Bereits Hippokrates von Kos (460–377 v. Chr.) beschrieb im dritten „Epidimion-Buch“ eine Erkrankung, deren Symptome mit den kardinalen Symptomen des Morbus Adamantiades-Behçet (MAB) vergleichbar waren. Benediktos Adamantiades (1875–1962), griechischer Ophthalmologe, beschrieb 1930 in einem Vortrag über einen 18-jährigen Patienten erstmals Augensymptome, orale Aphthen und Genitalulzera als Symptome einer einheitlichen Krankheitsentität. Hulûsi Behçet (1889–1948), türkischer Dermatologe, publizierte seit 1937 Krankheitsbeschreibungen von Patienten mit rezidivierenden Läsionen am Mund, an den Genitalien und den Augen und fügte dem Symptomenkatalog Periodontitis, Kieferzysten, akneiforme Hautveränderungen und Erythema nodosum sowie Arthralgien hinzu. Behçets intensive Beschäftigung mit der Erkrankung und seine Überzeugung von ihrem eigenständigen Charakter lenkten endgültig die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Öffentlichkeit auf diese Krankheit, [26]. Aufgrund der historischen Würdigung beider Autoren wurden das Krankheitsbild, das heute als chronisch rezidivierende Systemvaskulitis angesehen wird, sowie unser epidemiologisches Register mit dem Namen beider bezeichnet. Das Städtische Klinikum Dessau ist der Sitz des im Jahr 1990 gegründeten „Deutsches Register Morbus Adamantiades-Behçet e.V.“, das im Jahr 2001 als gemeinnütziger eingetragener Verein anerkannt wurde.

Allgemeine demografische Daten – ethnische Herkunft, Geschlechterverteilung und Prävalenz

Das Kollektiv des „Deutsches Register Morbus Adamantiades-Behçet e.V.“ umfasst Patienten mit festem Wohnsitz in Deutschland, die in den Jahren 1961–2011 diagnostiziert wurden. Bis zum Jahr 2012 waren 721 Patienten aus 15 medizinischen Zentren sowie aus zahlreichen Praxen in Deutschland dem Register gemeldet worden. Von den 422 männlichen und 299 weiblichen Patienten waren 258 deutscher Abstammung (39,3%), 308 Patienten kamen aus der Türkei (46,9%), jeweils 12 (1,8%) aus Griechenland und Italien, 11 (1,7%) aus dem Libanon und die übrigen Patienten aus 27 anderen Ländern.

Beim Geschlechtervergleich liegt bei Patienten türkischer Herkunft – im Gegensatz zu den Patienten deutscher Abstammung – eine Bevorzugung des männlichen Geschlechts vor (Männer:Frauen türkischer Herkunft: 1,9:1; Tab. 1), die sich auch im Gesamtkollektiv widerspiegelt (Männer:Frauen: 1,4:1).

Tab. 1 Demografische Daten des Morbus Adamantiades-Behçet in Deutschland

Auf Grundlage des Registers ergibt sich eine Prävalenz von 0,9 auf 100.000 Einwohner in Deutschland.

Für die türkische Bevölkerung Berlins entsprach die Erkrankungshäufigkeit mit 77,4:100.000 derjenigen im europäischen Teil der Türkei [17]. Unter den Einwohnern deutscher Herkunft liegt die Prävalenz aber mit aktuell 0,4:100.000 auf vergleichbar niedrigem Niveau wie in Großbritannien oder in den USA. Mit Ausnahme der Türkei (80–370:100.000 Einwohner) gilt Morbus Adamantiades-Behçet (MAB) weltweit als eine seltene Erkrankung. Die häufigsten Prävalenzen außerhalb der Türkei wurden im Iran (16,7:100.000), in Saudi-Arabien (20:100.000), China (14:100.000) und Nord-Japan (30,5:100.000) dokumentiert [25].

Die alten Kriterien der „International Study Group for Behcet’s Disease“ erfüllten lediglich 523 Patienten (72,5%) des Kollektivs des „Deutsches Register Morbus Adamantiades-Behçet e.V.“. Im Gegensatz dazu erfüllten die „New International Criteria of Behçet’s Disease“ 639 Patienten (88,6%). Die „New International Criteria of Behçet’s Disease“ wurden als diagnostische Kriterien auf epidemiologischer Grundlage unter Mitwirkung von 27 Ländern erarbeitet und 2010 erstmals präsentiert [6, 23] Bei den „New International Criteria of Behçet’s Disease“ werden der Augenmanifestation, der oralen oder genitalen Aphthose jeweils 2 Punkte und Hautläsionen, ZNS-Beteiligung, Thrombose und einem positiven Pathergietest jeweils 1 Punkt zugewiesen. Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen für MAB ist hoch bei einer Summe von ≥ 4 Punkten. Sie zeigen in unserem Kollektiv eine deutlich höhere diagnostische Sensitivität als die Kriterien der „International Study Group for Behçet’s Disease“.

Manifestationsalter

Die Erkrankung manifestierte sich in unserem Kollektiv überwiegend im 3. Lebensjahrzehnt. Das Medianalter bei Erstmanifestation betrug 26,5 Jahre (Patienten deutscher Herkunft: 28 Jahre, Patienten türkischer Herkunft: 26 Jahre; nicht signifikant). Ähnliches wurde für die Mehrzahl der Patienten in anderen Ländern berichtet [1, 4, 7]. Wie in anderen Patientenkollektiven wurde in unserem Kollektiv ein sehr früher als auch ein später Beginn mit einer Spannbreite von 5 1/2 Monaten bis 72 Jahren registriert (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Alter bei Erstmanifestation im Gesamtkollektiv (571/721)

Zeitlicher Verlauf – Entwicklung der Erkrankung und Zeitabstand bis zur Diagnose

Das Intervall zwischen der Erstmanifestation und der Diagnosestellung ist mit 5,5 Jahren im Gesamtkollektiv sehr viel länger als die Dauer von der Erstmanifestation bis zur Entwicklung des gesamten klinischen Bildes mit 2,9 Jahren (p < 0,001). Im Gesamtkollektiv betrug die zeitliche Verzögerung vom Auftreten des vollen Symptomkomplexes bis zur Diagnosestellung durchschnittlich 2,1 Jahre (Tab. 1). Die Diagnose wurde bei türkischen Patienten signifikant schneller gestellt als bei deutschen (1,6 vs. 3,1 Jahre nach dem Auftreten des vollen Symptomkomplexes, p = 0,004; Tab. 1).

Die Dauer des ersten Symptoms bis zur Diagnosestellung war auch abhängig von der Art der Erstmanifestation.

Superfizielle Thrombophlebitis, Erythema nodosum und Uveitis „verkürzten“ das mediane Intervall bis zur Diagnose, während es beim Erstsymptom Arthritis deutlich länger war (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Erstmanifestation (a) und Mediandauer von der Erstmanifestation bis zur Diagnosestellung (b)

Das klinische Bild des MAB entwickelte sich durchschnittlich in 2,9 Jahren nach dem Auftreten des Erstsymptoms. Der entsprechende Medianwert betrug 3 Monate mit großer Spannbreite von der Erstmanifestation bis zum vollen Symptomenkomplex: Manche Patienten zeigten den vollen Symptomenkomplex als Erstmanifestation, andere eine langsame Krankheitsentwicklung mit Auftreten des vollen Symptomenkomplexes nach bis zu 38 Jahren. Die Dauer vom ersten bis zum zweiten Symptom betrug im Gesamtkollektiv durchschnittlich 2,2 Jahre.

Klinische Symptome

Orale Aphthen, Genitalulzera, kutane Manifestationen, Augenmanifestationen und Arthropathien sind die häufigsten klinischen Manifestationen in Deutschland (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Häufigkeit klinischer Hauptmanifestationen des Gesamtkollektivs

Orale Aphthen

Weltweit stellen rezidivierende orale Aphthen die häufigste klinische Manifestation der Erkrankung dar. Sie wurden bei 98,5% der Patienten in Deutschland registriert und sind auch das häufigste Initialsymptom (84,5%; Abb. 2, Abb. 3). Typische morphologische Charakteristika oraler Aphthen sind mit Fibrin belegte, scharf begrenzte schmerzhafte Ulzerationen mit umgebendem Erythem. Sie können als kleine (≤ 5 mm Durchmesser; Abb. 4 a), größere (5–30 mm Durchmesser; Abb. 4 b) Ulzerationen, ferner als sehr kleine herpetiform gruppierte Läsionen auftreten. Oft merken die Betroffenen während eines etwa 24-stündigen Prodromalstadiums Symptome wie Kribbeln, Spannungsgefühl, Brennen oder Rauigkeit an der Schleimhaut. Im folgenden präulzerativen Stadium kann sich für 1 bis 3 Tage ein inflammatorisches Erythem, evtl. auch eine indurierte Papel bilden. Das ulzerative Stadium mit dem Bild einer fibrinbelegten Ulzeration mit oft aufgeworfenem erythematösem Rand dauert in der Regel 1 bis 16 Tage, im Falle großer Ulzera bis zu 6 Wochen. Die folgende Abheilungsphase benötigt 4 Tage bis zu 1 Monat. Kleine Ulzera heilen in der Regel ohne Narbenbildung, lediglich große Ulzera können in über 50% eine Narbenbildung verursachen. In letzterem Fall können Probleme wie pharyngeale Beteiligung, Dysphagie und Dyspnoe oder Fisteln an Pharynx, Larynx, Trachea oder Ösophagus beobachten werden.

Abb. 4
figure 4

a Minor-Aphthen, b Major-Aphthen, c Genitalulkus, d Papulopusteln, e multilokuläres Erythema nodosum, f Pyodermie, g superfizielle Thrombophlebitis, h Hautulzera

Genitalulzera

An genitalen Ulzerationen leiden 64,7% der Patienten (Abb. 3). Rezidivierende genitale Ulzerationen sind mit 40,8% das häufigste Zweitsymptom im Krankheitsverlauf (Abb. 5). Sie imponieren in der Regel wie ausgestanzt erscheinende, am Grund mit fibrinösem Exsudat oder einer Kruste belegte, schmerzhafte Ulzera von variabler Größe und Anzahl. Neben der Genitalregion, einbegriffen das Skrotum, die Labien und die Urethra, können solche Läsionen im Bereich des Anus, des Perineums und der Inguinalregion auftreten (Abb. 4 c). Genitalulzera rezidivieren im Allgemeinen weniger häufig als die oralen Aphthen, sind oft tiefer induriert, von längerer Persistenz und besitzen häufiger die Tendenz zur Narbenbildung.

Abb. 5
figure 5

Zweitmanifestation beim Gesamtkollektiv

Hautmanifestationen

Hautmanifestationen treten bei 73,4% der Patienten auf (Abb. 3). Bei 58,7% lassen sich papulopustulöse Veränderungen finden (Abb. 6). Typischerweise imponieren diese mit eleviertem Erythem und zentraler gewölbter Pustel (Abb. 4 d). Erythema-nodosum-artige Läsionen (Abb. 4 e) treten bei 37,4% der Patienten auf, Pyodermien (Abb. 4 f) bei 11,9%, superfizielle Thrombophlebitiden (Abb. 4 g) bei 11,3% und Hautulzera (Abb. 4 h) bei 10,9%. Seltene Hautmanifestationen im Rahmen des MAB sind Erythema-exsudativum-multiforme- und Sweet-artige Läsionen, nekrotisierende Vaskulitis und Pyoderma gangraenosum.

Abb. 6
figure 6

Häufigkeit einzelner kutaner Manifestationen des Gesamtkollektivs

Augenmanifestation

Deutschlandweite Epidemiologie der Augenbeteiligung

Eine Augenmanifestation besteht bei 51,6% der Patienten in Deutschland. Sie gehört somit zu den 4 häufigsten klinischen Manifestationen der Erkrankung in Deutschland (Abb. 3).

Patienten türkischer Abstammung zeigten eine signifikant höhere Augenbeteiligung als diejenigen deutscher Herkunft (53,3 vs. 43%, p = 0,02; Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Klinische Manifestationen mit Unterschieden zwischen Patienten türkischer und deutscher Herkunft

Die Hypopyoniritis als Ausdruck einer schweren Entzündung der vorderen Augenabschnitte galt früher als Leitsymptom der Krankheit, scheint jedoch aufgrund der frühen Behandlung eines Augenbefalls seltener geworden zu sein und wurde bei 29,4% der Patienten des Gesamtkollektivs beobachtet. Die vorderen Augenabschnitte betreffen auch Entzündung der Bindehaut, der Sklera und der Hornhaut.

Pathognomonisch für die Erkrankung ist eher eine Beteiligung der hinteren Augenabschnitte mit Vaskulitis der Netzhautgefäße, wobei der Vorderkammerreiz fehlen kann [15]. Eine Retinitis wurde bei 39% der Patienten im Gesamtkollektiv gesehen. Nach der retinalen Entzündung kann es zu Gefäßverschlüssen und schließlich zu einer Traktionsablatio kommen. Ein Zentralarterienverschluss ereignete sich bei 3,8% aller Patienten. Zu einem Visusverlust, der sich bei 24,1% ereignete, können eine unterschiedlich ausgeprägte Glaskörperbeteiligung, ein chronisch zystoides Makulaödem und eine mögliche – vermutlich ebenfalls vaskulitische – Beteiligung des Sehnervs führen. Rezidivierende vaskulitische Veränderungen können schließlich eine ischämische Optikusatrophie herbeiführen. Eine Erblindung wurde bei 6,8% (n = 39) in unserem Register dokumentiert (Abb. 8), allerdings erlaubt die anonymisierte Dokumentation nicht die Langzeitbeobachtung im Verlauf.

Pathognomonisch für die Erkrankung ist eine Beteiligung der hinteren Augenabschnitte

Abb. 8
figure 8

Schwere Komplikationen im Gesamtkollektiv (n = 79/721, 11,0%)

Das Vorliegen des HLA-B5-Antigens geht mit einer häufigeren Augenbeteiligung gegenüber HLA-B5-negativem Status im Gesamtkollektiv einher (60,1 vs. 39,4%; p < 0,001).

Verlauf der Augenbeteiligung bei eigenen Patienten

Wir beobachteten zusätzlich 79 eigene Patienten mit Augenbeteiligung ausführlich im Krankheitsverlauf: Bei 58 Patienten (73,4%) waren beide Augen und bei 21 (26,6%) 1 Auge betroffen [16]. Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Augenbeteiligung war 29,8 Jahre (12,5 bis 57,8 Jahre) ohne statistisch signifikante Unterschiede nach Herkunft oder Geschlecht. Der Zeitraum vom ersten allgemeinen Symptom bis zur Augenbeteiligung betrug durchschnittlich 77,7 Monate (0 bis 588 Monate). Die erste Augenbeteiligung zeigte eine Panuveitis (67,8%), eine retinale Vaskulitis (16,0%) und Iridozyklitis (13,9%), während das Hypopyon und die Papillitis sehr selten waren (zusammen 0,7%).

Während der Nachbeobachtungszeit sahen wir bei 79 der 137 Augen (57,7%) mit einer Augenbeteiligung das Auftreten von Komplikationen. Im Folgenden sind die Häufigkeiten des Auftretens und der Zeitraum bis zum Auftreten dargestellt: Cataracta complicata (36,8%, 56,71 Monate), chorioretinale Narben (36,2%, 70 Monate), retinale Gefäßverschlüsse (29,4%, 60,7 Monate), Optikopathie (23,3%, 87 Monate), „macular pucker“ (27,2%, 88 Monate), Sekundärglaukom (8,9%, 36 Monate). Eine entscheidende Rolle spielt der Visuserhalt im Langzeitverlauf, um eine Aussage über die Prognose der Patienten geben zu können. Definiert man eine brauchbare Sehschärfe mit 0,1 und besser, so verlieren in Spanien 24% [18], in der Türkei 41% [20], in Taiwan 53% [5] und in Japan 21–49% [21] der betroffenen Patienten eine brauchbare Sehschärfe. Bei unseren Patienten hatten am Ende des Follow-up 21% eine Sehschärfe von unter 0,1, wobei Frauen eine signifikant bessere Prognose aufwiesen. In einer anderen Studie aus Deutschland verloren dagegen 72% der Patienten einen brauchbaren Visus [22].

Gefäßmanifestation

Bei der Beteiligung größerer Gefäße, die bei 21,2% unserer Patienten auftrat (Abb. 3), handelte es sich oft um rezidivierende Thrombosen der superfiziellen oder tiefen Venen jeder Größe mit migratorischem Charakter. Ein arterieller Befall, meist in Form von Thrombosen und seltener in Form von Aneurysmen als Folge multizentrischer Arteriitiden, ist selten.

Befall des Nervensystems

Nachdem Kummer erstmals 1930 eine neurologische Störung im Rahmen des MAB beschrieben hatte [26], folgten zahlreiche Veröffentlichungen von Studien und Fallserien, in denen über einen Anteil von Patienten mit einer neurologischen Störung, die hauptsächlich das zentrale, aber auch das periphere Nervensystem beim MAB betreffen kann, zwischen 2 und 50% berichtet wurde [3, 9, 24]. Eine neurologische Beteiligung wurde insgesamt bei 20,1% unseres Kollektivs, eine objektivierbare ZNS-Beteiligung, die aufgrund lange anhaltender Einschränkungen eine schwere Komplikation darstellt, bei 11,7% der Patienten in Deutschland diagnostiziert (Abb. 3).

Bei der neurologischen Beteiligung wird zwischen einer parenchymatösen und einer nichtparenchymatösen Form unterschieden.

Die häufigere parenchymatöse Form wird durch entzündliche Läsionen gekennzeichnet, die typischerweise den Hirnstamm, die Basalganglien, die periventrikuläre Region und das Myelon betreffen. Die Lokalisation und die Verteilung dieser Läsionen bestimmen die neurologischen Ausfälle, hier z. B. Hirnnervenläsionen, Okulomotorikstörungen, Nystagmus, Dysarthrie, Aphasie, Sensibilitätsstörungen, Paresen bei Defiziten im Bereich der Pyramidenbahn oder der somatosensiblen Afferenzen, Ataxie, Urininkontinenz, Bewegungsstörungen und andere neurologische Störungen [9, 11, 12]. Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen oder epileptische Anfälle sind Kardinalsymptome einer aseptischen Meningoenzephalitis, einer weiteren wichtigen Manifestation einer neurologischen Beteiligung im Rahmen des MAB, die im deutschen Gesamtkollektiv in 4,0% zu konstatieren war (Abb. 8).

Die nichtparenchymatöse Form schließt eine Sinus- oder tiefe Hirnvenenthrombose, intrakranielle Hypertension, Hirnischämien oder- blutungen infolge arterieller Verschlüsse, Dissektionen oder Aneurysmen sowie seltener auch eine Neuro- oder Myopathie ein [11, 14].

Der Verlauf kann monophasisch, remittierend, chronisch progressiv oder klinisch stumm sein. Zu den wichtigsten diagnostischen Maßnahmen gehören die MRT einschließlich einer arteriellen oder venösen Gefäßdarstellung mittels MRA (Magnetresonanzangiographie). Die Liquoranalyse zeigt regelmäßig eine Pleozytose [3, 12], eine Eiweißerhöhung infolge Blut-Liquor-Schrankenfunktionsstörung sowie inkonstant positive oligoklonale Banden [12, 14]. Dies lässt eine genauere differenzialdiagnostische Abklärung gegenüber anderen chronischen oder spezifischen entzündlichen ZNS-Erkrankungen zu.

Pathergiephänomen

Der Pathergietest fiel bei 30,8% der Patienten positiv aus (Abb. 3). Ein positiver Pathergietest manifestiert sich innerhalb 48 h als erythematöse Papel (> 2 mm) oder Pustel am Ort eines Nadelstiches oder einer intrakutanen Injektion von 0,1 ml isotoner Kochsalzlösung mittels einer 20-Gauge-Kanüle ohne vorherige Desinfektion der Stichstelle. In der Regel wird die Stichprovokation jeweils 3–5 mm intrakutan in einem Winkel von 45° am volaren Unterarm gesetzt. Ein Erythem ohne Infiltration wird als negativ betrachtet. Wir fanden keinen signifikanten Unterschied zwischen Patienten deutscher bzw. türkischer Herkunft in unserem Kollektiv (30,1 vs. 29,9%; n.s.), jedoch wurde bei Patienten aus Endemiegebieten oder unter Verwendung mit Sandpapier stumpf gemachter Kanülen über höhere Positivitätsraten bis 60% berichtet. Als positives Pathergiephänomen können auch provozierte Papeln mit oder ohne Pusteln an der Stichstelle einer Blutentnahme, orale Aphthen und Genitalulzera nach intrakutaner Injektion oder Verletzung bzw. eine Chorioretinitis im Bereich der Kornea des Auges nach Photokoagulation im Fundusbereich betrachtet werden. Als erweitertes Pathergiephänomen sind auch das Auftreten von Aneurysmen im Bereich vaskulärer Anastomosen und das lokale Rezidiv von Ulzera nach Entfernung befallener Darmabschnitte zu betrachten. Eine positive Pathergiereaktion weist zwar auf einen MAB hin, ist aber für die Erkrankung nicht pathognomonisch: Bei Patienten mit Pyoderma gangraenosum, rheumatoider Arthritis, Morbus Crohn und Herpes genitalis kann ebenfalls eine positive Reaktion eintreten [2].

Gelenkmanifestation

Eine objektivierbare entzündliche Arthritis mit Schwellung und Überwärmung des befallenen Gelenks bzw. szintigraphischem Nachweis einer Arthritis ließ sich bei 52,4% der Patienten in Deutschland konstatieren (Abb. 3). Gelenkmanifestationen treten häufig zuerst an einem Knie bzw. Sprunggelenk, dann am anderen als Monoarthritis saltans, an beiden Gelenken gleichzeitig und anschließend an fast allen Gelenken auf [2].

Gastrointestinale Beteiligung

Gastrointestinale Beschwerden, einhergehend mit Gastritis, Ösophagitis, Duodenitis oder Kolitis sowie gastrointestinalen Ulzerationen, traten bei 12,6% auf (Abb. 9), waren selten mit schweren Komplikationen, d. h. mit Darmperforation in 0,5% und möglicher Peritonitis, verbunden (Abb. 8). Deutsche Patienten zeigten häufiger als türkische eine gastrointestinale Manifestation (15,4 vs. 8%; p = 0,01; Abb. 7). Außerdem wurde bei HLA-B5-negativem Status häufiger eine gastrointestinale Beteiligung als bei Vorliegen von HLA-B5 beobachtet (15,7 vs. 7,3%; p = 0,004).

Abb. 9
figure 9

Häufigkeit weiterer klinischer Manifestationen des Gesamtkollektivs

Andere Manifestationen

Prostatitis oder Epididymitis traten bei 10,8% auf (Abb. 9) und waren bei deutschen Patienten häufiger als bei türkischen Patienten (15,3 vs. 7,4%, p = 0,02) zu finden (Abb. 7). Auch die in 3,5% festgestellte Lungenmanifestation mit Husten oder Hämoptyse, herrührend von Thrombosen, arteriobronchialen Fisteln oder Aneurysmata, war häufiger bei Patienten deutscher Herkunft zu finden (5,6 vs. 2,0%; p = 0,03). Bei 2,6% der Patienten wurde eine Herzmanifestation, die sich z. B. mit Angina-pectoris-artigen Symptomen ankündigt, beobachtet (Abb. 9). Sowohl Myokard, Perikard als auch Endokard können involviert sein [8]. Eine Glomerulonephritis als Ausdruck einer Nierenvaskulitis war mit 1,8% selten (Abb. 9).

Schwere Komplikationen

Schwere Verläufe ergaben sich bei insgesamt 11% der Patienten (Abb. 8): Erblindung in 6,8%, Meningoenzephalitis in 4%, schwere Arthritis in 2,6%, letaler Ausgang in 1,2% (n = 7), Hämoptyse in 1,1%, Darmperforation in 0,5% (n = 2).

Unterschiede des Morbus Adamantiades-Behçet bei Patienten türkischer und deutscher Herkunft in Deutschland

Ein Überwiegen männlichen Geschlechts besteht bei Patienten türkischer (Männer:Frauen = 1,9:1) im Gegensatz zu solchen deutscher Herkunft (Männer:Frauen = 0,93:1; Tab. 1).

Das HLA-B5-Antigen lag häufiger bei Patienten türkischer als bei Patienten deutscher Herkunft vor (72,3 vs. 43,2%; p < 0,001; Tab. 1). Allerdings sind nur 14% der deutschstämmigen Bevölkerung im Gegensatz zu 31% der türkischstämmigen HLA-B5-positiv [25]. Damit ist das relative Risiko der HLA-B5-positiven Individuen, an einem MAB zu erkranken, 6,47 für Deutsch- und 5,81 für Türkischstämmige.

Insgesamt hatten 12,4% der Patienten eine positive Familienanamnese mit signifikantem Unterschied zwischen Türken und Deutschen (14,6 vs. 3,8%; p < 0,001; Tab. 1).

Türkische Patienten litten signifikant öfter an Augenmanifestationen als deutsche (53,5 vs. 43,0%; p = 0,02; Abb. 7), allerdings ohne statistisch signifikanten Trend für vermehrte Erblindung (7,5 vs. 3,7%; p = 0,07).

Häufiger bei Deutschen als bei Türken sind Prostatitis/Epididymitis (15,3 vs. 7,4%; p = 0,02), Lungenbeteiligung (5,6 vs. 2,0%; p = 0,03) und gastrointestinale Beteiligung (17,1 vs. 9,5%; p = 0,01) dokumentiert (Abb. 7), allerdings ohne Unterschied für Hämoptysen (0,9 vs. 1,2%; n.s.) oder Darmperforation (0,9 vs. 0%; n.s.).

Die Häufigkeiten anderer klinischer Manifestationen wiesen keine signifikanten Unterschiede zwischen Türken und Deutschen auf: orale Aphthen (98,8 vs. 98,0%), Hautmanifestationen (77,3 vs. 70,5%), Genitalulzera (63,3 vs. 68,8%), Arthropathie (50,4 vs. 54,7%), gastrointestinale (17,1 vs. 9,5%), ZNS- (10,8 vs. 12,7%), kardiale (2,8 vs. 2,8%) und Nierenbeteiligung (1,3 vs. 2,4%) sowie positiver Pathergietest (29,9 vs. 30,1%).

Bei schweren Komplikationen bestand ebenfalls keine signifikante Abweichung bei Türken und Deutschen: letaler Ausgang in 0,4 bzw. 2,3%, Menigoenzephalitis in 2,4 bzw. 5,6%, schwere Gelenkbeteiligung in 3,2 bzw. 2,8%, Phlebothrombosen in 9,8 bzw. 9,1%.

Unter türkischen als auch deutschen Patienten waren orale Aphthen das häufigste Erstsymptom (in 84,3 bzw. 83,8%) und Genitalulzera das häufigste Zweitsymptom (in 41,8 bzw. 44,5%).

Charakteristika des Morbus Adamantiades-Behçet bei Krankheitsbeginn im Kindesalter

Von 721 MAB-Patienten des „Deutsches Register Morbus Adamantiades-Behçet e.V.“ kam es bei 10,7% der Patienten (n = 77, darunter 35 deutscher und 31 türkischer Herkunft) zum Auftreten der Erstmanifestation im jugendlichen Alter bis einschließlich 16 Jahre und bei 3,3% (n = 24) bereits zur Ausprägung des vollen Symptomenkomplexes vor dem 17. Geburtstag (Tab. 1). Ähnliches wurde in früheren Studien aus Brasilien (erstes Symptom vor dem 16. Lebensjahr bei 17,4% der Patienten), Tunesien, Japan und dem Iran (voller Symptomenkomplex vor dem 16. Lebensjahr bei 1,5–3,1% der Patienten) mitgeteilt.

Klinische Manifestationen und Verlauf bei Krankheitsbeginn im Kindesalter

Augenmanifestationen wurden bei den Patienten mit Erkrankungsbeginn im Jugendalter weniger häufig als bei Beginn im Erwachsenenalter beobachtet (45,7% vs. 59,8%, p = 0,03; Abb. 10). Daneben waren orale Aphthen (98,7 bzw. 98,4%), Genitalulzera (70,7 bzw. 65,9%), kutane Manifestationen (75,0 bzw. 80,7%) und Gelenkbeteiligung (47,8 bzw. 52,3%) häufige klinische Symptome ohne signifikanten Unterschied für eine kindliche und erwachsene Erstmanifestation. Ebenfalls kein signifikanter Unterschied ergab sich für die Beteiligung anderer Organe. Bei schweren Komplikationen wurde kein signifikanter Unterschied bei jugendlichem Beginn im Vergleich zur Erwachsenengruppe gesehen: Phlebothrombose in 5/70 (7,1%), schwerer Gelenkbefall in 3/65 (4,6%), Erblindung in 2/65 (3,1%), Meningoenzephalitis in 2/65 (3,1%), Lungenblutung in 1/65 Fällen (1,5%). Es gab keine Dokumentation eines letalen Ausgangs oder einer Darmperforation bei Patienten mit Krankheitsbeginn ≤ 16 Jahre.

Abb. 10
figure 10

Charakteristika beim Erkrankungsbeginn im Kindes- und Erwachsenenalter

Orale Aphthen waren das häufigste Initialsymptom in der Kindheit als auch im Erwachsenenalter (92,0 vs. 82,8%; p = 0,04), das zweithäufigste Initialsymptom waren Genitalulzera (4,0 vs. 3,4%; n.s.). Nur bei jeweils 1 Patienten begann die Erkrankung in der Kindheit mit Augensymptomen, mit Erythema nodosum oder mit Arthropathie. Das häufigste Zweitsymptom im Krankheitsverlauf waren in der Kindheit als auch im Erwachsenenalter Genitalulzera (46,3 vs. 39,4%; n.s.), daneben waren Augenmanifestationen (19,4 vs. 17,2%; n.s.), Erythema nodosum (11 vs. 15%; n.s.) und orale Aphthen (6 vs. 1%; n.s.) häufige zweite Symptome bei den jugendlichen bzw. bei den erwachsenen Patienten.

Orale Aphthen sind das häufigste Initialsymptom in der Kindheit und im Erwachsenenalter

Der Krankheitsverlauf war bei den jugendlichen Patienten im Vergleich zur Erwachsenengruppe verzögert (Abb. 11). Das Zeitintervall zwischen erstem und zweitem Symptom betrug 7,0 vs. 1,4 Jahre (p < 0,001) und die Dauer vom ersten Symptom bis zum vollen Erkrankungsbild 9,3 vs. 2,0 Jahre (p < 0,001). Die Diagnosestellung erfolgte bei Manifestation in der Kindheit 13,0 Jahre und in der Erwachsenengruppe 4,2 Jahre nach der Erstmanifestation (p < 0,001; Abb. 10). Die Dauer von der Vollerkrankung bis zur Diagnosestellung war bei Beginn im Jugendalter mit 4,2 Jahren gegenüber 1,74 Jahren bei Beginn im Erwachsenenalter aber statistisch nicht signifikant verlängert (p = 0,54).

Abb. 11
figure 11

Zeitlicher Verlauf der Erkrankung

Eine signifikant höhere positive Familienanamnese ließ sich bei der jugendlichen Gruppe mit 25,0 vs. 7,3% (p < 0,001) konstatieren (Abb. 10). Eine Tendenz für familiäre Häufung mit 15% war bereits von Koné-Paute et al. [13] gesehen worden. Dagegen bestand ein Trend zu weniger positiven Pathergiephänomenen mit 21,6 vs. 35,8% (p = 0,046).

Fazit für die Praxis

  • Die Dauer von der Vollerkrankung bis zur Diagnosestellung war abhängig von der Nationalität: Bei türkischen Patienten wurde die Diagnose signifikant schneller gestellt als bei deutschen.

  • Die Art der Erstmanifestation beeinflusst die Zeit bis zur Diagnosestellung: Im Falle von Arthropathie als Erstmanifestation ist das durchschnittliche Intervall bis zur Diagnose gegenüber einem Beginn mit Uveitis, superfizieller Thrombophlebitis oder Erythema nodosum deutlich verlängert. Obwohl die Gelenkbeteiligung als wenig charakteristisch gilt, liegt oft der typische Beginn in Form einer (Mono-)Arthritis saltans vor.

  • Eine frühe Diagnosestellung und Therapie ist von entscheidender prognostischer Bedeutung.

  • Die diagnostische Einschätzung sollte neben den ISG-Kriterien, die in Deutschland nur eine geringe Sensitivität aufweisen, andere Diagnosekriterien wie die New International Criteria (2010) mit höherer diagnostischer Sensitivität berücksichtigen.

  • Bei Beginn im jugendlichen Alter verläuft die Erkrankung oft über einen Zeitraum von vielen Jahren monosymptomatisch mit oralen Aphthen oder (seltener) mit Genitalulzera, d. h. zunächst eher mild.

  • Die Familienanamnese ist mit 25% bei Beginn der Erkrankung bis 16 Jahren hoch und stellt einen Anhaltspunkt dar, um bei Kindern mit rezidivierender oraler Aphthose ein erhöhtes Risiko für MAB einzuschätzen. Diese Ergebnisse bestätigten unsere früheren Beobachtungen aus dem Jahr 1999 [19].