Ältere Menschen sind erst in den letzten Jahren in den Fokus sozialepidemiologischer Forschung gerückt, doch mittlerweile wurden gesundheitliche Ungleichheiten auch im Alter vielfach nachgewiesen: Je niedriger der soziale Status (zumeist gemessen an Bildung, Einkommen oder beruflicher Position), desto schwerwiegender ist die gesundheitliche Benachteiligung. Dieser soziale Gradient der Gesundheit zeigt sich in der Lebenserwartung, bei einer Reihe von Erkrankungen (z. B. Diabetes, Herzerkrankungen, Depressionen) bis hin zur subjektiven Gesundheitseinschätzung und bei funktionalen Einschränkungen [21].

Im Hinblick auf weiterführende Fragen ist die Forschungslage jedoch weniger eindeutig: Sind gesundheitliche Ungleichheiten das Resultat gesundheitlicher Selektionsprozesse oder werden sie durch ungleiche Lebensverhältnisse in Abhängigkeit vom Sozialstatus bedingt? Verändert sich das Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheiten im Lebenslauf? Welche Faktoren vermitteln den Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Gesundheit? Und welchen Einfluss haben sozialpolitische Maßnahmen auf das Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheiten? Dieser Beitrag gibt einen Überblick über theoretische Konzepte und aktuelle Studien zu diesen Fragestellungen und beleuchtet dabei besondere methodische Herausforderungen, die sich für die quantitativ-epidemiologische Alter(n)sforschung ergeben. Darauf aufbauend werden Perspektiven für zukünftige empirische Untersuchungen skizziert.

Ungleichheit des Alters und Ungleichheit im Alter

Während „Altern“ den Prozess des Altwerdens bezeichnet, meint „das Alter“ einen Lebensabschnitt, der das Resultat des Altwerdens darstellt. Allgemeingültige Kriterien zur Abgrenzung von früheren Lebensabschnitten gibt es nicht, allerdings ist eine eher pragmatische Definition anhand einer Altersschwelle von 60 oder 65 Jahren üblich. Da Alternsprozesse jedoch sowohl interindividuell als auch intraindividuell (z. B. im Vergleich der kognitiven und körperlichen Leistungsfähigkeit) sehr variabel sein können (Ungleichheit des Alters), sind chronologische Altersgrenzen nur bedingt aussagekräftig [39].

Abgesehen davon zeigen sich jedoch systematische Ungleichheiten im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung verschiedener Bevölkerungsgruppen. Diese Ungleichheit im Alter wird als Resultat einer Kumulation von Benachteiligung über den Lebenslauf hinweg angesehen. Zuletzt wurden daher Einflüsse aus früheren Lebensphasen ebenso wie Pfadabhängigkeiten verstärkt untersucht [11]. „Bei der Untersuchung von Gesundheit kann das Alter als ‚Lupe‘ verstanden werden, da sich bestimmte Prozesse über den Lebenslauf verstärken oder erst gegen Ende des Lebens zeigen“ [6]. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Gesundheitsentwicklung im Lebenslauf nicht nur in Abhängigkeit vom individuellen Sozialstatus erfolgt, sondern durch weitere Aspekte wie den wohlfahrtsstaatlichen Rahmen und die wirtschaftliche Lage eines Landes beeinflusst wird [6].

Gesundheitliche Selektion oder soziale Verursachung?

Zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten werden im Wesentlichen zwei Mechanismen diskutiert. Einerseits ist denkbar, dass gesundheitlich beeinträchtigte Menschen seltener eine gehobene berufliche Stellung erreichen und in der Folge ein niedrigeres Einkommen erzielen (gesundheitliche Selektion). Andererseits stellt ein niedriger Sozialstatus aufgrund der damit assoziierten Lebensverhältnisse eine Gesundheitsgefährdung dar (soziale Verursachung) [25]. Gesundheitliche Selektionsprozesse werden oft als weniger relevant eingeschätzt, doch ein aktueller Literaturüberblick [19] belegt die Inkonsistenz empirischer Ergebnisse. Von Bedeutung ist hierbei die Operationalisierung des Sozialstatus. Während bei erwerbsarbeitsbezogenen Indikatoren wie der Erwerbsbeteiligung oder Einkommenshöhe beide Mechanismen gleichermaßen wirken, überwiegt in bildungsbezogenen Analysen der Stellenwert sozialer Verursachungsprozesse. Zudem unterscheidet sich die Relevanz je nach Lebensphase, und gesundheitliche Selektionsprozesse verlieren im Alter an Bedeutung [14].

Es gilt jedoch zu bedenken, dass die genannten Indikatoren die sozioökonomische Situation alter Menschen möglicherweise unzureichend erfassen. So zeigt eine Längsschnittstudie [30], dass Deprivationsarmut (gemessen daran, ob ein gesellschaftlich allgemein akzeptierter Lebensstandard erreicht werden kann) stärker mit der Gesundheit zusammenhängt als Einkommensarmut. Die Effektstärken nähern sich erst mit zunehmender Häufigkeit von Einkommensarmut an. Dies legt nahe, dass multidimensionale Indikatoren wie Deprivationsarmut die gesundheitlichen Auswirkungen von Armut adäquater erfassen als die „klassischen“ Statusindikatoren. Da Deprivationsarmut erst nach einer länger andauernden Zeit der Einkommensverknappung einsetzt, spricht sie insbesondere bei alten Menschen für eine Kumulation von Benachteiligungen über den Lebenslauf [1].

Veränderungen im Lebenslauf?

Im Hinblick auf altersassoziierte Veränderungen stellt sich weiterführend die Frage, ob sich der Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Gesundheit mit zunehmendem Alter verändert. Der Kontinuitätsthese zufolge haben die im Lebenslauf erreichten sozioökonomischen Ressourcen einen zeitstabilen Einfluss, sodass gesundheitliche Ungleichheiten im Alter in gleichem Ausmaß wie in früheren Lebensphasen bestehen [34]. Die Age-as-leveller-These (auch als Destrukturierungshypothese bezeichnet) postuliert dagegen eine Abschwächung aufgrund von biologischen Alterungsprozessen, die den Einfluss sozialer Faktoren weitgehend überlagern [13]. Weitere Argumente sind der Wegfall belastender Arbeitsbedingungen, der nivellierende Einfluss staatlicher Alterssicherungssysteme sowie die vorzeitige Sterblichkeit von Menschen mit einem niedrigen Sozialstatus [15, 24]. Die Kumulationsthese nimmt wiederum an, dass sich Belastungen in sozial benachteiligten Gruppen über den Lebenslauf anhäufen und es so zu einer Verstärkung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter kommt [32].

Für jede Hypothese finden sich empirische Belege (Überblicke in: [2, 21, 38]), wofür mehrere Ursachen in Betracht kommen. So basieren viele Studien auf Querschnittsanalysen, was in Bezug auf altersassoziierte Veränderungen nur eine sehr eingeschränkte Interpretation erlaubt, insbesondere in Anbetracht zunehmend selektiver Stichproben in den höheren Altersgruppen, wie unten näher erläutert wird. Verlässlichere Aussagen zu intraindividuellen Veränderungen erlauben Längsschnittanalysen. Doch erneut findet sich je nachdem eine Verstärkung, Abschwächung oder Stabilität gesundheitlicher Ungleichheiten [2, 23, 24, 38]. Einen Hinweis auf mögliche Gründe für die inkonsistenten Ergebnisse liefern Studien, die verschiedene Dimensionen von Gesundheit zugleich betrachten. So stellen z. B. Leopold und Engelhardt [23] mit steigendem Alter eine Verstärkung von bildungsbezogenen Unterschieden bei funktionalen Einschränkungen, Mobilitätseinschränkungen und der maximalen Handgreifkraft fest, während sich der soziale Gradient bei chronischen Erkrankungen und der subjektiven Gesundheitseinschätzung als stabil erweist. Davon ausgehend diskutieren die Autorinnen die Eignung von Gesundheitsindikatoren, die auf Selbsteinschätzungen beruhen. Es ist denkbar, dass sich in der subjektiven Gesundheitseinschätzung auch zeitinvariante Persönlichkeitseigenschaften (z. B. Optimismus, Neigung zu Hypochondrie) widerspiegeln, sodass sich im Zeitverlauf keine Veränderung des sozialen Gradienten zeigt. Die subjektive Gesundheitseinschätzung bietet dem Befragten zudem einen großen Interpretationsspielraum in Bezug auf den individuellen Vergleichsmaßstab und die Gewichtung verschiedener Aspekte von Gesundheit. Dies ist dann problematisch, wenn die Diskrepanz zwischen „latenter Gesundheit“ (dem an objektiven Merkmalen gemessenen Gesundheitszustand) und Antwortverhalten systematisch in Abhängigkeit vom Sozialstatus differiert [6]. Dass dies der Fall ist, belegt eine international vergleichende Studie [40]. Demnach fällt die subjektive Gesundheitseinschätzung von Menschen mit einem hohen Bildungsniveau bei gleicher latenter Gesundheit schlechter aus als in niedrigen Bildungsgruppen. Die Unterschiede im Antwortverhalten werden damit erklärt, dass Menschen mit einem höheren Sozialstatus über mehr Wissen über ihren eigenen Gesundheitszustand verfügen und aufgrund ihrer privilegierten Situation höhere Erwartungen an ihren Gesundheitszustand haben [6].

Erneut ist die Operationalisierung des Sozialstatus von Bedeutung: Gesundheitliche Ungleichheiten in Abhängigkeit von der beruflichen Stellung schwächen sich im Alter häufig ab – vermutlich aufgrund des Wegfalls beruflich belastender Arbeitsbedingungen bei Menschen mit einer niedrigen beruflichen Stellung. Wird der Sozialstatus anhand des Bildungsstands operationalisiert, werden solche Veränderungen häufig nicht beobachtet. Hier ist anzunehmen, dass damit einhergehende Ressourcen wie z. B. Wissen über gesundheitsförderliche Verhaltensweisen über den Lebenslauf hinweg mehr oder weniger gleichbleibend sind und damit einen zeitstabilen gesundheitlichen Effekt ausüben [34].

Auch der sozialstaatliche Kontext übt einen Einfluss aus. So nehmen gesundheitliche Ungleichheiten in den USA, einem Land mit liberalem Wohlfahrtsstaatmodell, im Alter stärker zu als in Schweden, das ein umfassendes System sozialer Sicherung aufweist [22].

Herausforderungen der epidemiologischen Altersforschung

Bei der quantitativ-empirischen Erforschung von Gesundheit im Alter besteht grundsätzlich die Gefahr von Ergebnisverzerrungen durch selektive Stichproben. Obwohl ältere Menschen als besser erreichbar und teilnahmebereiter gelten als jüngere, ist mit steigendem Alter eine sinkende Teilnahmewahrscheinlichkeit zu verzeichnen. Dieser „unit nonresponse“ zeigt sich sowohl im Fall des Erstkontakts als auch bei Wiederholungsbefragungen und ist besonders hoch bei Menschen mit niedrigem Sozialstatus und/oder gesundheitlichen Einschränkungen [6, 9]. Ein besonderes Phänomen ist in diesem Zusammenhang der „survivorship bias“, der sich aufgrund der Tatsache ergibt, dass für gesundheitlich eingeschränkte oder verstorbene Personen keine Befragungsdaten vorliegen. Die Stichprobe umfasst damit eine Positivselektion von Personen, die nichtbeobachtete Charakteristika wie z. B. eine vorteilhafte genetische Disposition gemein haben und daher gesünder erscheinen als die jeweilige Grundgesamtheit [6]. Problematisch ist Nonresponse v. a. dann, wenn das Fehlen von Beobachtungen mit der abhängigen Variable korreliert ist („missing not at random“). Dies ist in gesundheitsbezogenen Untersuchungen sehr wahrscheinlich, und es erfordert komplexe statistische Korrekturverfahren, um unverzerrte Ergebnisse zu erhalten [6, 12].

Ein Grund für die Selektivität von Stichproben ist darüber hinaus, dass Menschen, die nicht in Privathaushalten leben, zumeist (und auch in vielen explizit auf die ältere Bevölkerung ausgerichteten Befragungen) nicht in die Stichprobenziehung einbezogen werden. PflegeheimbewohnerInnen, bei denen von besonders ausgeprägten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auszugehen ist, werden damit kategorisch ausgeschlossen [18]. Auch die Teilnahmemöglichkeit wird durch die Konzeption der Befragung beeinflusst. Es gibt verschiedene Strategien, um gesundheitlich und kognitiv eingeschränkte Personen einzubeziehen, z. B. durch spezielle Befragungsmethoden [35]. Eine Möglichkeit ist zudem der Einsatz von Proxy-Interviews, bei denen eine nahestehende Person stellvertretend für die Zielperson Auskunft gibt. Kelfve [17] untersucht anhand einer Befragung der älteren Bevölkerung, bei der auch PflegeheimbewohnerInnen gezielt rekrutiert werden, den Einfluss verschiedener Befragungsstrategien auf das geschätzte Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheiten. Sie ermittelt Bildungsunterschiede im Hinblick auf funktionale Einschränkungen und die Mortalität und erweiterte die Stichprobe sukzessive um verschiedene Personengruppen. Dabei zeigt sich eine signifikante Unterschätzung gesundheitlicher Ungleichheiten, wenn PflegeheimbewohnerInnen und Proxy-Interviews nicht in die Analysen einbezogen werden.

Vermittelnde Faktoren auf Mikroebene

Im Hinblick auf die vermittelnden Einflüsse zwischen Sozialstatus und Gesundheit werden auf Mikroebene drei Gruppen unterschieden [26]. Dem materiellen Erklärungsansatz zufolge arbeiten Menschen mit einem niedrigen Sozialstatus häufiger unter gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen, verfügen über ein geringeres Einkommen, und sind vermehrt schädigenden Wohnbedingungen und Umwelteinflüssen ausgesetzt [26]. Auch die geringere Verfügbarkeit und Qualität medizinischer Versorgung werden in diesem Zusammenhang diskutiert [10]. Verhaltensbezogene Ansätze sehen dagegen primär das ungleiche Gesundheitsverhalten in Abhängigkeit vom Sozialstatus als ursächlich für gesundheitliche Ungleichheiten an, da eine Vielzahl chronischer Erkrankungen stark mit Risikofaktoren wie Tabak- und übermäßigem Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, einer unausgewogenen Ernährung und Übergewicht zusammenhängen. Verhaltensbezogene Ansätze weisen zudem auf soziale Unterschiede in der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen hin [20]. Psychosoziale Erklärungsansätze betonen den Einfluss von belastenden Lebensereignissen, die chronische Stressreaktionen auslösen und somit die Entstehung von Erkrankungen fördern [20]. Diese Ansätze sehen zudem die Verfügbarkeit von sozialer Unterstützung als bedeutsam an und messen dem Bewältigungsvermögen einer Person eine große Bedeutung bei [4].

Die drei Gruppen von Einflussfaktoren sind allerdings nicht isoliert voneinander zu betrachten. So wird z. B. in Bezug auf materielle Deprivation angenommen, dass sich diese auch auf „indirektem“ Wege auf die Gesundheit auswirkt, indem Tabak- oder Alkoholkonsum von der betroffenen Person als Mittel zur Stressreduktion eingesetzt wird [29]. Studien zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter, die verschiedene Gruppen von Risikofaktoren berücksichtigen, haben noch immer Seltenheitswert. Eine Untersuchung zur deutschen Bevölkerung im Alter von 60 bis 85 Jahren [33] zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Bildung und subjektiver Gesundheitseinschätzung v. a. durch materielle Faktoren vermittelt wird, einerseits aufgrund ihrer vergleichsweise großen direkten Erklärungskraft, aber auch durch indirekte Effekte über das Gesundheitsverhalten und psychosoziale Faktoren. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich im Hinblick auf objektive Gesundheitsindikatoren wie die Mortalität oder chronische Erkrankungen [28, 36].

Die genannten Studien basieren auf Querschnittsanalysen und können somit lediglich Zusammenhänge abbilden. Vertiefende Einblicke liefern Längsschnittanalysen, die jedoch das im Querschnitt gefundene Muster bestätigen. Stolz et al. [37] zeigen etwa, dass armutsassoziierte Gesundheitsveränderungen auf materielle Entbehrungen und insbesondere auf psychosoziale Einflüsse zurückzuführen sind, wogegen das Gesundheitsverhalten nur einen marginalen Beitrag leistet. Davon ausgehend schlussfolgern sie, dass sozialpolitische Maßnahmen zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter auf die Stärkung der Selbstwirksamkeit und die Verbesserung materieller Lebensbedingungen fokussieren sollten.

Da gesundheitliche Ungleichheiten im Alter das Ergebnis lebenslanger Entwicklungen sind, sind Einflüsse aus früheren Lebensphasen zuletzt in das Forschungsinteresse gerückt. Die Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen sind hierbei komplex, da neben Pfadabhängigkeiten und der Akkumulationen belastender Lebensbedingungen zu berücksichtigen ist, dass die Gesundheit selbst kein statischer Zustand ist [11]. Studien zeigen darüber hinaus, dass sich Lebenslaufdynamiken in Abhängigkeit vom wohlfahrtsstaatlichen Kontext unterscheiden [3].

Makroeinflüsse auf gesundheitliche Ungleichheiten

Abgesehen von der Beschreibung und Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter steht die Forschung vor der Herausforderung, sozialpolitische Stellschrauben zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheiten zu identifizieren [31]. Übereinstimmend zeigt sich, dass die durchschnittliche gesundheitliche Lage der Gesamtbevölkerung in Ländern mit universellen und generösen Sozialleistungen wie den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten Skandinaviens am besten ist, gefolgt von den konservativen Wohlfahrtsstaaten Mitteleuropas. Das Schlusslicht bilden die angelsächsischen Länder mit ihrem liberalen Wohlfahrtsmodell, die familienbasierten Wohlfahrtsstaaten Südeuropas und die postkommunistischen Länder Osteuropas. Das Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheiten im Vergleich verschiedener sozialer Statusgruppen ist jedoch in den skandinavischen Ländern nicht unbedingt geringer als andernorts. Eine Erklärung dieses paradoxen Befundes steht jedoch noch aus [3].

Bambra et al. [3] verweisen in Anbetracht der in den letzten Dekaden erfolgten Veränderungen wohlfahrtsstaatlicher Arrangements auf die Notwendigkeit altersgruppendifferenzierender Analysen. Sie vermuten, dass gesundheitliche Ungleichheiten bei alten Menschen geringer ausfallen als bei jüngeren, da die Älteren (zumindest in einigen Ländern) Zeiten generöser wohlfahrtsstaatlicher Leistungen erlebt haben, während die jüngeren Kohorten in Zeiten zunehmender Liberalisierung aufwachsen. Diese Hypothese hält einer empirischen Überprüfung jedoch nicht Stand, sodass die Autoren dafür plädieren, die Typologien von „welfare state regimes“ im Sinne von „public health regimes“ weiterzuentwickeln und dabei z. B. das Gesundheitsverhalten sowie die Qualität und Verfügbarkeit von Gesundheitsleistungen zu berücksichtigen. Auch weitere Studien diskutieren, inwiefern „gegenläufige“ Mechanismen wie z. B. eine Zunahme gesundheitsriskanter Verhaltensweisen in der Bevölkerung den Effekt wohlfahrtsstaatlicher Bemühungen auszugleichen vermögen [8].

Wenn es um die Untersuchung des gesundheitsbezogenen Einflusses spezieller Politiken geht, ist Forschung in Bezug auf ältere Menschen rar. Eine Studie zur Ausgestaltung der Rentensysteme zeigt aber, dass die Höhe der Rentenzahlung positiv mit der subjektiven Gesundheitseinschätzung korreliert ist und außerdem, dass aufgrund ihrer oft inkonstanten Erwerbstätigkeit für Frauen v. a. eine erwerbsunabhängige Grundversorgung relevant ist [7]. In Anbetracht dieses Ergebnisses soll auf eine weitere Möglichkeit zur Weiterentwicklung der Forschung zu gesundheitlichen Ungleichheiten im Alter hingewiesen werden: Bisherige Untersuchungen sind häufig „geschlechtsblind“, trotz der deutlichen Geschlechterunterschiede im Gesundheitszustand einerseits und der ungleichen Lebensbedingungen und Lebensstile von Frauen und Männern andererseits [27]. Daher bestehen in Bezug auf die Interaktion von Geschlecht, sozialer Ungleichheit und Gesundheit noch immer mehr Fragen als Antworten, z. B. warum ist der soziale Gradient bei bestimmten Erkrankungen bei Frauen schwächer ausgeprägt als bei Männern, während sich bei anderen Erkrankungen keine Geschlechterunterschiede zeigen? Haben die oben skizzierten Mechanismen und Wirkungspfade bei Frauen und Männern die gleiche Relevanz? Ländervergleichende Analysen sind hierbei ein vielversprechendes Forschungsfeld, variieren Geschlechterrollen und die damit assoziierten sozialen Determinanten von Gesundheit doch je nach gesellschaftlichem Kontext [5]. Neben den beschriebenen Methodenproblemen ergeben sich verschiedene Herausforderungen z. B. im Hinblick auf die Messäquivalenz von Gesundheitsindikatoren, die durch kulturelle Unterschiede im Antwortverhalten bedingt sind [16] und auf die an dieser Stelle lediglich verwiesen werden kann.

Fazit für die Praxis

  • Bei der Interpretation von Studienergebnissen sind Einschränkungen der Aussagekraft aufgrund selektiver Stichproben (es wird eine „Positivselektion“ der Grundgesamtheit betrachtet) und der oftmals querschnittlichen Betrachtungsweise (keine Aussagekraft in Bezug auf altersassoziierte intraindividuelle Veränderungen) zu bedenken.

  • Während eine Vielzahl an Studien zur Beschreibung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter vorliegt, sind Studien zur Erklärung des sozialen Gradienten weit seltener und insbesondere Ansatzpunkte zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheiten noch nicht ausreichend erforscht.

  • Ländervergleichende Analysen, in denen neben dem Sozialstatus weitere Merkmale sozialer Ungleichheit wie z. B. das Geschlecht berücksichtigt werden, versprechen, in diesem Zusammenhang ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld zu sein.