Anamnese

Ein 45-jähriger Patient wurde mit Verdacht auf eine Alkoholintoxikation durch den Rettungsdienst in die internistische Notaufnahme gebracht. Der Patient war schläfrig, jedoch initial gut erweckbar, dann auch aggressiv und desorientiert. Ein chronischer Alkoholabusus war bekannt. Der Patient war bereits 2 Tage zuvor im gleichen Krankenhaus wegen einer schweren Alkoholintoxikation in Behandlung gewesen. Die mitgeführten Papiere zeigten, dass er am vorherigen Tag in einem benachbarten Krankenhaus ebenfalls wegen einer Alkoholintoxikation behandelt wurde. In beiden Fällen hatte der Patient nach Besserung des Allgemeinzustandes randalierend das Krankenhaus verlassen. Unter dem Verdacht auf eine erneute Alkoholintoxikation wurde der Patient aufgenommen.

Befunde und Diagnose

In den durchgeführten Laboruntersuchungen zeigte sich bei normalen Elektrolyt-, Retentions- und Entzündungswerten und geringfügig erhöhten Blutzuckerwerten eine ausgeprägte Laktazidose (Serumlaktat 8,4 mmol/l), die auf Grund der bisherigen Befunde nicht erklärt war.

Der klinische Zustand des Patienten verschlechterte sich wider Erwarten im Weiteren rasch. Der Patient wurde komatös, zeigte einen Glasgow-Coma-Scale (GCS)-Wert von 3, einen Blutdruckabfall auf 90/40 mmHg, eine Herzfrequenz von 138/min und einen Abfall des SpO2 auf 88%. Des Weiteren traten Faszikulationen auf. Es erfolgte die Verlegung des Patienten auf die Intensivstation des Hauses. Inzwischen wurde Rücksprache mit dem auswärtigen Krankenhaus bzgl. seiner ambulanten Behandlung dort am Vortag gehalten. Der Patient war hier ebenfalls mit einer Alkoholintoxikation (2,8‰) behandelt worden und hatte nach dem Aufklaren wider ärztlichen Rat randalierend das Krankenhaus verlassen. Dabei hätte er eine 500 ml-Flasche des Desinfektionsmittels Bacillol mitgenommen. Bacillol 500 ml enthält pro 100 g neben Ethanol (4,7 g) als Hauptwirksubstanzen 1-Propanol (45 g) und 2-Propanol (25 g).

In der daraufhin erweiterten toxikologischen Diagnostik konnten neben den bereits bestimmten 0,4‰ Blutalkohol auch hochtoxische Spiegel Propanol [1,8 mg/ml 1-Propanol, 1,5 mg/ml 2-Propanol, Bestimmung mittels Headspace-Gaschromatographie und Flammenionisationsdetektion (HS-GC-FID) im Serum] nachgewiesen werden. Spiegel von >1 mg/ml werden als potenziell letale Intoxikationen angesehen [1]. Der Zeitpunkt der Ingestion und die genaue Menge ließen sich nicht bestimmen. Die Menge musste mit bis zu 500 ml angenommen werden. Auf Grund dieser Befunde und der schweren klinischen Symptomatik wurde umgehend mit der Dialysetherapie begonnen.

Therapie und Verlauf

Die Dialysetherapie wurde mit dem Dialysegerät 4008-H (Fresenius Medical Care) durchgeführt. Als Hämodialysefilter wurde ein FX80-Highflux-Filter (Fresenius Medical Care) verwendet, der Dialysatfluss betrug 800 ml/min. Als Gefäßzugang wurde ein Trilyse Highflow-Katheter (Vygon GmbH, Aachen) in der Vena subclavia dextra gewählt. Der Blutfluss betrug 350 ml/min. Eine Ultrafiltration wurde nicht durchgeführt. Angepasst an die Serumwerte wurden ein Dialysatkalium von 4,0 mmol/l und ein Dialysatkalzium von 1,75 mmol/l gewählt.

Nach einer Stunde Dialysetherapie war der Patient wach, munter, teilweise aggressiv und im Rahmen eines Entzugssyndroms nicht vollständig orientiert. Die Kreislauffunktion hatte sich normalisiert, ebenso die erhöhten Laktatwerte. Die Faszikulationen sistierten. Die toxikologischen Kontrollen zeigten zu diesem Zeitpunkt einen negativen Blutethanolspiegel, einen 1-Propanol-Spiegel von <0,2 mg/ml und einen 2-Propanol-Spiegel von 0,9 mg/ml. Die Dialysetherapie wurde insgesamt 2 Stunden lang durchgeführt. Eine Spiegelkontrolle nach Abschluss der Dialyse erfolgte nicht.

Die mit dem Aufwachen einsetzende Entzugssymptomatik mit psychomotorischer Unruhe und Tremor wurde mit oraler Clomethiazolgabe behandelt. Der Patient wurde zur weiteren Behandlung in die psychiatrische Abteilung verlegt.

Diskussion

Propanol ist ein Alkohol mit drei Kohlenstoffatomen und einer Hydroxygruppe und kommt in zwei Isomerformen vor. 1-Propanol ist ein natürliches Abbauprodukt im Stoffwechsel von Hefen, Bestandteil von Fuselölen und kommt als Verunreinigung in ethanolhaltigen Genussmitteln vor. Es wird als Lösungsmittel für Farben oder als Reinigungs- und Desinfektionsmittel eingesetzt.

2-Propanol oder Isopropylalkohol wird technisch aus Propen oder Aceton hergestellt und ist wichtiger Bestandteil von Lösungs-, Desinfektions- und Reinigungsmitteln.

Propanol wird in der pharmazeutischen und technischen Industrie häufig als Ersatz für Ethanol angewendet. Im vorliegenden Fall kam es zur Intoxikation mit propanolhaltigen Desinfektionsmitteln, da Propanol einen ethanolartigen Geruch aufweist und das Desinfektionsmittel als Ersatzmittel zur Befriedigung einer Ethanolsucht [2] verwendet wurde. Die Intoxikation mit Desinfektionsmitteln, insbesondere bei alkoholkranken und psychiatrischen Patienten, ist beschrieben [3, 4, 5]. Die Zahl von Vergiftungen mit propanolhaltigen Desinfektionsmitteln steigt nach den Literaturbeschreibungen an [6].

Metabolismus und Symptome

Propanol wird nur sehr langsam durch die Alkoholdehydrogenase metabolisiert und zu etwa 15% zu Aceton umgesetzt, wobei das Aceton eine deutlich längere Halbwertszeit besitzt. Propanol und das Abbauprodukt Aceton werden auch renal eliminiert [7, 8]. Ebenso ist eine 2-Propanol-Elimination mit der Atemluft beschrieben. Propanol besitzt eine stärker schleimhautreizende Wirkung als Ethanol und weist bei Ingestion auch eine höhere narkotische Wirkung auf. Diese wird klinisch durch das Abbauprodukt Aceton verstärkt, welches, wie beschrieben, auch eine deutlich längere Halbwertszeit hat. Das Auftreten einer Azidose und erhöhter Laktatwerte weist auf eine schwere Vergiftung hin und stellt einen richtungweisenden Unterschied im Vergleich zur Ethanolintoxikation dar [6].

Die Vergiftungserscheinungen können durch die gleichzeitige Ethanolintoxikation, wie auch im vorgestellten Fall, potenziert werden [9]. Bei einer Mischintoxikation mit Ethanol besitzt Propanol eine deutlich verlängerte Halbwertszeit, da primär Ethanol durch die Alkoholdehydrogenase umgesetzt wird und erst nach Absinken der Ethanolmengen Propanol verstoffwechselt wird. Alle aliphatischen Alkohole hemmen gegenseitig ihre Verstoffwechselung, sodass bei gleichzeitiger Aufnahme von 1-und 2-Propanol auch diese sich gegenseitig hemmen. Dies gilt auch für das Abbauprodukt Aceton.

Wie bei der Ethanolintoxikation können schwere Hypoglykämien auftreten. Dies tritt besonders häufig bei Patienten mit einem chronischen Alkoholabusus auf (gestörte hepatische Glukoneogenese). Im vorliegenden Fall trat eine milde Hyperglykämie auf, die nicht typisch für das Krankheitsbild ist.

Der Abbau von Propanol hemmt die Konversion von Laktat zu Pyruvat durch die Laktatdehydrogenase und führt so zu einem charakteristischen Laktatanstieg.

Eine weitere Ursache für die Laktazidose und Hypoglykämie kann ein Mangel an Biotin oder Thiamin sein, welches zu einem gestörten Laktatabbau und einer verminderten Glukoneogenese führen kann [2]. Des Weiteren kann bei gestörter Leberfunktion der Laktatabbau verzögert sein, wodurch die Entstehung schwerer Laktazidosen begünstigt ist. Das Zeitintervall zwischen Ingestion und ersten klinischen Symptomen kann sehr variabel sein und ist besonders bei Mischintoxikationen von der Menge des gleichzeitig aufgenommenen Ethanols abhängig [10].

Therapie

Beim Auftreten klinischer Symptome sollte eine intensivmedizinische Überwachung und Basistherapie (Kreislaufüberwachung, Infusionstherapie) erfolgen und Kontakt mit einem Vergiftungszentrum aufgenommen werden. Andere Ursachen für eine Laktazidose wie ein schwerer Kreislaufschock jeglicher Genese, eine Sepsis, ein Leberversagen, enterale Durchblutungsstörungen oder andere spezifische Intoxikationen wie z. B. mit Metformin oder Ethylenglykol müssen differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Ebenso sollten eine Laktazidose im Rahmen eines ketoazidotischen Komas oder einer Stoffwechselstörung bei Mangelzuständen an Vitamin B1 und B6 ausgeschlossen werden.

Eine forcierte Diurese zur sekundären Giftelimination kann als Überbrückung sinnvoll sein, bis eine Dialyse möglich ist. Die enterale Resorption erfolgt rasch. Bei komatösen Patienten ist unbedingt auf einen ausreichenden Aspirationsschutz wegen der stark schleimhautreizenden Wirkung zu achten.

Propanol ist als gut wasserlöslicher Alkohol dialysabel [11, 12]. Die Hämodialysetherapie ist die Therapie der Wahl [13] und seit langem bekannt [14]. Der rasche Beginn nach Diagnosestellung und die Wahl eines effektiven Verfahrens sind dabei entscheidend. Für die Effektivität des Dialyseverfahrens ist bei der Verwendung von intermittierenden Dialysegeräten der Blutfluss entscheidend. Kontinuierliche Verfahren sollten auf Grund der im Vergleich niedrigeren Dialysatflüsse und der dadurch geminderten Effektivität nicht eingesetzt werden. Die extrakorporale Therapie sollte mindestens bis zum Verschwinden der klinischen Symptome durchgeführt werden. Auf Grund des hohen Zeitaufwands der Analysen im Verhältnis zur Behandlungsdauer werden Spiegelkontrollen zur Therapiesteuerung nicht prinzipiell empfohlen.

Auch die Behandlung mit Fomepizol, einem selektiven Alkoholdehydrogenasehemmer, bei Propanolintoxikationen ist beschrieben [15], wird jedoch auch kontrovers diskutiert [8]. Diese Behandlung ist sehr teuer, in der Regel schlecht verfügbar und in Deutschland eigentlich nur für die Behandlung von Ethylenglykolintoxikationen zugelassen.

Verdacht auf Mischintoxikationen

Schwere Propanolvergiftungen weisen bei nicht rechtzeitiger Diagnose und Therapie eine hohe Letalität auf [16, 17]. Bei Verdacht auf eine Ethanolintoxikation sind eine genaue Untersuchung des Patienten, eine detaillierte Anamneseerhebung und auch die routinemäßige Bestimmung von Blut-pH, Serumlaktat, Blutzucker und Blutalkoholspiegel wichtig. Bei Verdacht auf eine Vergiftung mit anderen Alkoholen (Isopropanol, Methanol, Ethylenglykol) oder eine Mischintoxikation sind die rasche weitere (toxikologische) Diagnostik und ein schneller Therapiebeginn entscheidend [18].

Die Unterscheidung einer Propanolintoxikation, insbesondere einer Mischintoxikation mit anderen Alkoholen, von anderen Intoxikationen, anderen schweren Krankheitsverläufen oder Stoffwechselstörungenen ist schwierig, da die Befunde Laktazidose, Ketonurie, Hypoglykämie zusammen mit den Symptomen Koma und Kreislaufinsuffizienz bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen auftreten, deren Inzidenz deutlich häufiger ist. Erst der spezifische toxikologische Untersuchungsauftrag kann hierbei eine sichere Diagnose erzwingen. Wichtig bei der Diagnosestellung ist, bereits primär den differenzialdiagnostischen Bogen möglichst weit zu spannen und an ungewöhnliche Intoxikationen zu denken.

In Zweifelsfällen und bei unklarer oder unerwartet schwerer Klinik sollte eine Therapie unter Umständen auch vor Erhalt der toxikologischen Untersuchungsergebnisse erfolgen. Die Bestimmung von Aceton (Blut und Urin) kann dabei hilfreich sein [19].

Fazit für die Praxis

Die rasche Diagnostik und Therapie ist bei Intoxikationen prognosebestimmend. Auch bei scheinbar eindeutigen Fällen sollte ein besonderes Augenmerk auf untypische Verläufe gelegt werden. Dieses gilt insbesondere für Intoxikationen mit Alkoholen und Lösungsmitteln. Isopropanolintoxikationen kommen häufig als Mischintoxikationen mit Ethanol vor. Bei schweren klinischen Symptomen oder hoch toxischen Serumspiegeln ist die Hämodialyse die Methode der Wahl mit einem schnellen und sicheren Wirkungseintritt. Dieses konnte auch an dem gezeigten Beispiel beobachtet werden.