Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags kennen Sie

– die Grundlagen der retinalen Pathophysiologie,

– die diagnostische Vorgehensweise und

– die therapeutischen Möglichkeiten bei Retinitis pigmentosa.

Retinitis pigmentosa (RP) ist die Bezeichnung für eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe von Netzhauterkrankungen, die vorwiegend zu einem progredienten Verlust der Stäbchenfunktion und anschließend der Zapfenfunktion führt. Das Alter des Beginns der Erkrankung, die Progressionsrate, das Ausmaß des Sehverlustes und assoziierte Augenveränderungen sind häufig vom Vererbungsmodus und genetischen Hintergrund abhängig. Über 45 verschiedene Gene wurden bereits identifiziert, in denen Veränderungen schließlich in gleiche oder ähnliche pathophysiologische Endstrecken diffuser Affektionen der Photorezeptoren und retinalen Pigmentepithelzellen münden [5, 13].

Schätzungsweise jeder 80. Mensch trägt ein „ungünstig“ verändertes Gen in sich, das eine degenerative Netzhauterkrankung verursacht, und die Entwicklung dieser Netzhauterkrankung bei Genträgern oder seinen Nachkommen in Gang setzen kann. Weltweit leiden etwa 3 Mio. Menschen – in Deutschland etwa 30.000 bis 40.000– an einer der verschiedenen Formen der RP. Obwohl sie als seltene Augenerkrankung gekennzeichnet wird, ist sie eine der häufigsten Ursachen des Sehverlustes im mittleren Erwachsenenalter und damit sozioökonomisch hochrelevant. Allerdings existieren bei den erblichen Netzhauterkrankungen bisher keine etablierten Behandlungsmöglichkeiten. Durch interdisziplinäre Forschung und große Studien wurde in den letzten Jahren unser Wissen über Pathophysiologie und genetischen Hintergrund erheblich erweitert, und die Voraussetzungen für zukünftige Therapiemöglichkeiten wurden verbessert. Auch die inzwischen umfassend etablierten diagnostischen Methoden erlauben eine genaue Differenzierung und Früherkennung von Netzhautdystrophien. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die frühzeitige korrekte Diagnose sind notwendig, um bei diesen Patienten rechtzeitig die Ausbildung und Berufswahl zu fördern und die in Studien bereits in Erprobung befindlichen therapeutischen Maßnahmen rechtzeitig und optimal anwenden zu können. Die humangenetische Beratung kann wichtige Informationen bezüglich Familienplanung liefern.

Physiologische Grundlagen und Pathophysiologie

Damit Symptomatik und Verlauf der Retinitis pigmentosa verständlich werden, ist es notwendig, einige grundlegende anatomische und physiologische Kenntnisse zu wiederholen.

Die ins Auge einfallenden Lichtsignale werden in den Photorezeptoren aufgenommen und deren Signale nach einer komplexen Informationsverarbeitung in der Netzhaut dem Gehirn zugeleitet, wo es zur eigentlichen Sehwahrnehmung kommt. Stäbchen und Zapfen übernehmen dabei verschiedene Funktionen: Die Stäbchen , die in der mittleren Peripherie der Netzhaut am dichtesten verteilt sind, sind für das Nacht- und Dämmerungssehen („skotopisches Sehen“) verantwortlich, während die Zapfen, die hauptsächlich im Zentrum der Netzhaut zu finden sind, ihre Funktion bei Tageslicht aufnehmen („photopisches Sehen“). Die Zapfen sind für die Farbwahrnehmung verantwortlich und ermöglichen das Scharfsehen im Gesichtsfeldzentrum. Deshalb ist es leicht zu verstehen, dass eine Funktionsstörung des Stäbchensystems zu Nachtsehstörungen und Einschränkung des mittelperipheren Gesichtsfeldes mit Progression nach innen (konzentrische Einengung) und nach außen (verschwindende periphere Restinseln) führt. Wenn es zu einer Funktionsstörung des Zapfensystems kommt, treten hauptsächlich Visusminderung, Farbsinnstörungen, Blendungsempfindlichkeit und Gesichtsfeldausfälle im Zentrum auf. Da die Photorezeptoren durch das retinale Pigmentepithel (RPE) und die Choriokapillaris versorgt werden, ist es verständlich, dass genetisch bedingte Störungen des RPE ebenfalls zur Schädigung der Photorezeptoren führen können und somit eine wichtige Rolle in dem Pathomechanismus der Netzhautdystrophien spielen [10, 17]. Bei Retinitis pigmentosa handelt es sich um eine hereditäre Netzhautdystrophie, die phänotypisch und genetisch eine sehr heterogene Gruppe darstellt. Sie führt schließlich zu einem progredienten Verlust der Stäbchen und später auch zum Verlust der in Mitleidenschaft gezogenen Zapfen. Die verschiedenen Mutationen können zu herabgesetzter oder fehlender Funktion oder pathologischer Fehlfunktion von Proteinen führen, die für die Funktion oder für die Struktur der Photorezeptoren oder des RPE wichtig sind und für die intrazelluläre Transduktionskaskade, den ziliaren Transport oder für den Ionenaustausch verantwortlich sind. Mittlerweile sind mehr als 45 Gene identifiziert worden, deren Mutationen zu Retinitis pigmentosa führen können. Es ist jedoch davon auszugehen, dass noch längst nicht alle Genorte gefunden wurden. Auch wurden mehrere ursächliche Mutationen eines Gens entdeckt, die zu unterschiedlichen „Untergruppen“ des Phänotyps führen können. Das Alter des Beginns der Erkrankung, die Progressionsrate, das Ausmaß des Sehverlustes und assoziierte Augenveränderungen sind häufig vom Vererbungsmodus und vom Genotyp abhängig [10, 17].

Retinitis pigmentosa kann als isolierte, sporadische Erkrankung (ohne weitere Betroffene in der Familie) oder auch autosomal-dominant (AD), autosomal-rezessiv (ar), x-chromosomal (Xr), selten mitochondrial oder mit digenischer Ursache [wobei an zwei verschiedenen Genorten gleichzeitig ein Defekt vorliegt, jedoch nur in jeweils einem Allel (heterozygot)] auftreten. In Tab. 1 sind die geschätzten Prozentanteile der verschiedenen Vererbungsmodi und die häufigsten Gene je Erbgang dargestellt [5, 17]. Bei autosomal-dominanter Vererbung sind mehrere Generationen mit variabler Penetranz betroffen, und die Prognose ist durchschnittlich am günstigsten. Bei autosomal-rezessivem Erbgang erkranken nur Angehörige derselben Generation, allerdings können bei Konsanguinität ebenfalls mehrere Generationen betroffen sein. Diese Vererbung ist seltener und hat eine intermediäre Prognose. Bei einer x-chromosomalen Vererbung erkranken in der Regel nur Männer, die Frauen (Konduktorinnen) können eine Genmutation über mehrere Generationen weiter vererben. Die Konduktorinnen können klinisch völlig unauffällig sein oder typische Netzhautveränderungen und/oder Funktionsstörungen aufweisen, die allerdings nicht so schwerwiegend sind wie das Krankheitsbild der Männer. Eine x-chromosomal gebundene Vererbung ist zwar am seltensten, hat aber sehr häufig den schwersten Verlauf von allen Erbgängen.

Tab. 1 Liste der verschiedenen RP-Formen, deren Häufigkeit und der bereits identifizierten Gene (ohne Vollständigkeit)

Während die initialen Störungen der Photorezeptoren oder RPE-Zellen je nach genetischem Defekt unterschiedlich sein können, ist die Endphase der Erkrankung ähnlich: Es kommt zu einem Absterben der betroffenen Zellen. Ob hier eine „klassische“ Apoptose oder eine besondere Form des Zelltods abläuft, ist nicht ganz geklärt. Letztlich führen aber die Veränderungen zu einer Netzhautdegeneration vorwiegend in der stäbchenreichen mittleren Peripherie und in der Mehrzahl der Fälle erst zu einem späteren Zeitpunkt auch in der zentralen Netzhaut [4, 17].

Klinisches Bild

Bei Retinitis pigmentosa sterben die Netzhautzellen allmählich ab, in der Regel zunächst die Stäbchen, erst später werden auch die Zapfen in Mitleidenschaft gezogen. Deshalb wird RP oft auch Stäbchen-Zapfen-Dystrophie genannt, aber auch andere Terminologien existieren (z. B. tapetoretinale Degeneration). Je nachdem, welcher Bereich der Netzhaut abgestorben ist, sind unterschiedliche Funktionsverluste die Folge. Die gemeinsamen Symptome sind folgende:

  • fortschreitende Nachtblindheit (diese ist in der Regel die erste Symptomatik, die sich bereits Jahre vor der Erstdiagnose bemerkbar macht),

  • zunehmender Gesichtsfeldverlust zunächst in der mittleren Peripherie (Ringskotom), dann mit weiterer Progression nach außen (und somit Verlust der peripheren Restinseln) und nach innen (konzentrische Einengung),

  • erhöhte Blendungsempfindlichkeit,

  • reduziertes Farbensehen,

  • verlängerte Adaptationszeit und Störung des Kontrastsehens,

  • Visusminderung.

Da es sich um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, ist mit einer bilateral symmetrischen Progression zu rechnen, die insbesondere für die Differenzialdiagnose von großer Bedeutung ist, da Trägerinnen x-chromosomal vererbter Formen als Konduktorinnen nicht selten leichte Symptome zeigen, die in der Regel asymmetrisch verlaufen. Sehr selten kann die Retinitis pigmentosa sektoriell oder unilateral auftreten, in diesen Fällen sind die Symptome weniger oder nur einseitig ausgeprägt. Diese Fälle erfordern den sorgfältigen Ausschluss postentzündlicher oder traumatischer Netzhautdegenerationen.

Das Alter bei Erstvorstellung kann abhängig vom Erbgang und Genotyp unterschiedlich sein, jedoch liegt der Beginn der Erkrankung in den meisten Fällen Jahre zurück, da häufig bei Erstvorstellung das Elektroretinogramm bereits massiv verändert ist. Die ersten Beschwerden (Nachtblindheit, Gesichtsfelddefekte) treten häufig bereits in den ersten 2 Lebensdekaden auf, die Diagnosestellung erfolgt meist aber erst später, nämlich in der dritten bis vierten Dekade (im Durchschnitt mit 35,1 Jahren; [1, 2, 9, 12]). Auch hier gibt es deutliche Unterschiede: Bei den x-chromosomalen Fällen, die die schlechteste Prognose haben, kommt es in der Regel zu einer früheren Vorstellung beim Arzt, da diese Fälle häufig bereits im Kindesalter eine deutliche Sehminderung aufweisen können. Bei den autosomal-dominanten Fällen sind zwar die Störungen insgesamt milder und wegen der variablen Penetranz evtl. auch subjektiv weniger auffallend, jedoch erfolgt wegen der familiären Anhäufung eine Vorstellung beim Augenarzt in der Regel früher. Bei der Erstvorstellung müssen die Art der Beschwerden und der Zeitpunkt des subjektiven Erkrankungsbeginns geklärt werden. Insbesondere bei älteren Patienten sollte die Medikamentenanamnese (zum Ausschluss einer toxischen Netzhauterkrankung) und ein generalisiertes Tumorleiden erfragt werden, da diese differenzialdiagnostisch eine wichtige Rolle spielen [4, 10, 17]. RP kann mit bestimmten systemischen Erkrankungen assoziiert sein, die anamnestisch berücksichtigt werden müssen. Häufig sind Hörstörungen (z. B. Usher-Syndrom), seltener treten neurologische Beschwerden auf (z. B. Refsum-Krankheit, Bassen-Kornzweig-Syndrom) oder komplexe Krankheitsbilder (z. B. Bardet-Biedl-Syndrom, Kearns-Sayre-Syndrom). Die Erstellung eines Stammbaums kann zusätzliche Informationen bieten, insbesondere im Falle betroffener Verwandter in verschiedenen Generationen. Auch Untersuchungen von betroffenen und anamnestisch gesunden Familienangehörigen helfen bei der Diagnosestellung.

Diagnostik und Befunde

Funktionsdiagnostik – subjektive Messungen

Wie von der Pathophysiologie der Erkrankungen zu erwarten, sind die Sehleistungen der zentralen Netzhaut am Anfang der Erkrankung nur wenig beeinträchtigt. Dies bedeutet eine gute, oft volle Sehschärfe und ein unauffälliges Farbensehen. Um diese überprüfen zu können, sind eine detaillierte Refraktion und Visusprüfung sowie ein Farbtest (in der Regel Lanthony-Panel-D-15-desaturierter Test) erforderlich. Häufig ist der erste diagnostische Hinweis auf die Mitbeteiligung der zentralen Netzhaut eine Farbsinnstörung entlang der Blau-Gelb-Achse. Eine Visusminderung bei RP-Patienten kann zusätzlich durch Cataracta complicata (oft in Form einer hinteren Schalentrübung) oder ein zystoides Makulaödem verursacht werden, die bei diesen Patienten durchschnittlich häufiger als in der Normalbevölkerung auftreten können (s. “Morphologie“).

Die Gesichtsfeldprüfung ist nicht nur für die Diagnosestellung, sondern auch für die Beratung bezüglich Kraftfahrtauglichkeit und Beruf sehr wichtig. Wie bereits ausgeführt, treten zunehmende Gesichtsfeldverluste zunächst in der mittleren Peripherie (Ringskotom) auf, dann folgt die weitere Progression nach außen (und somit Verlust der peripheren Restinseln) und nach innen (konzentrische Einengung). Grundsätzlich kann das Gesichtsfeld am besten mit dem Goldmann-Perimeter oder mit ähnlichen semiautomatischen oder automatischen kinetischen Perimetern getestet werden, die bei fortgeschrittenen Gesichtsfelddefekten für die Patienten weniger belastend sind als statische Verfahren (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

a Typische Befunde der 90° semiautomatisierten kinetischen Perimetrie bei RP-Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad. Links ist ein Ringskotom mit der Marke III4e in der mittleren Peripherie zu beobachten, das Zentrum ist noch sehr gut erhalten. Auf dem Befund in der Mitte ist eine konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes mit peripheren Restinseln für die Marke III4e zu sehen. Diese Restinseln verschwinden mit dem Fortschreiten der Erkrankung und das Gesichtsfeld engt sich zentral weiter ein (rechts). Der Verlust der Restinseln ist ein wesentlicher Verlust, da diese für die Orientierung einen hohen Wert darstellen. Die Farbkodierung der verschiedenen Testmarken ist oben angegeben (rot – III4e, dunkelgrün – I4e, orange – I3e, lila – I2e, hellgrün – I1e). b Typische Befunde des Lanthony-Panel-D-15-desaturierten Tests bei RP-Patienten. Der Befund links zeigt nur minimale Verwechslungen, im Zuge der Progression werden jedoch die Farbsinnstörungen deutlicher, und es zeigt sich zunächst eine deutliche Blau-Gelb-Sinnstörung (in der Mitte) und schließlich eine deutliche, „chaotische“ Farbsinnstörung ohne spezifische Achse (rechts). Mithilfe dieser Untersuchung können auch bei gutem Visus die ersten Zeichen einer Makulabeteiligung entdeckt werden

Bereits vor der Einschränkung des Gesichtsfeldes hat das Absterben der Stäbchen oft den Verlust ausreichender Sehwahrnehmung in Dämmerung und Dunkelheit zur Folge. Bei Tage kann der RP-Betroffene anfangs noch gut sehen, hat allerdings häufig Anpassungsschwierigkeiten bei raschem Wechsel von Hell und Dunkel, z. B. wenn er aus starkem Sonnenlicht in einen schattigen Raum tritt. Diese subjektiven Beschwerden können mit der Messung der Dunkeladaptationsendschwelle oder der Dunkeladaptationskurve bestätigt werden. Je nach Messtechnik ist es möglich, die Zapfen- und Stäbchenfunktion separat zu testen oder eine sog. Absolutschwelle nach 20 min Dunkeladaptation zu messen. Bei den meisten Patienten eignet sich das klassische Dunkeladaptometer sehr gut, das die Funktion eines umschriebenen Netzhautareals untersucht. Allerdings ist bei „Low-vision-Patienten“ eher eine Bestimmung der Endschwelle nach 20 min Dunkeladaptation mithilfe der FST-Messung (Full-field-Stimulus-Test) zu empfehlen, die eine Ganzfeldstimulation verwendet und von Gesichtsfelddefekten und Nystagmus weniger beeinflusst wird. Generell ist aber bei jeder Messmethode eine deutliche Erhöhung der Endschwelle sowohl für die Stäbchen- als später auch für die Zapfenfunktion zu sehen, die die subjektiven Beschwerden erklärt.

Funktionsdiagnostik – objektive Messungen

Um die Netzhautfunktion genauer beurteilen zu können, ist es essenziell, bei jedem Patienten mit Verdacht auf eine Retinitis pigmentosa mindestens einmal eine elektroretinographische Untersuchung durchzuführen. Das Ganzfeld Elektroretinogramm (ERG) ermöglicht eine detaillierte und objektive Untersuchung der verschiedenen Zelltypen der Netzhaut. Dabei werden Lichtreize in einer Halbkugel appliziert und die damit ausgelösten elektrischen Potenziale von der Netzhaut mittels Hornhautelektroden aufgezeichnet. Diese Potenziale spiegeln die elektrische Aktivität, also eine Summenantwort aktivierter Netzhautneurone wider. Es wird zwischen skotopischen (dunkeladaptierten) und photopischen (helladaptierten) Bedingungen unterschieden. Bei skotopischen Bedingungen werden hauptsächlich die Stäbchenfunktionen, bei photopischen Bedingungen die Zapfenfunktionen erfasst (die Photorezeptorantworten spiegeln sich in der a-Welle wider). Zusätzlich können funktionelle Störungen der retinalen Transmission (Bipolarzellen, Müller-Zellen) durch die Analyse der b-Welle beurteilt werden. Eine Ganzfeld-ERG-Untersuchung soll nach internationalen Standards (ISCEV) erfolgen, jedoch ist es möglich und erwünscht, die Netzhautfunktion mit erweiterten Ableitungsprotokollen zu differenzieren. Bei Retinitis pigmentosa ist bereits sehr früh das skotopische ERG als Maß der Stäbchenfunktion subnormal (die Amplituden der Antworten sind reduziert und die Gipfelzeiten verlängert), in fortgeschrittenen Fällen werden die Antworten deutlich reduziert. In Spätstadien sind die Antworten des Standardprotokolls vom Rauschen kaum oder gar nicht mehr zu trennen. In einigen dieser Fälle kann eine zusätzliche Ableitung eines 9 Hz-Flicker-ERGs, das Restfunktionen sowohl der Zapfen als auch der Stäbchen erfasst und durch Fourier-Analyse eine Trennung von Rauschen erlaubt, immer noch reproduzierbare Antworten zeigen. Im Gegensatz dazu bleibt das zapfendominierte (photopische) ERG bei RP-Patienten zunächst wenig beeinträchtigt, aber mit der Progression der Erkrankung ist auch hier ein objektiver Funktionsverlust zu beobachten, und in fortgeschrittenen Fällen sind keine reproduzierbaren Summenantworten mehr nachweisbar.

Mit Fortschreiten der Degeneration kommt es zu einer deutlichen Funktionsminderung des Stäbchen- und Zapfensystems. Das zentrale Netzhautareal bleibt aber typischerweise lange gut erhalten. Dies beweisen die gute zentrale Sehschärfe und das Farbensehen. Die Makulafunktion kann mithilfe des multifokalen ERGs (mfERG) auch objektiv gemessen werden. Das mfERG erlaubt durch die Verwendung multipler hexagonaler Lichtreize in variabler Kombination eine differenzierte Beurteilung und eine topographische Darstellung der regionalen Netzhautfunktion am hinteren Pol. Die Ableitungen erfolgen am helladaptierten Auge, die damit gewonnenen Antworten sind also zapfendominiert. Für die Durchführung eines mfERGs existieren ebenfalls internationale Standards (ISCEV). Typischerweise lassen sich bei RP-Patienten gut erhaltene Antworten im zentralen Bereich ableiten, die (mittel)peripheren Antworten dagegen sind deutlich reduziert und die Gipfelzeiten verlängert. In fortgeschrittenen Fällen sind die Antworten der mittleren Peripherie – korrespondierend zu den Gesichtsfeldbefunden – nicht mehr vom Rauschen zu trennen, während im Zentrum noch Restfunktionen nachzuweisen sind (Abb. 2). Diese Restantworten korrelieren mit der zentralen Sehschärfe gut. Oft kann das mfERG auch dann noch reproduzierbare Antworten der Makula zeigen, wenn im Ganzfeld ERG keine ableitbaren Antworten mehr zu finden sind. Deswegen ist diese Untersuchung für die Erfassung der Restfunktion und für Verlaufskontrollen in fortgeschrittenen Fällen von großer Bedeutung [6, 12].

Abb. 2
figure 2

Multifokales ERG bei Retinitis pigmentosa. Es zeigen sich a in der topographischen Darstellung und b in der Ringauswertung zentral nachweisbare Potenziale mit reduzierten Amplituden. Die Antworten in den äußeren Ringen sind nicht mehr vom Rauschen trennbar. c Die generalisierte Antwortminderung der Netzhaut ist in der farbkodierten 3D-Darstellung ebenfalls eindeutig zu sehen

In weit fortgeschrittenen Fällen bzw. im Endstadium der Erkrankung sind elektrophysiologisch keine reproduzierbaren Antworten mehr abzuleiten. Damit ist die objektive Erfassung der Restfunktion schwierig. In solchen Fällen kann eine pupillographische Untersuchung hilfreich sein. Mit Pupillographie bezeichnet man die kontinuierliche Messung und Aufzeichnung des Pupillendurchmessers unter verschiedenen Beleuchtungsbedingungen. Die Technik beruht darauf, dass die Pupille mittels einer im nahen infraroten Spektrum empfindlichen Videokamera gefilmt und das Bild computergestützt ausgewertet wird. Sowohl die Latenz als auch die Konstriktionsamplituden der Pupillen (und weitere davon abhängige Parameter), ausgelöst bei verschiedenen Lichtintensitäten, können damit beurteilt werden. Bei RP-Patienten kann mithilfe der Pupillographie die Restfunktion objektiv erfasst werden, sogar wenn dass Licht subjektiv nicht mehr wahrgenommen wird. Diese Untersuchung wird allerdings nur in speziellen Zentren und hauptsächlich im Rahmen verschiedener Studien bei RP-Patienten durchgeführt.

Morphologische Diagnostik

Die typischen Fundusveränderungen der Retinitis pigmentosa sind:

  • Gefäßverengung,

  • wachsgelbe Papillen,

  • Makulaveränderungen mit verbreiterten Reflexen durch die irregulären Strukturen der inneren limitierenden Membran (ILM). Gelegentlich kann sich ein zystoides Makulaödem entwickeln,

  • Veränderung des retinalen Pigmentepithels (vorwiegend in der mittleren Peripherie), beginnend mit einer Depigmentierung, später übergehend in Hyperpigmentationen mit den typischen Knochenkörperchenstrukturen als Zeichen der intraretinalen Pigmentmigration. Letztere sind in verschiedenen Formen der RP unterschiedlich ausgeprägt, z. B. sind oft bei Usher-Syndrom weniger Knochenkörperchen zu sehen oder fehlen gänzlich.

Diese Veränderungen sind in der Regel beidseits symmetrisch ausgeprägt. Fast immer finden sich auch Glaskörperveränderungen , und es können weitere Veränderungen mit RP assoziiert sein:

  • Eine posteriore subkapsuläre Linsentrübung ist relativ häufig.

  • Eine Drusenpapille wird im Vergleich zu Gesunden öfters beobachtet.

  • Eine Myopie ist ebenfalls häufig.

  • Ein Keratokonus ist selten.

  • Ebenfalls selten kann eine exsudative Vaskulopathie mit Coats-artigem Erscheinungsbild, Lipidablagerungen in der peripheren Netzhaut und einer exsudativen Netzhautablösung beobachtet werden.

Die meisten dieser Veränderungen können biomikroskopisch einfach untersucht werden, eine Fotodokumentation für die Verlaufskontrolle ist wichtig (Abb. 3). Eine relativ neue Möglichkeit der Diagnostik eröffnet die optische Kohärenztomographie (OCT), mit der sich Veränderungen der Netzhautdicke und der Netzhautstruktur an histologieanalogen Schnittbildern beurteilen lassen. Der typische Befund bei Retinitis pigmentosa zeigt den guten Erhalt der inneren Netzhautschichten bei Verlust der äußeren Schichten nach peripher und eine ausgeprägte RPE-Atrophie mit vermehrter Rückstreuung der Choroidea. Der zentrale Bereich mit erhaltenen Photorezeptoren korrespondiert gut mit der Sehschärfe und mit dem zentralen Gesichtsfeldrest. Darüber hinaus kann eine zystoide Makulaveränderung mittels OCT eindeutig dargestellt werden. Sie ist für die Verlaufskontrolle und Beurteilung des Therapieerfolges ebenfalls ausschlaggebend (Abb. 4).

Abb. 3
figure 3

Typische Fundusbefunde bei Retinitis pigmentosa. a–c Farbfotos, d–f Fundusautofluoreszenz (die Fotos in der oberen Reihe korrespondieren nicht unbedingt mit den Autofluoreszenzbildern unten). Bei allen Patienten wurden Mutationen des gleichen Genortes gefunden, jedoch sind die Mutationen und somit der Phänotyp unterschiedlich im Schweregrad. Es zeigen sich typische, aber unterschiedlich ausgeprägte morphologische Veränderungen (RPE-Atrophie und Knochenkörperchen in der mittleren Peripherie, wachsgelbe Papille, Gefäßverengung). Perizentral ist häufig ein Ring vermehrter Autofluoreszenz zu beobachten (d, e)

Abb. 4
figure 4

Optische Kohärenztomographie (OCT, Spectralis) bei Retinitis pigmentosa. a Die gut erhaltenen zentralen Photorezeptoren sprechen für eine erhaltene Makulafunktion, jedoch ist der Verlust der äußeren Schichten nach peripher und eine ausgeprägte RPE-Atrophie mit vermehrter Rückstreuung der Choroidea deutlich zu sehen. b In fortgeschrittenen Fällen zeigt sich auch die zentrale Netzhaut deutlich atroph, die inneren Netzhautschichten bleiben aber gut abgrenzbar. c–d Zystoides Makulaödem bei Retinitis pigmentosa

Die Messung der Autofluoreszenz der RPE stellt Veränderungen der Lipofuszinverteilung und anderer Phospholipiden dar. Die Untersuchung ist nicht invasiv und bietet zusätzliche Informationen über die RPE-Schicht. Bei Retinitis pigmentosa wird häufig eine herabgesetzte oder fehlende Autofluoreszenz in der mittleren Peripherie beobachtet, da hier die degenerativen Prozesse zum Verlust von Pigmentepithelzellen führen. Im Zentrum bleibt die Netzhautstruktur länger erhalten, und die Autofluoreszenz ist kaum verändert, perizentral ist aber häufig ein Ring vermehrter Autofluoreszenz zu sehen als Zeichen einer aktiven dystrophischen Prozesses (Abb. 3). Studien haben gezeigt, dass die Größe des Ringes mit der zentralen Sehfunktion (Visus, Gesichtsfeld) gut korreliert [15].

Die Kombination der morphologischen und funktionellen Befunde, die sog. multimodale Diagnostik , bietet vergleichende Einblicke in Struktur, Funktion und Stoffwechsel der Netzhaut und ist für das Verständnis komplexer Pathologien unerlässlich. Dies erlaubt, krankhafte Veränderungen frühzeitig zu erkennen, zuverlässig zu dokumentieren und optimale und zielgerichtete Therapieentscheidungen zu treffen.

Differenzialdiagnose

Für die tägliche Praxis erscheint auch der Ausschluss von Phänokopien und Syndromen wichtig, um die behandelbaren Formen, die nichtprogressiven Formen und die mit dem Bild einer Retinitis pigmentosa assoziierten Formen mit zusätzlich zu behandelnder Symptomatik zu differenzieren [10, 17]. Im Folgenden möchten wir die wichtigsten Differenzialdiagnosen auflisten.

Postentzündliche Netzhautveränderungen (z. B. nach Lues, Röteln)

Chorioretinitiden können RP-ähnliche subjektive Beschwerden (Nachtblindheit, konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung) und morphologische Veränderungen (RPE-Atrophie, Hyperpigmentierung) verursachen. Allerdings sind diese in der Regel nicht progressiv, und die ERG-Befunde können intakte oder subnormale Stäbchen- und Zapfenfunktionen zeigen.

Toxische Retinopathien

Eine Chloroquin-Intoxikation oder andere Medikamente (Thioridazin, Chlorpromazin, Tamoxifen) können eine Retinitis pigmentosa vortäuschen. Diese toxischen Retinopathien sind im Endstadium ebenfalls durch den bilateralen diffusen Verlust des RPE, Pigmentveränderungen und Verengung der Arteriolen charakterisiert. Die Nachtblindheit ist jedoch unterschiedlich ausgeprägt, die Veränderungen können asymmetrisch sein, und die Optikusatrophie ist nicht wachsgelb.

Karzinomassoziierte Retinopathien

Die karzinomassoziierten Retinopathien sind ebenfalls durch Nachtblindheit, konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung und reduzierte ERG-Antworten gekennzeichnet. Der klinische Verlauf ist jedoch rascher, mit später Erstsymptomatik, und die Pigmentveränderungen sind leicht oder können gänzlich fehlen.

Konduktorinnen

Gelegentlich können auch Konduktorinnen einer x-rezessiven RP das funduskopische Bild eines Betroffenen zeigen. Bei der Beurteilung sind die irregulären Pigmentationen (häufig sektoriell) und die tapetoiden Reflexe am Fundus wichtig. Auch Konduktorinnen können leicht progressive Gesichtsfeldverluste im späteren Lebensalter erleiden. Im ERG finden sich häufig verringerte Amplituden und verlängerte Gipfelzeiten. Die Befunde sind allerdings häufig nicht symmetrisch in beiden Augen.

Stationäre hereditäre Formen

Wichtig ist es, stationäre hereditäre Formen zu differenzieren, wie kongenitale stationäre Nachtblindheit oder Fundus albipunctatus, da die Perspektiven für Patienten dann wesentlich günstiger sind.

Behandelbare Sonderformen

Die behandelbaren Sonderformen der Netzhautdystrophien sollen ebenfalls differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Spezielle Blutwertbestimmungen sind bei Verdacht auf Atrophia gyrata (erhöhter Ornithinspiegel), Refsum-Syndrom (erhöhter Phytansäurespiegel) oder Abetalipoproteinämie (Fehlen von Apolipoprotein B) notwendig. Außerdem soll die Bestimmung des Vitamin-A-Spiegels zur Abgrenzung eines Vitamin-A-Mangels indiziert werden.

Genetische Diagnostik

Der Nachweis der spezifischen Genmutation, die für die Erkrankung verantwortlich ist, bietet eine sichere Grundlage für die Patientenberatung, jedoch ist die Identifizierung des betroffenen Genortes nicht immer möglich. Um die „Trefferquote“ zu verbessern, ist es notwendig, eine ausführliche Anamnese mit Hinweisen auf den Stammbaum und eine detaillierte funktionelle morphologische Diagnostik durchzuführen. Diese Informationen sind ausschlaggebend für die Molekulargenetiker und helfen bei der Identifizierung der Mutation. Trotz aller Bemühungen kann aber leider nicht garantiert werden, dass die molekulargenetische Untersuchung die verantwortlichen Genveränderungen entdeckt, da zwar die Auswahl an bekannten möglichen Defekten immer größer wird, allerdings immer noch sehr viele auslösende Genveränderungen unbekannt sind [4, 13, 14]. Aus wissenschaftlichen Überlegungen ist die Veranlassung genetischer Untersuchungen bei allen RP-Patienten sinnvoll, da es unser Verständnis der Pathophysiologie der Erkrankung erweitert und somit wertvolle Informationen für die Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten liefert. Auch für die Patienten kann der genetische Befund – vielleicht schon in der näheren Zukunft – bezüglich neuer Therapiemöglichkeiten eine große Bedeutung haben, da es nur bei Patienten mit identifizierten Defekten möglich sein wird, gentherapeutische Behandlungen durchzuführen, die bereits bei der kongenitalen Leber-Amaurose im Rahmen einer Studie eingesetzt wurden.

Verlauf und Prognose

Die Langzeitprognose der Retinitis pigmentosa ist in den meisten Fällen schlecht, da es sich um eine progressive Erkrankung handelt und derzeit noch keine etablierten Therapiemöglichkeiten existieren. Es entwickelt sich langfristig ein generalisierter Sehverlust, in vielen Fällen bis hin zur gesetzlichen Blindheit. Typischerweise verläuft der Gesichtsfeldverlust bei RP-Patienten zweistufig [11]. Zunächst kommt es zu einer langsamen Progression, ab einem kritischen Alter beschleunigt sich jedoch der Funktionsverlust fast exponentiell, sodass jährlich etwa 10–20% des Gesichtsfeldes verloren gehen [1, 7, 8]. Das kritische Alter des raschen Verlustes liegt bei der autosomal-dominanten Form bei etwa 32 Jahren, bei der x-rezessiven Form fast 12 Jahre früher und bei den autosomal-rezessiven und Simplex-Fällen dazwischen [17]. Oft ist diese Übergangsphase auch der Zeitpunkt der Erstvorstellung beim Augenarzt. Andere Studien haben auch einen exponentiellen Abfall des Gesichtsfeldes bei RP-Patienten gezeigt, der jährliche Verlust des Restgesichtsfeldes wurde zwischen 11,2 und 17,2% geschätzt, abhängig von der Testmarke in der kinetischen Perimetrie [1, 2, 7, 8, 9, 11, 12]. Dieser exponentielle Trend ist in den elektrophysiologischen Daten ebenfalls zu beobachten: Im Ganzfeld und im multifokalen ERG ist bei RP-Patienten mit etwa 10% Verlust der jeweiligen Restamplitude zu rechnen [1, 2, 6, 12]. Die Progression des Gesichtsfeldes und die Amplitudenreduktion zeigen trotz ähnlicher Tendenz nur eine schwache Korrelation zwischen Gesichtsfeld- und ERG-Parametern in der RP-Gruppe, allerdings wurden in verschiedenen Untergruppen stärkere Korrelationen beobachtet. Dies weist darauf hin, dass abhängig vom genetischen Hintergrund und Erbgang unterschiedliche Verläufe und somit unterschiedliche Prognosen zu beachten sind. Auch können die Verläufe innerhalb einer Familie erheblich variieren.

Darüber hinaus gibt es RP-Fälle, die sich mit einem relativ frühen Verlust der Stäbchenfunktion, aber lange erhaltener Zapfenfunktion zeigen. In anderen Fällen geschieht der Verlust der Stäbchen- und Zapfenfunktion etwa gleichzeitig, und bei den selteneren Zapfendystrophien beginnt der Verlust im Zentrum. Diese Merkmale sind wichtig bei der Beratung der Patienten hinsichtlich des zu erwartenden Verlaufs. Die zusätzlichen Komplikationen wie eine Kataraktbildung, ein zystoides Makulaödem oder periphere Vaskulopathie können zu weiteren Funktionsminderungen führen. Diese Veränderungen lassen sich aber therapieren, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Bei der Behandlung eines zystoiden Makulaödems kommen topische (Dorzolamid 2% 3-mal/Tag) oder systemische (Azetazolamid 500 mg/Tag) Therapien infrage. Diese sollten mindestens über 4 Wochen durchgeführt werden, und die Netzhaut sollte anschließend mittels OCT kontrolliert werden. Auch wurde in einigen Fällen ein positiver Effekt nach intravitrealer Gabe von Bevacizumab beschrieben, jedoch liegen uns hier keine umfangreichen Studienergebnisse vor. Unsere Aufgabe besteht darin, die Veränderungen rechtzeitig zu erkennen und eine optimale Therapie einzuleiten. Da viele Patienten sich oft mit ihren Krankheitsproblemen allein gelassen fühlen, empfiehlt es sich, sie auf Patientenselbsthilfegruppen zu verweisen (z. B. Pro Retina Deutschland e.V.)

Neue Perspektiven

Mit Ausnahme einzelner seltener behandelbarer Netzhautdystrophien bekannte Stoffwechseldefekte (z. B. Atrophia gyrata, Bassen-Kornzweig-Syndrom) existieren derzeit keine etablierten Therapien. Die Behandlungsmöglichkeiten beschränken sich auf den Ausgleich von Refraktionsfehlern, Anpassung von vergrößernden Sehhilfen, UV-Schutz- und Kantenfiltergläsern, sowie den Erhalt klarer optischer Medien und die Behandlung der Komplikationen wie Makulaödem oder chorioidale Neovaskularisation.

Gentherapie

Eine mögliche Hilfe könnte zukünftig jedoch die Gentherapie darstellen. Das Prinzip der Gentherapie besteht darin, dass mithilfe von viralen oder nichtviralen Vektoren die therapeutischen Genabschnitte als Ersatz für nicht funktionierende Genabschnitte in die retinalen Zellen eingebracht werden, um dort die Wiederaufnahme der entsprechenden Zellfunktion zu erreichen. Die möglichen Methoden, ein defektes Gen zu ersetzen oder zu korrigieren, können in 2 Gruppen unterteilt werden:

  • Genaugmentation, wobei das eingesetzte Wildtyp-Gen das nicht funktionierende oder erkrankte Gen und dessen Funktion ersetzt,

  • Stummschalten von Genen, wobei die Expression des mutierten Gens mittels Ribozyme- oder RNA-Beeinflussung blockiert wird.

Die ersten klinischen Studien laufen bereits bei einer kongenitalen RP-Form (kongenitale Leber-Amaurose (LCA)/aufgrund von RPE65-Mutationen), die Ergebnisse sind vielversprechend. Allerdings sind die genetischen Strategien von der verursachenden Genmutation abhängig, weshalb die Einsetzbarkeit eingeschränkt bleibt [4, 16].

Pharmakologische Substanzen

Sie können einen biochemischen Defekt kompensieren und so eine gute Therapieoption bei Erkrankungen sein, bei denen die zugrunde liegende Pathophysiologie bekannt ist. Bei Retinitis pigmentosa kann diese Strategie insbesondere bei den Formen benutzt werden, bei denen der primäre Defekt in der Chromophorbiosynthese liegt und den visuellen Zyklus verändert. Aktuell wird die Wirksamkeit von QLT091001 (QLT Inc., Vancouver, Kanada) bei LCA-Patienten, bei denen eine Mutation in den Genen RPE65 oder LRAT nachweisbar ist, geprüft. QLT091001 ist ein synthetisches Retinoid, das über eine orale Einnahme 11-cis-Retinal ersetzen soll. Auch hier zeigen die ersten Studienergebnisse eine positive Tendenz [16].

Neuroprotektion

Während die Gentherapie oder pharmakologische Wirkstoffe nur bei bestimmten Formen der RP eingesetzt werden können, ist die Neuroprotektion dagegen von der Ätiologie der Netzhautdegeneration unabhängig. Ziel dabei ist, einen Schutz der retinalen Zellen zu ermöglichen, um das Überleben der Photorezeptoren zu verlängern. Hierbei werden Studien mit Wachstumsfaktoren (z. B. „ciliary neurotrophic factor“, CNTF) und Apoptoseinhibitoren [z. B. Docosahexaensäure (DHA), Calpain- oder Ca2 + -Inhibitoren] durchgeführt. Die weitere Entwicklung der Anwendung von Neuroprotektiva zur Behandlung von erblichen Netzhautdegenerationen bleibt abzuwarten. Die Gentechnologie, Neuroprotektiva oder Behandlung mit Wachstumsfaktoren können nur bei noch intakten Photorezeptoren eingesetzt werden, was eine weitere Einschränkung der Verwendung in der Therapie bedeutet [16].

Stammzelldifferenzierung

Bei bereits bestehender Blindheit bzw. fortgeschrittener Degeneration der Photorezeptoren werden derzeit als Behandlungsmöglichkeiten mehrere Therapierichtungen entwickelt. Die Stammzelldifferenzierung, mit deren Hilfe versucht wird, die abgestorbenen Netzhautzellen mit sog. Photorezeptorpräkursorzellen zu ersetzen, wird noch nicht ausreichend beherrscht, und eine sichere und wirkungsvolle Anwendung konnte bisher nicht gezeigt werden.

Optogenetische Ansätze

Bei den optogenetischen Ansätzen werden mithilfe der Gentechnologie lichtsensitive/lichtaktivierte Kanäle oder Pumpen in die überlebenden Netzhautzellen hereingebracht, und somit wird versucht, die Lichtaufnahme und die Umwandlung des Lichtes in elektrische Signale in der Netzhaut wiederherzustellen. Die ersten Ergebnisse bei Mäusen wurden bereits publiziert, allerdings ist der Weg zu einer Humantherapie noch lang [3, 16].

Elektronische Netzhautimplantate

In der Entwicklung sind auch sog. elektronische Netzhautimplantate, bei denen die Funktionen der defekten Photorezeptoren durch bildgesteuerte Elektrodenfelder ersetzt werden. Es werden unterschiedliche Implantate entwickelt: kortikale visuelle Prothese, suprachorioidales Implantat, epiretinales Implantat [16], das in einigen Ländern bereits zugelassen ist. Am vielversprechendsten und physiologischsten dürfte jedoch das in Tübingen entwickelte subretinale Netzhautimplantat sein, mit dessen Hilfe erblindeten Menschen, die die Photorezeptoren verloren haben, das Sehvermögen wiedergegeben werden kann. Das Implantat wird unter die Netzhaut implantiert. Dadurch ist gewährleistet, dass die vom Implantat abgegebenen elektrischen Ladungen tatsächlich auf diejenigen Nervenzellen der Netzhaut übertragen werden, die physiologischerweise auch von den natürlichen Photorezeptoren angesteuert werden. Somit wird das Informationsverarbeitungsnetzwerk der Netzhaut auf natürliche Weise genutzt. Auf der Basis der technischen Eigenschaften, der durchgeführten Tierexperimente und der ersten klinischen Studienergebnisse bei insgesamt 20 operierten Patienten lässt sich annehmen, dass ein Sehvermögen von 5–10% erzielbar ist. Bisher wurde bei mehreren blinden Patienten eine Sehschärfe von mehr als 1/50, also gerade die gesetzliche Grenze des Sehens erreicht. Damit ist es möglich, sich wieder ohne fremde Hilfen im Raum zu orientieren und sich frei zu bewegen. Auch die Wahrnehmung von Gesichtern ist bei 2 Patienten möglich geworden [18].

Von den verschiedenen Ansätzen sind die Netzhautimplantate am weitesten fortgeschritten und erscheinen auch längerfristig am erfolgversprechendsten für den klinischen Einsatz bei sehr fortgeschrittenen Formen der Retinitis pigmentosa mit dem Ziel, blinden Patienten mit erblichen Netzhautdystrophien wieder Möglichkeiten der visuellen Orientierung und Mobilität geben zu können.

Fazit für die Praxis

  • Retinitis pigmentosa bezeichnet eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe von Netzhauterkrankungen, die typischerweise zu einem progredienten Verlust der Stäbchenfunktion und anschließend der Zapfenfunktion führt.

  • Über 45 verschiedene Gene wurden bereits identifiziert, in denen Defekte schließlich in Degenerationsprozesse der Photorezeptoren und retinalen Pigmentepithelzellen münden.

  • Die wichtigsten diagnostischen Verfahren sind Anamnese, Visusbestimmung, Perimetrie, Farbtest, Elektroretinographie, Ophthalmoskopie und bildgebende Verfahren (OCT, Autofluoreszenz).

  • Auch die genetischen Untersuchungen können bei der Abklärung der Diagnose hilfreich sein.

  • Derzeit existieren keine etablierten Therapien.

  • Die Behandlungsmöglichkeiten beschränken sich auf optischen Sehhilfen, UV-Schutz und Kantenfiltergläser sowie Behandlung der Komplikationen.

  • Eine mögliche Hilfe könnten in der Zukunft Gentherapie, Neuroprotektiva oder Behandlung mit Wachstumsfaktoren darstellen.

  • Bei fortgeschrittener Degeneration der Photorezeptoren stehen derzeit als Behandlungsmöglichkeiten lediglich die elektronischen Netzhautimplantate zur Verfügung.

CME-Fragebogen

Welche Beschwerden sind bei beginnender Retinitis pigmentosa typisch?

Zentralskotom, Farbsinnstörung, Leseschwierigkeit

Lichtblitze

Metamorphopsien, Visusminderung

Nystagmus

Nachtblindheit, periphere Gesichtsfeldeinschränkung

Welches sind bei einem RP-Patienten die wichtigsten elektrophysiologischen Untersuchungen?

Ganzfeld ERG und mfERG

Blitz-VEP

Muster-ERG

EOG

Muster-VEP

Bei welchem Erbgang sind im Durchschnitt die RP-Patienten gleichen Alters am schwersten betroffen?

Autosomal-rezessiv

Autosomal-dominant

x-chromosomal-rezessiv

x-chromosomal-dominant

Mitochondrial

Welche der hier getroffenen Aussagen über Retinitis pigmentosa ist falsch ?

Die ersten Symptome treten typischerweise im jungen Erwachsenenalter auf.

Retinitis pigmentosa kann mit anderen systemischen Veränderungen assoziiert sein.

Zystoides Makulaödem ist eine häufige Komplikation bei Retinitis pigmentosa.

Eine Kataraktoperation wird bei RP-Patienten nie durchgeführt, da dadurch keine Besserung zu erwarten ist.

Im multifokalen ERG bei RP-Patienten können sich zentrale Antworten auch dann noch zeigen wenn das Ganzfeld ERG bereits erloschen ist.

Ein 10-jähriges Kind mit Nachtblindheit stellt sich in der Sprechstunde vor. Anamnestisch ist eine angeborene Taubheit bekannt, das Kind trägt beidseits Cochlearimplantate. Welches ist Ihre Verdachtsdiagnose?

Abetalipoproteinämie

Usher-Syndrom Typ I

Zapfendystrophie

Morbus Stargardt

Kongenitale stationäre Nachtblindheit

Welche ERG-Befunde sind bei beginnender Retinitis pigmentosa typisch?

Normale skotopische und reduzierte photopische Antworten im Ganzfeld ERG

Reduzierte bzw. erloschene skotopische und gute photopische Antworten im Ganzfeld ERG

Im Ganzfeld ERG sieht man bei RP keine Veränderungen, nur in der VEP-Untersuchung.

Negatives ERG

Zentral reduzierte Antworten im multifokalen ERG

Welche Erkrankung kommt differenzialdiagnostisch nicht infrage bei Retinitis pigmentosa?

Postentzündliche Retinopathie

Chloroquin-Retinopathie

Fundus flavimaculatus

Karzinomassoziierte Retinopathie

Konduktorinnenstatus bei x-rezessiver Retinitis pigmentosa

Welche Aussage über die Therapiemöglichkeiten der Retinitis pigmentosa ist richtig?

Es existieren keine Therapiemöglichkeiten bei Retinitis pigmentosa, und es wird auch nicht danach geforscht.

Die Gentherapie ist eine Therapiemöglichkeit, die auch bei weit fortgeschrittenen RP-Fällen eine gute Option sein könnte.

Die Gentherapie kann in der Zukunft keine Option für die Patienten sein, da es sich bei Retinitis pigmentosa nicht um eine erbliche, sondern um eine postentzündliche Erkrankung handelt.

Gentherapie, Behandlung mit Wachstumsfaktoren und Neuroprotektiva können in der Zukunft eine Therapie für RP-Patienten bedeuten, jedoch fehlen hier noch die ersten klinischen Ergebnisse.

In der Entwicklung sind elektronische Netzhautimplantate, bei der die Funktionen der defekten Retina durch bildgesteuerte Elektrodenfelder ersetzt werden.

Welche Aussage ist falsch ? Retinitis pigmentosa …

verursacht in den meisten Fällen asymmetrische Funktionsminderungen.

kann unterschiedlich ausgeprägte Pigmentation am Fundus verursachen.

kann mit hinterem Polstar der Linse assoziiert sein.

verursacht eine Veränderung im ERG.

kann mit Schwerhörigkeit oder Ataxie assoziiert sein.

Welche Aussage zur Symptomatik und Diagnostik der Retinitis pigmentosa ist richtig?

Autofluoreszenz hat bei Retinitis pigmentosa keinen diagnostischen Wert.

Ein perimakulärer Ring vermehrter Autofluoreszenz ist ein häufiges Zeichen bei fortgeschrittener Retinitis pigmentosa.

Die korrekte Diagnose einer Retinitis pigmentosa erfordert eine Fluoreszenzangiographie.

Die Diagnose einer Retinitis pigmentosa lässt sich allein mit dem OCT stellen.

Verdünnung der Nervenfaserschicht im OCT ist ein Frühsymptom bei Retinitis pigmentosa.