Aufgrund steigender Nachfrage nach Rehabilitationsleistungen zwingen begrenzte Ressourcen zu objektiven und transparenten Allokationsentscheidungen in der geriatrischen Rehabilitation. Die Wiedererlangung der Mobilität bestimmt oft maßgeblich die persönliche Zielsetzung des geriatrischen Rehabilitanden. Ziel einer interdisziplinären Konsensuskonferenz war die kritische Evaluierung gängiger motorischer Assessmentverfahren der unteren Extremität und die Empfehlung geeigneter motorischer Tests zur Verlaufsbeurteilung der Mobilität in der stationären geriatrischen Rehabilitation.

Einleitung

Aufgrund des demographischen Wandels und des medizinischen Fortschritts ist in der kommenden Dekade mit einer wachsenden Nachfrage nach stationären und ambulanten Rehabilitationsleistungen für ältere Menschen zu rechnen. Insbesondere die Anzahl der Hochaltrigen (über 80-Jährigen) wird im kommenden Jahrzehnt bei einer absoluten Zuwachsrate von 40–50% dramatisch zunehmen und einen hohen Rehabilitationsbedarf generieren. Beispielhaft seien hier die im hohen Alter häufig auftretenden proximalen Oberschenkelfrakturen und die Schlaganfallerkrankungen genannt. Aber auch der medizinische Fortschritt im Bereich der kardiovaskulären Chirurgie, wie beispielsweise die technische Anwendung des transfemoralen und transapikalen Herzklappenersatzes, erzeugt einen Zuwachs an Rehabilitationsleistungen, der vor wenigen Jahren in diesem Umfang bei hochaltrigen Menschen noch nicht vorhersehbar war.

Technische Innovationen der modernen Akutmedizin stellen zunehmend neue Herausforderungen an die rehabilitative Postakutversorgung dar, die vom Gesetzgeber bislang unzureichend in eine Gesamtsystembetrachtung einbezogen wird. So führt die in den großen Datenbanken KODAS, AfGiB oder GEMIDAS Pro nachweisbare Zunahme der Fallschwere in der stationären geriatrischen Rehabilitation in nicht wenigen Fällen dazu, dass die stationäre Rehabilitationszeit mit 3 Wochen zu kurz bemessen ist, um dem älteren Menschen eine selbstständige und auf den Außenbereich bezogene Mobilität im Sinne der Wahrung von Teilhabechancen zu ermöglichen, die in der prämorbiden Lebensphase noch vorhanden war. Trotz dieser zunehmenden Fallschwere der geriatrischen Rehabilitanden ist die Anzahl der stationären Verlängerungen in ganz Deutschland rückläufig. In Baden-Württemberg ist die durchschnittliche Behandlungsdauer beispielsweise von 28 Tagen (2001) auf 21 Tage (2010) gesunken. Erschwert wird die dargestellte Problematik zusätzlich dadurch, dass Fehlanreize im DRG-System oft zu einer verfrühten Zuweisung in die geriatrische Rehabilitation führen und beispielsweise wegen einer unzureichenden Belastbarkeit nach osteosynthetischer Versorgung bestimmter Frakturtypen (z. B. distale Femurfraktur, Oberarmfraktur) der optimale Einsatz von Rehabilitationsressourcen verhindert wird. Eine wegen fehlender Vergütungsanreize ungenügend umgesetzte ambulante und mobile Rehabilitation trägt schließlich dazu bei, dass auf diese Weise auch nachhaltige Rehabilitationserfolge in wachsendem Ausmaß gefährdet werden.

Unabhängig davon hat eine im Jahr 2010 publizierte Metaanalyse die Wirksamkeit der geriatrischen Rehabilitation und deren Überlegenheit gegenüber einer konventionellen Behandlung nachgewiesen, sodass die Versorgungsform der geriatrischen Rehabilitation für die Betroffenen ohne gleichwertige Alternative ist [1]. Die aus Vergütungsaspekten motivierte Umsteuerung geriatrischer Patienten in die indikationsspezifische Rehabilitationsbehandlung ist in diesem Zusammenhang weder evidenzbasiert noch zielführend, da die Behandlung geriatrietypischer Syndrome, wie z. B. die kognitive Beeinträchtigung, die Sturzangst, die Depression, die Inkontinenz oder die Malnutrition, spezifische Behandlungsprozesse erfordert, die nur in geriatrischen Rehabilitationseinrichtungen zur Verfügung stehen. Die Würdigung dieser Tatsache sowie die Wahlfreiheit älterer Patienten bei der Auswahl der Rehabilitationseinrichtung stellen wichtige Prinzipien dar, deren Missachtung eine Fehlallokation verfügbarer Mittel und eine Verletzung des SGB IX darstellen.

Die bereits erwähnte Zunahme der Fallschwere in der zurückliegenden Dekade hat dazu geführt, dass die Nichtdurchführbarkeit gängiger motorischer Testverfahren im Rahmen des Aufnahmeassessments zunehmend zu einem praktischen Problem geworden ist (Bodeneffekte). Eine Expertengruppe aus den Bereichen Geriatrie, Physiotherapie sowie Sport- und Bewegungswissenschaft hat sich daher zusammengefunden, um vor dem Hintergrund der aktuellen Versorgungsrealität ein Empfehlungspapier zur Durchführung des motorischen Assessments der unteren Extremität einschließlich der Verlaufsbeurteilung der Mobilität in der stationären geriatrischen Rehabilitation zu erarbeiten, das in die Diskussion und Entscheidungen der relevanten geriatrischen Fachgremien (BVG, DGG und DGGG) eingehen soll. Ausgangspunkt für diese Initiative war ein vom Bundesministerium für Arbeit und soziale Sicherung (BMAS) gefördertes Modellprojekt zur „Entwicklung objektiver und valider apparativer Messmethoden zur Beurteilung der Indikation, der Dauer und des Erfolgs GKV-finanzierter stationärer Rehabilitation nach Gelenkersatz und Schlaganfall“ (GRR-58663-11/3), über das auch die finanzielle Förderung des Konsensusprozesses gedeckt wurde. Eine weitere Zielsetzung des Empfehlungspapiers ist die daran anzuknüpfende Diskussion mit den Kostenträgern (GKV-Spitzenverband) und den MDK/MDS-Gremien, um auf dieser Grundlage künftige Allokationsentscheidungen objektiver und transparenter zu machen.

Konsensverfahren

Um den Konsensusprozess auf eine breite Grundlage zu stellen, wurde bei der Zusammensetzung der Expertengruppe darauf geachtet, dass neben der Berücksichtigung verschiedener Fachdisziplinen (Geriatrie, Rehabilitationsmedizin, Physiotherapie, Bewegungs- und Sportwissenschaft) Vertreter der Wissenschaft und Vertreter der beruflichen Fachverbände gleichermaßen repräsentiert waren. Dies diente der Zielsetzung einer ausgewogenen wissens- und versorgungsbasierten Betrachtung der Thematik. Nachdem sich die Teilnehmer der Expertengruppe bereit erklärten, am Konsensusprozess mitzuwirken, wurde im Vorfeld des Meetings ein Fragebogen versandt, um von Vertretern der verschiedenen genannten Fachdisziplinen eine Beurteilung der in Deutschland gebräuchlichen motorischen Testverfahren für die untere Extremität vorzunehmen. Auf Basis des Fragebogens erfolgte eine kategoriale Bewertung der Testgütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität, Veränderungssensitivität) und der spezifischen Anwendung (welches Verfahren ist geeignet/sinnvoll?) von bestehenden motorischen Testverfahren. In einem nächsten Schritt wurden im Rahmen eines Konsensustreffens die schriftlich abgegebenen Bewertungen zu den einzelnen Testverfahren diskutiert, Kommentare protokolliert und Minderheitsvoten festgehalten. Neben den Verfahren selbst wurde der zeitliche Ablauf der Untersuchungen (Eingangs-, Verlaufs-, Abschlussuntersuchung) erörtert. Das so entstandene Manuskript wurde bis zur endgültigen Zustimmung von allen Beteiligten mehrfach gelesen und kommentiert.

Analyse der Versorgungsdaten

Neben der wissenschaftlichen Bewertung der motorischen Testverfahren wurden Versorgungsdaten der zurückliegenden Jahre am Beispiel von Baden-Württemberg analysiert, da der in diesem Bundesland eingesetzte kollektive Datensatz (KODAS) unter allen geriatrischen Datenbanken derzeit die detaillierteste Betrachtung mobilitätsbezogener Versorgungsdaten geriatrischer Rehabilitanden erlaubt. Dabei ging die Konsensusgruppe von der grundsätzlichen Annahme aus, dass der im KODAS-Verfahren festgestellte Grad der Mobilitätsbeeinträchtigung annähernd die gesamte Versorgungsrealität geriatrischer Rehabilitanden im deutschsprachigen Raum widerspiegelt, zumal in der Bundesrepublik Deutschland durch die Vorgaben der MDS-Begutachtungsrichtlinien „Vorsorge und Rehabilitation“ von einer weitgehend einheitlichen Genehmigungspraxis einer stationären geriatrischen Rehabilitation auszugehen ist. Das KODAS-Verfahren wurde von der Landesarbeitsgemeinschaft Geriatrischer Rehabilitationseinrichtungen Baden-Württemberg festgelegt, um den Gesundheitszustand und wesentliche funktionelle Parameter der geriatrischen Patienten zu Beginn und zum Abschluss einer geriatrischen Rehabilitation zu beschreiben und auch die Ergebnisqualität an einem Patientenkollektiv sichtbar zu machen. Derzeit beteiligen sich mehr als 30 geriatrische Rehabilitationskliniken in Baden-Württemberg und damit mehr als 75% aller im Land befindlichen Kliniken an diesem Verfahren. Dieses ist geeignet für das Benchmark und ermöglicht auch die Beurteilung langfristiger Veränderungen über die Jahre.

Als motorische Untersuchungen der unteren Extremität werden in KODAS der Timed Up-and-Go Test (TUG [18]), das 5-malige Aufstehen vom Stuhl (5 Chair Rise, 5CR [9]) und die Standsequenz nach Guralnik (geschlossener Stand, halber Tandemstand, Tandemstand [9]) eingesetzt. Modifizierend wird diese Standsequenz um die Erfassung des hüftbreiten Stands ergänzt (STpos). Weiterhin werden der Bett-/(Roll-)Stuhl-Transfer und das Treppensteigen kategoriell in Abhängigkeit vom Ausmaß der personellen Hilfestellung bewertet [19].

Ein Problem bei den genannten Untersuchungen sind erhebliche Bodeneffekte durch die Nichtdurchführbarkeit bei Aufnahme (TA) und in der Abschlussuntersuchung (TE). Nichtdurchführbarkeit bestand 2006 bei TUG: TA 50,6%, TE 25,1%; bei 5CR: TA 81,2%, TE 65,2%; und bei Tandemstand: TA 96,7%, TE 89% [17]. Die Gründe hierfür sind der motorische Funktionszustand der Patienten, Sicherheitsaspekte (z. B. Hüft-TEP-Luxationsgefährdung beim Chair Rise) sowie Verständnisprobleme und kognitionsassoziierte Defizite beim Umsetzen von Testanweisungen (insbesondere TUG).

Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass bislang geeignete Instrumente zur Erfassung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei motorisch stark limitierten Patienten fehlen, die diese in ihrem Verlauf dokumentieren können. Die dichotome Kategorisierung des Gehens, Transfers oder Treppensteigens (möglich/nicht möglich) ist für eine spezifische Verlaufsbeschreibung und Prognosebewertung in der Regel oft zu grob bzw. nicht ausreichend. Da das KODAS-Verfahren historisch begründet ist und seinerzeit der TUG als Gehtest aufgenommen wurde, fand die Gehgeschwindigkeit als motorischer Parameter keine Berücksichtigung. Aus ähnlichen historischen Gründen wird deutschlandweit in zahlreichen Einrichtungen noch der Tinetti-Test (auch „performance-oriented mobility assessment“, POMA [21]) eingesetzt.

Grundaussagen zum motorischen Assessment der unteren Extremität

Die Konsensgruppe war sich darüber einig, dass der Bereich der physischen Leistungsfähigkeit (Kapazität) im Rahmen des derzeit bestehenden motorischen Assessments der geriatrischen Rehabilitation nicht ausreichend berücksichtigt und damit weiterzuentwickeln ist. Neben den Bodeneffektproblemen weisen einige Testverfahren auch Einschränkungen in der Objektivität auf. Die derzeit angewandten Verfahren sind darüber hinaus noch stark „funktionslastig“. Aktivität und Teilhabe im Sinne der International Classification of Functioning, Disability, and Health (ICF) werden bislang noch unzureichend abgebildet. Wünschenswert ist daher eine Verbesserung des motorischen Assessments, das die genannten Schwächen schmälert und Instrumente zur Verfügung stellt, die neben der Vermeidung von Bodeneffekten auch eine objektivere Verlaufsbeschreibung der Mobilität zulassen und eine höhere Präzision bei der Formulierung teilhaberelevanter Rehabilitationsziele ermöglichen.

Bezüglich der Durchführung der Assessments ist großer Wert auf die Standardisierung der Testuntersuchungen zu legen. Dies ist eine Grundvoraussetzung für die Gewährleistung der Reliabilität und anderer Testgütekriterien und somit eine Mindestvoraussetzung, Veränderungen objektiv zu dokumentieren. Insbesondere die Interrater-Reliabilität kann durch häufige Wechsel von Therapeuten (Urlaub, Krankheit und Arbeitsplatzwechsel) gefährdet sein. Im Rahmen der Konsensusgruppe wurde deshalb angeregt, in jeder Einrichtung eine regelmäßige Schulung und Supervision (z. B. einmal pro Jahr und bei Arbeitsbeginn) obligatorisch durchzuführen.

Sowohl kategorielle (möglich/nicht möglich) als auch kontinuierliche Variablen geben klinisch relevante Veränderungen der motorischen Leistungsfähigkeit von Patienten wieder. Prinzipielle Zielsetzung sollte sein, dass alle Verfahren kategoriell und zusätzlich mit Zeitwerten erfasst werden. Empfohlen wird, dass der Patient die Tests mit verbaler Instruktion oder nach Vorführen des Untersuchers, aber ohne Probeversuch durchführt, da bei manchen Patienten insbesondere bei der initialen Messung erhebliche Ermüdungseffekte zu erwarten sind. Ein möglicher Lerneffekt bei einer Verlaufs- oder Abschlussmessung wird dabei zugunsten von reduzierten Bodeneffekten bewusst in Kauf genommen.

Sechs motorische Domänen wurden von der Konsensusgruppe als obligatorische Bestandteile zur Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit und zur Formulierung von nachfolgenden Behandlungszielen identifiziert: Stehen, Gehen, Gehen mit Zusatzaufgabe („dual task“), Sitz-Stand-Transfer, Liegen-Sitz-Stand-/Stand-Sitz-Transfer vom Bett und Treppensteigen. Dabei wurde festgehalten, dass noch nicht für alle dieser sechs Domänen ausreichend validierte Testverfahren vorliegen.

Empfohlene Assessmentverfahren

Stehen

Das Gleichgewicht im Stand sollte in den Positionen offener/hüftbreiter Stand, geschlossener Stand, halber Tandemstand und Tandemstand untersucht werden [9]. Beginnend mit dem offenen Stand werden maximal 10 s in einer Position erfasst und danach, wenn möglich, wird zur nächstschwierigeren Position übergegangen. Die Position offener Stand wurde zur ursprünglichen Untersuchung hinzugefügt, um auch sehr schwache Patienten beurteilen zu können. Beim Tandemstand sollten wegen der lateralen Instabilität der Patienten ganz besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Als Ergebnis kann die Anzahl der 10 s frei gestandenen Positionen (z. B. bedeutet 2, dass der geschlossene Stand 10 s frei gestanden wurde, der halbe Tandemstand aber keine 10 s) oder die Gesamtzeit (z. B. bedeutet 35 s, dass der offene, der geschlossene und der halbe Tandemstand jeweils 10 s gestanden wurde und im Tandemstand nach 5 s abgebrochen wurde) erfasst werden. Aus der Gesamtzeit lässt sich auf die Anzahl der Positionen schließen.

Gehen

Beim Gehen sollte neben der kategoriellen Erfassung (selbstständig möglich/nicht selbstständig möglich) immer das Hilfsmittel vermerkt werden. Bei der Bestimmung des Gehtempos ist zu empfehlen, zur Vermeidung von Bodeneffekten eine kurze Strecke zu wählen. Um den Fehler bei Messungen mit der Stoppuhr dennoch möglichst gering zu halten, sollte die Messstrecke 4 m lang sein. Darüber hinaus sollten ein An- und Auslauf von jeweils 3 m zur Verfügung stehen [13], um das gleichmäßige Gehen beurteilen zu können. Da im Verlauf der Rehabilitation das freie Gehen angestrebt wird, sollte nach Möglichkeit auch in der Eingangsuntersuchung das Gehen ohne Hilfsmittel versucht werden, wenn die Belastbarkeit dies zulässt. Zudem werden bei einer Messung ohne Hilfsmitteleinsatz rehabilitationsassoziierte Veränderungen der motorischen Leistungsfähigkeit besser wiedergegeben [20].

Benötigt der Patient jedoch eine Gehhilfe (z. B. Rollator), sollten aus Gründen der Objektivität auch die Folgemessungen mit dem gleichen Hilfsmittel erfolgen. Zur Vermeidung von Ermüdung sollte nur ein Versuch durchgeführt werden. Dabei wird das habituelle Gehtempo gemessen. Hierunter wird die selbst gewählte Gehgeschwindigkeit verstanden, bei der der Patient sich sicher fühlt. Nur bei einem offensichtlichen Missverständnis (z. B. Nichtverstehen der Testanweisung, Fehlstart etc.) wird der Versuch wiederholt.

Die Untersuchung des maximalen Gehtempos erfolgt optional zur Ermittlung von Leistungsreserven.

Falls der Ausdaueraspekt des Gehens untersucht werden soll, wird empfohlen, die Gesamtgehstrecke (habituelle Geschwindigkeit) in 2 min zu messen [4]. Indikationsbedingte Beispiele sind die geriatrische, kardiovaskuläre und pulmonale Rehabilitation.

Gehen mit Zusatzaufgabe

Das Gehen mit Zusatzaufgabe („dual task“) sollte optional entweder mit kognitiver und/oder motorischer Zusatzaufgabe durchgeführt werden, weil dieser Aspekt eine hohe Alltagsrelevanz aufweist. Die Differenz zwischen Gehen ohne Zusatzaufgabe und Gehen mit Zusatzaufgabe (z. B. „dual task costs“) gibt Aufschluss über die geteilte Aufmerksamkeitsressourcen der Patienten. Als kognitive Zusatzaufgabe hat sich das Subtrahieren in 3er-Schritten bei geriatrischen Patienten als machbar erwiesen [14], als motorische Zusatzaufgabe kann das Tragen eines Glases Wasser [15] eingesetzt werden. Hier wird angeregt, weitere Projekte zu starten, um die Evidenz zu verbessern.

Sitz-Stand-/Stand-Sitz-Transfer

Die Messung der zeitlichen Kapazität beim Sitz-Stand-/Stand-Sitz-Transfer sollte während der Eingangsuntersuchung nur bei Belastungsstabilität erfolgen (cave Hüftgelenkoperation). Bei der kategoriellen Erfassung (selbstständig möglich/nicht selbstständig möglich) sollte zwischen dem Aufstehen mit notwendiger Benutzung der Armlehne und dem ohne Gebrauch der Armlehne unterschieden werden. Mit den Patienten, die zumindest eine Aufstehbewegung durchführen können, sollte darüber hinaus die Anzahl der Aufstehbewegungen in 30 s mit habituellem Tempo und mit erlaubter Benutzung der Armlehne erfasst werden (modifiziert nach Jones et al. [10]). Bei den Patienten, die ohne Gebrauch der Armlehnen aufstehen können, sollte nach der 5. Aufstehbewegung eine Zwischenzeit genommen werden, die zur Berechnung des Scorewerts der Short Physical Performance Battery (SPPB [9]) herangezogen werden kann (s. unten).

Liegen-Sitz-Stand-Transfer vom Bett

Der Liegen-Sitz-Stand-Transfer vom Bett wurde als wichtig in seiner Aussagefähigkeit angesehen, weil er in Verbindung mit dem Gehen die motorischen Minimalvoraussetzungen für eine Entlassung in ein selbstständiges Setting darstellt. Bislang existiert kein ausreichend überprüftes Messinstrument, das diese komplexe motorische Fähigkeit untersucht. Das kategorielle Erfassen von „möglich/nicht möglich“ ist ein Minimalparameter, der allerdings keine geringfügigen Verbesserungen erfasst. Auch hier werden weitere Projekte empfohlen, um ein geeignetes Instrument zu entwickeln.

Treppensteigen

Das Treppensteigen ist oft der limitierende Faktor für Aktivitäten im Außenbereich und sollte damit ein wichtiger Bestandteil des motorischen Assessments sein. Der Parameter „möglich/nicht möglich“ erfasst auch hier keine geringfügigen Verbesserungen. Bei der Beurteilung ist ferner zu bedenken, dass Rollatorfahrer wohl in der Lage sein können, die Treppe herauf- und hinunterzusteigen, möglicherweise aber nicht imstande sind, auch den Rollator zu transportieren. Auch hier werden weitere Projekte empfohlen, um ein geeignetes Instrument zu entwickeln.

Die empfohlenen Assessmentverfahren sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Empfohlene Assessmentverfahren zur Erfassung motorischer Einzeldomänen

Optionale Untersuchungen

Short Physical Performance Battery

Zur Kategorisierung des Patientenkollektivs kann die SPPB [9] genutzt werden, die aus den Ergebnissen der Standpositionen, der Gehgeschwindigkeit und aus dem 5-maligen Aufstehen vom Stuhl berechnet wird. Dabei wird aus den Ergebnissen dieser drei motorischen Domänen ein Summenscore (0–12) gebildet. Die von Guralnik et al. [9] berechneten Cut-off-Werte beziehen sich auf ein ambulantes Kollektiv und erlauben in diesem Kontext eine Bewertung der wiedererlangten häuslichen Selbstversorgungsfähigkeit. Außerdem ermöglicht die SPPB Aussagen über die Mortalität [5] und hat prädiktive Aussagekraft für den zu erwartenden Verlust der Gehfähigkeit [22].

Timed Up-and-Go Test

Die Durchführung des TUG [18] wird nicht generell empfohlen. Gründe des Gremiums gegen dessen Aufnahme in das Basisassessment sind der kognitive Anteil an der Testleistung (komplexe Testinstruktion) und der erhebliche Bodeneffekt. Eine mögliche zukünftige Alternative ist die „extended version“ des TUG. Hierbei wird der Test in seinen Teilbereichen (Aufstehen, Ganginitiierung, 1. Gehstrecke, Drehung, 2. Gehstrecke, Hinsetzen) mit Zwischenzeiten untersucht [3]. Die Auswertung der Teilbereiche kann die Diagnostik unterstützen (z. B. sensomotorischer Level der Gangstörung). Hier wird angeregt, Projekte zu starten, um den Stellenwert des erweiterten TUG im Rahmen der geriatrischen Rehabilitation zu erfassen.

Mobilitätstest nach Tinetti

Der Mobilitätstest nach Tinetti (oder POMA) bzw. die Ermittlung seines Scores kann von erfahrenen Therapeuten nach Durchführung der oben genannten Tests generiert werden und erfordert daher vom Patienten nicht mehr die explizite Ausführung der Einzelitems. Er ist auch mit motorisch stark limitierten Patienten möglich und bietet Hilfen bei der Befunderhebung und für therapeutische Ansätze. Damit ist der Tinetti-Test für die Eingangsuntersuchung geeignet. Er wurde nicht für die Verlaufsbeschreibung entwickelt; Gründe hierfür sind die Interrater-Probleme und die Subjektivität bei der Erhebung.

Berg-Balanceskala

Die Untersuchung der Mobilität anhand der Berg-Balanceskala [2] ist eine differenzierte Untersuchung mit 14 Einzelitems. Das Verfahren findet in Kanada und Skandinavien Anwendung. Die meisten Testgütekriterien werden als erfüllt betrachtet. Der Test wird vom Gremium nicht empfohlen, da die Durchführung in der klinischen Praxis zu zeitaufwendig ist und andere Aspekte (Gehen) zusätzlich erhoben werden müssten.

Die optionalen Assessmentverfahren zur Erfassung mehrer motorischer Domänen sind in Tab. 2 zusammengefasst.

Tab. 2 Assessmentverfahren zur Erfassung mehrerer motorischer Domänen (optional)

Objektivierung der physischen Kapazität durch apparative Methoden

Für die Durchführung kommen Exosensoren (z. B. Druckmessplatten, Sensorteppich), am Körper getragene Sensoren oder optoelektronische bzw. videobasierte Verfahren infrage. Nach Einschätzung der Experten stellt der Einsatz von apparativen Messmethoden einen signifikanten Gewinn an Objektivität dar. Darüber hinaus können zusätzliche rehabilitationsrelevante Parameter wie beispielsweise Aspekte der Gangsymmetrie und/oder (dynamischen) Gangstabilität untersucht werden, die die Formulierung des Therapieziels im Rahmen einer indikationsspezifischen Betrachtung des Patienten verbessern können. Es ist davon auszugehen, dass durch die Entwicklungen der Sensortechnik in absehbarer Zeit kostengünstige Verfahren zur Verfügung stehen werden, die eine Aufzeichnung der oben genannten Basisassessmentverfahren, z. B. Sitz-Stand-/Stand-Sitz-Transfer [8], durch am Körper getragene Sensoren ermöglichen.

Stellenwert körperlicher Aktivitätsmessungen

Die bisherigen Assessmentverfahren bilden die Aktivitäten der Patienten nur unzureichend ab. Die Messzeiträume der Funktionsmessungen betragen wenige Sekunden oder Minuten. Transferleistungen werden allenfalls selbstbewertet, fremdbeobachtet (Functional Independence Measure, FIM [12] und Barthel-Index [16]) oder gar nicht erfasst. Um den ICF-Bezug im geriatrischen Assessment zu stärken, sollte daher die körperliche Aktivität untersucht werden. Diese ist eine der Grundlagen für Teilhabechancen. Darüber hinaus können die Ergebnisse für die Pflege eine Rückmeldung in Bezug auf die Notwendigkeit aktivierender Pflege darstellen. Zur Objektivierung der Aktivitätsmessungen ist der Einsatz apparativer Messmethoden (am Körper getragene Sensoren) erforderlich [7]. Exosensoren sind hierfür nicht geeignet, da sie nur innerhäusliche Aktivitäten erfassen können. Die Fragebögen für die Registrierung der körperlichen Aktivität sind komplementär sinnvoll, weisen aber teilweise erhebliche methodische Probleme auf [11].

Die Untersuchung mit am Körper getragenen Sensoren sollte mit jedem rehabilitationsfähigen Patienten durchführbar und nicht mit Bodeneffekten behaftet sein.

Als primärer Parameter wird gegenwärtig die kumulative Gehzeit an einem Wochentag empfohlen. Andere Parameter sind die Anzahl der Gehepisoden und die Dauer der maximalen Gehepisode/n. Ferner können die Anzahl der Sitz-Stand-Transfermanöver, die Passivzeiten (Sitzen/Liegen) und die kumulierte Stand-/Gangzeit als auswertbare Parameter herangezogen werden. Eine abschließende Bewertung erfordert größere repräsentative Stichproben und Subgruppenanalysen der Hauptfallgruppen (Schlaganfall, Traumatologie, elektive Gelenkoperationen, Herzoperationen etc.).

Assessmentzeitpunkte

Ein Eingangsassessment sollte am zweiten, spätestens dritten Tag erfolgen. Es bildet die Grundlage der Zustandsbeschreibung, den Ausgangspunkt der Verlaufsbeschreibung und die Basis des therapeutischen Handelns während des Rehabilitationsaufenthalts. Für einrichtungsübergreifende Vergleichszwecke empfiehlt sich die Durchführung eines abschließenden Zweitassessments 14(± 2) Tage) nach dem Eingangsassessment. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass das Ausmaß der funktionellen Veränderungen nach einem definierten Zeitintervall beschrieben und unabhängig von der Gesamtverweildauer vergleichbar gemacht werden kann. Faktisch ist diese Vorgehensweise in einer Reihe von Einrichtungen bereits ohnehin gängige Praxis, um die erhobenen Daten zeitnah im Entlassungsbrief zu dokumentieren und einem Datenverlust bei vorzeitigen Entlassungen vorzubeugen. Zum Entlassungstag sollte abschließend noch ein Barthel-Index erhoben werden.

Bei einer kleineren Anzahl von Patienten, deren Rehabilitationszeit um mehr als 6 Tage verlängert werden soll, erfüllt das Zweitassessment dagegen die Funktion eines Zwischenassessments, das um ein „verschlanktes“ Abschlussassessment mit Barthel-Index und optional ausgewählten motorischen Tests ergänzt werden kann.

Bei Patienten, deren Rehabilitation verlängert werden soll, können einzelne motorische Tests Auskunft über den Therapieverlauf geben und hilfreich für deren Begründung sein. Aufgrund des zeitaufwendigen Genehmigungsverfahrens (mindestens 7 Tage zeitlicher Vorlauf) können hier die Ergebnisse des Zweitassessments nicht mehr abgewartet werden. In diesen Fällen empfiehlt sich ein individuelles Vorgehen unter ICF-Bezug und Auswahl des dafür geeigneten Assessmentverfahrens.

Beschreibung der prämorbiden Mobilität

Eine systematische Beschreibung des prämorbiden Zustands ist hilfreich für die ICF-basierte Zielformulierung. Der Rivermead Mobility Index [6] stellt ein brauchbares Instrument dafür dar. Hierzu wird der Patient selbst befragt oder alternativ ein Angehöriger einbezogen. Die Erhebung des prämorbiden Mobilitätszustands sollte zusammen mit dem Eingangsassessment erfolgen.

Setting des motorischen Assessments

Bei der Diskussion um die Wertigkeit einzelner motorischer Testverfahren ist immer der Bezug zum Setting herzustellen, denn Boden- und Deckeneffekte der einzelnen Tests variieren abhängig davon, ob rüstige ältere Menschen, geriatrische Rehabilitanden, Pflegeheimbewohner oder akutgeriatrische Patienten untersucht werden. Dieser Aspekt wurde in der Vergangenheit allzu häufig vernachlässigt. Einige motorische Tests, wie z. B. der Tinetti-Test [21] oder der TUG [18], wurden bei einer ambulanten Klientel bzw. bei Tagesklinikpatienten validiert und ungeachtet dieser Tatsache in das klinische Setting übernommen. Der 5CR hat im Rahmen der geriatrischen Prävention zweifelsfrei einen sehr hohen Stellenwert. Er ist jedoch in der geriatrischen Rehabilitation zunehmend dadurch limitiert, dass er zu Beginn der Rehabilitation mittlerweile von etwa 80% der Rehabilitanden nicht durchgeführt werden kann und damit in diesem Setting einen enormen Bodeneffekt aufweist [17]. Da der Sitz-Stand-Transfer eine motorische Schlüsselfähigkeit für die Lokomotion darstellt, bleibt seine genaue Erfassung jedoch unverzichtbar. Die Notwendigkeit von Assessmentanpassungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Setting wird gerade an diesem Beispiel besonders deutlich. Eine Möglichkeit zur Vermeidung von Bodeneffekten ist die Bildung von Summenscores, wie sie beispielsweise durch Kombination mit der Steh- und Gehleistung im SPPB realisiert ist.

Interferenzen

Zu ergänzen ist, dass kognitive und emotionale Anteile eines motorischen Tests immer mitbedacht werden müssen, da sie die Validität eines Tests kompromittieren können. Der TUG bei Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung bzw. Demenz wurde in diesem Kontext bereits genannt. Weitere Beispiele sind die Untersuchung des maximalen Gehtempos bei Patienten mit Angststörungen oder die Überforderung kognitiv beeinträchtigter Patienten bei einer inadäquat ausgewählten Gehhilfe. In diesen Situationen geben die Testergebnisse nicht nur die motorische Leistungsfähigkeit, sondern komplexere Konstrukte wieder. Diese Aspekte sind im Assessmentprotokoll ggf. zu dokumentieren.

Qualitätssicherung

Die Konsensusgruppe stellt abschließend fest, dass die Methode des Assessments nicht nur die Zielsetzung und Rehabilitationsplanung auf patientenbezogener Ebene unterstützt, sondern in bestimmten Grenzen auch die Evaluation rehabilitativer Interventionsmaßnahmen eines Patientenkollektivs ermöglicht. Insbesondere das motorische Assessment der unteren Extremität hat sich bei geriatrischen Patienten diesbezüglich bewährt. Mittelfristig ist anzustreben, dass für alle sechs oben genannten motorischen Domänen sowie für die Abbildung der körperlichen Aktivität ausreichend validierte Verfahren zur Verfügung stehen, die klinikübergreifend zur Messung der Ergebnisqualität herangezogen werden können. Die in Tab. 2 aufgeführten Tests der ersten Wahl erfüllen aus Sicht der Konsensusgruppe bereits diesen Anspruch.

Fazit für die Praxis

Zur transparenten Verlaufsbeurteilung der Mobilität der unteren Extremität in der stationären geriatrischen Rehabilitation werden derzeit die Untersuchung des Gleichgewichts im Stand, das Gehen und der Sitz-Stand-Transfer empfohlen. Für andere, perspektivisch wichtige Untersuchungen besteht Forschungsbedarf. Die Beurteilung der mobilitätsbezogenen Aktivität und Teilhabe im Sinne der ICF ist anzustreben. Am Körper getragene Sensoren stellen eine vielversprechende Möglichkeit dar, um den Verlauf der Rehabilitation zu objektivieren.

Für einrichtungsübergreifende Vergleichszwecke sollte neben einem Eingangsassessment die Verlaufsbeschreibung während des Rehabilitationsaufenthalts durch ein abschließendes Zweitassessment 14(± 2) Tage nach dem Eingangsassessment erfolgen.