Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) stellt in den Industriestaaten die häufigste Erblindungsursache im Erwachsenenalter dar. Ab dem 60. Lebensjahr ist zurzeit jeder 10., ab dem 90. Lebensjahr jeder 3. Mensch von einer Form der AMD betroffen, wobei die Gesamtzahl der Betroffenen in Zukunft durch das zunehmende durchschnittliche Bevölkerungsalter weiter steigen wird [3, 7, 8]. In der Mehrzahl der Fälle ist der rasche und deutliche Visusverlust durch die exsudative Form der AMD bedingt [1, 3, 8]. Zur Genese der AMD sind zahlreiche Arbeiten und Bücher erschienen (z. B. [10, 11, 12, 13]). Die Grundzüge dieser Arbeiten sollen im Folgenden dargestellt werden.

Pathogenese

Man geht bei der Genese der AMD von einem Zusammenspiel aus Umwelteinflüssen und genetischen Faktoren aus. Zu den Umwelteinflüssen werden Nikotinabusus und vermehrte Lichtexposition gerechnet, die genetischen Faktoren beinhalten Alter und eine positive Familienanamnese. Außerdem scheinen Polymorphismen der Gene für das Apolipoprotein E sowie die Komplementfaktoren H, C3 und B dazu zu gehören. Diese genetischen Polymorphismen sind allerdings nicht netzhaut- oder makulaspezifisch. Durch die hohe Sauerstoffsättigung, die hohe Konzentration ungesättigter Fettsäuren und die hohe Energiedichte durch die Fixation in der Makula und dem dadurch hervorgerufenen hohen oxidativen Stress in dieser Region scheinen sich diese Veränderungen hier allerdings besonders stark niederzuschlagen.

Wichtigstes klinisches Anzeichen einer beginnenden AMD sind Drusen. Durch Ansammlung von Lipofuszin – einem Fett-Protein-Gemisch, das unter anderem Photorezeptoraußensegmente enthält –, Ischämie, Veränderungen der Bruch-Membran, Lichteinfall oder durch Rauchen ausgelösten oxidativen Stress und Entzündungsreize kann es zu einem Schaden des retinalen Pigmentepithels kommen. Durch die Freisetzung einer Vielzahl von proinflammatorischen Mediatoren und die Aktivität von Entzündungszellen (inbesondere dendritische Zellen) kann dieser Zustand chronifizieren und damit den Pigmentepithelschaden beschleunigen.

Durch diesen Entzündungszustand, eine im Alter zunehmende Dicke der Bruch-Membran und Lipidablagerungen scheint eine gewisse Ischämie aufzutreten, auf die der Organismus durch Gefäßneubildungen aus der Choroidea (CNV: choroidale Neovaskularisation) reagiert. Diese pathologischen Gefäße mit reduzierter Wandausreifung führen durch Leckagen, Blutungen und Bahnung von Bindegewebseinsprossung zu den bei der feuchten AMD beobachteten Problemen der Ödeme, Blutungen und Narbenbildung, die wiederum mit Sehverlust einhergehen. Hauptverantwortlich für diese Gefäßbildung ist der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor („vascular endothelial growth factor“, VEGF), der in den CNV-Membranen von AMD-Patienten nachgewiesen werden konnte.

Hypothese

Ein Eingreifen in diesen Prozess könnte im frühen Stadium noch zu einem Rückgang der Beschwerden führen, da ein Makulaödem oder eine kleinere Blutung das Sehvermögen zwar beeinträchtigen, aber reversibel sein könne. Erst bei länger bestehender Beeinträchtigung der Makula durch ausgedehnte Blutungen mit entsprechenden Schäden durch den Blutabbau, durch Verlust des Pigmentepithels oder der Photorezeptoren oder Fibrosenbildung könnte der Sehverlust irreversibel werden. Eine frühe Behandlung hätte daher bessere Visusergebnisse zur Folge.

Therapieansatz

Hauptangriffspunkt des aktuellen Goldstandards der Therapie der exsudativen AMD ist daher die Elimination dieses VEGF, der neben der Förderung eines weiteren Wachstums der CNV-Membran zusätzlich durch die gesteigerte Gefäßpermeabilität mit konsekutivem zystoiden Makulaödem vordergründig für die Visusreduktion verantwortlich ist.

Mit der intravitrealen Gabe von Ranibizumab (Lucentis®) ist eine effektive Bindung aller VEGF-A-Isoformen möglich. Dadurch kann es zur Hemmung eines weiteren CNV-Wachstums kommen und durch die Reduktion der Gefäßpermeabilität zu einer Resorption intra- und subretinaler Flüssigkeitseinlagerungen. Bei noch intakten Photorezeptoren ist dann sogar ein Visusanstieg möglich [2, 5, 6].

Die derzeitige Zulassung erfordert eine Aufladungsphase mit dreimaliger intravitrealer Ranibizumabgabe im Abstand von 4 Wochen, gefolgt von einer Erhaltungsphase mit monatlichen Kontrollen und Behandlung bei noch vorhandener Aktivität der Erkrankung.

Probleme

Für einen Erfolg der Therapie sind jedoch einige Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

  1. 1.

    Die Therapie greift lediglich an einem Faktor der zur CNV-Entwicklung führenden Kaskade an und ist dadurch keine kausale Therapie. Mit Rezidiven ist daher z. B. durch die begrenzte intravitreale Verweildauer von Ranibizumab und/oder Fluktuationen der intravitrealen VEGF-Konzentrationen zu rechnen. Reinjektionen sind auch nach Abschluss der Aufladungsphase für die Mehrzahl der Patienten unvermeidbar. Therapeutisch anspruchsvoll wird die Notwendigkeit der Reinjektionen dadurch, dass es scheinbar eine sehr große interindividuelle Streuung bei den Zeiträumen bis zu einem Rezidiv gibt: Einerseits kann es einen ruhigen und trockenen Makulabefund bereits während der Aufladung geben, der erst nach sehr langer Zeit oder (bisher) gar nicht zu einem Rezidiv führte. Andererseits kann eine fehlende Befundberuhigung nach der Aufladung weitere Injektionen in kurzen Zeiträumen bis zur weiteren monatlichen Injektion notwendig machen. Gegenwärtig fehlen noch eindeutige Kriterien, mit welchen die unterschiedlichen Verläufe bereits im Vorfeld abgeschätzt werden können. Letztlich bleiben daher nur eine stete regelmäßige Nachkontrolle – gemeinsam durch die in der Klinik tätigen und die niedergelassenen Kollegen – gepaart mit engmaschigen Selbstkontrollen des Patienten, um den erreichten Therapieerfolg zu stabilisieren [4].

  2. 2.

    Die intravitreale Applikation ist noch keine einheitlich abrechenbare Prozedur. Durch verschiedene organisatorische Probleme (z. B. Notwendigkeit von Kostenübernahmeanträgen und deren Bearbeitung) kann es zu Verzögerungen zwischen Therapieindikation und -beginn sowohl für die Aufladephase als auch für die notwendigen Folgeinjektionen kommen.

Hinsichtlich des insgesamt sehr hohen finanziellen, organisatorischen und personellen Therapieaufwands ist es geboten, das Potenzial von Ranibizumab vollständig zu nutzen. Ein Ansatzpunkt, gemäß der oben genannten Hypothese, könnte dabei die Verringerung der Wartezeit zwischen Indikationsstellung und Therapiebeginn sein.

Ziel der Untersuchung war, den Einfluss der Wartezeit zwischen Indikationsstellung und erster Injektion auf den Behandlungsverlauf zu untersuchen.

Hypothetischer Patientenfluss

Der Zeitraum zwischen erster subjektiver Symptomatik, Diagnosesicherung und Beginn der Anti-VEGF-Therapie variiert interindividuell sehr stark. Dabei spielen regionale Faktoren, Wartezeiten auf einen Vorstellungstermin, Status der Krankenversicherung, primäre Betreuung durch eine operative Einrichtung bzw. bei einem konservativ tätigen Kollegen mit Notwendigkeit zur weiteren Überweisung, diagnostische Voraussetzungen, aber auch der persönliche Leidensdruck und die Mobilität des Patienten eine wesentliche Rolle. Ein mögliches Szenario ist in Abb. 1 skizziert.

Abb. 1
figure 1

Hypothetischer Patientenfluss. Der Patient bemerkt eine Sehbeeinträchtigung und wird, je nach Leidensdruck und Ausmaß, nach gewisser Zeit (A Tage bis Wochen) seinen Augenarzt aufsuchen bzw. einen Termin zur Untersuchung erhalten. Dieser stellt die (Verdachts-)Diagnose einer exsudativen AMD und vereinbart einen Vorstellungstermin zur Diagnosesicherung (Fluoreszenzangiographie und/oder optische Kohärenztomographie) und Therapieübernahme z. B. an der Universitätsaugenklinik. Nach Terminvergabe (B Tage bis Wochen) wird der Patient erneut untersucht. Bei Diagnosebestätigung werden 3 Termine für die ambulanten Injektionen der Aufladung im Abstand von jeweils 4 bis höchstens 5 Wochen (D) vereinbart. Die Wartezeiten vom Zeitpunkt der Indikationsstellung bis zur Durchführung der 1. Injektion (C Tage bis Wochen) können u. a. durch im Vorfeld einzuholende Kostenübernahmebestätigungen der Krankenkassen bedingt sein. Vier bis spätestens 6 Wochen nach der 3. Injektion (E) findet eine Verlaufsuntersuchung statt. Anhand von Fluoreszenzangiographie, optischer Kohärenztomographie, Visus und Klinik wird über die Notwendigkeit eventueller Folgeinjektionen entschieden. Auch hier hängt der Termin (F Tage bis Wochen) maßgeblich von der Kostenübernahmeerklärung seitens der gesetzlichen Krankenkassen ab. Stellt sich zur Kontrolluntersuchung ein trockener Befund ohne Aktivitätszeichen dar, erfolgen neben der Anleitung zur Selbstkontrolle mit dem Amsler-Gitter weitere möglichst regelmäßige Verlaufskontrollen in Abhängigkeit von Compliance, Morbidität, Entfernung, Mobilität und Visus des anderen Auges entweder beim niedergelassenen Augenarzt (A Wochen bis Monate) und/oder in der operativen Einrichtung (G Wochen bis Monate). Bei einem Rezidiv erfolgt der Wiedereintritt in den Behandlungszyklus (H Wochen bis Monate)

In Abb. 1 wird veranschaulicht, dass durch die Vielzahl der Einzelstationen Behandlungsverzögerungen entstehen können. Bestimmte Verzögerungen sind organisatorisch bedingt (B, C, F) und damit reduzierbar, andere resultieren aus einer uneinheitlichen Regelung der Kostenübernahme der Behandlung (C, F) und letztlich spielt die Patientensensibilisierung sowie die primäre Versorgung im ambulanten Bereich eine wesentliche Rolle (A).

Da Rezidive jederzeit, auch nach langem inaktivem Intervall (H), auftreten können (eigene Daten, unveröffentlicht), kommen den Verzögerungen mit dem Wiedereintritt in Diagnose- und Behandlungszyklus insbesondere bei einer Betreuung durch konservative Kollegen besondere Bedeutung zu.

Eine objektive Erfassung einer Befundverschlechterung mit Visusreduktion während der Wartezeiten wäre wichtig, lässt sich jedoch nicht in allen Phasen realisieren. Die Visusentwicklung vom frühesten Symptom bis zur ersten Augenarztkonsultation ist praktisch nicht objektivierbar. Selbst die Visusänderung zwischen Erstkonsultation und Indikationsstellung ist, bedingt durch differierende Bedingungen (verschiedene Sehzeichen und -projektoren, Visusstrecken, Beleuchtungs- und Untersuchungsbedingungen, physiologische Visusschwankungen besonders bei bereits reduziertem Visus), nur ungefähr erhebbar.

Als guter reproduzierbarer Parameter zur Beurteilung des Einflusses der Wartezeit stellt sich der Visusverlauf von der Indikationsstellung bis zum Zeitpunkt der Durchführung der ersten Injektion dar. Hier liegen gleiche Untersuchungsbedingungen für jede Konsultation vor, außerdem kann eine erneute Visusprüfung an den Tagen der Injektionen jeweils vor der Injektion erfolgen.

Methoden

Es wurden retrospektiv die Daten aller Patienten ausgewertet, die an der Universitätsaugenklinik Dresden seit Zulassung von Ranibizumab im Februar 2007 bis Mai 2010 behandelt wurden. Alleiniges Kriterium der Einteilung in die zu vergleichenden Gruppen war die Länge der Wartezeit zwischen Indikationsstellung zur intravitrealen Behandlung und erster Injektion der Aufladungsphase. Die Patienten wurden danach in 2 Gruppen eingeteilt (Gruppe 1: Wartezeit ≤10 Tage; Gruppe 2: >10 Tage).

Beobachteter Parameter war der bestkorrigierte Fernvisus des betroffenen Auges zu den jeweiligen Untersuchungsterminen. Die Visusbestimmung erfolgte bestkorrigiert mit Einzeloptotypen (Zahlen) unter standardisierten Untersuchungsbedingungen (außer Optotypen nach DIN 58 220) und der Visus wurde dezimal angegeben.

Die Datenerfassung und -auswertung erfolgte mit Hilfe von Microsoft Excel 2007. Jeder einzelne erhobene Visus wurde in logMAR umgerechnet. Der logMAR-Visus wurde für alle weiteren Berechnungen verwendet (Durchschnittsvisus und Visusveränderungen).

Bezugspunkt für eine Visusänderung war der Visus zum Zeitpunkt der Indikationsstellung. Jede Abweichung von der zu diesem Zeitpunkt ermittelten Sehschärfe wurde als Veränderung (Verbesserung oder Verschlechterung) bewertet. Die in Zeilen angegebenen Visusänderungen, die als Dezimalzahlen angegebenen Visen oder Visusänderungen wurden aus den logMAR-Werten berechnet und dienen lediglich der Veranschaulichung.

Zur Prüfung auf statistische Signifikanz wurde Student’s zweiseitiger t-Test verwendet und p<0,05 als statistisch signifikant gewertet.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 1149 Augen von 1010 Patienten (413 männlich, 597 weiblich) in die Auswertung einbezogen. Patienten mit beidseitiger erfolgter Behandlung wurden als 2 unabhängige Augen betrachtet. Das mittlere Alter betrug 76,9 Jahre (44–98 Jahre). Die Wartezeit zwischen Indikation und 1. Injektion betrug im Durchschnitt 36,1 und im Median 26 Tage.

Die Charakteristika der beiden Gruppen sind in Tab. 1 und Tab. 2 dargestellt. Es gibt keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich des Durchschnittsalters, der Geschlechterverteilung und der Form der CNV (Tab. 1). Hinsichtlich der Ausgangsparameter unterscheiden sich die Patienten, die im Verlauf der Wartezeit eine Visusreduktion erlitten haben, statistisch nicht signifikant von den Patienten ohne Visusverlust während der Wartezeit (Tab. 1).

Tab. 1 Zusammensetzung der Gruppen bei Indikationsstellung, eingeteilt anhand der Wartezeit vor 1. Injektion
Tab. 2 Signifikanzniveaus der Veränderung des Visus (Visusänderung in Zeilen) jeweils in Bezug zum Zeitpunkt der Indikation

Insgesamt erlitten 442 der 1149 Augen (38,5%) einen Visusverlust während der Wartezeit von der Indikationsstellung bis zur Durchführung der 1. Injektion. Bei der Untersuchung des möglichen Einflusses der Art der CNV-Membran konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen okkulten, minimal oder überwiegend klassischen Formen oder Sonderformen wie der retinalen angiomatösen Proliferation (RAP) oder der polypoidalen chorioretinalen Vaskulopathie (PCV) gefunden werden. Der Anteil der Patienten mit Visusverlust ist innerhalb der verschiedenen CNV-Subgruppen etwa gleich (Tab. 1).

Während zwar auch in Gruppe 1 mit kürzerer Wartezeit bei 23% der Patienten eine weitere Visusverschlechterung auftrat, stieg dieser Anteil in Gruppe 2 auf 40%. In Gruppe 1 beträgt die durchschnittliche Visusreduktion lediglich −0,07 Zeilen, verglichen mit −0,48 Zeilen für die Patienten der Gruppe 2 (Tab. 2, Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Visusentwicklung der bestkorrigierten Sehschärfe nach Indikationsstellung und während der Aufladungsphase. Bezugspunkt ist der Visus zum Zeitpunkt der Indikationsstellung. Dargestellt sind der durchschnittliche Visus über alle Patienten sowie der Visusverlauf in den jeweiligen Gruppen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen der geringere Visusabfall vor der 1. Injektion und der größere Visusgewinn bis zur 1. Kontrolluntersuchung. Beachte die durch retrospektiven Charakter bedingten verschiedenen Gruppengrößen (Tab. 1)

Durchschnittlich konnte über alle Patienten ein Visusgewinn um +0,60 Zeilen (entspricht ca. 3 Buchstaben nach ETDRS) nach abgeschlossener Aufladung im Vergleich zur Indikationsstellung erreicht werden. Innerhalb der einzelnen Gruppen konnte aber bei kürzerer Wartezeit ein deutlich höherer Visusanstieg erzielt werden (Gruppe 1: +1,28 Zeilen; Gruppe 2: +0,52 Zeilen; Tab. 2, Abb. 2). Diese Unterschiede sind zu jedem Untersuchungszeitpunkt statistisch signifikant (Tab. 2).

Diskussion

Die Datenanalyse bestätigt den klinischen Eindruck, dass eine längere Wartezeit häufiger zu Visusverlusten führt. Diese Daten sind mit dem Sham-Arm z. B. der MARINA-Studie vergleichbar. Auch hier führte die fehlende Therapie zu einem Verlust der Sehschärfe von etwa 1 Zeile innerhalb der ersten 3 Monate, wobei aber kein Einfluss der Anamnesedauer (hier nicht direkt vergleichbar mit einem verzögerten Behandlungsbeginn) auf den erreichbaren Endvisus nachgewiesen werden konnte [9, 15]. Insofern ist es zu erwarten, dass bei einer Verzögerung der Therapie eine weitere Verschlechterung der Sehschärfe auftritt, und dies umso gravierender ist, je länger die Wartezeit ist. Anders als evtl. zu erwarten war, ist dieser Visusverlust allerdings unabhängig von der Art der zugrunde liegenden CNV-Membran.

Im Durchschnitt erlitten 38,5% aller Augen (442/1149) einen Visusverlust während der Wartezeit auf die 1. Injektion. Dieser Anteil kann durch kurze Wartezeiten erheblich gemindert werden (19% bei Wartezeiten unterhalb 1 Woche). Längere Wartezeiten reduzieren aber auch den möglichen Sehschärfeanstieg. Dies gilt unabhängig vom Bezugspunkt (Visus zur Indikation oder zur 1. Injektion).

Bei längeren Wartezeiten wird der scheinbare Visusgewinn im Verlauf der Aufladung (Bezugspunkt hier Visus zur 1. Injektion) vom Verlust während der langen Wartezeit deutlich geschmälert. Während in Gruppe 1 fast kein Visusverlust zu verzeichnen ist und der gesamte Therapieerfolg sich auch in einer Visussteigerung niederschlägt, müssen in Gruppe 2 zunächst die −0,52 Zeilen Visusverlust durch verzögerten Therapiebeginn ausgeglichen werden.

Diese Veränderung des Bezugspunkts vom Zeitpunkt der 1. Injektion nach vorne zum Zeitpunkt der Indikation führt zu den im Vergleich mit den Zulassungsstudien (PIER, MARINA, ANCHOR, SAILOR, PrONTO) doch deutlich schlechteren Endergebnissen. Während in diesen Studien bis zu 2 Zeilen Visusbesserung während der Aufladung erreicht werden konnten (ANCHOR +11,2 Buchstaben, PrONTO +9,3 Buchstaben), kann der Visus hier nur um durchschnittlich 0,6 Zeilen (entspricht ca. 3 Buchstaben) gebessert werden. Allerdings können Patienten mit längerer Wartezeit dennoch nicht die gleichen Visusbesserungen während der Aufladung erreichen. Selbst ohne Betrachtung des Verlusts während der Wartezeit schneiden Patienten, die früh behandelt werden, besser ab: einem Gewinn von +1,21 Zeilen während der Aufladung in Gruppe 1 stehen nur +1,04 Zeilen in Gruppe 2 gegenüber.

Verzögerungen des Therapiebeginns bei diagnostizierter feuchter AMD bedeuten also sowohl eine weitere Einschränkung an Lebensqualität für die Patienten als auch eine unzureichende Ausschöpfung finanzieller und personeller Ressourcen, da das Potenzial von Ranibizumab, bezogen auf einen möglichen Visusanstieg unter Therapie, nicht vollständig genutzt wird.

Eine mögliche Erklärung für den geringeren Visusanstieg unter Therapie bei längeren Wartezeiten wäre im Sinne der Arbeitshypothese, dass die primäre Symptomatik des Patienten durch die gesteigerte Gefäßpermeabilität mit konsekutiver intra- und subretinaler Flüssigkeitseinlagerung gekennzeichnet ist. Die strukturelle Schädigung durch die CNV-Membran steht zu diesem Zeitpunkt noch im Hintergrund. Dieser Anteil nimmt allerdings mit steigender Wartezeit zu, sodass der Effekt einer Visuserholung durch die Anti-VEGF-Therapie mit Senkung der Permeabilität kleiner wird.

Wir leiten aus diesen Daten die Notwendigkeit eines raschen Behandlungsbeginns der feuchten AMD mit Ranibizumab ab. Die 1. Injektion sollte so früh wie möglich, im Idealfall innerhalb der 1. Woche nach Indikationsstellung erfolgen.

Im Rahmen des Behandlungsablaufs (Abb. 1, A–H) ergeben sich verschiedene Positionen der Therapieverzögerung. Auch wenn zu anderen Zeiträumen keine Daten vorgelegt werden, gehen wir davon aus, dass eine geringere Verzögerung an diesen Punkten ähnlich vorteilhaft ist wie eine Verkürzung der Wartezeit zwischen Indikation und 1. Injektion.

Ansätze und Vorschläge für eine Optimierung des Behandlungsablaufes (Abb. 1) sind nachfolgend skizziert:

  • A: Die genaue Anamnesedauer einer feuchten AMD ist oft sehr schwer zu ermitteln, da Frühsymptome häufig nicht erkannt oder falsch gedeutet werden. Nur eine umfangreiche Patientenaufklärung kann die Bevölkerung für das eher wenig bekannte Krankheitsbild sensibilisieren. Die Warnsignale und Frühsymptome müssen vermittelt werden (essenziell sind hier Selbstkontrollen mit dem Amsler-Gitter), ebenso aber die Möglichkeit einer Therapie und die dringende Notwendigkeit der frühzeitigen Behandlung. Zwingend sind aber auch die Schaffung ausreichender Betreuungskapazitäten und deren leistungsentsprechende Vergütung durch die niedergelassenen Augenärzte, die gerade im ländlichen Bereich dem Bedarf derzeit nicht immer gerecht werden können.

  • B: Die Angabe von Dringlichkeit und (Verdachts-)Diagnose durch den niedergelassenen Augenarzt ist eine Voraussetzung für rasche Diagnostik an Zentren, erfordert jedoch vonseiten der Zentren die Bereitstellung eines gut organisierten Einbestellsystems und ausreichender personeller Ressourcen.

  • C: Eine Verzögerung über 10 Tage ist anhand der hier dargelegten Daten nicht vertretbar. Kurzfristigere Einbestellungen können allerdings ebenfalls problematisch sein, bedingt durch höheres Alter, geringere Mobilität, Abhängigkeit von Begleitpersonen usw. Behandlungen noch am Tag der Indikationsstellung zur Vermeidung weiterer Anfahrten sind aufgrund der juristisch erforderlichen Aufklärung und einer evtl. nötigen antibiotischen Vorbehandlung nicht ohne weiteres möglich.

  • F: Die Möglichkeiten für schnelle Behandlung unabhängig von Kostenübernahmeanträgen sind durch den Gesetzgeber oder zumindest durch entsprechende Vereinbarungen mit den Kostenträgern sicherzustellen.

Aus unserer Sicht sollte eine Therapie noch in der gleichen Woche der Indikation erfolgen. Werden die vorhandenen Daten noch einmal unter diesem Gesichtspunkt geprüft, ergibt sich eine zunehmende Verschlechterung des Visus mit jeder Woche zusätzlicher Wartezeit sowie eine u. a. daraus resultierende geringere Visusbesserung während der Aufladung. Aufgrund der dann teilweise sehr kleinen Gruppen sind diese Unterschiede statistisch zwar nicht mehr signifikant, zeigen aber eine klare Tendenz zu Vorteilen der raschen Behandlung (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Visusentwicklung der bestkorrigierten Sehschärfe nach Indikationsstellung vor und während der Aufladungsphase. Bezugspunkt ist der Visus zum Zeitpunkt der Indikationsstellung. Dargestellt sind der durchschnittliche Visus über alle Patienten sowie der Visusverlauf bei genauerer Unterteilung der Patienten anhand der Wartezeit

Eine weitere Beobachtung, welche die Notwendigkeit eines raschen Behandlungsbeginns ebenfalls als sinnvoll erklärt, ist, dass nur sehr wenige Patienten mit initial gutem Visus ≥0,4 eine Verschlechterung auf ≤0,1 hinnehmen mussten. Andererseits konnte bei nur wenigen Patienten mit initial schlechtem Visus ≤0,1 eine Verbesserung auf einen akzeptablen Lesevisus >0,4 erreicht werden. Wenn man davon ausgeht, dass eine irreversible Schädigung der Photorezeptoren erst in einer späteren Phase der Erkrankung auftritt, ließe sich dies erklären und würde ebenfalls einen raschen Behandlungsbeginn rechtfertigen.

Kritisch anzumerken sind zweifellos der retrospektive Charakter der Auswertung und dadurch bedingt auch die sehr unterschiedlichen Gruppengrößen. Wünschenswert wären selbstverständlich randomisierte und prospektive Untersuchungen, ggf. auch multizentrisch. In Anbetracht der Schwere der Erkrankung, der zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten und der zumindest wahrscheinlichen Folgen einer Therapieverzögerung ist die Frage nach der Notwendigkeit einer solchen Untersuchung zu stellen. In jedem Falle sollte eine Erkrankung so früh wie möglich behandelt werden, sodass bewusste Verzögerungen der Therapie im Rahmen einer solchen Studie aus unserer Sicht ethisch nicht vertretbar erscheinen. Insbesondere in den Gruppen mit kurzer Wartezeit liegen aber nur die Daten einer verhältnismäßig geringen Fallzahl vor. Obwohl die Zusammensetzungen hinsichtlich der ausgewerteten Charakteristika sich nicht statistisch signifikant zwischen den einzelnen Gruppen unterscheiden, wären im Idealfall zumindest ähnliche Gruppengrößen anzustreben.

Weitere Verzögerungen, insbesondere jegliche vor der Indikationsstellung zur Behandlung, gehen in diese Betrachtung nicht ein. Interessant wäre zweifellos auch die eigentliche Anamnesedauer der AMD und ihr Einfluss auf das Ansprechen unter Therapie. Leider ist diese tatsächliche Dauer aber in der Mehrzahl der Fälle nicht oder nur sehr ungenau erhebbar, sodass hier lediglich auf die objektiven Daten zurückgegriffen wurde. Damit einher geht auch, dass der Fortschritt der Erkrankung bei einem Patienten nur unzureichend bekannt ist. Insbesondere in den späteren Phasen scheinen sich Fibrosierungs- und Umbauvorgänge abzuspielen, die bei ihrem Beginn auch in einer Angiographie noch nicht sicher erkennbar sind, sich aber auf den Therapieerfolg auswirken können.

Die Visusbestimmung spielt eine herausragende Rolle, da die Sehschärfe der einzige hier betrachtete Parameter ist. Da es sich um eine retrospektive Auswertung klinisch erhobener Daten handelt, wurde der Visus zwar standardisiert und an jeweils der gleichen Visusstrecke erhoben, aber nicht nach dem hohen und gut reproduzierbaren Maßstab des ETDRS-Standards. Außerdem ist bei eher niedrigen Sehschärfen, die naturgemäß bei der AMD vorliegen, mit recht deutlichen Schwankungen auch unabhängig von einer Veränderung zu rechnen.

Trotz dieser Kritikpunkte bestätigen die hier präsentierten Daten, dass ein frühzeitiger Behandlungsbeginn bei vorliegender feuchter AMD große Vorteile hinsichtlich des Behandlungserfolgs aufweist. Weitere Visusverluste sind seltener und die erzielbare Visusbesserung größer als bei verzögertem Beginn.

Unserer Kenntnis nach ist dies die erste retrospektive Studie, die explizit den Vorteil einer frühen Behandlung sowohl für den weiteren kleineren Visusverlust als auch auf den erzielbaren Visusgewinn untersucht.

Fazit für die Praxis

Nach Diagnosestellung einer exsudativen AMD sollte eine intravitreale Anti-VEGF-Therapie mit Ranibizumab so früh wie möglich erfolgen, um ein Maximum an Visusverbesserung unter der Therapie zu erreichen und um einen unnötigen Visusverlust während der Wartezeit zu vermeiden.