Der Zugang zu Einrichtungen und Angeboten des deutschen Gesundheitssystems sowie deren adäquate Nutzung sind für einige Gruppen in unserer Gesellschaft erschwert. Sprachschwierigkeiten, Informationsdefizite und ein Gesundheits- und Krankheitsverständnis, das von dem der Mehrheitsbevölkerung abweicht, können für die Gruppe der Migrant(inn)en Barrieren darstellen [11]. Es wird die Entwicklung und Erprobung eines Interventionsansatzes, genannt Storytelling, beschrieben, der türkischen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen helfen soll, solche Barrieren zu überwinden.

Ältere türkischstämmige Migrant(inn)en sind die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe in Deutschland. Da Migranten im Laufe ihres Arbeitslebens häufiger körperlich belastende Tätigkeiten und Schichtarbeit ausführen mussten und sich im Alltag möglicherweise diskriminiert fühlten, können belastungsbedingte und psychische Erkrankungen im Vergleich zu Deutschen früher und häufiger auftreten [2, 12]. Chronische Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit und Multimorbidität werden in dieser Bevölkerungsgruppe im Alter vermutlich besonders stark zunehmen [4, 12].

Werden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund pflegebedürftig, so übernehmen vornehmlich Angehörige (z. B. Ehefrau, Mutter, Tochter) die Pflege. Etwa 91% der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt – häufig ohne Unterstützung durch professionell Pflegende. Eine stationäre Unterbringung des pflegebedürftigen Angehörigen erfolgt nur in Ausnahmefällen [10]. Der steigende Anteil berufstätiger Frauen, Änderungen in der Familienstruktur sowie die zunehmende geographische Fragmentierung der Familien erschweren die Pflegesituation oder führen dazu, dass die Angehörigen nicht mehr als Pflegende zu Verfügung stehen [4].

Der Wunsch, pflegebedürftige Familienmitglieder ohne Fremdhilfe zu versorgen, kann nicht immer realisiert werden.

Die mit der Pflege einhergehenden körperlichen und psychischen Anforderungen führen zu hoher Belastung und nicht selten Überforderung der pflegenden Angehörigen [13]. Unterstützung und Angebote der Altenhilfe werden von türkischstämmigen Migrant(inn)en aus Unkenntnis oder aufgrund von Barrieren bei Zugang und Inanspruchnahme bisher wenig genutzt. Diese Zielgruppe wird über die „Kommstruktur“ unseres Gesundheitswesens nur ungenügend erreicht. Dazu trägt bei, dass die im Gesundheitsbereich üblicherweise eingesetzten Kommunikationsstrategien die Migrant(inn)en oft nicht ausreichend ansprechen. Zudem bestehen in dieser Zielgruppe häufig Vorbehalte gegenüber patientenaktivierenden Lösungsansätzen. Für eine Verbesserung der Pflege von Migranten reicht es daher nicht, allein die bestehenden Informationsdefizite zu beheben, sondern es sind zunächst Kommunikationshindernisse unterschiedlicher Art zu überwinden. Daneben müssen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen ermutigt und befähigt werden, jeweils aktive Rollen zu übernehmen. Eine Intervention, mit der sowohl Wissen vermittelt als auch Empowerment gefördert werden kann, ist das Storytelling. Darunter sind der moderierte Austausch und die Diskussion eigener Erfahrungen im Kreise von Menschen mit ähnlichen Problemen zu verstehen, angeregt durch das Erzählen einer für die Problemstellung typischen Geschichte.

Storytelling

Das Erzählen von Geschichten ist eine Form der Kommunikation, die Menschen aus allen Kulturen bekannt ist. Jeder Mensch hat schon Geschichten gehört und darüber gesprochen, und jeder Mensch kann Geschichten erzählen, z. B. über Herausforderungen, denen er sich mit mehr oder weniger großem Erfolg gestellt hat. In den letzten Jahren wird das Geschichtenerzählen – Storytelling – gezielt eingesetzt, um Zuhörer zu aktivieren, ihnen Informationen zu vermitteln und gezielt Reaktionen oder Handlungen zu stimulieren. Ein solcher Interventionsansatz wird auch als narrativ (erzählend) bezeichnet.

Die beteiligten Personen sollten einen gemeinsamen Bezugspunkt haben.

Beim Storytelling als Form der Gruppenkommunikation erzählen Mediatoren Geschichten aus der Erfahrungswelt der jeweiligen Teilnehmer. Die beteiligten Personen sollten einen gemeinsamen Bezugspunkt oder ähnliche Interessen und Probleme aufweisen, um eine Basis für das Storytelling bzw. die Geschichten zu schaffen. Dadurch werden die Teilnehmer direkt in das Geschehen involviert. Inhalte und Informationen aus den Geschichten sind für sie verständlicher und können effektiver aufgenommen werden. Die zu Beginn erzählte Geschichte oder Erfahrung kann dann als Ausgangspunkt für das Erzählen weiterer Geschichten oder Erlebnisse durch die Teilnehmer dienen. Sie sind somit nicht nur Zuhörer, sondern auch Erzähler und erkennen im Erzählprozess, dass auch andere, ihnen ähnliche Menschen vergleichbare Probleme haben wie sie selbst. Das wiederum regt eine Diskussion über mögliche Lösungsstrategien an und aktiviert dadurch die Teilnehmer. Der Austausch muss in einem geschützten Raum stattfinden, d. h. die Teilnehmer müssen sicher sein, dass das Gesprochene nicht zur Beurteilung oder Kontrolle verwendet oder nach außen getragen wird [3].

Storytelling wird seit Jahren in Unternehmen zur Weiterbildung der Mitarbeiter(innen) eingesetzt. Dem liegt die Beobachtung zugrunde, dass das Geschichtenerzählen zu einem verbesserten Informationsaustausch unter den Mitarbeiter(inne)n führen kann. Dadurch lassen sich die Kosten für Aus- und Weiterbildung reduzieren, z. B. so geschehen in den 1990er Jahren bei der Firma Xerox [3].

Jeder Mensch kann Geschichten erzählen, die als Ausgangspunkt für aktivierende Gruppendiskussionen dienen können.

Im Bereich des Gesundheitswesens wird Storytelling bereits in der diagnostischen Begegnung, im therapeutischen Prozess, in der Arzt- und Patientenschulung und in der Forschung eingesetzt [7]. Dabei kann die Interaktion in unterschiedlichen Konstellationen zwischen den Akteuren aus dem Gesundheitsbereich (z. B. Arzt, Pflegepersonal) und den Patienten oder Betroffenen erfolgen. Ein narrativer, selbsthilfeorientierter Ansatz in Form des Storytellings wurde bereits erfolgreich im Rahmen der Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen in Gruppen verschiedener Nationalität (z. B. Türken, Iraner, Chinesen) erprobt [5]. Zweisprachige Mitarbeiter aus dem Gesundheitsbereich erhielten eine 12-wöchige Schulung mit Informationen zum Umgang mit Diabetes und im Bereich der Patientenedukation. Danach wurden wöchentlich Treffen mit Diabetikern in der jeweiligen Muttersprache durchgeführt. Eine Evaluation fand im Rahmen des Gruppenlernens in der Aus- und Weiterbildung anhand von Lernzielen statt, die über einen Fragebogen abgefragt wurden. Im Bereich der Demenzforschung wurde ein Storytelling-Ansatz mit dementen Personen durchgeführt. Die qualitative Analyse ergab, dass das Geschichtenerzählen den Teilnehmern half, sich zu erinnern und Assoziationen zu kürzlich Erlebtem herzustellen [8].

Im hier vorgestellten Projekt saba wurde das Storytelling erstmals im Bereich der häuslichen Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund eingesetzt.

Saba (evde sağlık ve bakım)

Das Akronym saba steht für den Ausdruck „evde sağlık ve bakım“ und bedeutet „Gesundheit und Pflege zu Hause“. Das im Rahmen des Pflegeforschungsverbunds NRW seit 2007 geförderte Projekt richtet sich an türkische Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen. Es zielt – als komplexer und kulturell angepasster Interventionsansatz – besonders auf die Unterstützung der Pflegenden in Form einer Stärkung des Selbstmanagements und Empowerments. Dazu wurde auf Basis des Storytellings nach Greenhalgh et al. [6] ein selbsthilfeorientierter Interventionsansatz entwickelt, bei dem sich die Pflegenden im Rahmen der Angehörigentreffen über eigene pflegebezogene Erfahrungen in ihrer Muttersprache austauschen. Dieses gegenseitige Erzählen von Erlebnissen und Geschichten findet in Anwesenheit speziell geschulter Mediator(inn)en statt.

Geplant war die Erprobung der Intervention im Rahmen einer kontrollierten randomisierten Studie und die Evaluation mit validierten Instrumenten, die vor und nach der Intervention zum Einsatz kommen sollten.

Rekrutierung der Studienteilnehmer(innen)

Türkische Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen wurden mit unterschiedlichem Erfolg über zwei verschiedene Zugangswege rekrutiert.

In einer registerbasierten Ziehung einer Zufallsstichprobe wurden in einem Datensatz des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK WL) mithilfe eines namenbasierten Algorithmus Begutachtungen von türkischstämmigen Personen identifiziert. Von den ca. 600.000 Begutachtungen im Zeitraum 2003 bis 2007 fanden 13.500 Begutachtungen an türkischstämmigen Personen statt. Nach Anwendung der Ein- und Ausschlusskriterien und Ziehen einer Zufallsstichprobe wurden 620 türkischstämmige Pflegebedürftige postalisch kontaktiert. Sie bzw. ihre pflegenden Angehörigen wurden zu Informationsveranstaltungen in räumlicher Nähe zu ihrem Wohnort eingeladen. Etwa ein Fünftel der Angeschriebenen konnte über die angegebene Adresse nicht mehr erreicht werden. Von den verbliebenen 496 Personen reagierten nur 30 Personen (6,0%). Von diesen ließen sich 5 Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen zu einer Teilnahme am Projekt saba motivieren.

Parallel dazu wurde ein zugehender Ansatz auf Basis der sozialen Netzwerke umgesetzt. Türkischstämmige Schlüsselpersonen (z. B. aus türkischen Selbsthilfegruppen, Vereinen) wurden in die Rekrutierung einbezogen, da diese Personen bereits Kontakte zu Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen hatten und eine Vertrauensbasis bestand. Diese Schlüsselpersonen wurden aufgesucht, über die Studie saba informiert und um eine Unterstützung bei der Rekrutierung potenzieller Studienteilnehmer gebeten. Über die Schlüsselpersonen wurden Termine zu Hausbesuchen bei potenziellen Studienteilnehmern arrangiert. Im Rahmen von 22 Hausbesuchen in Anwesenheit der jeweiligen Schlüsselperson wurden insgesamt 18 türkische Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen von einer türkischen Mitarbeiterin zur Studienteilnahme motiviert [14].

Vor Beginn der Intervention in Form der Angehörigentreffen wurde eine Einwilligung („informed consent“) von allen teilnehmenden Pflegebedürftigen bzw. deren gesetzlichen Vertretern und von den pflegenden Angehörigen eingeholt. Tonaufnahmen der Treffen wurden nur angefertigt, wenn alle Teilnehmer damit einverstanden waren. Dies wurde jeweils zu Beginn eines Angehörigentreffens geklärt. Alle an der Studie mitarbeitenden Personen – die Mitarbeiter(innen) der Universität Bielefeld, Mediator(inn)en und MDK-Gutachterinnen – unterschrieben vor Beginn ihrer Tätigkeit eine Datenschutzerklärung, um die Datensicherheit der Studienteilnehmer(innen) zu garantieren. Die zuständige Ethikkommission des Universitätsklinikums Münster prüfte das Studiendesign sowie die eingesetzten Instrumente und stimmte dem Vorgehen zu (Ethikvotum Nr. (B6) 2007-242-f-S).

Entwicklung der Intervention

Die Intervention im Projekt saba erfolgte in 4 Schritten: Zunächst wurden für die Zielgruppe relevante Themen identifiziert, dann Startergeschichten entwickelt, anschließend ergänzende Informationspakete erstellt und schließlich die Mediatoren geschult.

Identifizieren relevanter Themen

Auf Basis der Literatur und in Rücksprache mit professionell Pflegenden wurden Themenbereiche zusammengestellt, die als Oberthema für die Angehörigentreffen dienten. Im Projekt saba waren dies folgende Themenkomplexe (Abb. 1):

  • Pflegeversicherung und deren Leistungen

  • Aspekte der physischen und psychischen Gesundheit

  • Mobilität

  • Wohnen

  • Patientenverfügung/Vorsorgevollmacht

Das erste Gruppentreffen diente dem gemeinsamen Kennenlernen sowie der Planung und Festlegung der Reihenfolge, in der die Themen bearbeitet werden sollten. Die pflegenden Angehörigen konnten bei dieser Gelegenheit weitere, für sie relevante Themen vorschlagen.

Abb. 1
figure 1

Themenbereiche im Projekt saba

Entwickeln der Startergeschichten

Zu jedem Themenbereich wurde eine Startergeschichte als Ausgangspunkt für den Erfahrungs- und Informationsaustausch während der Gruppentreffen entwickelt. Die Geschichten mussten bestimmte Charakteristika und eine einheitliche Struktur aufweisen. In einer kurzen Einführungsphase werden Informationen über die Personen und die Ausgangssituation in der Geschichte gegeben (Istzustand). In der anschließenden Problembeschreibungsphase wird die Ursache des Problems dargestellt und das Problem benannt. Die Folgen des Problems werden in der Abschlussphase beschrieben. Das Ende der Geschichte soll offen bleiben, um die Teilnehmer zum Erzählen und Diskutieren zu motivieren [5, 6].

Die Geschichten wurden auf Deutsch entwickelt und anschließend ins Türkische übersetzt (Abb. 2). In beiden Sprachen wurde jeweils überprüft, ob die Geschichten den genannten Anforderungen entsprachen. Zudem wurden die Geschichten laut vorgelesen, um die Dauer und Verständlichkeit der Geschichte abzuschätzen.

Abb. 2
figure 2

Beispiel für eine Startergeschichte zum Themenschwerpunkt Diabetes

Erstellen der Informationspakete

Informationen auf Deutsch und Türkisch zu den verschiedenen für die Pflegenden relevanten Themen (Abb. 1) wurden zusammengetragen und ggf. aktualisiert. Diese Informationen und die themenzugehörigen Startergeschichten wurden als „offene Materialsammlung“ in Form eines Handbuchs den Mediator(inn)en übergeben. Das Informationspaket enthielt zudem eine Inhaltsangabe mit der Themenübersicht, Hinweise zum Gebrauch und eine kurze Beschreibung zum Ablauf der Angehörigentreffen.

Schulung zur Weiterqualifizierung der Mediatoren

Für das Gelingen der Storytelling-Methode müssen die Mediator(inn)en – als „Kristallisationspunkte“ der Gruppenkommunikation [6] – gute kommunikative Kompetenzen aufweisen. Dazu gehört unter anderem die Fähigkeit des aktiven Zuhörens. Beim aktiven Zuhören versucht der Empfänger (hier Mediator/in) die Inhalte/Informationen, die ihm/ihr der Sender (hier Gruppenteilnehmer/in) gegeben hat, in eigenen Worten wiederzugeben und an den Sender zurückzuspiegeln. Das hilft zu überprüfen, ob die Informationen richtig verstanden wurden. Auch kommunikative Anpassung und Empathie – die Fähigkeit, sich auf sein Gegenüber auf kognitiver, emotionaler und interaktiver Ebene einzustellen – sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung, ebenso wie entsprechendes Wissen und Motivation [1]. Für die Studie saba wurden daher türkischsprachige Gesundheitsmediator(inn)en aus dem Projekt „MiMi: Mit Migranten für Migranten“ engagiert und nochmals speziell geschult. Diese Mediator(inn)en waren bereits vorher vom Ethno-Medizinischen Zentrum Hannover ausgebildet worden, um Informationsveranstaltungen in ihrer Muttersprache über gesundheitsrelevante Themen durchzuführen [9].

Die Gesundheitsmediator(inn)en sollten aus dem gleichen Kulturkreis stammen wie die Studienteilnehmer.

Im Rahmen von saba erhielten die Mediator(inn)en eine zweitägige Weiterqualifizierung mit theorieorientierten und praktischen Anteilen. Sie basierte auf 6 Bausteinen:

Baustein 1

Die Mediator(inn)en wurden über den Hintergrund und den Ablauf der Studie saba informiert.

Baustein 2

Die Grundlagen des Interventionsansatzes Storytelling und die Umsetzung des narrativen Ansatzes in Form von Angehörigentreffen wurden vermittelt. Im Gegensatz zu ihren bisherigen Einsatzbereichen müssen die Mediator(inn)en keine Vorträge halten. Vielmehr schaffen sie durch das Vorlesen der Startergeschichte Kristallisationspunkte für die Gruppengespräche und übernehmen die Moderationsrolle während der Angehörigentreffen.

Baustein 3

Die Themenschwerpunkte, die für Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen relevant sind, und die Startergeschichten zur Erarbeitung des jeweiligen Themenkomplexes wurden den Mediator(inn)en vorgestellt.

Baustein 4

Die theoretischen Grundlagen der vorangegangenen Bausteine wurden anhand von Übungen aufgearbeitet und umgesetzt. Dazu wurden Angehörigentreffen in Form von Rollenspielen durchgeführt. Abwechselnd übernahm jeweils ein(e) Teilnehmer(in) die Rolle des Mediators und las eine der Startergeschichten vor. Anschließend versuchte er/sie, das Gespräch zu moderieren. Die restlichen Teilnehmer(innen) übernahmen die Rolle der pflegenden Angehörigen.

Baustein 5

Im Rahmen dieser Rollenspiele wurden auch Übungen zu Schlüsselkompetenzen (z. B. aktives Zuhören, Empathie, Authentizität, Nachfragetechniken) durchgeführt sowie Fragen und Unklarheiten anhand von Beispielen erklärt.

Im Anschluss an jedes Rollenspiel bekamen die Mediator(inn)en ein Feedback zum Ablauf des durchgespielten Angehörigentreffens, der Moderation und ggf. zu Verbesserungsmöglichkeiten.

Baustein 6

Abschließend wurden die formalen Rahmenbedingungen der Treffen vorgestellt. Dazu gehörten Angaben zu den Räumlichkeiten, Ablauf der Treffen (mit Nachfrage zur Einwilligung von Tonaufnahmen) und Terminabsprachen.

Zum Abschluss der Schulung wurde den Mediator(inn)en das Informationspaket mit türkischem und deutschem Material zur Verfügung gestellt und ein Evaluationsbogen zur Weiterqualifizierungsschulung an die Teilnehmer(innen) verteilt.

Durchführung der Intervention

Insgesamt 29 türkische Pflegebedürftige nahmen mit ihren pflegenden Angehörigen an den Interventionen der Studie saba teil. Somit konnten vier Angehörigengruppen gebildet werden. Drei Gruppen in Hamm und Bielefeld trafen sich insgesamt 10-mal für 1 Stunde pro Woche. Die Mitglieder der Gruppe aus Herne fanden sich 5-mal für jeweils 2 Stunden zu einem Angehörigentreffen zusammen. Zu Beginn eines jeden Treffens wurden die Teilnehmer gefragt, ob sie einer Tonaufnahme zustimmen würden.

Während des ersten Angehörigentreffens lernten sich die Teilnehmer kennen, die Themen wurden vorgestellt und die Reihenfolge festgelegt. Zusätzliche Themenvorschläge wurden zu diesem Zeitpunkt nicht gemacht. Bei den nachfolgenden Treffen las die Mediatorin bzw. der Mediator zu Beginn jeweils eine der Startergeschichten (Abb. 2) vor. Anschließend übernahm sie/er die Rolle des Zuhörers. Die Geschichten motivierten die pflegenden Angehörigen zum gegenseitigen Erzählen ihrer eigenen, pflegebezogenen Erfahrungen (Greenhalgh spricht von „sharing stories“, also Geschichten miteinander teilen [6]). Die Angehörigen sprachen über ihre Bedürfnisse und Sorgen und tauschten Erfahrungen aus. Das führte häufig zu emotionalen Momenten, in denen den eigenen Gefühlen freier Lauf gelassen wurde, was anschließend als psychische Entlastung beschrieben wurde.

Die Gespräche verlaufen trotz gleicher Startergeschichte unterschiedlich.

Schwierige Gesprächssituationen wurden von der Mediatorin bzw. dem Mediator moderiert. Wenn nötig lenkten sie das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema zurück. Zum Abschluss eines jeden Angehörigentreffens stellte die Mediatorin bzw. der Mediator mit Unterstützung der pflegenden Angehörigen die wichtigsten Sachinformationen kurz zusammen. Bei einigen Treffen wurden den pflegenden Angehörigen Informationen z. B. in Form einer Broschüre („Gesundheit Hand in Hand“/“Sağlığınız için el ele“) mitgegeben. Die Treffen der einzelnen Gruppen entwickelten sich trotz identischer Startergeschichten unterschiedlich, da die individuellen Geschichten ihrer Mitglieder und die daraus resultierenden verschiedenen Reaktionen den Gesprächsverlauf bestimmten. Die türkische Mitarbeiterin besuchte ein bis zwei Treffen jeder Angehörigengruppe, um die Umsetzung der Intervention zu beobachten und die Reaktion bzw. Akzeptanz der pflegenden Angehörigen zu dokumentieren.

Verstetigung

Einige pflegende Angehörige konnten aufgrund der Pflegesituation, einer Berufstätigkeit oder ihrer familiären Situation nicht regelmäßig oder gar nicht an den Angehörigentreffen teilnehmen. Der Gesprächsbedarf und die Motivation in den Gruppen waren aber so hoch, dass sich die Angehörigen in Bielefeld und Hamm seit der letzten Intervention im April 2009 weiterhin getroffen haben. Aktuell (Stand Oktober 2010) gründen die türkischstämmigen pflegenden Angehörigen in Herne und Bielefeld eine Selbsthilfegruppe bzw. einen Selbsthilfeverein. Dabei werden sie von einer Mitarbeiterin des Projekts saba unterstützt, die auch die Beratung und Betreuung pflegender Angehöriger weiterführt.

Evaluation

Die Daten aus der formalen Evaluation der Interventionen werden derzeit analysiert. Im Projekt saba kamen folgende Instrumente (in Türkisch) vor der Interventionsphase (Baselineerhebung) und zu zwei Erhebungszeitpunkten im Anschluss an die Interventionsphase zum Einsatz:

  • Die Pflegebedürftigen wurden mit dem EQ-5D und der visuellen Analogskala (VAS) zur subjektiv wahrgenommenen Lebensqualität befragt.

  • Über die häusliche Pflegeskala (HPS) wurde die Belastung und über die Perceived Stress Scale (PPS) der subjektiv empfundene Stress der pflegenden Angehörigen erfragt.

  • Des Weiteren wurde ein Fragebogen zum Empowerment eingesetzt.

Der objektive Gesundheitszustand wurde über Formulargutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom MDK zu zwei Erhebungszeitpunkten (vor und nach der Intervention) erhoben.

Durch den hohen zeitlichen und personellen Aufwand bei der Rekrutierung [14] konnte die ursprünglich geplante Fallzahl nicht erreicht werden. Die Studienteilnehmer(innen) stellen keine Zufallsstichprobe dar, sondern sind eine selbst selektierte Gruppe. Aufgrund der kleinen Fallzahl konnten die ursprünglich definierten Ein- und Ausschlusskriterien keine Anwendung finden. Da etwa zwei Drittel (n=20) der Pflegebedürftigen eine Demenz, geistige Behinderung oder eine psychische Erkrankung aufwiesen, relativiert sich die Aussagekraft der eingesetzten Instrumente (EQ-5D und VAS).

Der Einfluss auf die Qualität der häuslichen Pflege ist noch ungeklärt.

Aufgrund der kleinen Fallzahl und der engen Vernetzung der Studienteilnehmer konnten keine Kontrollgruppen eingerichtet werden. Daher werden eine semiquantitative Analyse der anhand der genannten Instrumente erhobenen Daten sowie eine ausführliche qualitative Analyse der Mitschnitte von Angehörigentreffen vorgenommen. Schwierigkeiten und Probleme im Rahmen der Evaluation sind erst noch aufzuarbeiten, sodass zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher nachgewiesen werden kann, welchen Einfluss die Intervention auf die Qualität der häuslichen Pflege ausgeübt hat.

Fazit

  • Storytelling stellt einen kulturell angepassten Interventionsansatz dar.

  • Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung ist der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses, der sich über türkischstämmige Schlüsselpersonen realisieren lässt.

  • Migrantenspezifische Barrieren können durch die Umsetzung der Storytelling-Methode mit muttersprachlichen Mediator(inn)en abgebaut werden.

  • Es wird den pflegenden Angehörigen ermöglicht, ihre persönlichen Probleme bei der Pflege darzustellen und sich mit anderen Pflegenden austauschen.

  • Im Rahmen des Projekts saba setzten die Studienteilnehmer die gewonnenen Informationen im Pflegealltag um.

  • Nach Abschluss der Intervention erfolgt weiterhin eine Beratung und Betreuung der pflegenden Angehörigen. Eine Verstetigung der Intervention wird derzeit in Form einer Selbsthilfegruppe und eines Selbsthilfevereins umgesetzt.