Refraktionsanomalien sind eine der häufigsten ophthalmologischen Abnormitäten, und fehlende oder Unterkorrektur von Ametropien, insbesondere der Myopie, ist die weltweit häufigste Ursache für Visusminderung [1]. Insbesondere in ost- und südostasiatischen Ländern hat die Prävalenz der Myopie in der jungen Generation sehr stark zugenommen und erreicht bei den 18-Jährigen eine Häufigkeit von mehr als 80 %, wobei die Prävalenz der hohen Myopie 10–20 % beträgt [2,3,4,5]. Das Problem der Myopie liegt nicht nur in der relativ häufig fehlenden optimalen optischen Korrektur, sondern vielmehr in dem Potenzial der Myopie, aufgrund der Achsenverlängerung des Bulbus durch eine myopische Makulopathie und durch eine Myopie-assoziierte glaukomatöse Optikusatrophie zu erheblicher Visusminderung und Blindheit führen zu können [6,7,8]. Nach neueren Studien ist die glaukomatöse Optikusatrophie im Vergleich zur myopischen Makulopathie bei hoher Myopie deutlich häufiger Grund für Visusminderung und Blindheit als früher angenommen [6, 8].

Epidemiologie

Während der letzten 3 Dekaden hat die Prävalenz der Myopie ausgeprägt zugenommen [2,3,4,5,6, 9]. Während diese Entwicklung insbesondere in Ostasien zu beobachten ist, gibt es ähnliche Tendenzen auch in Europa und Nordamerika, wo die Myopiehäufigkeit ca. 40–60 % bei den jüngeren Erwachsenen beträgt [9]. Faktoren, die mit einem häufigeren Auftreten der Myopie insbesondere bei Jugendlichen verbunden sind, beinhalten eine kürzere durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Freien, ein höheres Bildungsniveau und Berufsniveau der Eltern, einen höheren Schultyp, weibliches Geschlecht und ein höheres Alter [10, 11]. Dazu passend zeigte sich, dass Erwachsene, die zu Beginn der chinesischen Kulturrevolution die Schule als Erstklässler nicht besuchen konnten, jetzt weniger myop sind als die etwas ältere und die etwas jüngere Gruppe [12].

Entsprechend der Abhängigkeit der Myopiehäufigkeit vom Aufenthalt im Freien, ergab eine randomisierte prospektive Studie aus Guangzhou/Guangdong in China, dass bei 6‑Jährigen ein 40 min längerer Aufenthalt im Freien während der Schulzeit zu einer signifikanten Verminderung des Auftretens einer Myopie in den folgenden 3 Jahren führte [13]. Bei Erwachsenen ist die hohe Myopie, definiert als eine myopische Ametropie von mehr als −8 dpt oder eine Achsenlänge von mehr als 26,5 mm, mit einer deutlichen Zunahme des Auftretens einer glaukomatösen Optikusatrophie und einer myopischen Makulopathie als den beiden wichtigsten Erblindungsursachen von hochmyopen Patienten assoziiert [6,7,8]. Berücksichtigt man das Älterwerden der jetzt noch jungen myopen Bevölkerungsgruppe und dass die Myopie-assoziierten Komplikationen erst mit dem höheren Lebensalter auftreten, ist mit einer deutlichen Zunahme von Myopie-bedingter Visusminderung weltweit zu rechnen. Man schätzte, dass im Jahr 2050 ca. die Hälfte der Weltbevölkerung myop und 10 % hochmyop sind [2]. Trotz der zunehmend hohen Bedeutung der Myopie ist der Prozess der Myopisierung als ein Überschreiten des Prozesses der Emmetropisierung noch nicht eindeutig geklärt.

Prozess der Emmetropisierung

Der Prozess der Emmetropisierung bedeutet die Feinadjustierung der Länge der optischen Achse in Abhängigkeit von der gegebenen Refraktion von Kornea und Linse in den ersten beiden Lebensjahrzehnten. Die Myopisierung kann als ein über das ursprüngliche Ziel Hinausgehen der Emmetropisierung betrachtet werden. Bezüglich der Ätiologie der Myopie ist eine der Grundfragen, welches Gewebe oder welche Struktur das Auge auf einen Reiz hin verlängert, bis Emmetropie erreicht ist bzw. bis es zur Achsenmyopie kommt. Frühere Studien nahmen an, dass die Sklera und/oder die Choroidea das Auge verlängerten, und zeigten in experimentellen Studien zur Myopie Veränderungen im Proteinmuster und im Genaktivierungsprofil der Sklera und in der Aderhautdicke [14,15,16]. Versuchstiere waren meist Hühnchen und seltener Meerschweinchen, Mäuse oder Spitzhörnchen oder gar Affen. Wenn jedoch die Sklera der primäre Treiber für die okuläre Achsenverlängerung wäre, würde sich die Dicke (oder Weite) der Choroidea, definiert als Abstand zwischen Sklerainnenfläche und der Bruch-Membran, vergrößern. Gemäß klinischen und histologischen Untersuchungen nimmt die Dicke der Choroidea mit zunehmender Achsenlänge jedoch ab, wobei die achsenlängenabhängige Verdünnung für die Choroidea in prozentualen Werten stärker ausgeprägt ist als für die Sklera [17,18,19]. Die Myopie-abhängige Aderhautverdünnung spricht damit gegen die Sklera als die Struktur, die das Auge verlängert [20].

Histomorphometrische Befunde

Histomorphometrische und klinische Studien haben gezeigt, dass die myopische Vergrößerung des Augapfels vornehmlich in axialer Richtung erfolgt [18, 19]. Bei Augen mit einer Achsenlänge von weniger als 24 mm vergrößerten sich der horizontale Bulbusdurchmesser und der vertikale Bulbusdurchmesser um 1 mm, wenn die sagittale Bulbusachse sich um 1 mm verlängerte. Es resultierte eine größtenteils kugelige oder sphärische Vergrößerung des Auges. In Augen mit einer Achsenlänge von mehr als 24 mm nahm die Vergrößerung der horizontalen und vertikalen Bulbusdurchmesser pro Millimeter Verlängerung der sagittalen Bulbusachse mit zunehmender sagittaler Achsenlänge ab [21]. Bei einer Achsenlänge von 24–26 mm vergrößerten sich mit jedem Millimeter Zunahme in axialer Länge der horizontale Bulbusdurchmesser und der vertikale Bulbusdurchmesser um nur noch ca. 0,5 mm, bei einer Achsenlänge von 26–28 mm um ca. 0,25 mm und jenseits einer Achsenlänge von 28 mm um einen weiter abnehmenden Betrag [21]. Diese Daten deuten den Übergang von der Kugelform zur länglichen Form mit zunehmender sagittaler Bulbuslänge an [18, 19]. Es impliziert aus geometrischen Gründen, dass die Veränderung der Bulbuswand wesentlich im Äquatorialbereich erfolgt.

Die myopische Vergrößerung des Augapfels erfolgt vornehmlich in axialer Richtung

Andere histomorphometrische Untersuchungen zeigten, dass Sklera und Choroidea sich mit zunehmender Achsenlänge verdünnen, umso mehr, je näher zum hinteren Pol [19, 22,23,24]. Diese Veränderungen zeigten sich nur in der hinteren Bulbushälfte, während vor der Ora serrata die Skleradicke sich nicht signifikant zwischen hochmyopen Augen und Augen mit normaler Achsenlänge unterschied. Die Volumina von Sklera und Choroidea waren nicht zur Achsenlänge korreliert, sodass die mit der Achsenverlängerung einhergehende Verdünnung eher eine Umverteilung von vorhandenem choroidalem und skleralem Gewebe als eine Gewebeneubildung war [22,23,24]. Diese Befunde sprechen eher gegen eine aktive Rolle von Sklera und Aderhaut im Prozess der Bulbusverlängerung. Interessanterweise war die Dicke der Bruch-Membran (BM) unabhängig von der Achsenlänge, d. h. hochmyope Augen wiesen eine normale Dicke der BM am hinteren Pol und in anderen Augenregionen auf [25, 26]. Folglich nahm das Volumen der BM mit größerer Achsenlänge zu, sodass eine aktive Vermehrung des BM-Volumens angenommen werden kann [20].

Andere Studien zeigten, dass die Dichte des retinalen Pigmentepithels (RPE) in der Makula unabhängig von der Achsenlänge war, soweit Augen mit einer myopischen Makulopathie ausgeschlossen waren [27]. Parallel dazu waren die Dicke der Retina in der Makula und die Länge der BM (gemessen als Abstand zwischen Fovea und Rand der parapapillären Gammazone) in der Makula nicht mit der Achsenlänge korreliert [28, 29]. In Kontrast dazu verdünnte sich die Retina, und die Dichte der RPE-Zellen im äquatorialen und retroäquatorialen Bereich nahm mit längerer Achsenlänge ab [27]. Dies passte zu der Vorstellung, dass die myopische Bulbusverlängerung wesentlich im Äquatorbereich erfolgte, während die Makularegion weitgehend unberührt blieb [20]. Dies könnte auch mit dem Ziel des Prozesses der Emmetropisierung übereinstimmen, die Länge der optischen Achse auf die Refraktion von Linse und Kornea abzustimmen, ohne einen Kompromiss in der Zelldichte in der Makularegion einzugehen. Dementsprechend war in einer epidemiologischen Studie der bestkorrigierte Visus unabhängig von der Achsenlänge, wenn Augen mit einer Makulopathie ausgeschlossen waren [30].

Papillen-Fovea-Distanz

Eine zunehmende Achsenlänge korrelierte mit einer Vergrößerung der Papillen-Fovea-Distanz [31, 32]. Dies entsprach dem Befund, dass bei der Verlängerung des sagittalen Bulbusdurchmessers (d. h. der Achsenlänge) auch die horizontalen und vertikalen Durchmesser sich (aber um ein deutlich geringeres Maß) verlängerten [21]. Die Zunahme der Papillen-Fovea-Distanz erfolgte durch die Entwicklung und Vergrößerung der parapapillären Gammazone, die als die parapapilläre Region ohne BM definiert ist [33,34,35,36]. Dazu passte der Befund, dass die Länge der makulären BM, definiert als Abstand zwischen Fovea und dem Rand der parapapillären Gammazone, sich nicht mit größerer Achsenlänge vergrößerte [29]. Ebenso passte zu diesem Befund, dass die Dichte der RPE-Zellen und die Dicke der Retina in der Makula unabhängig von der Achsenlänge waren [27, 28].

Der Abstand zwischen dem temporal oberen Gefäßbogen und dem temporal unteren Gefäßbogen war in Augen ohne myopische Makulopathie unabhängig von der Achsenlänge und unterschied sich damit nicht zwischen emmetropen und hochmyopen Augen, sofern Augen mit einem makulären BM-Defekt ausgeschlossen waren [37]. Da sich die Papillen-Fovea-Distanz erhöhte, verringerte sich der Winkel κ zwischen den beiden temporalen Gefäßbögen mit größerer Achsenlänge [37].

Ätiologie

Kombiniert man die oben angegebenen Befunde, könnte man annehmen, dass die myopische Bulbusverlängerung und Bulbusvergrößerung durch eine Neuproduktion von oder Verlängerung der BM in der äquatorialen und retroäquatorialen Region erfolgen [20]. Dadurch würde die Länge der optischen Achse an die Refraktion durch Kornea und Linse angepasst, ohne dass die Dichte der Photorezeptoren in der Makula und damit der bestkorrigierte Visus abnähmen. Tierexperimentelle Studien haben angedeutet, dass der afferente Teil des Rückkopplungsmechanismus des Prozesses der Emmetropisierung/Myopisierung in der äquatorialen und retroäquatorialen Region liegen könnte [38,39,40,41]. Dafür sprechen auch klinische Beobachtungen, dass Augen mit einer kongenitalen Makulanarbe (z. B. im Rahmen einer konnatalen Toxoplasmose) eher emmetrop sind, während Augen von Frühgeborenen nach der Zerstörung der äußeren und mittleren Netzhautperipherie durch eine konfluierende Laserkoagulation axial myop werden. Interessanterweise ist die Behandlung der Retinopathia praematurorum mit intravitrealen Anti-VEGF(„vascular endothelial growth factor“)-Hemmern im Vergleich zur Lasertherapie möglicherweise mit einer geringeren Myopisierung assoziiert [42, 43]. Für die Hypothese sprechen auch Befunde, dass beim RPE in der Fundusperipherie andere Gene als beim makulären RPE exprimiert werden [44]. Zellen, die durch die Analyse des Bildkontrastes erkennen, ob das Bild des betrachteten Objektes auf der peripheren Retina scharf oder unscharf abgebildet ist, sind möglicherweise die retinalen Horizontalzellen [20]. Sollte diese Hypothese von der BM als der treibenden Struktur zur myopischen Bulbusverlängerung und -vergrößerung mit der Lokalisation des afferenten und efferenten Arms des Rückkopplungsmechanismus in der äquatorialen und retroäquatorialen Region stimmen, stellte sich die Frage nach dem Botenmolekül, mit dem die Horizontalzellen mit dem RPE kommunizierten. Ein solcher hypothetischer „Myopiewachstumsfaktor“ könnte dann evtl. durch Antikörper blockiert werden [45].

Weitere Argumente für die Hypothese sind, dass die Länge der optischen Achse der Hauptausgangsparameter ist und nicht der sagittale Durchmesser des Auges. Die optische Achse endet bei den Photorezeptorenaußengliedern, wobei die Bruch-Membran die nächstgelegene feste Struktur ist. Die Sklera hingegen ist von den Photorezeptorenaußengliedern durch die forminstabile Choroidea über eine Entfernung von ca. 250 µm getrennt, und zudem weist die Choroidea tages- und positionsabhängige Dickenschwankungen auf. Der Prozess der Emmetropisierung als Basis des Prozesses der Myopisierung erfolgt jedoch mit einer Genauigkeit von ca. 100–200 µm. Eine rezente Studie zeigte, dass die biomechanische Stärke der BM auf die Strukturdicke bezogen ca. 100-fach höher als die der Sklera war [46]. So war ein Augendruck von ca. 80–100 mm Hg notwendig, um die BM im Schweineauge rupturieren zu lassen.

Der Prozess der Emmetropisierung erfolgt mit einer Genauigkeit von ca. 100–200 µm

Weitere Folgerungen aus der Hypothese können sein, dass eine erhöhte Spannung in der weitgehend nichtelastischen BM zunächst zu einer Vergrößerung der physiologischen BM-Öffnung im Bereich der Papille führt, d. h. zur Entwicklung der parapapillären Gammazone, bevor Lacksprünge als zunächst linienförmige Defekte der BM entstehen, die sich zu größeren BM-Defekten im Bereich der scharf begrenzten chorioretinalen Atrophien erweitern können [35, 47,48,49]. Da die Gammazone wesentlich horizontal ausgerichtet ist, könnte man vielleicht annehmen, dass die Spannung innerhalb der BM in der horizontalen Richtung stärker als in der vertikalen Richtung ausgebildet ist. Durch die vermutlich horizontal stärker ausgeprägte BM-Spannung könnte man auch die Verkleinerung des Winkels κ bei zunehmender Achsenverlängerung erklären [31].

Anatomie der Papilla n. optici

Die myopische axiale Verlängerung des Auges führt zu charakteristischen morphologischen Veränderungen, u. a. an der Papilla n. optici [50]. In Augen mit mittlerer Myopie nahm die Papillendrehung um die vertikale Achse mit zunehmender Achsenlänge zu mit einem Nach-hinten-Weichen des temporalen Papillenrandes und einer komplementären relativen nach vorne gerichteten Bewegung des nasalen Papillenrandes [51, 52]. Daraus ergibt sich bei der 2‑dimensionalen Ophthalmoskopie, dass aus einer ophthalmoskopisch kreisförmigen Papillenform durch die perspektivische Verzerrung eine ophthalmoskopisch hochovale Papillenform entsteht [53]. Wurde die Papille 3‑dimensional vermessen, z. B. mittels der optischen Kohärenztomographie (OCT), zeigte sich eine mehr kreisförmige Papillenform in den myopen Augen. Eine mit größerer Achsenlänge zunehmende vertikale Papillendrehung war kombiniert mit der Entwicklung und Vergrößerung einer temporal gelegenen parapapillären Gammazone [51]. Neben der vertikalen Papillendrehung zeigte sich in den myopen Augen zusätzlich eine Papillendrehung um die horizontale Achse derart, dass sich der obere Papillenrand nach vorne schob und der untere Papillenrand nach hinten. Eine solche horizontale Papillendrehung war mit einer parapapillären Gammazone am unteren Papillenrand kombiniert und war assoziiert mit einer perspektivischen Verkürzung des vertikalen Papillendurchmessers. Eine Papillendrehung um die sagittale Achse mit einer Bewegung des oberen Papillenrandes nach temporal trat ebenfalls häufiger in myopen Augen auf und war aus geometrischen Gründen mit keiner perspektivischen Veränderung des ophthalmoskopisch erfassten Papillendurchmessers kombiniert.

Parapapilläre Zone Gamma und Delta

In der parapapillären Region entstanden mit größerer Achsenlänge die schon erwähnte parapapilläre Gammazone und die parapapilläre Deltazone ([33,34,35,36]; Tab. 1). Die Gammazone war charakterisiert durch das Fehlen der BM und war in der Regel temporal und meist nur in hochmyopen Augen auch in der nasalen parapapillären Region gelegen. Die Deltazone lag innerhalb der BM-freien Zone und kennzeichnete einen verlängerten und verdünnten peripapillären Skleralsteg. Sie grenzte direkt an den peripapillären Ring an und war peripher durch die Verschmelzungslinie von hinterer Sklera mit der Dura mater des Sehnerven begrenzt. Der peripapilläre Skleralsteg in der Zone Delta stellte die vordere Begrenzung des orbitalen Raumes des Liquor cerebrospinalis dar [54].

Tab. 1 Morphologische Charakteristika der parapapillären Zonen Alpha, Beta, Gamma und Delta

Papillenrotation

Die vertikale Papillendrehung in Verbindung mit der Entwicklung der temporalen parapapillären Gammazone und Deltazone mag durch 2 Mechanismen bedingt sein. Betrachtet man die Papille als ein dreilagiges Foramen mit der BM-Öffnung als innere Lage, der choroidalen Öffnung (abgegrenzt vom intrapapillären prälaminären Raum durch das peripapilläre choroidale Grenzgewebe Jacoby) als mittlere Lage und der skleralen, von der Lamina cribrosa überspannten Öffnung als äußere Lage, so liegen bei der Geburt alle 3 Lagen deckungsgleich übereinander. Die im Rahmen der myopischen Achsenverlängerung vermutete Neuproduktion und Verlängerung der BM in der äquatorialen Region mag die papilläre BM-Öffnung in Richtung Makula verschieben, während die papilläre choroidale Öffnung und die papilläre sklerale Öffnung zurückbleiben. Dadurch entsteht ein Überhängen der BM in den nasalen Teil des intrapapillären Kompartiments (wie auch in OCT-Bildern ersichtlich), während am temporalen Papillenrand das parapapilläre Gebiet von BM entblößt wird [55]. Dieses Verschieben der papillären Schichten könnte auch erklären, warum bei den mittelgradig myopen Augen die retinalen Ganglienzellaxone (Sehnervenfasern) zunächst von hinten zentral kommend nach vorne nasal aus dem Bulbus austreten (sog. „schräger Sehnervenaustritt“), um dann im juxtabulbären Abschnitt des Sehnerven eine Wendung nach hinten oben in Richtung der nasal oberen Orbitaregion durchzuführen.

Ein zweiter Grund für die vertikale Verdrehung der Papille in hochmyopen Augen kann ein Zug der Dura mater des Sehnerven an dem peripapillären Skleralsteg sein. Studien von magnetresonanztomographischen Bildern der Orbita von hochmyopen Patienten legten nahe, dass bei hoher axialer Myopie in Adduktion die Länge des Sehnerven nicht ausreicht, um die Rotation des hinteren Bulbuspols nach vorne voll mitzumachen, sodass der Sehnerv gespannt wird [56, 57]. Hierdurch kann es zu einer Traktion am Ansatz der Dura mater am Skleralsteg kommen. Da der Sehnerv nasal oben am Orbitarand fixiert ist, ist in Adduktion der temporal untere Papillenrand der am weitesten entfernte und die Stelle, wo am ehesten ein zu kurzer Sehnerv eine Traktion ausüben könnte. Entsprechend liegen am temporal unteren Papillenrand die sog. parapapillären suprachoroidalen Kavitäten, Spalträume zwischen der möglicherweise nach hinten gezogenen peripapillären Sklera und der an der BM adhärenten parapapillären BM [58,59,60]. Eine rezente Studie zeigte, dass mittelgradig myope Augen mit permanentem Strabismus sich in der Papillenform nicht von mittelgradig myopen Augen ohne Strabismus unterscheiden (eigene Befunde). Dies deutet an, dass in nicht hochmyopen Augen die vertikale Papillendrehung eher nicht durch die Sehnerventraktion nach hinten, sondern eher durch die tangentiale Verschiebung der papillären Lamellen hervorgerufen wird.

Sekundäre Makropapille

Ein weiteres Charakteristikum der hochmyopen Papille ist ihre Vergrößerung zur sekundären Makropapille [61,62,63]. Die Papillenvergrößerung erfolgt in der Regel erst jenseits einer myopischen Ametropie von mehr als −8 dpt oder einer Achsenlänge von mehr als 26,5 mm [64]. Die hochmyope Papillenvergrößerung erfolgt mit zunehmender Achsenlänge, aber nicht streng parallel zur Entwicklung der parapapillären Gamma- und Deltazone oder der Entwicklung von makulären BM-Defekten [65]. Die Papillenvergrößerung ist kombiniert mit einer Verlängerung und Verdünnung der Lamina cribrosa [66]. Dadurch verringert sich der Abstand zwischen dem intravitrealen Raum mit dem „Augeninnendruck“ und dem retrobulbären Raum mit dem orbitalen Liquordruck (Liquor cerebrospinalis). Bei gleichbleibendem Trans-Lamina-cribrosa-Druckunterschied wird dadurch der Trans-Lamina-cribrosa-Druckgradient steiler, was neben den morphologischen Veränderungen in der Lamina cribrosa einer der Gründe für die erhöhte Glaukomprävalenz in hochmyopen Augen sein kann [67, 68].

Peripapillärer Skleralsteg

Die Verlängerung des peripapillären Skleralstegs in hochmyopen Augen (als Äquivalent der parapapillären Deltazone) führt zu einer größeren Entfernung zwischen dem peripapillären Circulus arteriosus Zinn Haller, der meist an der Verbindungslinie der Dura mater des Sehnerven mit der hinteren Sklera (d. h. am makulären Ende des peripapillären Skleralstegs) liegt, und der Lamina cribrosa, die von ihm versorgt wird [69, 70]. Die verlängerte Distanz zwischen dem Circulus arteriosus Zinn Haller und der Lamina cribrosa kann daher ein weiterer Grund für die erhöhte Glaukomempfindlichkeit in hochmyopen Augen sein [6]. Zudem wird der peripapilläre Skleralsteg nicht nur länger, sondern auch dünner bei der hohen Myopie. Die Verdünnung kann 90 % oder mehr der normalen Dicke ausmachen [54]. Entsprechend kann sich die Länge des Skleralstegs auf das 10-Fache in hochmyopen Augen vergrößern. Da der peripapilläre Skleralsteg der biomechanische Aufhängeapparat der Lamina cribrosa ist, können die Verlängerung und insbesondere die Verdünnung des Skleralstegs weitere Gründe für die erhöhte Glaukomempfindlichkeit von hochmyopen Augen sein.

Die Länge des Skleralstegs kann sich auf das 10-Fache in hochmyopen Augen vergrößern

Weitere histologische und ophthalmoskopische Kennzeichen der hochmyopen Papille sind eine Abnahme des Farbkontrastes und des räumlichen Kontrastes zwischen dem neuroretinalen Randsaum und der Exkavation, was die klinische Abgrenzung der Exkavation vom neuroretinalen Randsaum erschwert. Die Sichtbarkeit der parapapillären retinalen Nervenfaserschicht ist durch die Helligkeit der parapapillären Gamma- und Deltazone aus physikalisch optischen Gründen herabgesetzt, und die Beurteilung der parapapillären Betazone ist wegen der Gammazone erschwert. Dies sind einige der morphologischen Gründe, weshalb das Erkennen einer glaukomatösen Optikusatrophie in hochmyopen Augen erschwert ist.

Die parapapilläre Gammazone und Deltazone erklären auch, warum die parapapilläre, mit der optischen kohärenztomographischen Angiographie dargestellte Gefäßdichte in hochmyopen Augen verringert ist, weil die Gammazone und Deltazone außer der retinalen Nervenfaserschicht und wenigen großen (zuführenden) Aderhautgefäßen keine anderen choroidalen oder retinalen Blutgefäße aufweisen [71].

Stadieneinteilung der myopischen Makulopathie

Neben der Papille zeigt insbesondere die Makula typische Veränderungen in myopen und hochmyopen Augen [7]. Diese werden als Kennzeichen der myopischen Makulopathie beschrieben. Gemäß der internationalen Studiengruppe für die „META-analysis for Pathologic Myopia“ wird die myopische Makulopathie in Stadien eingeteilt [7]. Das Stadium 1 ist durch einen ausgeprägten Fundus tabulatus gekennzeichnet, der als eine deutliche ophthalmoskopische Erkennbarkeit der großen Aderhautgefäße definiert ist. Wird der Fundus tabulatus in 4 Grade eingeteilt, von „0“ für „kein Fundus tabulatus“ bis „3“ für „sehr ausgeprägter Fundus tabulatus“, ist das Ausprägungsgrad des Fundus tabulatus korreliert mit höherem Alter, geringerem Body-Mass-Index, längerer Achsenlänge, größerer parapapillärer Atrophie und insbesondere mit dünner subfovealer Choroidea [72]. Ein ausgeprägter Fundus tabulatus kann daher als Surrogat einer Leptochoroidea angesehen werden. Dies kann praktisch hilfreich sein, wenn keine OCT-Untersuchung zur Verfügung steht. Stadium II der myopischen Makulopathie (und das erste pathologische Stadium) ist eine ausgeprägte diffuse chorioretinale Atrophie in der Makularegion. Stadium III ist gekennzeichnet durch scharf begrenzte chorioretinale Atrophien („patchy atrophies“) außerhalb der Fovea, und im Stadium IV zeigen sich scharf begrenzte chorioretinale Atrophien in der Fovearegion. Zusätzliche „Plus-Zeichen“ sind Lacksprünge, eine myopische chorioretinale Neovaskularisation, ein Fuchs-Fleck als Spätfolge einer myopischen chorioretinalen Neovaskularisation und hintere Sklerastaphylome [73,74,75]. Histologisch entsprechen die Lacksprünge einem länglichen Defekt in der BM und dem darüber liegenden RPE. Die scharf begrenzten chorioretinalen Atrophien sind areoläre Defekte der RPE-Schicht, die in ca. 80 % oder mehr im Zentrum zusätzlich Defekte der BM aufweisen. Diese makulären BM-Defekte sind zu einem histologischen und klinischen Kennzeichen der myopischen Makulopathie geworden und können in der OCT erkennt werden [48, 49, 76, 77]. Im Bereich der makulären BM-Defekte fehlen neben dem RPE zusätzlich die retinale Photorezeptorenschicht und häufig die innere nukleäre Schicht, die Choriokapillaris und die Sattler-Schicht der mittelgroßen Aderhautgefäße [48]. Neben der retinalen Nervenfaserschicht finden sich nur vereinzelt große Aderhautgefäße und die Sklera. Trotz des offensichtlichen Foramens in der BM und dem damit vermutlich freien Zugang zur Aderhaut weisen die extrafovealen BM-Defekte nur selten eine chorioretinale Neovaskularisation auf. Die Gründe hierfür sind bisher unklar.

Makuläre BM-Defekte sind ein histologisches und klinisches Kennzeichen der myopischen Makulopathie

Psychophysisch entsprechen die makulären BM-Defekte einem absoluten Skotom, da RPE, Photorezeptoren und Choriokapillaris fehlen. Liegen die BM-Defekte in der Fovea wie im Stadium IV der myopischen Makulopathie, besteht eine ausgeprägte Herabsetzung des zentralen Visus. Ein ausgeprägter Fundus tabulatus und eine diffuse chorioretinale Atrophie (Stadium II der myopischen Makulopathie) sind eher nicht von einer Visusherabsetzung begleitet.

In einer 10-jährigen Verlaufsbeobachtungsstudie der Beijing Eye-Studie zeigte sich, dass von 110 hochmyopen Augen 39 (36 %) eine Progression zeigten, davon 15 (19 %) von 79 Augen mit Fundus tabulatus, 17 (71 %) von 24 Augen mit diffuser chorioretinaler Atrophie und alle Augen mit scharf begrenzter Atrophie extrafoveal (6/6) oder foveal (1/1) gelegen [78]. Lacksprünge als schmale längliche BM-Defekte vergrößerten sich zu areolären BM-Defekten in 3 Augen. Fünf Augen entwickelten neue Lacksprünge. Risikofaktoren für die Progression der myopischen Makulopathie waren ein höheres Alter, eine größere Achsenlänge, ein häufigeres Vorhandensein von Sklerastaphylomen, eine kleinere parapapilläre Gammazone am Studienende und weibliches Geschlecht. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich in einer 18-jährigen Verlaufsstudie in der Tokyo Myopia Study durch Ohno-Matsui über 810 hochmyope Augen [79].

Besonderheiten der myopischen Makulopathie

Zu den morphologischen Besonderheiten der Makula bei hoher Myopie gehört das Auftreten einer „ridge-shaped macula“ oder Faltenmakula, bei der eine horizontal oder vertikal verlaufende wallartige Prominenz durch das zentrale Makulagebiet verläuft und dieses anhebt [80]. Dabei liegt die Retina dem RPE an, sodass im Bereich des Walles die Retina zusammen mit der BM angehoben ist. Die Genese dieser anatomischen Besonderheit ist bisher ungeklärt. Diskutiert wird u. a., dass die Neubildung von BM in der äquatorialen und retroäquatorialen Region nicht gleichmäßig verläuft, sondern dass mehr BM in dem einem Meridian im Vergleich zu dem im rechten Winkel dazu verlaufenden Meridian kommt. Der dadurch entstehende „Überschuss“ von BM könnte sich wallartig am hinteren Pol anstauen und könnte zu der Makulafalte im Bereich der BM führen. Bei der sog. „dome-shaped macula“ besteht in hochmyopen Augen eine inselförmige Anhebung der Makula in jedem Meridian [81]. Im Bereich der zentralen Anhebung der Makula, d. h. der BM und der darüber liegenden Retina, ist in der Regel die darunter liegende Choroidea dicker, und es finden sich in der Umgebung häufiger BM-Defekte [82]. Auch für die Ätiologie der „dome-shaped macula“ wird eine Rolle der BM diskutiert. Die myopische Retinoschisis im Makulabereich als weiteres Charakteristikum der myopischen Makulopathie ist evtl. dadurch bedingt, dass sich die BM mit adhärenter tiefer Netzhautschicht nach hinten vorwölbt, ohne dass es wegen der Längenkonstanz der BM im Makulabereich zu einer Dehnung der tiefen Retinaschicht kommt [83]. Die innere Netzhautschicht mit der retinalen Nervenfaserschicht steht jedoch in Kontakt mit der Papille, die sich durch die Entwicklung der papillären Gammazone mit größerer Achsenlänge von der Papille entfernt. Dadurch kommt die innere Netzhautschicht unter Zug, sodass sich die innere Netzhautschicht von der äußeren schisisartig entfernen kann. Die Ätiologie von hinteren Sklerastaphylomen als weiteres Charakteristikum der hohen Myopie ist unklar [84].

Fazit für die Praxis

  • Morphologische Kennzeichen der Myopie sind eine vornehmlich sagittale und zu deutlich geringerem Anteil koronare Bulbusvergrößerung, eine Verdünnung der Netzhaut und retinalen Pigmentepithelzelldichte im Äquatorbereich, eine Verdünnung der Choroidea und Sklera vornehmlich am hinteren Pol, eine unveränderte Dicke der Bruch-Membran insgesamt und der Retina im Makulagebiet, eine unveränderte Dichte der retinalen Pigmentepithelzelldichte im Makulagebiet, eine vergrößerte Papillen-Fovea-Entfernung durch die sich bildende parapapilläre Gammazone und Deltazone und eine vertikale Rotation und Vergrößerung der Papille mit Verlängerung und Verdünnung der Lamina cribrosa und des peripapillären Skleralstegs.

  • Diese morphologischen Veränderungen lassen sich möglicherweise durch eine Neubildung und Verlängerung der Bruch-Membran im Äquatorbereich als Ursache für die sagittale Bulbusverlängerung erklären.