Die Internationale Klassifikation für Funktion, Behinderung und Gesundheit (ICF) wurde von der World Health Organization (WHO) entwickelt, um Gesundheit und Behinderung detailliert zu beschreiben und damit besser erfassen zu können. Die ICF umfasst die Erkrankung, Struktur, Funktion, Aktivität und Partizipation ebenso wie die Kontextfaktoren von Person und Umgebung. Hierdurch wird eine integrierte Erfassung der biologischen, individuellen und sozialen Aspekte von Gesundheit erreicht. Die ICF ist die essenziell erforderliche Ergänzung zur Internationalen Klassifikation von Diagnosen (ICD) und Prozeduren (OPS).
Die ICF besteht aus 2 Teilen, die in Beziehung zueinander stehen. Im 1. Teil, der Funktionsfähigkeit und Behinderung beschreibt, gibt es 2 Komponenten: die Komponente des Körpers (Körperfunktionen und Körperstrukturen) und die Komponente der Aktivität und Partizipation. Der 2. Teil der ICF beschreibt die Komponente der Kontextfaktoren (Umwelt und Persönlichkeit). Körperfunktionen sind die somatischen und psychischen Funktionen des Organismus. Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers. Aktivität bezeichnet die Durchführung einer Aufgabe oder einer Handlung, Partizipation ist die Teilhabe, das Einbezogensein des Menschen in seine Umwelt und in die Gesellschaft.
Die ICF-Kategorien erleichtern die Klassifikation aller Aspekte von Funktion und Gesundheit in Individuen – unabhängig von Erkrankungen oder spezifischen Messinstrumenten. Da die ICF aber insgesamt über 1400 Kategorien hat, ist sie für den klinischen Alltag so nicht praktikabel. Ein Lösungsansatz ist, diejenigen Teilbereiche des ICF zu identifizieren, die für eine spezifische Patientengruppe, einen Krankheitszustand, die Aktivität einer Erkrankung oder für gewisse Situationen besonders relevant sind. Diese Teilbereiche sind die so genannten „ICF-Core-Sets“.
In dieser Arbeit wird neben einer Übersicht zur ICF und einer Auflistung der bisherigen Arbeiten auf diesem Gebiet hinsichtlich muskuloskeletaler und vor allem aber entzündlicher Gelenkerkrankungen gezeigt, wie ein ICF-Core-Set für Patienten mit akuten Arthritiden durch eine multizentrische Kooperation erfolgreich entwickelt werden konnte.
Abstract
The international classification of functioning, disability and health (ICF) has been developed by the World Health Organization (WHO) to describe health and handicaps in more detail in order to allow better classification and registration. The ICF comprises the disease, structure, functioning, activity and participation as well as corresponding factors related to the individual and the environment. By this means an integrated concept and assessment of biologic, individual and social aspects of health is attained. The ICF represents an essential addition to the international classification of diagnoses (ICD) and procedures (OPS).
The ICF consists of two interelated parts. The first part that describes functioning and disability contains two components: one related to the body (functioning and structure) and one related to activity and participation. The second part describes the context factors (related to the environment and the individual). Body functions are the physical and mental functions of the organism. Body structures are the anatomically defined parts of the body. Activity describes how a task is solved or how an action can be performed and participation is the way in which an individual is involved in the environment and society.
The ICF categories make the classification of all aspects of functioning and health in individuals easier and independent of diseases or specific assessment instruments. However, since there are more than 1,400 categories, the ICF cannot be used in daily practice in this form. Therefore, attempts are made to identify those parts of the ICF that are relevant for specific patients, situations and disease states or activities. These are the so-called ICF core sets.
This article attempts to give an overview on the ICF, to provide an insight into recent work on the ICF related to musculoskeletal and rheumatic diseases and, finally, to describe how an ICF core set for patients with acute arthritis was made possible by means of a successful multicenter cooperative effort.
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Die Internationale Klassifikation für Funktion, Behinderung und Gesundheit (ICF; [18]) gehört zur Familie von internationalen Klassifikationen. Sie wurde von der World Health Organization (WHO) entwickelt, um Gesundheit und Behinderung zu beschreiben und damit erfassen zu können.
In der Vielzahl von Modellen, die Funktionsfähigkeit und Behinderung zu erklären versuchen, lassen sich 2 Hauptansätze erkennen. Das medizinische Modell sieht Behinderung als Eigenschaft einer Person, die direkt durch Krankheit oder Trauma verursacht wurde.
Das biopsychosoziale Modell der ICF
Das soziale Modell sieht Behinderung als Problem der mangelhaften Integration der Person in der Gesellschaft, was durch Einflussnahme auf Umgebungsfaktoren modifiziert werden kann. Beide Modelle sind letztlich unvollständig und wurden erst durch das biopsychosoziale Modell der ICF vereint. Damit wird der Gesundheitszustand umfassend dargestellt. Die ICF umfasst die Erkrankung, Struktur, Funktion, Aktivität und Partizipation ebenso wie die Kontextfaktoren von Person und Umgebung. Hierdurch wird eine integrierte Erfassung der biologischen, individuellen und sozialen Aspekte von Gesundheit erreicht. Die ICF hat sich dabei von einer Klassifikation der Fähigkeitsstörungen als der Konsequenz von Krankheit zu einer Klassifikation der Komponenten von Gesundheit entwickelt.
Die ICF ist die essenziell erforderliche Ergänzung zur Internationalen Klassifikation von Diagnosen (ICD) und Prozeduren (OPS). Während ICD-10 die internationale Klassifikation für Diagnosen und Symptome ist, die u. a. Informationen über Todesursachen liefert, stellt die ICF Informationen über Gesundheit und damit verbundene Probleme bereit.
Einerseits beinhaltet die ICF ein Modell zum Verständnis von Behinderung und Gesundheit, andererseits ist sie eine Klassifikation, die als Dokumentations- und Erhebungsinstrument eingesetzt werden kann. Die WHO hat dafür mehrere Ziele formuliert. Zum einen soll die ICF ein wissenschaftlich fundiertes Modell für Gesundheit liefern, zum anderen als interdisziplinäre Sprache zur Beschreibung von Gesundheit und Behinderung, als epidemiologisches Instrument der Gesundheitsberichterstattung und als Kodiersystem in der Gesundheitsversorgung dienen. Hierbei werden Individuum, Institution, Gesellschaft, Politik, Ökonomie, Forschung und Umgebung als potenziell relevante Ebenen berücksichtigt.
Die ICF besteht aus 2 Teilen, die in Beziehung zueinander stehen. Im 1. Teil, der Funktionsfähigkeit und Behinderung beschreibt, gibt es 2 Komponenten, die Komponente des Körpers (Körperfunktionen und Körperstrukturen) und die Komponente der Aktivität und Partizipation. Der 2. Teil der ICF beschreibt die Komponente der Kontextfaktoren (Umwelt und Persönlichkeit). Körperfunktionen sind die somatischen und psychischen Funktionen des Organismus. Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers. Bei intakten Körperfunktionen und -strukturen spricht man von funktionaler bzw. struktureller Integrität. Schädigungen sind medizinisch definierte Abweichungen, die an sich noch nicht Krankheit bedeuten. Gelenkmobilität und Muskelkraft sind typische Körperfunktionen, die bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen beeinträchtigt sind, Gelenke und Haut sind typische geschädigte Körperstrukturen. Aktivität bezeichnet die Durchführung einer Aufgabe oder einer Handlung, Partizipation ist die Teilhabe, das Einbezogensein des Menschen in seine Umwelt und in die Gesellschaft. Einschränkungen von Aktivität oder Partizipation werden als Beeinträchtigung bezeichnet. Bei Aktivität und Partizipation kann unterschieden werden, ob eine Person die Fähigkeit unabhängig von anderen Faktoren an sich besitzt („performance“), oder ob die Fähigkeit in Zusammenhang mit anderen Faktoren, z. B. Hilfsmitteln, besteht („capacity“). Feinmotorischer Handgebrauch und Heben und Tragen sind typische Aktivitätskategorien, die bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen beeinträchtigt sind, Berufstätigkeit oder Familienbeziehungen sind im Bereich der Partizipation beeinträchtigt.
Da der Begriff der Teilhabe auch immer die Umwelt beinhaltet, wurden in der ICF weitere Komponenten, die der Kontextfaktoren, eingeführt. Dazu gehören z. B. die unmittelbare persönliche Umgebung, gesellschaftliche Bedingungen, Normen, Anschauungen und Versorgungsstrukturen. Die ICF ist hierarchisch gegliedert. Die kleinste Einheit ist die so genannte Kategorie. Dabei wird jede Kategorie durch einen alphanumerischen Code bezeichnet.
Funktionsfähigkeit, wie sie die ICF sieht, ist ein völlig neutrales Konstrukt, unabhängig von Krankheit oder Behinderung.
Schädigung der Körperfunktion ist nicht zwangsläufig mit Aktivitätseinschränkung assoziiert, Beeinträchtigung der Aktivität nicht zwangsläufig mit fehlender Partizipation. Funktionsfähigkeit ist damit nur im Zusammenhang mit Kontextfaktoren komplett. In diesem Konzept ist Behinderung etwas, was jeder in mehr oder minder starkem Ausmaß erfahren kann – eine normale menschliche Erfahrung.
Grundsätzlich werden Funktion und Behinderung dabei als „outcome“ von Interaktionen zwischen Gesundheitszustand (Krankheit, Störung, Trauma) und Kontextfaktoren betrachtet. Umgebungsfaktoren (Gesellschaft, Klima usw.) werden von persönlichen Faktoren (Alter, Geschlecht, Ausbildung, Beruf usw.) unterschieden, die beschreiben, wie Behinderung persönlich erfahren wird. Dabei ist festzuhalten, dass die ICF Funktionsfähigkeit und Umweltfaktoren kodiert, nicht aber persönliche Faktoren.
Die Liste der ICF-Kategorien wird zur Klassifikation, wenn Beurteilungsmerkmale („qualifier“) benutzt werden, die das Vorhandensein und das Ausmaß eines Funktionsproblems auf der Körper-, Person- und Gesellschaftsebene erfasst, hierbei werden Fünf-Punkte-Skalen verwendet.
Die ICF ist für eine Vielzahl von klinischen Situationen und Erkrankungen einsetzbar
Diese beschriebenen Eigenschaften machen die ICF für eine Vielzahl von verschiedenen Zwecken, klinischen Situationen und Erkrankungen einsetzbar. Es stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die ICF in der Akutversorgung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen haben könnte. Ziel dieser Publikation ist es, den derzeitigen Stand der Arbeiten zur ICF in der Rheumatologie und ihre potenzielle Bedeutung darzustellen.
Anwendung der ICF-Klassifikation in der Rheumatologie
Die ICF-Kategorien erleichtern die Beschreibung und Klassifikation aller Aspekte von Funktion und Gesundheit in Individuen, unabhängig von Erkrankungen oder spezifischen Messinstrumenten [14]. Da die ICF aber insgesamt über 1400 Kategorien hat, ist sie im Urzustand unhandlich und kaum für den klinischen Alltag zu gebrauchen. Ein Lösungsansatz ist, diejenigen Teilbereiche des ICF zu identifizieren, welche für eine spezifische Patientengruppe, einen Krankheitszustand, die Aktivität einer Erkrankung oder für gewisse Situationen relevant sind. Diese Teilbereiche sind die so genannten „ICF-Core-Sets“. ICF-Core-Sets wurden bereits für Patienten mit akuten [5, 11] und chronischen Krankheitsbildern [2] sowie von verschiedenen Krankheitsgruppen [1, 3, 10] nicht allumfassend, aber ausreichend und spezifisch beschrieben. Auch für eine der wichtigsten und häufigsten rheumatischen Erkrankungen, die rheumatoide Arthritis (RA), oder im breiteren Ansatz für entzündliche Gelenkerkrankungen, wurden bislang 3 relevante ICF-Core-Sets publiziert: für Patienten mit chronischer RA [15], für Patienten mit muskuloskeletalen Krankheitszuständen in der Akutversorgung [13] und in Einrichtungen der Frührehabilitation [11].
Die ICF-Core-Sets für muskuloskeletale Krankheitszustände decken ein breites Spektrum von Gesundheitsproblemen ab, die für verschiedene Erkrankungen in diesem Gebiet relevant sind. Davon sollen nicht zuletzt auch die in der Versorgung bzw. im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen profitieren, die sich nicht in Rheumatologie oder Rehabilitation spezialisiert haben [16].
Da die ICF-Core-Sets für muskuloskeletale Krankheitszustände vor allem für Akutkrankenhäuser ohne rheumatologische Spezialisierung entwickelt wurden und die in Einrichtungen der Frührehabilitation entwickelten ICF-Core-Sets nur wenige Patienten mit RA berücksichtigen konnten, war es naheliegend, auch ICF-Core-Sets für hochspezialisierte rheumatologische Einrichtungen der Akutversorgung zu entwickeln.
Da es in der Literatur bisher kaum publizierte Evidenz zu der Frage gab, welche Einschränkungen der Funktionsfähigkeit für hospitalisierte Patienten mit Gelenkentzündung besonders relevant sind, war es darüber hinaus wichtig, empirische Untersuchungen anzustellen, um die bedeutsamen Gesundheitsprobleme dieser Patienten besser verstehen zu können und damit die Grundlage für die Entwicklung der ICF-Core-Sets zu schaffen.
Aktuelle Studien zur ICF-Klassifikation in der Rheumatologie
Im Rahmen einer Kooperation des Rheumazentrums Ruhrgebiet mit dem Verband Rheumatologischer Akutkliniken e. V. und dem „ICF Research Branch“ des „WHO Collaborating Centres“ für die Familie der Internationalen Klassifikationen am Institut für Gesundheits- und Rehabilitationswissenschaften der Universität München wurden einige Studien zur Bedeutung des ICF für die Akutrheumatologie durchgeführt. Dies wurde vor allem durch den essenziellen Beitrag von Frau Dr. Jane Zochling, einer australischen Rheumatologin und Epidemiologin, die sich im Rahmen eines Forschungsaufenthalts 2 Jahre im Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne aufhielt, ermöglicht.
In der ersten Studie, für die ein Querschnittsstudiendesign gewählt wurde, ging es deshalb darum, die wichtigsten Gesundheitsprobleme von Patienten mit akuter Arthritis zu identifizieren und so Funktionsfähigkeit auf der Basis der ICF aus Patientenperspektive zu beurteilen [19]. In einem bestimmten Zeitraum wurden alle Patienten mit akuter Arthritis in 2 oder mehr Gelenken in die Studie eingeschlossen, die in einem rheumatologischen Akutkrankenhaus, hier dem Rheumazentrum Ruhrgebiet, aufgenommen wurden.
Die ICF verwendet einen alphanumerischen Code für die Bezeichnung der Einzelkategorien
Die Buchstaben b, s, d und e bezeichnen die Komponenten Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten/Partizipation und Umweltfaktoren. Danach folgt eine Zahl, deren 1. Stelle das Kapitel (z. B. b1 mentale Funktionen), deren weitere 2 Stellen die so genannte 2. Ebene (z. B. b280 Schmerz) und deren 4. und 5. Stelle die 4. und 5. Ebene bezeichnen. Die Kategorien der 2. Ebene der ICF wurden benutzt, um Informationen über die Gesundheitsprobleme der Patienten zu erlangen, da dies die erste kodierbare Ebene der ICF ist. Zur Quantifizierung wurden die relativen Häufigkeiten der Behinderungen und Limitationen der untersuchten Population für die ICF-Komponenten Körperfunktion, Körperstrukturen, Aktivität und Partizipation berechnet. Für die Komponente Umweltfaktoren wurden absolute und relative Häufigkeiten der wahrgenommenen Barrieren angegeben. Insgesamt wurden 130 akutstationäre Patienten, die wegen einer akuten Arthritis aufgenommen worden waren, in die Studie eingeschlossen. Das mittlere Alter der vorwiegend weiblichen Patienten (75%) betrug 59,9 Jahre (Median 63,0 Jahre), die meisten hatten eine RA (57%) bzw. eine andere Form von Polyarthritis (22%) wie Psoriasisarthritis.
Für 54 ICF-Kategorien der 2. Ebene wurde eine Prävalenz von 30% oder mehr festgestellt, 3 Kategorien (8%) waren der Komponente Körperstrukturen zugehörig und 10 (13%) zur Komponente Körperfunktionen. Die am häufigsten identifizierten Kategorien gehörten zu den Komponenten Aktivität und Partizipation (19; 23%) und Umweltfaktoren (22; 56%).
Patienten mit Arthritis können gut durch ICF-Kategorien und Komponenten beschrieben werden
Das wesentliche Ergebnis der Studie war also, dass Patienten mit Arthritis gut durch die ICF-Kategorien und Komponenten beschrieben werden können. Damit stellt die Studie den ersten Schritt in die Richtung der Entwicklung eines ICF-Core-Sets for Patienten mit akuter Arthritis dar [19].
Der nächste Schritt waren systematische Interviews und Gespräche innerhalb so genannter Fokusgruppen [21]. Hierbei wurde mit Rheumatologen, Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psychologen und Sozialarbeitern von 3 deutschen spezialisierten rheumatologischen Akutkrankenhäusern gearbeitet. Diese wurden mit den ICF-Kategorien konfrontiert und gebeten, die Kategorien zu identifizieren, die für die Versorgung von Patienten mit akuter Arthritis relevant sind. Insgesamt nahmen 26 professionelle Gesundheitsarbeiter an den 3 Fokusgruppen teil. Von allen ICF-Kategorien der 2. Ebene wurden 167 (63%) als relevant erachtet. Dabei waren Items aller 4 Komponenten Körperfunktion, Körperstrukturen, Aktivität und Partizipation repräsentiert. Die Übereinstimmung zwischen den Fokusgruppen und den verschiedenen Professionen war insgesamt gut – bis auf die Umweltfaktoren [21].
Ein weiterer Schritt bestand in einem systematischen Literaturüberblick [20], in dem es darum ging, gängige Outcome-Messinstrumente und -Konzepte aufzufinden, die in publizierten Studien zur Therapie von akuter Arthritis verwendet wurden und diese auf die ICF zu beziehen und damit die Entwicklung der Core-Sets weiter voranzutreiben. Hierfür wurden elektronische Suchanfragen bei Medline, Embase, „Cumulative Index to Nursing and Allied Health Literature“, Pedro und der Cochrane Library von Januar 2000 bis Juli 2004 durchgeführt. Nach der ersten Datensichtung wurden die Items der identifizierten Fragebögen und der zugrunde liegenden Konzepte spezifiziert und mit den ICF-Kategorien verbunden, wobei standardisierte Regeln angewendet wurden. Von den insgesamt 401 Abstracts erfüllten 104 Studien die vorformulierten Einschlusskriterien. Hierbei ging es bei 38 Studien um formale Assessment-Instrumente, bei 62 um klinische Einzelmessungen, bei 66 um technische Messungen bei 14 um klinische Kriterien. Von den insgesamt 966 Konzepten waren 84,7% direkt auf ICF-Kategorien zu beziehen. Konzepte mit Instrumenten, die in mehr als 5% der Studien auftauchten, wurden durch 34 ICF-Kategorien der 2. Ebene repräsentiert. Davon gehörten 10 (30%) zur Komponente „Körperfunktionen“, 3 (9%) zu „Körperstrukturen“ und 21 (61%) zur Komponente „Aktivität und Partizipation“.
Damit ist belegt, dass die ICF eine wertvolle Referenz darstellt, um Konzepte für Outcome-Messungen für das Management von Patienten mit akuter Arthritis zu identifizieren und zu quantifizieren. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass es eine gute internationale Übereinstimmung bezüglich der Frage gibt, was bei Patienten mit Arthritis gemessen werden sollte, um Vergleiche zwischen Patientenpopulationen anstellen zu können [20].
In einem vorläufig letzten Schritt zur Entwicklung des ICF-Core-Sets für akute Arthritis [6] wurde im Rahmen einer Konsensuskonferenz, die unter Beteiligung mehrerer Kliniken des Verbandes Rheumatologischer Akutkliniken im Oktober 2005 in Kloster Seon stattfand, zunächst alle verfügbare Evidenz gesichtet und diskutiert. Hierbei wählten insgesamt 33 Experten 79 Kategorien der 2. ICF-Ebene für das umfassende und 40 Kategorien für die Kurzfassung des Core-Sets aus. Die meisten Kategorien (n=28) betrafen die ICF-Komponente Aktivität und Partizipation (35%), während 18 Körperfunktionen (23%), 13 Körperstrukturen (16%) und 20 die Komponente Umweltfaktoren (25%) betrafen (Tab. 1, Tab. 2, Tab. 3, Tab. 4).
Damit wurde der Rahmen für die Entwicklung des ICF-Core-Sets für das Assessment von Patienten mit akuter Arthritis in der rheumatologischen Akutversorgung und in post-akuten Frührehabilitationseinrichtungen geschaffen [6]. Diese zunächst vorläufige Version muss in der täglichen Praxis intensiv getestet und im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus international weiter entwickelt werden.
Im Rahmen eines anderen Projektes in Kooperation mit der Universität Maastricht [17] wurden die häufigsten Gesundheitsprobleme von Patienten mit Spondylitis ankylosans (AS) in Bezug auf die ICF-Kategorien Körperfunktion, Körperstrukturen, Aktivität und Partizipation sowie Umweltfaktoren aus der Patientenperspektive untersucht. Hierfür wurden strukturierte Interviews von AS-Patienten mit der ausführlichen ICF-Checkliste durch trainierte Personen durchgeführt. Die ICF-Checkliste ist eine Auswahl von Kategorien der ICF, die von der WHO für das Assessment empfohlen wurde. Es wurden die Daten von 111 Patienten mit AS gesammtelt. Diejenigen ICF-Kategorien wurden ausgewählt, die mehr als 5% der Patienten als mindestens etwas beeinträchtigt angegeben hatten. Später könnten auf ähnlicher Basis ggf. noch weitere hinzukommen. Insgesamt wurden 119 (72%) der 165 Kategorien der ausführlichen ICF-Checkliste als zumindest leicht beeinträchtigt ausgewählt. Für jede der 4 ICF-Komponenten wurde von mindestens der Hälfte der Patienten bei 1/3 der Kategorien eine Beeinträchtigung angegeben. Hierbei bezogen sich 39 Kategorien (33%) auf Bewegung und Mobilität. In der Komponente „Umweltfaktoren“ waren die Kategorien „Unterstützung durch die Familie“ und „Arbeiter im Gesundheitswesen“ die wichtigsten Förderfaktoren, während „Klima“ die größte Barriere darstellte. Darüber hinaus wurden noch 8 weitere Barrieren als relevant erachtet.
Zusammengefasst repräsentieren 127 ICF-Kategorien die ausführliche Klassifikation von Funktion aus der Patientenperspektive. Dadurch wurde wiederum klar, wie wichtig es ist, alle 4 ICF-Komponenten bei der Klassifikation von Funktion zu berücksichtigen, da Körperfunktion und Körperstruktur allein den Gesundheitszustand der Person nur unvollständig abbildet [17].
In einer weiteren Studie wurde die Anwendbarkeit des in Deutschland für Funktionsmessungen gebräuchlichen und z. T. für finanzielle Entscheidungen der Krankenkassen verwendeten Barthel-Indexes (BI; [8]) für Patienten in einem rheumatologischen Akutkrankenhaus mit RA geprüft [22] und dabei mit Standardinstrumenten wie dem „Stanford Health Assessment Questionnaire“ (HAQ; [4]) und dem Funktionsfragebogen Hannover (FFbH; [7]) verglichen. In dieser Querschnittsstudie wurden 97 akut erkrankte stationär behandelte RA-Patienten gebeten, die entsprechenden Fragebögen für BI, HAQ und FFbH auszufüllen, parallel wurde die Krankheitsaktivität mit dem heute gebräuchlichen Index DAS 28 [9] bewertet.
Das mittlere Alter der untersuchten Population betrug 61,5±12,5, 78% der Patienten waren weiblich und 72,2% Rheumafaktor-positiv. Der Mittelwert des HAQ war 1,29 (Bereich 0–3), des FFbH 36 (18–52) und des BI 95 (0–100), wobei die Verteilung nicht gleichförmig war. Alle Messwerte, die sich auf Körperfunktion beziehen, korrelierten signifikant miteinander und auch mit dem DAS. Nur der BI korrelierte kaum mit dem DAS und vermochte nicht, zwischen hoher und niedriger Krankheitsaktivität zu unterscheiden. Damit bestand das wesentliche Ergebnis dieser Studie darin, dass der BI kein geeignetes Instrument ist, um Patienten mit akuter RA hinsichtlich ihrer Funktionsstörung zu beschreiben [22].
Fazit für die Praxis
Der hier gegebene Überblick fasst die aktuelle Datenlage zur ICF für die Akutrheumatologie zusammen. Ziel der ICF-Core-Set-Entwicklung ist es, Standards für die Beschreibung der Funktionsfähigkeit von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen bereitzustellen. Die Implementierung der ICF wird es ermöglichen, die Interaktionen aller Komponenten der Funktionsfähigkeit untereinander und mit der Umwelt noch angemessener zu berücksichtigen. Adressaten der ICF sind Ärzte und andere Angehörige der Gesundheitsberufe sowohl in der Akutklinik als auch in der Rehabilitation und im ambulanten Bereich, denen die ICF ein strukturiertes und interdisziplinäres Vorgehen erleichtert.
Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass bestehende Messinstrumente nur Teilaspekte der Funktionsfähigkeit abbilden. Da die ICF-Core-Sets für die Akutrheumatologie definieren, welche Aspekte der Funktionsfähigkeit relevant sind, können die Kategorien der ICF-Core-Sets dazu verwendet werden, gezielt Instrumente auszusuchen, oder, wenn diese unzureichend sind, neue Instrumente zu entwickeln. Durch die Kooperation des Rheumazentrums Ruhrgebiet mit dem VRA und dem „ICF Research Branch“ wurden wichtige Schritte zur Entwicklung eines ICF-Core-Sets für Patienten mit akuter Arthritis getan. Damit wurde deutlich, dass die ICF für die Beschreibung des Gesundheitszustandes von Patienten mit dem häufigsten rheumatologischen Krankheitsbild geeignet ist. Es wird zu zeigen sein, ob die ICF dazu beitragen kann, die Versorgung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen zu verbessern und damit Behinderung wirksam aufzuhalten [12].
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Braun, J., Zochling, J., Grill, E. et al. Die Internationale Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit und ihre Bedeutung für die Rheumatologie. Z. Rheumatol. 66, 603–610 (2007). https://doi.org/10.1007/s00393-007-0188-y
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00393-007-0188-y
Schlüsselwörter
- Biopsychosoziales Modell
- Gesundheitskomponenten
- Körperfunktionen
- Körperstrukturen
- Kontextfaktoren
- Akute Arthritis