Hintergrund und Fragestellung

Soziale Ungleichheiten bestimmen die Lebensperspektiven und die Lebensqualität im Alter erheblich [17]. So sind soziale Partizipation (Teilhabe am gemeinschaftlichen Zusammenleben) und politische Partizipation (Teilhabe, die auf politische Entscheidungen abzielt, [1]) älterer Menschen stark durch deren Bildungsniveau und Einkommen bestimmt. Der Mittelschichtbias im bürgerschaftlichen Engagement – als Teil von sozialer Partizipation – ist unverkennbar und schon früh im Lebenslauf angelegt: „Nach wie vor ist das freiwillige Engagement bei … höher Gebildeten und bei Menschen mit einem gehobenen Berufsprofil erhöht“ [19]. Je schlechter die persönliche Wirtschaftslage bewertet wird, desto schwächer ist das Bürgerengagement ausgeprägt. Dieser Mangel an Partizipationsgerechtigkeit prägt ebenso das politische Engagement. Sozial Benachteiligte sind bei der politischen Partizipation nur in geringem Ausmaß vertreten, denn „gerade die Menschen, die am meisten unter den Folgen eines autoritären Kapitalismus leiden, haben politisch resigniert“ [12].

Bei den über 60-Jährigen zeigt sich soziale Ungleichheit in verschärfter Weise. Ihre Lebenslage ist durch eine doppelte Benachteiligung zu charakterisieren. Die soziale Ungleichheit des Alters meint die strukturelle Benachteiligung, die für Menschen nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben z. B. in Bezug auf die Einkommenslage in der Regel zutrifft. Die soziale Ungleichheit im Alter beinhaltet die soziale Polarisierung der Lebenslagen, die auf die zunehmenden intragenerationellen Unterschiede im „dritten“ und „vierten“ Alter hinweist. Diese doppelte soziale Ungleichheit wird zu einer dreifachen, sobald man sich vergegenwärtigt, dass die Förderung von sozialer und politischer Partizipation diejenigen am ehesten anspricht, die sich schon in ihrem Lebensverlauf engagiert haben. Dieses Phänomen wird auch als „interventionsgerontologisches Dilemma“ [15] bezeichnet. So sind unterschwellig destruktive und dissoziale Mechanismen im freiwilligen Engagement vorzufinden, die exkludierend für Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen wirken [9]. Dies gilt vor allem auch für neuere Formen von Partizipationsprozessen, die stärker diskursiv angelegt sind. Somit gerät das freiwillige Engagement selbst zu einem intermediären Bereich, der soziale Ungleichheiten reproduziert und verstärkt.

Partizipation kann soziale Ungleichheit verstärken

Allerdings zeigen Fallstudien [11, 13, 15] dass es möglich ist, älteren Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und geringem Einkommen den Weg zu sozialer und politischer Partizipation zu eröffnen. Im angelsächsischen Raum wird dies schon seit Längerem auch in Bezug auf ältere Menschen diskutiert [8, 6], u. a. unter dem Stichwort Community Organizing (Saul Alinsky). Es ist offensichtlich, dass gerontologische Desiderate existieren, um neue Kenntnisse für passgenaue Konzepte und Maßnahmen in Theorie und Praxis zu generieren, die der wachsenden sozialen Ungleichheit bei sozialer und politischer Partizipation entgegenwirken.

Im Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Lebensqualität Älterer im Wohnquartier“ (LiW) der FH Dortmund, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziell fördert (06/2010–06/2013) wird dies u. a. untersucht. Anhand der erhobenen Daten können u. a. die Fragen beantwortet werden, ob und in welchem Ausmaß es möglich ist, auch sozial benachteiligte ältere Menschen an der Gestaltung ihres Quartiers zu beteiligen und welche Ermöglichungsstrukturen dies fördern.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Dem LiW-Projekt liegt methodologisch ein praxeologischer Forschungsansatz [3] zugrunde, der gut mit der angelsächsischen Tradition der Participatory Research [5] zu verknüpfen ist. Partizipationsforschung ist darauf angelegt, sowohl Erkenntnisse zum Verständnis und zur Erklärung einer sozialen Begebenheit zu generieren als auch die beforschte Gruppe mithilfe der Erkenntnisse individuell und kollektiv zu empowern, ihre Verhältnisse im Sinne einer besseren Lebensqualität zu verändern.

Das Forschungs- und Entwicklungsdesign gliedert sich in 4 Projektphasen. Zunächst wurde das Untersuchungs- und Handlungsfeld erschlossen, ein ruhrgebietstypisches Referenzgebiet bestimmt (Gelsenkirchen-Schalke) und eine Sozialraumanalyse durchgeführt (Phase 1). Anschließend bestimmten die Älteren Handlungsfelder und bildeten Arbeitsgruppen (Phase 2). Sie bearbeiteten die Handlungsfelder in Quartierskonferenzen, die begleitend evaluiert wurden (Phase 3). Schließlich wird in der noch ausstehenden Zeit ein transferfähiger Handlungsrahmen entwickelt (Phase 4). Angewandt wird ein Methodenmix aus quantitativen (schriftliche Befragung, Trendanalyse) und qualitativen Methoden wie Experteninterviews, Gruppendiskussionen sowie (nicht-)teilnehmende Beobachtung von sozialräumlichen Beteiligungsmethoden.

Grundlage dieses Beitrags sind ausgewählte Ergebnisse der quantitativen schriftlichen Befragung in Gelsenkirchen-Schalke, die zu Projektbeginn durchgeführt wurde. Darin wurden Bewohner des Stadtteils ab 60 Jahre u. a. zu den Themen Lebensqualität (in ihrem Quartier) und Partizipation befragt (Bestandsaufnahme). Im weiteren Projektverlauf wurden Partizipationsprozesse in Form von Quartierskonferenzen initiiert (Intervention) und deren Effekte in Bezug auf die subjektive Lebensqualität der Älteren u. a. mit einer Trendanalyse gemessen. Die Befragten sind in diesem Fall alle Teilnehmenden der Konferenzen (Vollerhebung). Da, um es vorwegzunehmen, zwischen 37% und 48 % der Beteiligten einkommensarm bzw. armutsgefährdet sind und Einkommen ein zentraler Indikator für soziale Ungleichheit ist, lohnt sich der Blick auf die Anlage der Konferenzen und die gemessenen Effekte. So kann diskutiert werden, was deliberative Partizipationsprozesse und Demokratiekonzepte [10] im Quartier kennzeichnet, die sozial Benachteiligte inkludieren.

Ergebnisse

Schriftliche Befragung

Die schriftliche Befragung richtete sich an 1000 zufällig ausgewählte Einwohner des Stadtteils Gelsenkirchen-Schalke im Alter von ≥60 Jahren. Sie erreichte einen Rücklauf von 42 % und ist repräsentativ.

Im Folgenden werden besonders die soziodemographischen Angaben beschrieben, die Aufschluss über Indikatoren zur sozialen Ungleichheit geben. Die absolute Mehrheit der Befragten ist bezüglich des ehemaligen Berufsstatus entweder Arbeiter (34 %), Vorarbeiter (5 %) oder Angestellter (46 %). Der relativ hohe Anteil der Respondenten mit dem Berufsstatus Arbeiter zeigt, dass es durchaus möglich ist, diese Gruppen durch einen 16-seitigen überwiegend standardisierten Fragebogen zu erreichen. Zentraler Grund hierfür und für den guten Rücklauf insgesamt ist, dass es in der Stadt generell ein positives Klima für Seniorenarbeit gibt, das sich in den Masterplänen Alter, funktionierenden Seniorennetzwerken, Zwischen-Arbeit-und-Ruhestand(ZWAR)-Gruppen, der Existenz einer Seniorenvertretung u.v.a.m. ausdrückt. Im Kontext der Befragung haben sich eine gute Öffentlichkeitsarbeit, Anschreiben durch den Bürgermeister, breite Verankerung des Projekts im Gelsenkirchener Seniorennetzwerk usw. positiv auf den Rücklauf ausgewirkt.

Von den Befragten leben 57 % in Zweipersonenhaushalten und 39 % allein (überwiegend verwitwet). Der größte Anteil ist in Deutschland geboren, Menschen mit Migrationsgeschichte (im Ausland Geborene) sind erwartungsgemäß leicht unterrepräsentiert (15 %). Die Befragung verweist auf relativ geringe monetäre Handlungsspielräume für einen Großteil älterer Menschen in Schalke: Mindestens 20 % sind bereits von Altersarmut betroffen (relative Armut: 0–50 % vom Median des Äquivalenzeinkommens im Jahr 2011, entspricht ca. 0–800 EUR; Datengrundlage European Union Statistics on Income and Living Conditions), weitere 29 % sind armutsgefährdet (Armutsgefährdungsgrenze: 60 % vom Median des Äquivalenzeinkommens, entspricht ca. 1000 EUR). Besonders stark von Altersarmut betroffen ist die Gruppe der Älteren mit Migrationsgeschichte. Weiter sind die über 80-Jährigen, Alleinlebende und Frauen generell überdurchschnittlich den Gruppen „arm“ und „armutsgefährdet“ zuzuordnen.

In der Befragung werden Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und Partizipation deutlich. So steigen die Beteiligungsquoten für politische Partizipation – gemessen an den Indikatoren Wahlbeteiligung und Politikinteresse – von der niedrigsten zur höchsten Einkommensgruppen (zur Einteilung der Einkommen s. Abb. 1) deutlich an. Ebenso folgt soziale Partizipation diesem Muster: Lediglich 3 % der Befragten der untersten Einkommensgruppe geben an, eine ehrenamtliche Tätigkeit auszuüben. In den anderen Einkommensgruppen steigt der Anteil auf 14–23 %.

Die Zustimmung zur Frage nach dem Mitbestimmungswillen steigt von 32% auf 57 % von der niedrigsten zur höchsten Einkommensgruppe. Eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Willen und den Möglichkeiten zur Mitbestimmung ist somit für alle Einkommensgruppen gegeben, sie wird allerdings mit der Höhe des Einkommens größer. Befragt nach der Bereitschaft, an einer Veranstaltung zur Gestaltung des Stadtteils teilzunehmen, steigt die Ablehnung von der höchsten zur niedrigsten Einkommensgruppe von 24% auf 55 %.

Die Befragung zeigt, dass der Zusammenhang von sozioökonomischem Status (im Besonderen hier Einkommen) und Partizipation vom Trend her dem Befund im Freiwilligensurvey und anderen Studien folgt [2]. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die initiierten Partizipationsprozesse im Rahmen der Quartierskonferenzen.

Quartierskonferenzen

In bisher 9 Konferenzen haben die Beteiligten in einem Zeitraum von gut 18 Monaten die Ergebnisse der schriftlichen Befragung diskutiert und für sie relevante Themen-/Handlungsfelder generiert („Sicherheit und Sauberkeit“, „gemeinschaftliches Zusammenleben“, „Wohnen und Wohnumfeld“, „Mobilität und Verkehrssicherheit“ sowie „Öffentlichkeitsarbeit“). In diesem Prozess eigneten sich die Beteiligten ihr Quartier mittels sozialräumlicher Analyse- und Beteiligungsmethoden an und erarbeiteten in moderierten Workshops Handlungspläne, formulierten Anfragen, luden Ansprechpartner ein und setzten erste Verbesserungen durch. Seitens der Stadt wurde inzwischen beschlossen, die Konferenzen im Stadtteil auch nach dem offiziellen Ende des Projekts fortzuführen. Zwischen der 4. und 8. Quartierskonferenz wurden anhand eines 2-seitigen Fragebogens soziodemographische Merkmale der Teilnehmenden erhoben (Geschlecht, Alter, Geburtsland, Personen im Haushalt und Haushaltseinkommen) sowie Effekte des Partizipationsprozesses gemessen.

Bei den Quartierskonferenzen ist der Anteil der Alleinlebenden hoch

Im Durchschnitt kamen 35 Teilnehmer zu den Konferenzen, ca. 40 % Männer und 60 % Frauen. Ältere mit Migrationsgeschichte wurden bisher eher nicht erreicht, möglicherweise können jedoch 4 Teilnehmer der letzten Konferenz den Ausgangspunkt für eine verstärkte Einbindung darstellen. Auffällig ist eine beachtliche Differenz bei den Alleinlebenden zwischen den Konferenzteilnehmern und den Befragten zu Beginn des Projekts. Während ihr Anteil bei der Befragung 39 % ausmacht, kommen zu den Konferenzen wesentlich mehr: mindestens 47 % und bis zu 63 %. Dies ist ein wichtiger Indikator dafür, dass durch die Konferenzen auch insbesondere die älteren Bürger erreicht werden, die kaum oder gar nicht in soziale Netzwerke eingebunden sind, wovon meist auch diejenigen mit niedrigem sozialen Status betroffen sind [20].

Unter dem Aspekt sozialer Ungleichheit im Alter ist es besonders wichtig zu wissen, ob sich auch ältere Menschen mit einem nur (sehr) geringen Einkommensspielraum an den Konferenzen beteiligen und in den deliberativen Prozess der Quartiersgestaltung mit einbezogen sind (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Einkommensverteilung und Teilnahme an der schriftlichen Befragung und den Quartierskonferenzen. %-Angaben und Werte in der Legende beziehen sich auf das Durchschnittseinkommen (Median) in Deutschland im Jahr 2011 (19.043 EUR) auf der Datengrundlage der European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC), eigene Berechnung des Nettoäquivalenzeinkommens anhand des maximalen Haushaltseinkommens geteilt durch den Faktor Personen im Haushalt, berechnet nach der modifizierten OECD-Skala

Betrachtet man die als einkommensarm geltenden und die armutsgefährdeten Älteren gemeinsam, so liegt ihr Anteil mit 37–48 % leicht unter dem von 50 % bei der schriftlichen Befragung.

Bezüglich der Indikatoren, die die Effekte des Partizipationsprozesses zunächst für 8 Konferenzen messen, lässt sich für Empowerment eine leichte Stärkung sowohl der individuellen als auch der kollektiven Selbstwirksamkeit nachweisen. Beim Item „Ich fühle mich als Bürger/in mehr für Schalke verantwortlich“ steigt der Wert von 81 % auf der 4. Konferenz kontinuierlich an auf 93 % bei der 7. Konferenz und fällt zuletzt auf 89 %. Die Einschätzung der kollektiven Selbstwirksamkeit („Ich kann gemeinsam mit anderen etwas bewirken“) startet bei 81 % und erreicht ihr Hoch auf der 8. Konferenz bei 89 %. Auch bei diesem Item wechseln sich Auf- und Abwärtsbewegungen ab (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Trendanalyse der Indikatoren „Lernen/Weiterentwicklung“, „Empowerment“ und „Zugehörigkeit zum Gemeinwesen“

Dass sich durch die Konferenzen das persönliche Netzwerk der Beteiligten sowohl erweitert („Mein Bekanntenkreis hat sich vergrößert“) als auch vertieft („Meine Kontakte zu Bekannten sind besser geworden“) hat, stimmen in der 4. Konferenz 55% bzw. 58 % zu. Der Effekt der Netzwerkerweiterung lässt im Fortgang der Konferenzen nach, was mit der hohen Konstanz vieler Anwesender zusammenhängen dürfte, die in der Folge nicht mehr als neue Kontakte wahrgenommen werden. Gerade für die Alleinlebenden, die ja an den Konferenzen überproportional teilnehmen, dürfte die Erweiterung des Netzwerks positive Auswirkungen haben.

Das Netzwerk der Beteiligten hat sich erweitert und vertieft

Für die Teilnehmenden steigt insgesamt der Eindruck, durch den Prozess mehr ins Gemeinwesen integriert zu sein („Ich sehe mich als Senior/in mehr als Teil des städtischen Lebens“). Gestartet bei 73 % erreicht der Wert sein Hoch auf der 7. Konferenz (88 %) und liegt zuletzt bei 85 % (Abb. 2).

Von hoher Relevanz hat sich im Verlauf der Konferenzen das Thema Lernen/persönliche Weiterentwicklung gezeigt. Das Item „Es ist mir wichtig, etwas zu lernen“ erreicht einen konstant hohen Wert zwischen maximal 100 % und minimal 96 %. Beim Item „Ich bringe Neues in Erfahrung“ liegen die Werte zwischen 81% und 100 % (Abb. 2).

Bemerkenswert ist nicht zuletzt, dass die Teilnehmer immer ablehnender auf die Aussage reagieren, dass das Projekt nichts für Schalke bringt. Die Zustimmung zu diesem Statement („Mein Eindruck ist: Das Projekt bringt nichts für Schalke“) sank von eingangs 41 % auf zuletzt 16 %und kann als positive Bewertung des Projekts gesehen werden (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Trendanalyse der Indikatoren „Bewertung des Projekts“ und „wahrgenommene Wertschätzung“

Diskussion

Ein zentraler und übergreifender Grund dafür, dass die Älteren in ihrer Heterogenität an den Partizipationsprozessen teilgenommen haben, besteht in der gemeinsamen Bestimmung der Handlungsprobleme in ihrem Stadtteil und deren Fortentwicklung zu Themenschwerpunkten. In diesem Aushandlungsprozess haben Moderatoren und Hauptamtliche der sozialen Arbeit mit gerontologischem/geragogischem Qualifikationsprofil die wichtige Aufgabe, sozial benachteiligte Ältere zu empowern, ihre Anliegen selbst zu vertreten. Die in der Trendanalyse festgestellten gestiegenen Werte zur individuellen und kollektiven Selbstwirksamkeit im Laufe der verschiedenen Quartierskonferenzen verdeutlichen dies. Die Bearbeitung der von den Älteren bestimmten Themen durch Stadtteilbegehungen, Quartierskonferenzen usw. mit dem Ziel, die Lebensqualität zu verbessern, ist zentral für den Prozessverlauf. Die dabei praktizierte Verschränkung von wissenschaftlicher Datenerhebung mit praxisnahen Anwendung im Sinne einer praxeologischen und partizipativen Forschung hat sich besonders bewährt [15] und spricht – trotz anfänglicher Skepsis -auch ältere Menschen mit niedrigen Einkommenslagen an.

Praxeologische Forschung hat sich bewährt

Die Daten in dem Projekt zeigen tendenziell auf, dass es in den Partizipationsprozessen zur Bildung von Brückenkapital („bridging“) und Verbindungskapital („linking“) kommt [14]. Zum einen gibt es keine empirischen Indikatoren dafür, dass sich die Einkommensgruppen in den unterschiedlichen Phasen der Mitgestaltungsmöglichkeiten homogenisiert haben. Zum andern ist u. a. auch durch die Erkenntnisse der teilnehmenden Beobachtung anzunehmen, dass zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten und institutionellen Akteuren soziales Kapital auf der vertikalen Ebene entstanden ist. Die Untersuchung zeigt, dass an den Konferenzen Personen mit ganz unterschiedlichen Einkommen teilgenommen haben. Hier waren arme (bis 800 EUR) und armutsgefährdete Ältere (800–1000 EUR) mit 37–48 % beteiligt. Ebenso sind alle Einkommensgruppen über die einzelnen Themengruppen der Konferenzen gleichmäßig verteilt. Der Aufbau von Verbindungskapitel zwischen den Älteren mit unterschiedlichen Einkommen zeigt sich auch an dem Ausbau von Netzwerken. Die Zustimmung zur Aussage „Mein Bekanntenkreis hat sich vergrößert“ liegt zwischen 25% und 58 %.Vergleichbar sind auch die Werte zur Vertiefung der Netzwerke, bei der die Zustimmung 31–62 % beträgt. Hierbei findet ein Lernprozess zwischen den Gruppen statt, wofür die kontinuierlich hohen Werte der Items zum Thema „Lernen“ ein wichtiger Hinweis sind. Weiter trägt die Einbindung der Konferenzen in den seniorenpolitischen Reformprozess der Stadt dazu bei, dass lokale Kontaktnetze ausgeweitet und Anschluss an weitere Netzwerke gefunden werden. Beides sind Voraussetzungen für die Herstellung kollektiver Wirksamkeit [18].

Da besonders sozial Benachteiligte in ihrer Biographie oft Zurückweisung, Ablehnung und Abwertung erfahren haben, ist die Frage der individuellen und kollektiven Wirksamkeit sehr bedeutsam. Die erfolgreiche Realisierung von Maßnahmen im Projekt war aus diesem Grund relevant. Dazu zählt z. B. der „Begegnungsnachmittag“ in einem „Problempunkt des Stadtteils“, dem Kontaktzentrum der Drogenberatungsstelle, den eine Arbeitsgruppe der Quartierskonferenz organisierte. In der Trendanalyse wird die positive Einschätzung zur eigenen Wirksamkeit beispielsweise daran deutlich, dass die Ablehnung der Aussage „Das Projekt bringt nichts für Schalke“ im Trend der Konferenzen von 41% auf 16 % gesunken ist. Darüber hinaus sind die Anteilswerte zum Item „Ich fühle mich im Projekt nicht ernst genommen“ von etwa 29% auf 12 % gesunken. Des Weiteren wurden durch die Quartierskonferenzen ältere Bürger im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ überhaupt erst als Adressaten von Beteiligungsverfahren wahrgenommen und einbezogen (Aussage einer Sozialraumexpertin: „Die Senioren hatten wir bislang nicht so auf dem Schirm“).

Um bildungs- und einkommensarmen Gruppen den Zugang zum und die Beteiligung am Prozess zu ermöglichen, war die Gestaltung des Partizipationsprozesses niedrigschwellig und beteiligungsorientiert angelegt: In der teilnehmenden Beobachtung der Themengruppen wurde deutlich, dass eine Herausforderung in den Gruppenmoderationen darin bestand, dass die Moderierenden mit den Älteren einen Dialog führen, der durch wissenssuchende Fragen gekennzeichnet ist und nicht durch vorwissende Fragen, bei denen die moderierende Person selbst schon die Antwort weiß. Dies ist zum einen notwendig, um wirklich das Wissen der älteren Menschen zutage zu fördern, und zum andern, um eine authentische Wertschätzung ihrer Kompetenzen – als Experten ihres Stadtteils – zu erzielen.

Schlussfolgerungen

Die empirischen Daten des LiW-Projekts zeigen, dass es gelingen kann, auch sozial benachteiligte ältere Menschen an Partizipationsprozessen zu beteiligen. Hierfür ist ein ganzes Bündel unterschiedlicher Gründe (Ermöglichungsstrukturen) ausschlaggebend. Entscheidend für das Gelingen des LiW-Projekts ist die Existenz eines positiven Klimas in der Kommune für Partizipationsprozesse älterer Menschen. Die Unterstützung des gesamten Partizipationsprozesses durch die Stadtspitze, die wechselseitige Verquickung des Projekts mit den seniorenpolitischen Strukturen wie Fachämter, Seniorenvertretung, Netzwerk der Seniorenarbeit usw. sind zentrale Aspekte für den gelingenden Verlauf. Des Weiteren bewähren sich der Sozialraumbezug und beispielsweise die hohe Akzeptanz des Konferenzorts wie auch die Einbindung sog. Gatekeeper des Stadtteils. Zentraler Aspekt ist die Wertschätzung der Teilnehmenden im Allgemeinen und der sozial Benachteiligten im Besonderen, die z. B. durch das ernsthafte Interesse am lebensweltlichen Expertenwissen der Beteiligten zum Ausdruck kommt. Hierzu zählt auch die Sicherung der Zuverlässigkeit des Prozesses u. a. durch regelmäßig stattfindende Konferenzen im Abstand von 6 bis 8 Wochen. Genügend Zeit ist für den Aufbau von Vertrauen sowohl untereinander als auch zum Netzwerk der beteiligten Akteure notwendig, um die Bildung von Sozialkapital im Stadtteil zu fördern.

Ermöglichungsstrukturen müssen geschaffen werden

Schließlich sind im Rahmen solcher zeitlich befristeten Projekte auch selbstkritisch Grenzen festzuhalten. Soweit es auch gelungen ist, im Projekt die soziale Heterogenität des Alters abzubilden und partizipativ einzubeziehen, und die Nachhaltigkeit durch die Strukturen Quartierskonferenzen und Steuerungsgruppe gesichert ist, so muss doch eine gewisse Fragilität des Erreichten betont werden. Ob solche Prozesse perspektivisch dazu beitragen werden, dass sich ältere Menschen in schwierigen sozialen Lebenslagen in der Marginalität des eigenen lokalen Kontextes einrichten oder sie (kollektiv) durchbrechen, bleibt eine offene Frage in Theorie und Praxis der sozialen Gerontologie und Geragogik. Jedenfalls existieren Möglichkeiten, um der sozialen Ungleichheit in der (Partizipations-)Demokratie entgegenzuwirken. Die Chancen der benachteiligten älteren Menschen zu verbessern, ist ein zentraler Grundsatz einer solidarischen und gerechten Gesellschaft, wozu Wissenschaft und Politik einen wichtigen Beitrag zu leisten haben.

Fazit für die Praxis

Insgesamt hat sich ein Prozessverlauf mit 5 Phasen, der für das Ruhrgebiet und für Städte mit ähnlichen Herausforderungen verallgemeinerbar ist, bewährt:

  1. 1.

    Handlungs- und Untersuchungsfeld durch Experteninterviews bestimmen und Sozialraumdaten mit den Praxispartnern gemeinsam aufbereiten.

  2. 2.

    Handlungsprobleme der Zielgruppe empirisch durch eine schriftliche Befragung erkennen und gemeinsam mit den Älteren zu Themenschwerpunkten verdichten. Hier sind geragogische Kenntnisse für den erfolgreichen Verlauf solcher Veranstaltungen hilfreich [4].

  3. 3.

    Sozialraumanalyse mit den Quartiersbewohnern, z. B. Nadelmethode, Stadtteilbegehungen [7], durchführen.

  4. 4.

    Konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität und Stärkung der lokalen Demokratie umsetzen.

  5. 5.

    Nachhaltigkeit durch die Festigung von Netzwerkstrukturen wie z. B. Steuerungsgruppe, Quartierskonferenzen, sichern.