Die aktuellen demografischen Entwicklungen gehen mit steigenden Patientenzahlen für altersassoziierte, chronische Erkrankungen einher. Dazu gehören einige Augenerkrankungen und deren häufige Risikofaktoren, z. B. Diabetes mellitus, Hypertonie sowie die Multimorbidität. Visuelle Einschränkungen können die Eigenständigkeit und Lebensqualität der Betroffenen in besonderer Weise beeinträchtigen und sind oft ein limitierender Faktor für ein selbstständiges Leben in der eigenen Häuslichkeit. Die versorgungsepidemiologische Analyse der medizinischen Versorgung von Patienten mit Augenerkrankungen sowie die Entwicklung effektiver und effizienter regionaler Versorgungskonzepte mit dem Ziel einer möglichst hohen Autonomie der Patienten ist deswegen von wachsender Bedeutung.

Dynamiken im demografischen Wandel

Der demografische Wandel ist durch eine Zunahme des relativen und absoluten Anteils älterer Menschen in der Gesamtbevölkerung charakterisiert. Seine wichtigsten Ursachen sind das Älterwerden der geburtenstarken Jahrgänge zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg und die Geburtenausfälle nach dem 2. Weltkrieg. Hinzu kommt die Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung. Als Folge dieser demografischen Prozesse ändert sich derzeit der Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland erheblich. Insbesondere der Anteil der über 80-jährigen Menschen steigt stark an (Abb. 1). Absolut gesehen wird die Zunahme der über 80-Jährigen zwischen 2008 und 2020 etwa 2 Mio. Menschen betragen [1, 2].

Abb. 1
figure 1

Regionale Analyse der Änderungen beim Anteil der über 60-jährigen und über 80-jährigen Männer und Frauen zwischen 2008 und 2020 (nach [1]. Datenquelle: Statistisches Bundesamt [3]). (Mit freundl. Genehmigung des Instituts für Community Medicine; http://www.medizin.uni-greifswald.de/icm/)

Der Anteil der Jüngeren an der Bevölkerung sinkt dagegen im gleichen Zeitraum deutlich ab [2]. Diese Entwicklungen wirken sich gleich in mehrfacher Weise auf die gegenwärtige und zukünftige medizinische Versorgung der Menschen aus.

Die veränderte Altersstruktur hat Konsequenzen für das Krankheitsspektrum vieler auf der Bevölkerungsebene relevanter Erkrankungen. Die Anzahl der Patienten mit Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- und Krebserkrankungen, degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates und mit neurodegenerativen Erkrankungen, insbesondere Demenzen wird sich weiterhin deutlich erhöhen [4, 5, 6]. Gleichzeitig steigen die Häufigkeit der Multimorbidität [7], Einschränkungen der Mobilität und die Pflegebedürftigkeit [8, 9].

Die Frequenz visueller Einschränkungen nimmt mit dem Alter stark zu.

Für die Altersgruppe ab 65 Jahre wurden laut Evans und Rowlands [10] in verschiedenen internationalen bevölkerungsbezogenen Studien Häufigkeiten von etwa 10 % ermittelt, für die Altersgruppe ab 75 Jahre etwa 20 %. Die Angaben zur Prävalenz von Sehbeeinträchtigungen in der Bevölkerungsgruppe alter Menschen schwanken stark zwischen 20 und 50 % in Abhängigkeit von den angewandten Diagnostikmethoden, der untersuchten Probandengruppe, beispielsweise Einbeziehung von Alters- und Pflegeheimen, sowie der jeweils untersuchten Region [10, 11]. Erheblich mehr Übereinstimmung findet sich in den Schlussfolgerungen der Autorengruppen dahingehend, dass

  1. 1.

    viele der erfassten visuellen Funktionsstörungen wie bislang unentdeckte Refraktionsfehler behandelbar wären,

  2. 2.

    gerade für Patienten im höheren Alter mehr Präventionsmaßnahmen und jährliche Screeninguntersuchungen gefordert werden.

Im Rahmen der Teleophthalmologie im POMERANIA-Netzwerk evaluiert der Arbeitsbereich Experimentelle Ophthalmologie und Telemedizin der Augenklinik der Universitätsmedizin Greifswald interdisziplinäre Möglichkeiten der OCT-Befundung für die internistische Abteilung des Krankenhauses Wolgast. Eine Analyse der anamnestischen Angaben von 306 internistischen Patienten zeigt auf, dass bei 25 % die letzte augenärztliche Untersuchung mehr als 5 Jahre zurücklag. Weitere 28 % hatten eine Augenarztvorstellung im zurückliegenden 1- bis 5-Jahres-Zeitraum (Abb. 2). Unter den Gegebenheiten einer internistischen Abteilung war bei 94 % der Patienten die Untersuchung des zentralen Augenhintergrundes möglich. Fast 10 % der untersuchten Patienten zeigten behandlungswürdige Auffälligkeiten während der OCT-Vorder- und -Hinterabschnittuntersuchung, die eine baldige Vorstellung beim Augenarzt notwendig machte. Exemplarisch belegt das die Bedeutung ophthalmologischer Untersuchungen auch unter gesamtmedizinischen Aspekten sowie die Bedeutung der ophthalmologischen Prävention für das frühzeitigere Erkennen schwerer Erkrankungen [11, 12].

Abb. 2
figure 2

Angaben zur Häufigkeit von Augenarztkonsultationen unter 306 Patienten einer internistischen Abteilung eines Krankenhauses im ländlichen Raum

Im Alterssurvey des Robert Koch-Instituts von 2002 wurden Sehbeeinträchtigungen auf der Basis von Alltagssituationen (Zeitung lesen, Erkennen von Personen auf der Straße) erfasst.

In der Altersgruppe 65 bis 74 Jahre haben knapp 20 % der Befragten Probleme beim Zeitunglesen, in der Altersgruppe der ab 75-Jährigen liegt dieser Anteil bei etwa 30 %. Etwa 8 % der 65- bis 74-Jährigen gab an, Probleme beim Erkennen von Personen auf der Straße zu haben. In der Altersgruppe der über 75-Jährigen sind dies 17 % [13].

Einschränkungen bei der Sehkraft sind stark assoziiert mit einer verringerten Lebensqualität [10]. Das Sehvermögen hat eine wichtige Bedeutung für die Fähigkeit, (instrumentelle) Aktivitäten des täglichen Lebens zu bewältigen und ist damit ein bedeutender Faktor für die Autonomie älterer Menschen. Eine bevölkerungsbezogene Studie bei 2781 Menschen ab 55 Jahre in Finnland zeigte eine deutliche Zunahme der Prävalenz von funktionellen Einschränkungen und eingeschränkter Mobilität durch Beeinträchtigungen der Sehschärfe [14].

In einer ebenfalls bevölkerungsbezogenen Studie bei der gleichen Altersgruppe in Kalifornien, USA, wurde der Zusammenhang zwischen eingeschränkter Sehfähigkeit und Mobilität untersucht. Die Wahrscheinlichkeit für Einschränkungen der selbstberichteten Mobilität als auch anhand von Geh- und Balancetests war bei Probanden mit geringem Sehvermögen deutlich höher als bei Probanden mit einer guten Sehfähigkeit [15]. Zusätzlich sind visuelle Einschränkungen ein wichtiger Risikofaktor für Stürze und die damit verbundenen schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen beispielsweise durch Hüftfrakturen [16].

Konsequenzen für die Versorgung

Durch die Zunahme der Patientenzahlen älterer Menschen steigt die Inanspruchnahme von niedergelassenen Haus- und Fachärzten ebenso wie der Bedarf an stationären Behandlungen, an rehabilitativen Aufwendungen und an Pflegeleistungen. Diesen steigenden Erfordernissen stehen Besetzungsprobleme von Arztstellen sowohl im niedergelassenen wie zunehmend auch im stationären Bereich und ein wachsender Nachwuchsmangel in der Kranken- und Altenpflege gegenüber.

In der Region Vorpommern waren mit Stand Januar 2011 29 niedergelassene Augenärzte tätig. Da die aktuelle kassenärztliche Bedarfsplanung bislang vorwiegend auf der Anzahl der Einwohner basiert, kann man anhand der Bevölkerungszahlen und -prognosen des Statistischen Landesamtes abschätzen, wie viele Augenärzte nach der Maßgabe der aktuellen Bedarfsplanung in einer Region notwendig sind. Für Vorpommern würden danach insgesamt 18 Augenärzte für die Region ausreichen. Mit tatsächlich 29 niedergelassenen Augenärzten war die Region im Jahr 2011 aus der Sicht der kassenärztlichen Bedarfsplaner also deutlich „überversorgt“, was die tägliche Praxis jedoch eindeutig widerlegt. Die Ophthalmologie des 21. Jahrhunderts ist ein Fachbereich mit enorm hohem gerätetechnischem Aufwand, der aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte in ländlichen Regionen immer weniger refinanzierbar ist, wodurch sich Diagnostikmöglichkeiten und Effizienzen zum Nachteil dieser Bevölkerungsgruppe verschieben. Anders als in einigen prosperierenden Großstadtregionen kann eine zeitgemäße ophthalmologische Grundversorgung kaum durch private Zusatzleistungen gestützt werden. Bei einer sinkenden Bevölkerung würden in der Region aus der gegenwärtigen Sicht der Bedarfsplaner für 2020 17,3 Augenärzte benötigt, für 2030 gar nur 16,4 [17, 18].

Gleichzeitig ist die augenärztliche Versorgung in der Alltagsrealität jedoch von Terminschwierigkeiten und langen Wartezeiten geprägt. Immer wieder werden in Medienberichten Versorgungsengpässe und Unterversorgung beklagt [19, 20].

Für diese Diskrepanz sehen wir verschiedene Ursachen. Die traditionelle Familienpflege wird durch die Veränderungen der Familienstrukturen schwieriger, der Anteil der Single-Haushalte nimmt zu. Dies hat Konsequenzen für die familiäre Unterstützung, schränkt die Mobilität der älteren Menschen zusätzlich ein und erhöht den Bedarf an professioneller Betreuung.

Fazit

Diese Trends zeigen erhebliche geografische Unterschiede. So verläuft die Überalterung der Bevölkerung allgemein in den neuen Bundesländern und im Norden Deutschlands rascher als in den alten und südlichen Bundesländern. Bei kleinräumiger Betrachtung zeigt sich aber auch eine raschere Dynamik in eher ländlichen Regionen, während der demografische Wandel in vielen städtischen Bereichen moderater verläuft.

Erreichbarkeit der niedergelassenen Augenärzte

Ein wichtiges Kriterium für die Versorgungssicherheit in einer Region ist die räumliche Verteilung der medizinischen Leistungserbringer und deren Erreichbarkeit mit Personenkraftwagen (Pkw) und öffentlichen Verkehrsmitteln (ÖPNV).

Für die Berechnung der Erreichbarkeit der niedergelassenen Augenärzte mit Pkw in der Region Vorpommern wurden das geografische Informationssystem (GIS) und der Network Analyst von ArcGIS 9.3 eingesetzt. Augenärzte in einer Zone von 15 km außerhalb der Region wurden bei der Analyse berücksichtigt. Folgende Daten fanden Anwendung:

  • routingfähiges Straßennetz für Mecklenburg-Vorpommern (2012) und die Uckermark (2010) einschließlich Ortsmittelpunkte (Logiball GmbH, Herne sowie Tele Atlas Deutschland GmbH, Harsum);

  • geografische Koordinaten der Praxisadressen der niedergelassenen Augenärzte (Arztlisten der Kassenärztlichen Vereinigungen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg).

  • Die berechnete Fahrzeit beinhaltet nur die reine Fahrzeit von den Ortsmittelpunkten zu den augenärztlichen Praxen; Verkehrsbehinderungen, die die Fahrtzeit verlängern können, wie z. B. Witterungsbedingungen, Stau, Baustellen sowie die Parkplatzsuche, wurden bei der Analyse nicht berücksichtigt.

Die Ergebnisse der Fahrzeitberechnung mit Pkw sind in Abb. 3 kartografisch dargestellt. Die meisten Augenarztpraxen befinden sich in den Mittel- und Oberzentren der Region. Bei Nutzung eines Pkws ist die Erreichbarkeit für den größten Teil der Bevölkerung akzeptabel. Etwa 4 % der Bevölkerung haben eine Fahrzeit von 20 min oder länger (Tab. 1).

Abb. 3
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Erreichbarkeit der nächstgelegenen Augenarztpraxis mit dem Pkw, Stand 06/2012 [Datenquelle: http://www.kvmv.info und http://www.kvbb.de (Straßendaten: Logiball D-Plus-Karte, 2012)]. (Mit freundl. Genehmigung des Instituts für Community Medicine; http://www.medizin.uni-greifswald.de/icm/)

Tab. 1 Anteil der Bevölkerung nach Fahrzeit mit dem Pkw zur nächstgelegenen Augenarztpraxis in der Region Vorpommern

Insgesamt haben 82 % der Bevölkerung in Deutschland einen Pkw zur Verfügung. Dieser Anteil ist allerdings in den höheren Altersgruppen deutlich geringer, insbesondere bei alleinlebenden älteren Frauen. In der Altersgruppe 75 bis 79 Jahre nutzen nur noch etwa 20 % dieser Gruppe einen Pkw, in der Altersgruppe 80 Jahre und älter sinkt der Anteil weiter auf unter 10 % [21]. Diese demografischen Aussagen gelten für Patienten mit visuellen Beeinträchtigungen verstärkt, da diese Personengruppe aufgrund ihrer Erkrankung häufig die Fähigkeit, ein Fahrzeug zu führen, verloren hat. Gerade für diese Gruppe ist deshalb eine gute Erreichbarkeit medizinischer Leistungserbringer mit öffentlichen Verkehrsmitteln (ÖPNV) äußerst wichtig.

Die Erreichbarkeit von Arztpraxen mit dem ÖPNV ist in vielen ländlichen Regionen schwierig. Außerhalb der Städte sind die Fahrpläne vorwiegend auf den Schülerverkehr ausgerichtet. Auf einigen Buslinien fahren nur Rufbusse, die im Voraus bestellt werden müssen.

Die Erreichbarkeit der Augenarztpraxen in der Region Vorpommern mit dem ÖPNV wurde mit einer institutseigenen Softwareentwicklung berechnet und mithilfe eines GIS kartografisch dargestellt. Es wurden folgende Daten verwendet:

  • geografische Koordinaten von 3554 Bushaltestellen (Quellen: diverse Verkehrsunternehmen sowie eigene Felderhebungen),

  • Fahrpläne aller in der Region Vorpommern und in den benachbarten Landkreisen tätigen Verkehrsunternehmen für den Zeitraum 2010/11,

  • geografische Koordinaten der Adressen der niedergelassenen Augenärzte (Arztlisten der Kassenärztlichen Vereinigungen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg),

  • Bevölkerungsdaten (statistisches Landesamt Mecklenburg-Vorpommern),

  • routingfähiges Straßennetz für Mecklenburg-Vorpommern (2012; Logiball GmbH, Herne) und die Uckermark (2010; Quelle: Tele Atlas Deutschland GmbH, Harsum) für die Berechnung der Fußwege).

In Abb. 4 wird die Erreichbarkeit mit dem ÖPNV am Beispiel der Augenarztpraxen im südlichen Teil der Region Vorpommern an einem Dienstag außerhalb der Ferienzeit dargestellt. Es wurde für jeden Ortsteil die Gesamtfahrzeit (Hin- und Rückweg) zur nächstgelegenen Augenarztpraxis für alle Orte/Ortsteile in der Region ermittelt. Als Bedingung für die Erreichbarkeit galt lediglich die Vorgabe, dass die Patienten bis 24 Uhr wieder an ihrem Wohnort angekommen sein mussten. Die Entfernung zwischen Bushaltestelle und Augenarztpraxis betrug im dargestellten Modell maximal 500 m. Die durchschnittliche Gesamtfahrzeit (Hin- und Rückweg), berechnet über die gesamte Region Vorpommern, betrug 155 min.

Abb. 4
figure 4

Erreichbarkeit der nächstgelegenen Augenarztpraxis mit dem ÖPNV. Die Punkte entsprechen Orten und Ortsteilen, Stand 06/2012 (Datenquelle: http://www.kvmv.info und http://www.kvbb.de). (Mit freundl. Genehmigung des Instituts für Community Medicine; http://www.medizin.uni-greifswald.de/icm/)

Die geografische Karte zeigt deutlich, dass für viele Orte in der Region die Erreichbarkeit eines niedergelassenen Augenarztes mit dem ÖPNV unter den beschriebenen, wenig anspruchsvollen Kriterien nicht gegeben ist (graue Punkte in der Karte). Für die Einwohner von 267 Orten/Ortsteilen ist es demnach nicht möglich, an einem Tag mit dem Bus zur nächstgelegenen Augenarztpraxis und wieder zurück zu fahren. Zum Zeitpunkt der Analyse waren davon 4,1 % der Bevölkerung, vorwiegend in kleineren Orten, betroffen (Tab. 2).

Tab. 2 Anteil der Bevölkerung nach Reisedauer (Hin- und Rückfahrt) mit dem ÖPNV zur nächstgelegenen Augenarztpraxis in der Region Vorpommern

Herausforderungen und Lösungsansätze für das Versorgungssystem

Die demografischen Entwicklungen stellen das medizinische Versorgungssystem vor Herausforderungen, die das Aufgabenspektrum, die diagnostischen und therapeutischen Zielstellungen und die Arbeitsteilung zwischen den an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen (ÄrztInnen, ZahnärztInnen, ApothekerInnen, Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, AltenpflegerInnen, PhysiotherapeutInnen, Medizinische Fachangestellte und viele weitere) betreffen.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen weist bereits in seinem Sondergutachten von 2009 auf die Bedeutung einer flächendeckenden Sicherstellung der Versorgung in ländlichen Räumen hin [22].

Gleichzeitig erfordert die Morbidität der älteren Bevölkerung eine umfassende, integrierte und langfristige Betreuung. Im Zentrum stehen die Erhaltung von körperlichen und geistigen Ressourcen durch die medizinische Behandlung oder zumindest eine wirksame Symptomkontrolle, also eine an den subjektiven und objektiven Bedürfnissen orientierte Begleitung und Unterstützung. Therapieziele verändern sich – anstatt einer „Heilung“ treten die Erhaltung oder Wiederherstellung der Mobilität, ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Häuslichkeit und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in den Vordergrund. Medizinische Versorgung wird multiprofessionell und arbeitsteiliger. Die Bedeutung nichtärztlicher Gesundheitsberufe nimmt weiter zu [23, 24, 25].

Ein steigender Wirksamkeits- und Qualitätsanspruch erfordert die Koordination kurativer, präventiver und rehabilitativer Maßnahmen und eine auf den individuellen Patienten zugeschnittene medikamentöse Therapie.

Bedürfnisse und Angebote sind regional unterschiedlich, deshalb werden pauschale Lösungsansätze nicht erfolgreich sein.

Traditionelle Abgrenzungen (Sektoren, Berufsgruppen, Tätigkeitsbereiche) müssen hierbei ebenso infrage gestellt werden wie berufs- und standesrechtliche Privilegien und noch bestehende Restriktionen, Zugangseinschränkungen zu spezifischen Qualifikationen, Vorbehaltstätigkeiten und Monopole.

In mehreren Gesundheitsreformen wurden die Strukturbedingungen des medizinischen Versorgungssystems flexibilisiert. Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) erlaubt u. a. eine gleichzeitige Tätigkeit als Krankenhaus- und Vertragsarzt, die Gründung von Zweigpraxen und die Aufhebung der Altersbeschränkung für Kassenärzte in unterversorgten Regionen [26].

Wo ein ambulantes Leistungsangebot fehlt, kann dieses durch eine entsprechend ausgestattete Klinik erbracht werden – umgekehrt können kleinere Häuser beispielsweise durch Facharztkompetenz aus dem niedergelassenen Bereich unterstützt werden.

Bei Nicht-Wiederbesetzung einzelner Arztsitze ermöglichen Delegationsmodelle den verbleibenden Ärzten, größere Patientenzahlen zu versorgen [27, 28, 29].

Die Entwicklung kooperativer regionaler Versorgungsstrukturen sollte gezielt unterstützt werden, z. B. durch Regionalbudget-Modelle, in denen die Verteilung des GKV-Volumens statt über Sektoren und Budgets in vertraglich vereinbarten regionalen, sektorübergreifenden multidisziplinären Behandlungspfaden erfolgt. Alle Pfade müssen anhand von patientenbezogenen Endpunkten evaluiert werden und ermöglichen so die Untersuchung der bevölkerungsbezogenen Wirksamkeit unter realen Bedingungen. Regionalbudgets ermöglichen die Integration von primärer und sekundärer individualisierter Prävention und innovativen Versorgungskonzepten mit Telemedizin und Telecare [30, 31, 32].

Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Vision einer regionalen Versorgung ist, dass alle Akteure zusammen effektiv, effizient und in hoher Qualität die Gesamtheit der notwendigen Leistungen erbringen. In der Praxis bedeutet das eine arbeitsteilige Kooperation vieler, idealerweise aller Leistungserbringer einer Region zur koordinierten Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Akteure sind hier sowohl die unmittelbaren Leistungserbringer (z. B. niedergelassene Haus- und Fachärzte, Pflegedienste, Kliniken) als auch die Institutionen der Selbstverwaltung sowie weitere Institutionen und Interessengruppen im Gesundheitswesen. Auch Akteure außerhalb des Gesundheitswesens sind für die regionale Versorgung wichtige Partner. Beispiele sind Landkreise und Kommunen sowie die Gesundheitspolitik des Landes.

Berufsgruppenübergreifende Kooperation, Delegation, strukturierte Arbeitsteilung in Behandlungspfaden und die sektorübergreifende Kompensation von Versorgungsdefiziten erfordern eine größere Durchlässigkeit der Professionsgrenzen. Dadurch wird die Qualifikation der Leistungserbringer zum entscheidenden Faktor. Wer vor Ort ist und qualifiziert ist, kann eine Leistung erbringen – und muss diese perspektivisch auch abrechnen dürfen [33].

Dieses kooperative und arbeitsteilige Paradigma ist Voraussetzung für eine flexiblere und modifizierte Aufgabenverteilung. Durch eine bessere Einbeziehung der Augenärzte in die Erbringung von Früherkennungs- und Präventionsleistungen wäre es dann möglich, durch die frühzeitigere Erkennung funktioneller Störungen und pathomorphologischer Veränderungen schwere Verläufe von Augen- und Systemerkrankungen besser abzuwenden. Pflegedienste können delegierte ärztliche Leistungen ausführen und in Modellprojekten bestimmte Tätigkeiten auch in eigener Verantwortung übernehmen (sog. Substitution nach § 63c SGB V).

Für den augenärztlichen Bereich ist die Einbindung der Hausärzte und Optiker in der Region für eine gezielte Erkennung und Betreuung von Risikopatienten wichtig. Auch MitarbeiterInnen der häuslichen Krankenpflege sollen für das eventuelle Vorhandensein von visuellen Einschränkungen sensibilisiert werden und bei betroffenen Patienten gezielte Maßnahmen zur Vorbeugung von Stürzen vornehmen (z. B. ausreichende Lichtverhältnisse in der Wohnung, Kabel, lose Gegenstände). Von entscheidender Bedeutung wird eine berufsgruppen- und sektorübergreifende Kooperation in Form regionaler Netze und Behandlungspfade, die sowohl Diagnostik und Therapie als auch die Verschreibung von Hilfsmitteln und Anpassungen in der Wohnumgebung beinhalten.

Strategische Basis eines regionalen Versorgungsnetzwerks wird eine professionelle IT-Infrastruktur einschließlich regionaler Patientenakte und Heilberufsausweis sein. Diesbezügliche Anforderungen können durch zentral in der Region verwaltete elektronische Patientenakten (EPA) optimal erfüllt werden. Zusätzlich böte sich hiermit die interdisziplinär immer wichtiger werdende Möglichkeit, Interaktionen und Korrelationen einzelner Parameter fachübergreifend analysieren und im klinischen Alltag nutzen zu können. Letzteres wurde in Greifswald mit einem Vertrag zur integrierten Versorgung von Glaukompatienten zwischen ambulantem und stationärem Sektor sowie Augenarzt und Hausarzt/Internist bereits erfolgreich praktiziert [34, 35, 36].

Der Versorgungsforschung kommt auf ophthalmologischem Gebiet zentrale Bedeutung zu

In diesem Innovationsprozess kommt der Versorgungsforschung gerade auch auf ophthalmologischem Gebiet zentrale Bedeutung zu. Nur praxisnahe Studiendesigns und valide Primärdaten ermöglichen eine belastbare Analyse der Wirksamkeit und der gesundheitsökonomischen Kosten einer komplexen Maßnahme. Die Kostenträger sollten einen transparenten, verbindlichen Kriterienkatalog vorlegen. Werden diese Bedingungen nachweisbar erfüllt, sollten erfolgreiche Interventionen zeitnah in die Regelversorgung überführt werden.

Durch konsequentes gesundheitspolitisches Handeln – welches adäquate, nicht nur an ökonomischen und marktorientierten Belangen ausgerichtete administrative Rahmenbedingungen festlegt – entsteht der Raum, in dem die Herausforderung ländliche Versorgung der Zukunft ihr ganz erhebliches Innovationspotenzial entfalten kann.

Fazit für die Praxis

  • Der demografische Wandel vollzieht sich bereits heute – sowohl bei den Patienten mit Augenerkrankungen als auch unter den Augenärzten.

  • Die Überalterung der Bevölkerung allgemein verläuft dabei in den neuen Bundesländern und im Norden Deutschlands schneller als in den alten und südlichen Bundesländern. Zudem lässt sich bei kleinräumiger Betrachtung der Siedlungsstrukturen eine raschere Dynamik in ländlichen Regionen erkennen, während der demografische Wandel in vielen städtischen Bereichen moderater verläuft.

  • Da die Augenheilkunde stark vom demografischen Wandel betroffen ist, kommt der ophthalmologischen Versorgungsforschung durch belastbare Analysen komplexer medizinischer und administrativer Maßnahmen besondere Bedeutung zu, um eine gerechte und zukunftsfeste Gesundheitsversorgung sowohl in städtischen als auch in den ländlichen Regionen realisieren zu können.