Zusammenfassung
Ziel
Ziel der vorliegenden Studie war die systematische Erfassung der Behandlungsqualität, Therapiezufriedenheit und kognitiven Leistungsfähigkeit bei Patienten mit Diabetes mellitus (DM), die sukzessive aus verschiedenen häuslichen Versorgungsstrukturen (Pflegeheim, Sozialdienst, betreutes Wohnen, familiär versorgt, selbstständig) in die Akutgeriatrie eingewiesen wurden.
Methoden
Bei 128 geriatrischen Patienten mit DM wurden strukturiert Stoffwechselqualität (HbA1c-Wert), diabetesbezogene Behandlung, Ernährungssituation, Kognition, funktionelle Defizite, Therapiezufriedenheit und Pflegebedürftigkeit erfasst.
Ergebnisse
Von 128 Patienten hatten 87 Patienten einen HbA1c-Wert ≤8% entsprechend den Empfehlungen der Leitlinien der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG). Die Pflegeheimbewohner wiesen einen vergleichbar guten HbA1c-Wert und eine vergleichbar gute Therapiezufriedenheit auf wie die Patienten, die sich selbstständig versorgten. Allerdings zeigten sie eine deutlich höhere Pflegebedürftigkeit (Barthel-Index, p<0,001), eine schlechtere Mobilität (Tinetti-Test, p<0,01), ein schlechteres diabetesbezogenes Wissen (p<0,001), schlechtere kognitive Leistungen (MMST, SPMSQ, p<0,01) und häufiger depressive Verstimmungen (GDS, p<0,01). Bessere kognitive Fähigkeiten korrelierten mit einem besseren diabetesbezogenen Wissen (r=0,49; p<0,001), nicht aber mit der Behandlungsqualität, gemessen am HbA1c-Wert.
Schlussfolgerung
Die Behandlungsstrategie geriatrischer Patienten mit Diabetes mellitus bedarf einer individuellen Betrachtung und interdisziplinären Betreuung. Insbesondere bei Pflegeheimpatienten könnte die Weiterbildung von Altenpflegern und Angehörigen dazu beitragen, die Qualität der Diabetesbehandlung weiter zu verbessern.
Abstract
Objective
The goal of the present study was to systematically assess treatment quality, perceptions, and cognitive function of elderly patients with diabetes admitted to an acute geriatric hospital from different home environments (nursing home residents, home care, assisted living, family caregivers, self-sufficient).
Methods
Quality of diabetes treatment, metabolic control (HbA1c), nutrition, treatment satisfaction, cognition, disability, and level of dependency were assessed in 128 patients with diabetes.
Results
Out of 128 patients, 87 patients (68%) showed an HbA1c ≤8% according to the guidelines for aging people with diabetes of the German Diabetes Association (DDG). Compared to patients living independently at home, the metabolic control in nursing home residents and their treatment satisfaction were as good. They had a higher degree of dependency though (Barthel, p<0.001), more strongly impaired mobility (Tinetti, p<0.01), less diabetes knowledge (p<0.001), inferior cognitive performance (MMSE, SPMSQ, p<0.01), and a higher prevalence of depression (GDS) (p<0.01). Better cognitive function correlated with better diabetes knowledge (r=0.49; p<0.001), but not with better metabolic control.
Conclusion
The treatment of geriatric patients with diabetes mellitus requires individual considerations and interdisciplinary care. Particularly the continuing education of geriatric nurses could contribute to improved diabetes treatment quality in nursing home residents.
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Wichtigstes Therapieziel für geriatrische Patienten mit Diabetes mellitus ist die Bewahrung der Lebensqualität, d. h. die Förderung und der Erhalt der physischen, psychischen und sozialen Kompetenz sowie Eigenständigkeit [9, 17]. Häufig stellt der Diabetes dabei jedoch nur eine Komponente ihrer Multimorbidität dar, sodass bei der Betreuung dieser Patienten nicht nur die Besonderheiten der Diabetestherapie berücksichtigt werden müssen, sondern auch die Behandlungsstrategien der Komorbiditäten, die Ernährungs- bzw. Pflegesituation sowie die kognitive Leistungsfähigkeit des Einzelnen [3]. Aktuell sind mehr als zwei Drittel der in Deutschland lebenden Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 älter als 60 Jahre. Bedingt durch die Veränderungen der demographischen Entwicklung und der damit verbundenen Erhöhung der Anzahl älterer Menschen wird auch eine Zunahme von degenerativen Erkrankungen erwartet, die sich auf die medizinischen und pflegerischen Versorgungsleistungen auswirken. Laut Pflegestatistik gibt es bereits heute in Deutschland insgesamt 2,1 Mio. pflegebedürftige Menschen im Sinne des SGB XI [16]. Eine optimale Struktur- und Prozessqualität sind dabei die Voraussetzung für eine optimale Behandlungsqualität. Bisher ist allerdings wenig über die Qualität der Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus bekannt, die in Pflegeheimen leben oder durch die Sozialstation versorgt werden.
Fragebogengebundene Analysen von Pflegeheimbewohnern in Heinsberg und im Kreis Borken zeigten eine Diabetesprävalenz von 27% in Pflegeeinrichtungen [11, 12, 13]. Dabei erhielten 60% der ambulanten und 39% der stationär betreuten Patienten eine Insulintherapie [13]. Eine Analyse der Stoffwechselqualität, gemessen am HbA1c-Wert, war in beiden Studien jedoch nicht oder nicht regelhaft durchgeführt worden. Eine weitere Studie von Coll-Planas et al. [5] zeigte, dass 14% von 83 untersuchten Studienteilnehmern einen HbA1c-Wert von über 8% aufwiesen. Diese Studie rekrutierte die Studienteilnehmer fragebogenassoziiert aus 37 Pflegeheimen und 46 ambulanten Pflegeeinrichtungen, sodass von einer geringen Antwortrate auszugehen ist. Epidemiologische Daten von Patienten mit Diabetes, die durch Pflegeheime oder Sozialdienste in Deutschland versorgt werden und mithilfe validierter Assessmentverfahren persönlich erhoben wurden, sind bisher nicht publiziert.
Das Ziel dieser Studie war es daher, Behandlungsqualität, Therapiezufriedenheit, Kognition, Ernährungszustand und die funktionellen Fähigkeiten von älteren Menschen mit Typ-2-Diabetes aus verschiedenen häuslichen Versorgungsstrukturen strukturiert unter Verwendung eines geriatrischen Assessments zu untersuchen und die Ergebnisse vergleichend darzustellen. Zudem sollte die Umsetzung aktueller Leitlinien der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) [9] überprüft werden. Die vorliegende epidemiologische Studie dient somit auch der Qualitätssicherung, da anhand dieser Ist-Analyse Verbesserungspotenziale in der medizinischen Versorgung eruiert werden können.
Studiendesign und Methoden
Bei insgesamt 128 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die zwischen dem 15.08.2006 und 15.12.2006 sukzessive aus verschiedenen häuslichen Versorgungsstrukturen in das Bethanien-Krankenhaus, Geriatrisches Zentrum an der Universität Heidelberg, eingewiesen wurden, wurde strukturiert die Stoffwechselqualität erfasst sowie ein umfassendes geriatrisches Assessment durchgeführt. Dieses beinhaltete den Ernährungszustand, die Pflegebedürftigkeit, die Therapiezufriedenheit, die Frailty (Gebrechlichkeit), sozioökonomische Faktoren und den kognitiven Funktionsstatus.
Ein Votum der Ethikkommission wurde an der Medizinischen Fakultät Heidelberg erteilt (436/2006).
Laborchemische Analysen
Die Bestimmung der Stoffwechselqualität erfolgte durch Messung des glykosylierten Hämoglobins A1 (HbA1c-Wert) mittels HPLC (Hochleistungsflüssigkeitschromatographie) im Labor des Bethanien-Krankenhauses Heidelberg.
Ernährungszustand, Therapiezufriedenheit, körperliche Bewegung
Der Ernährungszustand wurde mithilfe eines standardisierten Fragebogens, dem Mini Nutritional Assessment (MNA) erfasst (maximale Punktzahl 30, Risiko für Unterernährung 17–23,5 Punkte, <17 Punkte schlechter Ernährungszustand [8]. Zusätzlich wurde der Body-Mass-Index (BMI) und der Hüft-Taillen-Quotient (Waist-Hip-Ratio, WHR) gemessen. Die Therapiezufriedenheit wurde durch den bereits in verschiedenen Kohorten validierten Fragebogen von Bradley et al. [1]. ermittelt. Dieser besteht aus 8 Likert-skalierten Items, die die Zufriedenheit der Patienten in den letzten 4 Wochen vor der Befragung widerspiegeln. Die tägliche körperliche Bewegung wurde mit dem Fragebogen nach Voorrips et al. [19] gemessen. Dieser ermittelt strukturiert die alltägliche körperliche Aktivität im Rahmen durchgeführter Hausarbeit in Abhängigkeit von jeweils vorhandenen Räumlichkeiten, Selbstversorgung und Bewegungssituation.
Neuropsychologische Diagnostik
Bei allen Patienten wurde eine neuropsychologische Diagnostik durchgeführt. Dazu wurden die nachfolgend beschriebenen Testverfahren zur Erfassung der kognitiven Leistungsfähigkeit und zur Erfassung möglicher depressiver Störungen herangezogen.
Mini-Mental-Status-Test (MMST)
Mithilfe des MMST nach Folstein [6] können kognitive Defizite erfasst werden. Der MMST besteht sowohl aus interviewbasierten Fragen als auch aus Handlungsaufgaben (Score 0–30 Punkte, >24 Punkte: normal, 17–23 Punkte: mittlere, 0–16 Punkte: schwere kognitive Funktionseinschränkung). Insgesamt standen 93 von 128 Assessments für die statistische Auswertung zur Verfügung.
Short Portable Mental Status Questionaire (SPMSQ)
Der SPMSQ nach Pfeiffer [14] ist ein kognitiver Test bestehend aus 10 Fragen (Score 0–10 Fehlerpunkte, >2 Fehler: kognitive Einschränkung). Insgesamt standen 86 von 128 Assessments für die statistische Auswertung zur Verfügung.
Geriatric Depression Scale (GDS 15)
Die GDS 15 nach Yesavage [24] ist ein Befragungsinstrument zur Erfassung möglicher depressiver Störungen. Der Fragebogen besteht aus 15 Fragen (Score 0–15 Punkte, ≥6 Punkte: depressive Störung wahrscheinlich).
Die Gruppe, für die kein SPMSQ bzw. MMST vorlag, unterschied sich nicht signifikant von der Gruppe mit kompletten Assessments hinsichtlich Alter, Diabetesdauer, HbA1c-Wert, BMI, WHR, Nüchternblutzucker und Anzahl der eingenommenen Medikamente.
Sozioökonomische Faktoren
Sozioökonomische Faktoren wie Schulbildung, Berufsausbildung und beruflicher Werdegang wurden im Rahmen des prämorbiden kognitiven Leistungstests (PML) nach Wolfram [20] ermittelt (89/128 prämorbide Leistungsteste vorliegend). Die Angabe des prämorbiden Leistungsniveaus erfolgte in Intelligenzquotient- (IQ-)Punkten.
Frailty (Gebrechlichkeit), Pflegebedürftigkeit, Gangsicherheit
Die Frailty wurde mithilfe des standardisierten Fragebogens nach Rockwood [15] in verschiedene Stufen von 0 bis 3 eingeteilt. Die Einteilung richtet sich nach der kognitiven Leistungsfähigkeit, Kontinenz, Gehfähigkeit und den noch möglichen Aktivitäten des täglichen Lebens. Dabei ist die Stufe 0 unauffällig, die Stufe 3 entspricht dem höchsten Grad der Gebrechlichkeit. Die Pflegebedürftigkeit wurde mit dem Barthel-Index bestimmt (maximale Punktzahl 100). Der Barthel-Index stellt Abhängigkeiten in den Aktivitäten des täglichen Lebens wie z. B. Kontinenz, Mobilität, Transfer, Selbstständigkeit bei der Nahrungsaufnahme sowie Körperpflege dar. Zur Überprüfung der Balance und Gangsicherheit wurde der Tinetti-Test [18] durchgeführt (maximal 28 Punkte, <20 Punkte: deutlich erhöhtes Sturzrisiko).
Andere Parameter
Diabetesbezogene Folgeerkrankungen und Akutkomplikationen wurden anamnestisch und aus der Diagnosenhistorie der Patienten erfasst. Zudem wurde von einer Nephropathie bei einer reduzierten Kreatininclearance (nach Cockroft-Gault) von <60 ml/min ausgegangen.
Statistik
Die statistische Auswertung erfolgte computergestützt mit SPSS® (Statistical Package for Social Science, USA). Normal verteilte Werte wurden als Mittelwert ± Standardabweichung angegeben, nicht normal verteilte Werte als Median und Range. Mittelwertvergleiche wurden mit dem Student-t-Test bzw. Wilcoxon-Test berechnet. Die Signifikanz wurde mit p <0,05 angenommen. Des Weiteren wurden Korrelationsanalysen nach Pearson und multiple Regressionsanalysen durchgeführt.
Ergebnisse
Von den 128 untersuchten Patienten waren 28 selbstständig, 29 lebten im familiären Umfeld, 5 im betreuten Wohnen, 32 wurden durch den Sozialdienst betreut und 34 Patienten lebten im Pflegeheim. Die Patientencharakteristika sind in Tab. 1 dargestellt.
Einen HbA1c-Wert ≤8% entsprechend den Leitlinien der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) „Diabetes im Alter“ hatten 87 (68%) der 128 Studienteilnehmer (Abb. 1). Pflegeheimbewohner zeigten eine vergleichbar gute Stoffwechselqualität, gemessen am HbA1c-Wert, wie Patienten, die sich selbstständig versorgen (7,6±1,6 vs. 8,1±2,0%, nicht signifikant).
Von den untersuchten Patienten wurden 42 (32,8%) rein diätetisch behandelt, 37 (28,9%) erhielten ausschließlich orale Antidiabetika, 12 (9,4%) eine Kombination aus oralen Antidiabetika und Insulin und 37 Patienten (28,9%) eine Insulintherapie (Tab. 2). Lediglich 15 Patienten (11,7%) absolvierten eine Diabetesschulung, wobei 6 Patienten (4,7%) ohne Insulin und 9 Patienten (7%) mit Insulin geschult wurden.
Insgesamt waren bei 53 Patienten (41,4%) diabetesbezogene Folgeerkrankungen bekannt; 43 Patienten (33,6%) hatten lediglich eine Folgeerkrankung, 9 Patienten (7%) bereits 2 und ein Patient (0,8%) 3 Folgeerkrankungen. Im Detail hatten 38 Patienten (29,7%) der Studienkohorte eine diabetische Nephropathie, 18 Patienten (14,1%) eine periphere Polyneuropathie und 7 Patienten (5,5%) ein Retinopathie. Schwere Hypoglykämien traten mit einer Inzidenz von 0,04 pro Patient pro Jahr auf. Im Durchschnitt waren bei den 128 Patienten 2,6±1,3 geriatrische Syndrome (z. B. Harninkontinenz, Immobilität, Instabilität, kognitiver Abbau) nachweisbar. Insgesamt litten 120 Patienten (93,75%) unter mindestens einem der genannten geriatrischen Syndrome. Einen stationären Krankenhausaufenthalt im Jahr vor der Untersuchung hatten bereits 37 Patienten (28,9%).
Das PML nach Wolfram ergab keine Unterschiede zwischen den verschiedenen häuslichen Versorgungsstrukturen (Tab. 3).
Pflegeheimbewohner sowie Patienten, die durch den Sozialdienst versorgt wurden, zeigten allerdings eine deutlich schlechtere kognitive Leistungsfähigkeit (gemessen am SPMSQ und MMST, p<0,001), einen schlechteren Ernährungsstatus, ein schlechteres diabetesbezogenes Wissen (p=0,02) und waren gebrechlicher (Frailty-Stufe, p<0,001). Zudem zeigten Pflegeheimbewohner häufiger depressive Verstimmungen im Vergleich zu selbstständigen Patienten (GDS, p=0,002) und eine höhere Pflegebedürftigkeit (Barthel-Index, p<0,001). Die sportliche Aktivität aller Versorgungsgruppen war im Vergleich zu selbstständigen Patienten mit Typ-2-Diabetes deutlich herabgesetzt. Die Zufriedenheit mit der aktuellen Diabetestherapie war in allen Gruppen vergleichbar gut.
Korrelationsanalysen
Die Therapiezufriedenheit korrelierte mit den Gesamtpunkten im MNA (r=0,26; p=0,002) und dem diabetesbezogenen Wissen (r=0,27; p=0,03).
Die kognitive Leistungsfähigkeit der untersuchten Patienten korrelierte positiv mit dem Barthel-Index (r=0,35; p=0,001), dem PML nach Wolfram (r=0,38; p<0,001), der sportlichen Aktivität (r=0,25; p=0,03), der Mobilität nach Tinetti (r=0,23; p<0,03) und mit dem Wissenstest (r=0,5; p<0,001). Eine negative Korrelation zeigte sich mit dem Nüchternblutzuckerwert (r=−0,25; p=0,02), der Anzahl geriatrischer Syndrome (r=−0,33; p=0,001) und der Gebrechlichkeit (r=−0,42; p<0,001).
Es zeigte sich keine Korrelation zu dem HbA1c-Wert, dem Alter, der Anzahl symptomatischer Hypoglykämien, der Anzahl schwerer Hypoglykämien, dem Ernährungszustand, der Anzahl der Medikamente und der Anzahl der Folgeerkrankungen.
Die Frailty-Stufen der untersuchten Patienten korrelierten positiv mit der Anzahl der geriatrischen Syndromen (r=0,23; p=0,008) und dem SPMSQ (r=0,44; p<0,001). Eine negative Korrelation bestand zwischen den Frailty-Stufen und dem Wissenstest (r=−0,37; p<0,001), dem Barthel-Index (r=−0,68; p<0,001), dem MNA (r=−0,4; p<0,001), der Therapiezufriedenheit (r=−0,22; p<0,001) und der Mobilität nach Tinetti (r=−0,54; p<0,001).
Regressionsanalyse
In der Regressionsanalyse zeigte sich eine Assoziation der kognitiven Leistungsfähigkeit, gemessen am MMST, mit der Frailty-Stufe (R-Quadrat=0,22, β=−0,46), dem Barthel-Index (R-Quadrat=0,35, β=0,29) und dem prämorbiden Leistungsniveau (R-Quadrat=0,32, β=0,33). Andere in das Modell eingeschlossene Variablen waren der Nüchternblutzuckerwert, die Anzahl der geriatrischen Syndrome, die erreichte Punktzahl im Fragebogen nach Voorips, das diabetesbezogene Wissen sowie die Mobilität nach Tinetti. Sie zeigten keine Assoziation.
Die Frailty-Stufe war mit der sportlichen Aktivität nach Voorips (R-Quadrat=0,38, β=−0,63), der Kognition gemessen am MMST (R-Quadrat=0,52, β=−0,23) sowie dem Barthel-Index (R-Quadrat=0,47, β=−0,34) assoziiert. Andere in das Modell eingeschlossene Variablen wie die Anzahl geriatrischer Syndrome, Therapiezufriedenheit, Fehlerpunkte im SPMSQ, Ernährungszustand, diabetesbezogenes Wissen sowie die Mobilität nach Tinetti zeigten keine Assoziation.
Diskussion
Knapp zwei Drittel der in dieser Studie untersuchten Patienten erreichten den in den Leitlinien der DDG „Diabetes im Alter“ empfohlenen HbA1c-Wert von <8%. Generell sollte bei älteren Menschen mit Diabetes ein HbA1c-Wert über 8% vermieden werden, da hyperglykämiebedingte Symptome wie Kraftlosigkeit, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche oder die Verschlechterung einer bestehenden Inkontinenz die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen können [9]. Bei 32% der geriatrischen Patienten lag der HbA1c-Wert über 8%, während in der postalischen Fragebogenerhebung von Coll-Planas [5] lediglich 15% der Pflegeheimbewohner im Raum Dresden einen HbA1c-Wert über 8% aufwiesen. Die höhere Prävalenz lässt sich durch die unterschiedliche Selektion der Patienten erklären. In der vorliegenden Untersuchung wurden nur Patienten mit Akutkrankenhausaufenthalt eingeschlossen, während die Kohorte von Coll-Planas fragenbogengestützt Pflegeheimbewohner untersuchte. Jedoch betrug der Fragebogenrücklauf in der letztgenannten Studie nur 27,2%, sodass ein Selektionsbias nicht ausgeschlossen werden kann. Beide Arbeiten verdeutlichen, dass noch Handlungsbedarf bezüglich der Versorgungs- und Behandlungsqualität älterer Menschen mit Diabetes besteht.
Allerdings wiesen auch 14% der Patienten unserer Studie einen HbA1c-Wert von unter 6% auf. Dieser ist mit einem erhöhten Risiko für Akutkomplikationen, wie z. B. Hypoglykämie, verbunden. Die 2008 veröffentliche ACCORD-Studie [7] verdeutlicht, dass eine zu strenge Stoffwechseleinstellung (HbA1c-Wert unter 6,1%) auch bei jüngeren Menschen mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist. Als Ursache wird neben der zu strengen Stoffwechseleinstellung die Polypharmazie durch Kombination verschiedener oraler Antidiabetika diskutiert.
Einen besonderen Stellenwert bei der Betreuung geriatrischer Patienten hat die Niereninsuffizienz. Knapp 30% der untersuchten Patienten wiesen eine diabetische Nephropathie auf. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass die meisten oralen Antidiabetika ab einer glomerulären Filtrationsrate von unter 60 ml/min kontraindiziert sind.
Interessanterweise ist die Stoffwechseleinstellung der Patienten aus verschiedenen häuslichen Versorgungsstrukturen vergleichbar gut. Insbesondere fällt die gute Behandlungsqualität der Pflegeheimbewohner auf, obwohl diese eine deutlich höhere Pflegebedürftigkeit, eine schlechtere Mobilität, ein schlechteres diabetesbezogenes Wissen, schlechtere kognitive Leistungen und häufiger depressive Verstimmungen aufwiesen. Eine Ursache ist aus unserer Sicht die Expertise des Pflegepersonals innerhalb des Pflegeheimes, die die Durchführung der oft komplexen Diabetestherapie gewährleistet. Für Mitarbeiter von Pflegediensten gibt es mittlerweile spezielle Weiterbildungsprogramme zum Thema Diabetes, die es ermöglichen, Qualitätsstandards direkt im Pflegealltag umsetzen [10]. An dieser Stelle seien die strukturierte Fortbildung Diabetes in der Altenpflege (FoDiAl) der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Geriatrie [21], die Weiterbildung zur Fachpflegekraft Diabetes [22] des Instituts für Innovatives Gesundheitsmanagement (IIGM) über den Bundesverband privater Anbieter und die AG Diabetes und Geriatrie sowie das multimediale E-Learning-Programm „Diabetes im Alter“ genannt [23]. Prospektive Studiendaten zur strukturierten Diabetesweiterbildung von Altenpflegern werden erst Ende 2010 zur Verfügung stehen.
Das vorhandene diabetesbezogene Wissen korrelierte positiv mit der Therapiezufriedenheit. Obwohl Studien von Braun et al. [2, 3, 4] belegen, dass strukturierte bedürfnisorientierte Schulungsprogramme für geriatrische Patienten auch langfristig hinsichtlich einer Stoffwechselverbesserung effektiv sind, zeigen die Daten unseres Studienkollektivs, dass nur knapp 12% der geriatrischen Patienten jemals eine strukturierte Diabetesschulung erhalten haben. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie machen deutlich, dass eine geringere Pflegebedürftigkeit, bessere kognitive Leistungsfähigkeit und höherer Wissensstand interessanterweise nicht automatisch mit einer besseren Stoffwechselqualität verbunden sind. Dies kann aus unserer Sicht nicht nur mit einer evtl. schon optimierten Wissenssituation der Altenpfleger durch neue Fortbildungsprogramme erklärt werden. Wahrscheinlich sind in dieser Lebensphase andere Faktoren für die Stoffwechselqualität viel entscheidender als das diabetesbezogene Wissen der Patienten, wie z. B. die soziale Situation (selbstständig Lebende hatten tendenziell den schlechtesten HbA1c-Wert). Jedoch hatten die vor der Krankenhausaufnahme selbstständig lebenden Patienten mit Diabetes nicht nur den im Mittel höchsten HbA1c-Wert, sondern auch die besten MNA-Werte im Sinne eines guten Ernährungsstatus. Weitere relevante Faktoren für die Stoffwechselqualität von geriatrischen Patienten scheinen die Versorgungsqualität durch Hausarzt, Angehörige und Pflegedienste zu sein.
Eine Studie von Lederle et al. [13] beschreibt, dass 26% der Diabetespatienten unterstützenden Angehörigen gerne an einer Diabetesschulung teilnehmen würden. Mögliche Optionen für eine Verbesserung der Versorgungsqualität älterer Menschen mit Diabetes wären flächendeckende gezielte Schulungsmaßnahmen zum Thema Diabetes für Betroffene und Angehörige. Hier steht bspw. die gut evaluierte strukturierte Schulung für geriatrische Patienten mit Diabetes mellitus (SGS) der AG Diabetes und Geriatrie zur Verfügung [2].
Problematisch im Pflegealltag sind vor allem schwere Hypoglykämien. Insbesondere eine insulinotrope Medikation kann bei zu strenger Stoffwechseleinstellung das Risiko für schwere Hypoglykämien stark erhöhen. Die Inzidenz der schweren Hypoglykämie lag im vorliegenden Studienkollektiv bei lediglich 0,04/Patient/Jahr. Diese niedrige Inzidenz lässt vermuten, dass schwere Hypoglykämien evtl. unerkannt blieben, fehlgedeutet und/oder unvollständig erfasst wurden. Bei der schweren Hypoglykämie kann z. B. die Ausschüttung proarrhythmogener Stresshormone zu schweren Herzrhythmusstörungen mit plötzlichem Herztod führen. Die fehlende Korrelation der schweren Hypoglykämie zum HbA1c-Wert lässt sich durch die geringe Inzidenz und somit zu geringe Fallzahl für das Erreichen einer statistischen Signifikanz erklären.
Die vorliegenden Studienergebnisse zeigen, dass nur knapp 7% der Patienten frei von geriatrischen Syndromen waren. Unter diabetesbedingten Folgeerkrankungen litten bereits 41% des Studienkollektivs. Der Diabetes per se ist bei der Mehrzahl der Patienten nur eine Komponente ihrer Multimorbidität. Auffällig ist die ausgeprägte Polypharmazie der untersuchten Patienten, die im Mittel acht unterschiedliche Medikamente einnahmen. Dies verdeutlicht, dass altengerechte Leitlinien notwendig sind [9], um mögliche Nebenwirkungen bei der Therapie zu vermeiden. So stellt die Unübersichtlichkeit durch bestehende Multimorbidität, Polypharmazie und konsekutive Arzneimittelinteraktionen Mediziner vor große Probleme bei der Behandlung des geriatrischen Patienten.
Fazit
Die Behandlungsstrategie bei geriatrischen Patienten bedarf einer individuellen Betrachtung und interdisziplinären Betreuung, um Defizite so früh wie möglich zu erkennen und die Selbstständigkeit so lang wie möglich aufrechtzuerhalten. Insbesondere bei Pflegeheimpatienten könnte die Weiterbildung von Altenpflegern und Angehörigen dazu beitragen, die Qualität der Diabetesbehandlung weiter zu verbessern. Den Leitlinien der Deutschen Diabetesgesellschaft entsprechend sollte bei geriatrischen Patienten mit Diabetes mellitus eine zu strenge Stoffwechseleinstellung aufgrund der Hypoglykämiegefährdung vermieden und ein HbA1c-Zielwert zwischen 7 und 8% angestrebt werden. Zur Reduktion der Polypharmazie sollte auch die Forderung nach einer schnelleren Insulinierung bei schlechter Stoffwechseleinstellung unter oralen Antidiabetika berücksichtigt werden.
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Bahrmann, A., Abel, A., Specht-Leible, N. et al. Behandlungsqualität bei geriatrischen Patienten mit Diabetes mellitus in verschiedenen häuslichen Versorgungsstrukturen. Z Gerontol Geriat 43, 386–392 (2010). https://doi.org/10.1007/s00391-010-0104-y
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