Die gesundheitsrelevanten Auswirkungen sozialer Ungleichheit (im Allgemeinen erfasst durch die Indikatoren Bildungsabschluss, berufliche Position und Einkommen) werden seit Langem von Disziplinen wie der Medizinsoziologie und der Sozialepidemiologie thematisiert und in der neueren Forschung unter dem Begriff „gesundheitliche Ungleichheit“ [1] diskutiert. Die meisten Studien zum Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Morbidität bzw. Mortalität sind mit Populationen unterhalb des Rentenalters durchgeführt worden. Erst in den letzten Jahren ist das Thema für das höhere Lebensalter entdeckt worden, und langsam mehren sich die Arbeiten, die den Fragen nachgehen, ob gesundheitliche Ungleichheiten auch im höheren Lebensalter nachweisbar sind und ob bzw. in welcher Weise sich der Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit mit zunehmendem Alter verändert [2]. Diese Entwicklung ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass das höhere Alter zunehmend als eine Lebensphase anerkannt wird, die durch deutliche interindividuelle und soziale Unterschiede gekennzeichnet ist.

Gesundheitliche Ungleichheit: Skizzierung des Forschungsstandes

Aus der Forschung zu gesundheitlichen Ungleichheiten sind zahlreiche Untersuchungen aus verschiedenen Ländern hervorgegangen, in denen sich konsistent ein linearer Zusammenhang zwischen sozialer Schichtzugehörigkeit und Gesundheit gezeigt hat, wonach Angehörige unterer Schichten höhere Gesundheitsrisiken tragen [1, 3, 4, 5, 6]. Dies gilt sowohl für die Mortalität als auch für die meisten Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depression oder Lungenkrebs. Weniger eindeutige Zusammenhänge ergeben sich bei anderen Krebsarten sowie bei neurologischen und gastrointestinalen Erkrankungen. Bei einigen wenigen Erkrankungen zeigen sich sogar höhere Erkrankungsraten in höheren Statusgruppen (z. B. Allergien, Brustkrebs).

Zur Erklärung dieses Zusammenhanges sind verschiedene Faktoren und Mechanismen diskutiert und erforscht worden. Dabei hat sich gezeigt, dass soziale Selektion bzw. soziale Mobilität (vereinfacht ausgedrückt: „Krankheit macht arm“) nur einen relativ geringen Beitrag zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten leistet. Wichtiger ist die soziale Verursachung, d. h., der soziale Status beeinflusst den Gesundheitszustand (vereinfacht ausgedrückt: „Armut macht krank“). Bei der sozialen Verursachung kommen mehrere intervenierende Faktoren in Betracht. Dazu zählen materielle Lebensbedingungen (z. B. Wohnsituation, physikalisch-chemische Belastungen am Arbeitsplatz, gesundheitliche Versorgung), gesundheitsschädigende Verhaltensweisen (z. B. Rauchen, Fehlernährung) und psychosoziale Faktoren (z. B. Stress am Arbeitsplatz, fehlende soziale Unterstützung).

Gesundheitliche Ungleichheit im Alter

Nachdem ältere Menschen in der wissenschaftlichen Diskussion über gesundheitliche Ungleichheiten in der Vergangenheit eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben, nimmt in den letzten Jahren die Zahl der Untersuchungen zu, die sich damit beschäftigen, ob solche Ungleichheiten auch im höheren Lebensalter nachweisbar sind und ob bzw. in welcher Weise sich der Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit mit zunehmendem Alter verändert. Im Folgenden werden ausgewählte Studien dargestellt, die das Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheiten im höheren Lebensalter für unterschiedliche Gesundheitsindikatoren beschreiben.

Mortalität

Verschiedene Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Sterblichkeit im Alter zwischen Statusgruppen variiert. So stellten Huisman et al. [7] bei einer Analyse von bildungsabhängigen Ungleichheiten in 8 westeuropäischen Ländern fest, dass Personen mit niedriger Bildung bis ins hohe Alter (75 Jahre und älter) höhere Sterblichkeitsraten aufweisen. Bei Männern sind diese Ungleichheiten v. a. auf zunehmende Unterschiede in der Sterblichkeit infolge von kardiovaskulären Erkrankungen, chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen und Pneumonien zurückzuführen, während der Erklärungsbeitrag von Krebserkrankungen und äußeren Todesursachen im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen abnimmt.

Ältere Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss und geringem Vermögen haben deutlich erhöhte Mortalitätsrisiken

Bei Frauen im hohen Alter sind die bildungsbedingten Mortalitätsdifferenzen in erster Linie auf zunehmende Sterblichkeitsunterschiede durch Pneumonien und kardiovaskuläre Erkrankungen zurückzuführen, während der Beitrag von Krebserkrankungen und chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen gegenüber den jüngeren Frauen abnimmt. Auch aktuelle Analysen des 2-Jahres-Follow-up des Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE), einer in 11 europäischen Ländern durchgeführten Untersuchung mit Personen im Alter von 50 Jahren und älter, zeigten deutlich erhöhte Mortalitätsrisiken für ältere Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss und geringem Vermögen [8].

Subjektive Gesundheit und funktionale Einschränkungen

Niedriger Bildungsstatus wirkt sich auch auf die subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes im höheren Lebensalter aus. In einer Analyse von Daten aus 22 europäischen Ländern zeigte sich, dass ältere Menschen (60 Jahre und älter) mit niedrigem Bildungsstand gegenüber besser Gebildeten höhere Risiken aufwiesen, ihre Gesundheit als schlecht einzuschätzen [9]. Mit niedrigerem Bildungsstand gingen in der gleichen Studie auch erhöhte Risiken für funktionale Einschränkungen einher. Diese Zusammenhänge waren allerdings weniger stark ausgeprägt als bei der subjektiven Gesundheit. In einer längsschnittlichen Analyse der britischen Whitehall-Studie fanden Chandola et al. [10], dass der subjektiv eingeschätzte körperliche Gesundheitszustand einer 70-jährigen Frau bzw. eines 70-jährigen Mannes mit hoher beruflicher Stellung vergleichbar ist mit dem Gesundheitszustand einer 62-jährigen Person mit niedriger beruflicher Position.

Personen mit einem niedrigen sozialen Status altern im Hinblick auf ihre körperliche Gesundheit schneller als Personen mit höherer Statusposition.

Im mittleren Lebensalter beträgt dieser Unterschied etwa 4,5 Jahre, demzufolge nehmen gesundheitliche Ungleichheiten im höheren Lebensalter sogar zu. Die Autoren erklären diese Zunahme mit der langen Latenzphase von gesundheitsschädlichen Einflüssen, der Akkumulation und Interaktion von ökonomischem und sozialem Kapital im Lebensverlauf sowie mit zunehmender Vulnerabilität im höheren Lebensalter.

Eine Analyse von Querschnittsdaten aus der bereits erwähnten SHARE-Studie ergab, dass sich sozioökonomische Unterschiede auf die Risiken für funktionale Einschränkungen auswirken [11]. Sowohl Männer als auch Frauen mit niedrigem Einkommen haben im höheren Lebensalter erhöhte Risiken sowohl für Mobilitätseinschränkungen als auch für Seh-, Hör- und Kauprobleme, für eine verminderte Stärke des Handgriffs und eine geringere Gehgeschwindigkeit. Diese Zusammenhänge gelten auch für instrumentelle Aktivitäten (IADL), worunter u. a. die Zubereitung von Mahlzeiten und das Führen von Telefongesprächen subsumiert wurden. Diese Ergebnisse konnten in Längsschnittanalysen bestätigt werden [8].

Spezifische Erkrankungen

Kok et al. [8] haben anhand längsschnittlicher Analysen der SHARE-Studie einen linearen Zusammenhang zwischen Bildung und Vermögen auf der einen Seite und den Inzidenzen verschiedener Erkrankungen auf der anderen gezeigt. Dies gilt insbesondere für Herzinfarkte, Diabetes und Lungenerkrankungen. Demgegenüber ergaben sich etwas höhere Krebsrisiken in höheren Bildungsgruppen.

Psychische Gesundheit

Zur weiteren Veranschaulichung von gesundheitlichen Ungleichheiten im Alter sollen an dieser Stelle Ergebnisse aus eigenen Analysen des European Social Survey (Round 3) dargestellt werden (http://ess.nsd.uib.no/). Im Vordergrund steht dabei der Zusammenhang zwischen Bildung und depressiven Symptomen im höheren Lebensalter. Im Rahmen des European Social Survey wurden in den Jahren 2006 und 2007, basierend auf Wahrscheinlichkeitsauswahlen von Personen im Alter von 15 Jahren und älter, in 22 europäischen Ländern persönliche Interviews durchgeführt. In den folgenden Analysen wurden die insgesamt etwa 40.500 Fälle reduziert, indem ausschließlich Personen berücksichtigt wurden, die 60 Jahre und älter waren. Daraus ergibt sich eine Fallzahl von insgesamt 11.965.

Als Ungleichheitsindikator wird der Bildungsabschluss anhand der International Standard Classification of Education (ISCED-97) verwendet. Bei dieser Klassifikation wird der höchste Bildungsabschluss auf einer 7-Punkt-Skala von „kein Abschluss“ bis „Tertiärbereich“ (entspricht Fachhochschul- und Universitätsabschluss) verortet. Für die Analysen wurde die Variable dichotomisiert, indem die unteren drei und die oberen vier Skalenwerte jeweils zusammengefasst wurden. Zur Erfassung depressiver Symptome wurde die deutsche Version der CES-D-Skala in einer gekürzten Form eingesetzt [12, 13, 14]. Die Befragten wurden gebeten anzugeben, wie häufig sie sich deprimiert oder niedergeschlagen gefühlt haben, wie häufig sie das Gefühl hatten, dass alles, was sie getan haben, anstrengend war, wie häufig sie unruhig geschlafen haben, unglücklich waren, sich einsam gefühlt haben, das Leben genossen haben, sich traurig gefühlt haben und sich zu nichts aufraffen konnten (=8 Items). Die Antwortmöglichkeiten erstreckten sich von „nie oder fast nie“ zu „immer oder fast immer“ auf einer 4-Punkt-Likert-Skala. Die Summenskala wurde für die folgenden Analysen dichotomisiert, indem die höchsten 20% (oberes Quintil) auf 1 gesetzt wurden. In Abb. 1 werden die Odds Ratios und die 95%-Konfidenzintervalle angezeigt.

Abb. 1
figure 1

Niedrige Bildung (ISCED-97) und depressive Symptome (CES-D-8, länderspezifisches oberes Quintil): Odds Ratios und 95%-Konfidenzintervall, European Social Survey 3

Der Abb. 1 lässt sich entnehmen, dass ältere Menschen mit niedriger Bildung in den meisten europäischen Ländern höhere Risiken für depressive Symptome aufweisen als Personen mit vergleichsweise hoher Bildung. In 12 von 22 Ländern ist dieser Zusammenhang statistisch signifikant. Besonders stark ist der Zusammenhang in Ungarn und Slowenien ausgeprägt. Geschlechtsspezifische Analysen ergaben keine konsistenten Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Da zudem die Fallzahlen in einigen Ländern in diesen Analysen gering waren, wird auf eine Darstellung verzichtet.

Zusammengefasst lässt sich konstatieren, dass gesundheitliche Ungleichheiten auch im höheren Lebensalter existieren. Im folgenden Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob sich solche Ungleichheiten mit zunehmendem Alter verändern.

Altersbezogene Veränderungen gesundheitlicher Ungleichheit

Hinsichtlich möglicher Veränderungen der gesundheitlichen Wirkungen von sozialer Ungleichheit im höheren Lebensalter werden unterschiedliche Annahmen diskutiert [9]. Die Kontinuitätsthese geht von einer Konstanz der gesundheitsbezogenen Wirkungen im Lebensverlauf aus. Die Kumulationsthese sagt eine Verschärfung im Sinne einer Kumulation von Benachteiligungen voraus und begründet dies z. B. damit, dass höhere Einkommensgruppen im mittleren Alter eher die Möglichkeit haben, durch Bildung von finanziellen Rücklagen evtl. Einkommenseinbußen im höheren Lebensalter zu kompensieren, als niedrigere Einkommensgruppen. Die Destrukturierungsthese unterstellt demgegenüber eine Abschwächung der Effekte in den höheren Altersgruppen. Als Gründe für diese Entwicklung werden die zunehmende Bedeutung altersbedingter biologischer bzw. gesundheitsbezogener Faktoren, der nivellierende Einfluss der staatlichen Alterssicherungssysteme sowie die selektive, vorzeitige Sterblichkeit benachteiligter sozialer Gruppen angeführt.

Zur empirischen Untersuchung solcher Veränderungen werden vergleichende Analysen für verschiedene Altersgruppen durchgeführt. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Ergebnisse dieser Studien uneinheitlich sind. Für die Destrukturierungsthese sprechen Befunde des telefonischen Gesundheitssurveys 2003, die zeigen, dass die soziale Schichtzugehörigkeit Gesundheit und Krankheit im höheren Alter weniger stark beeinflusst als im mittleren Lebensalter [15]. Ähnlich stellen Huisman et al. [16] auf der Basis von Mortalitätsdaten aus elf europäischen Ländern bzw. Regionen fest, dass die relativen Bildungsungleichheiten mit zunehmendem Alter geringer werden, ohne allerdings zu verschwinden. So sinkt das Mortalitätsrisiko bei Männern mit niedriger Bildung von etwa 2,0 bei den 30- bis 39-jährigen auf 1,1 bei denen, die 90 Jahre und älter sind. Bei den Frauen sinkt das entsprechende Risiko von etwa 1,7 auf 1,2. Zur Überprüfung des Einflusses selektiver Mortalität auf Altersverläufe von gesundheitlicher Ungleichheit gibt es bislang erst wenige Studien. Auch hier sind die Ergebnisse nicht konsistent. Während Beckett [17] nur geringfügige Effekte vorzeitiger Sterblichkeit von benachteiligten sozialen Gruppen nachweisen konnte, ergab eine aktuelle Analyse der English Longitudinal Study of Ageing [18], dass selektive Mortalität einen Teil der abnehmenden gesundheitlichen Ungleichheiten im höheren Lebensalter erklären kann.

Neben Befunden, die eher auf Destrukturierung hinweisen, gibt es auch Untersuchungen, welche die Kontinuitäts- bzw. Kumulationsthese stützen. So ergab sich in einer Analyse von Daten der britischen Whitehall-Studie, dass der Einfluss der beruflichen Stellung auf die allgemeine Mortalität in höheren Altersgruppen (65–89 Jahre) verglichen mit jüngeren Untersuchungsteilnehmern (40–64 Jahre) zwar etwas schwächer wird, aber im Wesentlichen erhalten bleibt [19]. Auch in einer deutschen Studie ergaben sich im Sinne der Kontinuitätshypothese nur geringfügige altersspezifische Veränderungen des Zusammenhanges zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit [20]. Ross und Wu [21] fanden auf der Basis von amerikanischen Befragungsdaten Hinweise für Kumulation, d. h. eine Zunahme von Bildungsungleichheiten bei verschiedenen Gesundheitsindikatoren mit zunehmendem Alter. Auch in der oben angesprochenen Analyse von Chandola et al. [10] ergab sich eine Intensivierung gesundheitlicher Ungleichheiten im höheren Lebensalter.

Die Ergebnisse zu altersspezifischen Veränderungen gesundheitlicher Ungleichheiten sind inkonsistent

Die Inkonsistenz der Ergebnisse zu altersspezifischen Veränderungen gesundheitlicher Ungleichheiten hat mehrere Gründe. Zum einen werden in den Studien unterschiedliche Ungleichheits- und Gesundheitsindikatoren verwendet. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit klassische Schichtmerkmale wie Bildung, Beruf oder Einkommen als Ungleichheitsindikatoren im höheren Lebensalter relevant und angemessen sind bzw. welche anderen Merkmale die soziale Position alter Menschen konstituieren und für diese spezielle Population gesellschaftlich prägende Kraft besitzen. Diese Frage ist bislang nicht hinreichend geklärt. Allerdings erscheint es sinnvoll, Indikatoren wie Vermögen oder Immobilienbesitz einzubeziehen, da diese geeignet sind, im Zuge des Lebenslaufs kumulierte materielle Benachteiligungen zu erfassen. Darüber hinaus ist das Ergebnis der Analysen zu altersspezifischen Veränderungen davon abhängig, wie differenziert die Alterskategorisierung gerade in den höheren Altersgruppen ausfällt. Um Aussagen über Kontinuität, Destrukturierung und Kumulation treffen zu können, reicht es nicht, die Älteren in einer Alterskategorie zusammenzufassen und mit jüngeren Studienteilnehmern zu vergleichen; vielmehr ist es sinnvoll und notwendig, auch das höhere Lebensalter differenziert zu erfassen.

Erklärungsansätze gesundheitlicher Ungleichheit im Alter

Es gibt nur wenige Untersuchungen darüber, welche spezifischen Erklärungsansätze für die gesundheitlichen Ungleichheiten im höheren Lebensalter infrage kommen bzw. welchen Beitrag die vorwiegend in Bezug auf das mittlere Erwachsenenalter diskutierten Faktoren (s. oben: soziale Selektion, materielle Lebensbedingungen, Gesundheitsverhalten, psychosoziale Faktoren) zur Erklärung von sozial bedingten Morbiditäts- und Mortalitätsunterschieden im höheren Lebensalter leisten. Im Hinblick auf materielle Faktoren ist die Frage, inwieweit die gesundheitliche Versorgung zu gesundheitlichen Ungleichheiten beiträgt, von besonderer gesundheitspolitischer Relevanz. Einzelne Studien deuten darauf hin, dass der Zugang, die Inanspruchnahme und die Qualität der Versorgung in unterschiedlichen Statusgruppen variiert [22, 23]; allerdings ist weitgehend unklar, inwieweit diese Faktoren zur Erklärung des Zusammenhanges zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit im Alter beitragen.

Während die Ungleichverteilung gesundheitsschädigender Verhaltensweisen als einer der wesentlichen Erklärungsfaktoren für gesundheitliche Ungleichheiten im mittleren Erwachsenenalter gilt, ist die Befundlage bei älteren Menschen weniger umfangreich und weniger eindeutig. In längsschnittlichen Analysen des SHARE-Datensatzes konnte gezeigt werden, dass ältere Menschen mit niedrigerem Bildungsstand häufiger rauchen, sich weniger bewegen und ein größeres Risiko für Übergewicht tragen [8]. Zudem zeigen höhere Statusgruppen eher Tendenzen, ihr Verhalten in Richtung eines gesünderen Lebensstils zu verändern [24]. Diese Unterschiede tragen aber letztlich nur in geringem Maß zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten bei [8]. Im Hinblick auf psychosoziale Faktoren weisen Ergebnisse aus einer in 22 europäischen Ländern durchgeführten Untersuchung [9] und einer deutsch-amerikanischen Vergleichsstudie [20] darauf hin, dass ungleichheitsbedingte Gesundheitsunterschiede im Alter ebenfalls nur geringfügig durch die Qualität und Häufigkeit zwischenmenschlicher Kontakte erklärt werden können. Es bleibt zu prüfen, inwieweit andere psychosoziale Faktoren wie kritische Lebensereignisse, Selbstwirksamkeit oder soziale Partizipation einen stärkeren Beitrag zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten im Alter leisten.

Folgerungen für die Gesundheitspolitik

Im vorangegangenen Abschnitt ist deutlich geworden, dass mögliche Erklärungsfaktoren für gesundheitliche Ungleichheiten im höheren Lebensalter bislang kaum untersucht worden sind. Forschung auf diesem Gebiet kann auch Hinweise darauf geben, wie sich gesundheitliche Ungleichheiten verringern lassen, da die Erklärungsfaktoren ihrerseits Ansatzpunkte für Interventionen und politische Maßnahmen bieten. Aus der Erforschung gesundheitlicher Ungleichheiten im mittleren Erwachsenenalter ist bekannt, dass der Einfluss sozialer Ungleichheit primär durch verhaltensbezogene, materielle und psychosoziale Faktoren und weniger durch Merkmale der Krankenversorgung im engeren Sinn vermittelt wird. Vor diesem Hintergrund ergeben sich praktische Konsequenzen zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit v. a. im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung. Da Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung von Risikogruppen wie unteren sozialen Schichten auch im höheren Lebensalter in der Regel seltener in Anspruch genommen werden (= “inverse prevention law“), gilt es, spezielle Methoden und Strategien zu entwickeln, um sozial benachteiligte Gruppen gezielt anzusprechen und in entsprechende Maßnahmen und Programme zu integrieren. Insofern sollten gesundheitspolitische Maßnahmen, wann immer möglich, das Ziel verfolgen, die Gesundheit der Bevölkerung zu fördern bzw. zu verbessern und zugleich gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren [25].

Gesundheitspolitische Maßnahmen sollten das Ziel verfolgen, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren

Inzwischen bestehen verschiedene Projekte auf bundesdeutscher und europäischer Ebene, die sich dieser Aufgabe stellen [z. B. „Gesundheitliche Chancengleichheit“ (http://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de), „Eurothine: Tackling Health Inequalities in Europe“ (http://mgzlx4.erasmusmc.nl/eurothine/) oder „Closing the Gap: Strategies for Action to Tackle Health Inequalities“ (http://www.health-inequalities.org/)], ohne allerdings einen direkten Bezug zum höheren Lebensalter aufzuweisen. Hintergrund solcher Projekte sind Grundsatzpapiere der Weltgesundheitsorganisation, in denen Prinzipien und Vorschläge für politische Maßnahmen zur Überwindung gesundheitlicher Ungleichheiten vorgestellt werden [25, 26, 27, 28]. Gesundheitspolitische Maßnahmen alleine, so ein ganz wesentliches Fazit dieser Grundsatzpapiere, greifen zu kurz: „Policies and programmes must embrace all the key sectors of society not just the health sector.“ ([27], S. 1). Ein umfassender Ansatz zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten zielt nicht nur auf das System der gesundheitlichen Versorgung, sondern auch auf die Lebensbedingungen, die den Ungleichheiten zugrunde liegen.

Fazit für die Praxis

Da Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung von Risikogruppen wie unteren sozialen Schichten im höheren Lebensalter in der Regel seltener in Anspruch genommen werden, gilt es, spezielle Methoden und Strategien zu entwickeln, um sozial benachteiligte Gruppen gezielt anzusprechen und in entsprechende Maßnahmen und Programme zu integrieren. Ein umfassender Ansatz zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten zielt nicht nur auf das System der gesundheitlichen Versorgung, sondern auch auf die Lebensbedingungen, die den Ungleichheiten zugrunde liegen.