Die neovaskuläre altersabhängige Makuladegeneration (NV-AMD) ist eine Erkrankung der Netzhaut, von der in Deutschland mehr als 270.000 Menschen jenseits des 50. Lebensjahres betroffen sind. Sie ist in den Industrienationen die führende Ursache für eine Erblindung, und ihre Inzidenz steigt mit dem Alter an [21]. Mit zunehmender Alterung der deutschen Allgemeinbevölkerung sind für die nächsten 25 Jahre stark steigende Inzidenz- und Prävalenzraten zu erwarten [10].

Die AMD kann in atrophische (trockene) und neovaskuläre (feuchte) Krankheitsformen unterteilt werden. Die neovaskuläre AMD entsteht durch die Proliferation von irregulären Blutgefäßen aus der Aderhaut unter der Netzhaut. Dieser Prozess wird als choroidale Neovaskularisation (CNV) bezeichnet [1]. Diese pathologischen Gefäße können zu Blutungen und einer Akkumulation von Flüssigkeit und Lipiden in der Makula führen, wodurch es zu einem Verlust des Sehvermögens kommt. Schließlich resultieren Vernarbungen mit irreversiblem Verlust der zentralen Sehschärfe. Obwohl die neovaskuläre Form nur 10–15 % aller AMD-Fälle ausmacht, ist sie in 90% der Fälle für eine schwere Einschränkung des Sehvermögens im Zusammenhang mit einer AMD verantwortlich [1]. Diese schwere Einschränkung des Sehvermögens im betroffenen Auge tritt bei den meisten Patienten innerhalb von Monaten bis 2 Jahren nach Diagnosestellung der Erkrankung auf [3, 8].

Die NV-AMD verursacht so eine schwere funktionelle und psychische Beeinträchtigung, die häufig von Personen, die nicht von der Erkrankung betroffen sind, unterschätzt wird [19]. Die mit der NV-AMD verbundene Einschränkung des Sehvermögens hat zudem negative Auswirkungen auf die Fähigkeit, den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) nachzukommen [7] und beeinträchtigt die Unabhängigkeit, Lebensqualität (QoL) und das seelische Wohlbefinden der Betroffenen [4, 20]. Bei Patienten, die wegen ihres eingeschränkten Sehvermögens ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, können zudem ein Einkommensverlust und ein gesteigertes Gefühl der sozialen Isolation die Folge sein [1].

Es liegen zwar Studien vor, die die Prävalenz der AMD und die im Zusammenhang mit der Erkrankung auftretenden Behandlungskosten schätzten [2], umfassende populationsbasierte Studien zur Beeinträchtigung der Lebensqualität, dem Ressourcenverbrauch im Gesundheitswesens und den sozioökonomischen Folgen der NV-AMD in Deutschland sind jedoch nicht verfügbar. Ziel der vorliegenden Studie war die Beurteilung des Einflusses der NV-AMD auf Lebensqualität und Nutzung von Ressourcen des Gesundheitswesens in einer älteren Population von Deutschen mit der Erkrankung.

Patieten und Methoden

Studiendesign und Rahmen

In dieser Querschnittsbeobachtungsstudie wurden die Patienten zu funktioneller Gesundheit, Wohlbefinden und Belastung durch die Erkrankung befragt. Die Studie schloss ältere Menschen mit und ohne bilaterale NV-AMD ein und wurde in Kanada, Frankreich, Deutschland, Spanien und England durchgeführt. Die Methoden und wichtigsten Ergebnisse der Studie wurden an anderer Stelle beschrieben [18]. In diesem Beitrag berichten wir über die Ergebnisse für die deutsche Population. Der Prüfplan der Studie wurde von den zuständigen Ethikkommissionen genehmigt. Er sah keine ärztlichen Interventionen oder invasiven Maßnahmen vor. Die Stichprobenschätzung erfolgte auf der Basis des primären Endpunktes (National Eye Institute Visual Function Questionnaire, NEI-VFQ-25, Summenscore). Für den Nachweis einer Differenz von 10 Punkten und einer Standardabweichung von 19,9 (auf der Literatur basierend) im NEI-VFQ-25-Summenscore zwischen 2 Gruppen mit einer Power von 80% und einem zweiseitigen alpha von 0,05 waren für jedes Land mindestens 63 Patienten je Gruppe erforderlich.

Patienten

Die Patienten mussten die Erfordernisse der Ein- und Ausschlusskriterien erfüllen, schriftlich ihre Einwilligung geben und an einer Standard-Telefonbefragung teilnehmen, die durch geschulte Interviewer vorgenommen wurde. Wichtigste Einschlusskriterien waren das Vorliegen einer bilateralen subfovealen Form der Erkrankung sowie ein Alter ab 50 Jahren. Die Patienten wurden auf der Grundlage ihrer Sehschärfe im besseren Auge nach Snellen in 5 Gruppen eingeteilt: Normal: besser als 20/40 (0,5); leichter Sehverlust: 20/40 (0,5) bis besser als 20/80 (0,25); mäßiger Sehverlust: 20/80 (0,25) bis besser as 20/200 (0,1); starker Sehverlust: 20/200 (0,1) bis besser als 20/400 (0,05); fast blind: 20/400 (0,05) oder schlechter. Aufgrund der kleineren Gruppen von Patienten mit normalem Sehvermögen und fast blinden Patienten erfolgte die stratifizierte Analyse mit den 3 Schweregraden normal/leicht, mäßig und stark/fast blind. Die Kontrollpersonen mussten eine beste korrigierte Sehschärfe nach Snellen von 20/40 (0,5) oder besser aufweisen und durften keine ophthalmologischen Beschwerden (Glaukom, Kataract etc.) haben, die ihre Sehschärfe potenziell beeinträchtigen konnten.

Studienparameter

Die Patienten mit NV-AMD wurden aus 7 Netzhaut-Kliniken rekrutiert. Netzhaut-Spezialisten füllten für jeden Patienten einen klinischen Patientenbogen aus, der demographische Daten, Informationen zu Sehschärfe (gemessen nach Snellen), diagnostische Tests, zur Behandlung der NV-AMD in den letzten 12–24 Monaten zu verordneten Sehhilfen, zu einer visuellen Rehabilitation und zu Begleiterkrankungen enthielt. Die Kontrollpersonen wurden in 6 Allgemeinarztpraxen rekrutiert.

Die Befragung der Patienten erfolgte mit Hilfe von 3 validierten QoL-Fragebögen sowie 12 weiteren studienspezifischen Fragen, die Auskunft über die Nutzung der Ressourcen des Gesundheitswesens geben sollten. Der National Eye Institute Visual Function Questionnaire (NEI-VFQ-25), ein sehspezifischer Fragebogen zur Beurteilung der QoL, besteht aus einer Skala zum allgemeinen Gesundheitszustand und 11 auf das Sehvermögen bezogenen Skalen, deren Punktwerte von 0–100 reichen, wobei 100 den besten Funktionszustand anzeigt. Der Mittelwert der 11 auf das Sehvermögen bezogenen Skalen bestimmt den NEI-VFQ-25-Summenscore für jeden Patienten [12, 13]. Der EuroQol (EQ-5D), ein Fragebogen zur allgemeinen Lebensqualität, weist 5 Fragen zum Gesundheitszustand auf, die Auskunft über Mobilität, Selbstversorgung, Durchführung allgemeiner Tätigkeiten, Schmerzen oder körperliche Beschwerden und Ängste oder Niedergeschlagenheit einer Person geben [16]. Die Punktwerte für den Gesundheitszustand, die mit Hilfe einer referenzbasierten Gewichtung der einzelnen Items berechnet werden, reichen von −0,59 bis 1,00, wobei höhere Punktwerte eine bessere Lebensqualität anzeigen. Die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) umfasst 14 Fragen, die Auskunft über Auftreten und Grad von Angst und Depressionen bei einer Person geben. Die Summenwerte der Subskalen zur Angst und Depression reichen von 0–21, wobei höhere Punktwerte eine schlechtere geistige Gesundheit anzeigen [22]. Die studienspezifischen Fragen untersuchten die Prävalenz von Stürzen, sturzbezogenen Verletzungen und Behandlungen, für Depressionen/Ängste verordnete Arzneimittel und eine nicht das Sehvermögen betreffende ärztliche Behandlung. Die Patienten gaben darüber hinaus an, welche Hilfen sie bei den Aktivitäten des täglichen Lebens und welche sozialen Leistungen sie wegen ihrer Sehbehinderung erhielten.

Endpunkte

Primärer Endpunkt war der Unterschied der Lebensqualität zwischen den Patienten mit NV-AMD und den Kontrollpersonen auf der Basis des NEI-VFQ-25-Summenscores. Sekundäre Endpunkte waren die Bestimmung der QoL-Beeinträchtigung durch die NV-AMD mit Hilfe der Skalen EQ-5D und HADS sowie die Bestimmung des Ressourcenverbrauchs im Gesundheitswesen und die damit verbundenen jährlichen Kosten in der NV-AMD-Gruppe und der Kontrollgruppe. Außerdem wurde bei den Patienten mit NV-AMD der Zusammenhang zwischen dem Sehschärfegrad im besser sehenden Auge und der Lebensqualität untersucht.

Statistische Auswertung

Kontinuierliche Variablen der demographischen und klinischen Studienpopulation sowie des Resourcenverbrauchs werden mit Mittelwert und Standardabweichung dargestellt. Der Vergleich zwischen den Gruppen erfolgte mit einfaktorieller Varianzanalyse. Für kategorielle Variablen wurden die Häufigkeiten und Prozente berechnet, der Vergleich der Gruppen erfolgte mit Fisher’s exaktem Test.

Die Vergleiche der Gruppen hinsichtlich der QoL-Summenscores aller 3 Fragebogen erfolgte mit Hilfe von Varianzanalyse-Modellen, die die Faktoren Alter (<70, ≥70), Geschlecht, visusbezogene Begleiterkrankungen (ja/nein) und andere Begleiterkrankungen (0, 1, 2, 3 oder 4+) berücksichtigten. Die Ergebnisse werden als adjustierte Mittelwerte mit 95%-Konfidenzintervall (KI) dargestellt. Die Tests wurden auf einem Signifikanzniveau von 0,05 durchgeführt und waren nicht für multiple Vergleiche adjustiert. Die Analyse wurde von Covance Inc. (Gaithersburg, Maryland, USA) mit der PC-SAS Version 9.1 (SAS Institute, Cary, North Carolina, USA) durchgeführt.

Ökonomische Analyse

Die Bestimmung der sozioökonomischen Kosten der Erkrankung erfolgte aus der Perspektive der Gesellschaft. Die Kosten schlossen das Sehvermögen betreffende direkte medizinische Kosten (visuelle Rehabilitation, das Sehvermögen betreffende Geräte, Besuche beim Augenarzt, Brillen oder Kontaktlinsen, Beurteilungen durch einen Netzhaut-Spezialisten, diagnostische Tests, frühere Behandlungen der NV-AMD), nicht das Sehvermögen betreffende direkte medizinische Kosten (Verletzungen im Zusammenhang mit Stürzen, Behandlung von Angst/Depressionen, nicht das Sehvermögen betreffende ärztliche Behandlungen) sowie direkte nichtmedizinische Kosten (erhaltene Hilfe für Alltagsaktivitäten, erhaltene soziale Leistungen) ein.

In Tab. 1 wird ein Überblick über die Kosteneinheiten für alle Arten von Resourcen des Gesundheitswesen gegeben, die von NV-AMD-Patienten genutzt wurden. Die Werte basieren auf dem „Einheitlichen Bewertungsmaßstab“ der „Kassenärztlichen Bundesvereinigung“ (http://www.kbv.de/ebm2000plus/EBMGesamt.htm, Zugriff am 28. Oktober 2005), dem Webgrouper für Diagnosis Related Groups aus dem Jahr 2005 der Universität Münster (http://drg.uni-muenster.de/index.html, Zugriff am 28. Oktober 2005) und der Roten Liste aus dem Jahr 2005 (http://www.rote-liste.de, Zugriff am 28. Oktober 2005). Die jährlichen Kosten je Patient wurden durch Multiplikation der Anzahl der genutzten Ressourceneinheiten mit den Kosteneinheiten und anschließende Aufsummierung der Kosten aller Kategorien der Ressourcennutzung berechnet.

Tab. 1 Kosteneinheiten der durch NV-AMD-Patienten in Anspruch genommenen Ressourcen

Ergebnisse

Demographische und klinische Merkmale

Die Datenerhebung erfolgen von April bis Oktober 2005.

Von 94 bzw. 103 Personen, die in die Studie eingeschlossen wurden, konnten 83 Patienten mit NV-AMD und 93 Kontrollpersonen ausgewertet werden. 11 Patienten und 10 Kontrollpersonen waren für die Befragung nicht erreichbar. Die Patienten der NV-AMD-Gruppe waren signifikant älter als die Personen der Kontrollgruppe (Durchschnittsalter: 77,2 vs. 63,8; p<0,0001) und die NV-AMD-Gruppe enthielt signifikant mehr Frauen als die Kontrollgruppe (63,9 % vs. 58,1 %). Es wurden nur Personen kaukasischer Abstammung eingeschlossen (Tab. 2). In Tab. 2 sind Angaben zur Sehschärfe (Angabe als Dezimalzahl, gemessen nach Snellen) des besser sehenden Auges bei Studienbeginn, zur Sehschärfe bei Diagnosestellung der NV-AMD und zu den Begleiterkrankungen nach Studiengruppe enthalten.

Tab. 2 Demographische und klinische Merkmale der Studienpopulation

Einfluss der neovaskulären AMD auf die Lebensqualität

Die Patienten mit NV-AMD wiesen auf der Basis der Ergebnisse des NEI-VFQ-25 eine deutlich verminderte sehspezifische Lebensqualität auf. Der adjustierte mittlere NEI-VFQ-25-Summenscore betrug für alle NV-AMD-Patienten 51,3 (KI: 37,7; 64,9) und in der Kontrollgruppe 96,3 (KI: 82,8; 109,9; p<0,0001; Tab. 3, Abb. 1). In der Kategorie allgemeiner Gesundheitszustand schnitt die NV-AMD-Gruppe signifikant schlechter ab (adjustierter Mittelwert: 62,7; KI: 41,6; 83,8) als die Kontrollgruppe (adjustierter Mittelwert: 76,9; KI: 55,9; 97,9; p=0,0013; Tab. 3). Der Altersunterschied zwischen den Gruppen wurde durch Einschluss des Faktors Alter in die Varianzanalyse berücksichtigt. Um Ergebnisse der 3 QoL-Messinstrumente vor dem Hintergrund der signifikanten Altersdifferenz zwischen den Patienten mit NV-AMD und den Kontrollpersonen noch einmal zu bestätigen, wurde eine Post-hoc-Analyse mit in Bezug auf das Alter angepassten Kontrollgruppen (Alter >70 Jahre, n=24, Durchschnittsalter=75; und Alter >75 Jahre, n=12, Durchschnittsalter=78) durchgeführt. Die Ergebnisse der Subgruppenanalyse gaben keinen Hinweis auf einen Einfluss des Alters auf die Studienergebnisse (Tab. 3). Alle Summenscores der NEI-VFQ-25-Subskalen fielen in der NV-AMD-Gruppe signifikant niedriger aus als in der Kontrollgruppe, was auf eine schlechtere QoL der AMD-Patienten hinweist (alle Kategorien p <0,01; Tab. 3).

Tab. 3 Parameter der Lebensqualität bei Patienten mit neovaskulärer altersabhängiger Makuladegeneration und Kontrollpersonen
Abb. 1
figure 1

NEI-VFQ-Gesamtscore: adjustierter Mittelwert (adjustiert für Alter, Geschlecht, visusbezogene Begleiterkrankungen und andere Begleiterkrankungen), 95%-KI

Der EQ-5D-Score zur Beurteilung des Gesundheitszustands fiel bei den NV-AMD-Patienten (adjustierter Mittelwert: 0,69; KI: 0,44; 0,93) signifikant niedriger aus als in der Kontrollgruppe (adjustierter Mittelwert: 0,79; KI: 0,55; 1,04) (Tab. 3). Es war kein Zusammenhang zwischen Index und Schweregrad der Beeinträchtigung der Sehschärfe zu erkennen (normal/mild: 0,78; moderate: 0,79; severe/blind: 0,67; p=0,201). Auf der Subskala HADS-Depression beschrieben die NV-AMD-Patienten signifikant mehr depressive Symptome als die Kontrollpersonen (adjustierte Mittelwerte/KI: 6,2/2,6; 9,7 vs. 2,7/−0,9; 6,2; p=<0,0001). Dagegen zeigte der Vergleich der Subskalen HADS-Angst zwischen den Gruppen keine statistische Signifikanz (6,7 vs. 5,2; p=0,054; Tab. 3).

Die Stratifikation nach dem Schweregrad in Bezug auf die Sehschärfe zeigte für die NV-AMD-Patienten bei Annäherung an Blindheit einen signifikanten Trend hin zu einer schlechteren QoL (NEI-VFQ-25-Summenscore, Varianzanalyse, p=0,011). Der NEI-VFQ-25-Summenscore lag bei Personen mit normaler Sehschärfe oder leichtem Sehverlust bei 58,8 (adjustierter Mittelwert) im Vergleich zu 34,9 bei solchen mit starkem Sehverlust oder Beinahe-Erblindung. In den Subskalen zu Nahaktivitäten, Fernaktivitäten und Rollenproblemen zeigte sich mit abnehmender Sehschärfe eine signifikante Verschlechterung des NEI-VFQ-25-Scores (Abb. 2). Der Summenscore der Subskala HADS-Depression stieg von normal/leicht bis stark/fast blind an (von 5,26 auf 7,64; nicht signifikant).

Abb. 2
figure 2

NEI-VFQ-Summenscore: adjustierte Mittelwerte (adjustiert für Alter, Geschlecht, visusbezogene Begleiterkrankungen und andere Begleiterkrankungen) nach AMD-Schweregrad (normal/leicht: Sehschärfe >20/80, n=33; mäßig: Sehschärfe 20/80–20/200, n=20; stark: Sehschärfe ≤20/200, n=26)

NV-AMD-assoziierte Begleiterkrankungen

Der Anteil der Patienten mit Glaukom, Katarakt und visusbezogenen Begleiterkrankungen war in der NV-AMD-Gruppe signifikant höher als in der Kontrollgruppe, was vor dem Hintergrund des höheren Alters in der NV-AMD-Gruppe zu erwarten war (Tab. 2). Der prozentuale Anteil der NV-AMD-Patienten mit Stürzen betrug das Dreifache dessen der Kontrollpersonen (13,3% vs. 4,3%; p=0,031). Etwa die Hälfte der Personen beider Gruppen, die stürzten, benötigte eine Therapie. Der Anteil der Patienten, die wegen Depressionen oder Angst einer Therapie bedurften, zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen (7,2% NV-AMD-Patienten vs. 12,9% Kontrollen).

Nutzung der Ressourcen des Gesundheitswesens

Wesentlich mehr NV-AMD-Patienten benötigten eine Hilfe bei den Alltagsaktivitäten (26,5% vs. 2,2%) und suchten Ophthalmologen (79,5% vs. 52,7%) und Optiker (50,6% vs. 39,8%) auf als die Personen der Kontrollgruppe. Ein in beiden Gruppen vergleichbarer Anteil erhielt eine nicht auf das Sehvermögen bezogene ärztliche Behandlung (>96%). 14 NV-AMD-Patienten (16,9%) erhielten soziale Leistungen wie Invaliden- oder Erwerbsunfähigkeitsrente, Fahrkostenzuschuss und Steuernachlass.

Die Patienten mit NV-AMD waren seit fast 2 Jahren (Mittelwert=23,6 Monate) bei ihrem aktuellen Netzhaut-Spezialisten in Behandlung und waren in den letzten 12 Monaten etwa 5-mal und in den letzten 24 Monaten insgesamt etwa 7-mal untersucht worden. Im Rahmen der in den letzten 12 Monaten erfolgten Arztbesuche war bei allen Patienten eine Spaltlampenuntersuchung, bei 66 (80%) eine Fundusphotographie und bei 78 (94,0%) eine Fluoreszeinangiographie vorgenommen worden. Die Anzahl dieser Untersuchungen betrug in den letzten 12 Monaten abhängig vom diagnostischen Verfahren 2,5–4,5 (Tab. 4). 30% der Patienten erhielten im besseren Auge Verteporfin allein (im Mittel 1,5 Behandlungen pro Jahr) und 16,9% der Patienten in Kombination mit intravitrealem Triamcinolon (im Mittel 1,1 Behandlungen pro Jahr) (Tab. 4).

Tab. 4 Parameter der Inanspruchnahme von Ressourcen des Gesundheitswesens in den vergangenen 12 Monaten in der Gruppe der Patienten mit neovaskulärer altersabhängiger Makuladegeneration und der Kontrollgruppe

Jährliche Kosten bei Patienten mit NV-AMD und Kontrollpersonen

Die jährlichen Kosten (Euro, 2005) für einen Patienten mit NV-AMD betrugen 9871 Euro (95%-KI: 7057; 12.686) und lagen damit mehr als 6-mal höher als bei Personen ohne NV-AMD (1559 Euro; 95%-KI: −3085, 6202; Tab. 5). Die Ressourcenzuteilung variierte in der NV-AMD-Gruppe in den 3 Kostengruppen: direkte nichtmedizinische Kosten (51%), das Sehvermögen betreffende direkte medizinische Kosten (34%) und nicht das Sehvermögen betreffende direkte medizinische Kosten (15%). In der Kontrollgruppe waren 90% der jährlichen Kosten auf nicht das Sehvermögen betreffende direkte medizinische Kosten zurückzuführen (Tab. 5).

Tab. 5 Durchschnittliche durch eine Inanspruchnahme der Ressourcen des Gesundheitswesens entstehende jährliche Kosten je Patient mit NV-AMD im Vergleich zu Kontrollpersonen

Die durchschnittlichen jährlichen nichtmedizinischen direkten Kosten je NV-AMD-Patient betrugen in Deutschland 5037 Euro (Tab. 5). Dieser wichtigste Kostenfaktor umfasste Hilfen bei den Alltagsaktivitäten (3608 Euro, 37 % der Gesamtkosten) und wegen der Sehbehinderung erhaltene soziale Leistungen (1429 Euro, 14 %). In der Kontrollgruppe betrugen diese Kosten nur 140 Euro oder 9 % der Gesamtkosten.

Das Sehvermögen betreffende direkte medizinische Kosten machten bei den Patienten mit NV-AMD 34 % (3321 Euro) der Gesamtkosten aus. In dieser Kategorie waren die Hauptkostenfaktoren Behandlungskosten (1565 Euro, insbesondere mit Verteporfin) und Kosten in Zusammenhang mit diagnostischen Maßnahmen (1355 Euro; Tab. 5).

Die nicht das Sehvermögen betreffenden direkten medizinischen Kosten umfassten ärztliche Behandlung, Verletzungen im Zusammenhang mit Stürzen, die Behandlung von Depressionen/Angst und regelmäßige Arztbesuche und machten durchschnittlich 1514 Euro oder 15 % der Gesamtkosten aus (Tab. 5). Im Vergleich dazu beliefen sich diese Kosten bei den Kontrollpersonen auf 1405 Euro oder 90% der Gesamtkosten. Hauptkostenfaktoren dieser Kategorie war eine nicht das Sehvermögen betreffende ärztliche Behandlung, die in der NV-AMD-Gruppe und der Kontrollgruppe für bis zu 15% bzw. 84% der Gesamtkosten verantwortlich war.

Diskussion

Die Studie untersuchte die funktionelle Gesundheit, Wohlbefinden und den Ressourcenverbrauch im Gesundheitswesen bei älteren Patienten mit der Diagnose NV-AMD im Vergleich zu einer Kontrollgruppe älterer Personen ohne NV-AMD. Sie war hierbei eine der ersten Studien, die gleichzeitig die durch die NV-AMD entstehenden klinischen, humanen und wirtschaftlichen Konsequenzen sowie die Ressourcen-Inanspruchnahme in einer deutschen Population untersuchte.

Die von den Patienten angegebene QoL und Inanspruchnahme der Ressourcen des Gesundheitswesens wurde mit Hilfe der Fragebögen/Skalen NEI-VFQ-25, HADS und EQ-5D sowie über studienspezifische Fragen bestimmt, die Auskunft über Stürze, sturzbezogene Verletzungen und über Hilfen bei Alltagsaktivitäten gaben. Der adjustierte Mittelwert für den NEI-VFQ-25-Summenscore betrug bei den NV-AMD-Patienten 51,3 und lag damit um 45 Punkte unter dem der Kontrollpersonen von 96,3 (relative Differenz 47%; p<0,0001), was auf eine signifikant schlechtere QoL hinweist. Dieses Ergebnis ist mit den Ergebnissen der NEI-VFQ-25-Entwicklungsstudie [12] und der Submacular Surgery Trial (SST) [14] vergleichbar, wenn auch in der vorliegenden Studie eine Alterskorrelation nicht nachgewiesen werden konnte, die in anderen Studien beschriebene wurde. Dieser Faktor könnte den Unterschied zwischen Konroll- und AMD-Gruppe evtl. vergrößern. Dieser Unterschied war signifikant und zeigte einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem AMD-Schweregrad und der über den NEI-VFQ-25-Fragebogen beurteilten Lebensqualität, wobei die QoL mit fortschreitender Verschlechterung der Sehschärfe hin zu einer Erblindung abnahm. Dies galt insbesondere für die Kategorien Nahaktivitäten, Fernaktivitäten und Rollenprobleme. Auch in der SST-Studie wurde eine Abnahme des NEI-VFQ-Summenscores mit abnehmender Sehschärfe beschrieben [14].

Die EQ-5D-Index zur Beurteilung des Gesundheitszustandes fiel bei den Patienten mit NV-AMD signifikant niedriger (schlechter) aus als bei den Personen der Kontrollgruppe (relative Differenz 12,7 %; p=0,036). Es war kein Zusammenhang zwischen Index und dem Schweregrad der Beeinträchtigung der Sehschärfe zu erkennen. Eine frühere Studie hatte ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen diesem Messinstrument und dem Grad einer Beeinträchtigung der Sehschärfe gezeigt, wobei die Autoren zu dem Schluss kamen, dass der EQ-5D keine ausreichend hohe Sensitivität für die Beurteilung des Gesundheitszustandes über unterschiedliche Schweregrade einer Beeinträchtigung der Sehschärfe besitzt [6]. Eine mögliche und gut nachvollziehbare Erklärung des fehlenden Zusammenhangs zwischen Grad der Visusminderung und Krankheitsgefühl kann aber auch sein, dass individuell jede Sehminderung als ein gravierendes Ereignis im Leben mit konsekutivem Krankheitsgefühl aufgefasst wird und eine extern durch den Untersucher definierte interindividuelle Skalierung der Visusminderung deshalb individuell natürlich als relativierender Faktor nicht zum Tragen kommt. Die NV-AMD-Patienten berichteten zudem über signifikant mehr depressive Symptome (HADS) als die Kontrollpersonen, was sehr wahrscheinlich eine Folge der verminderten Lebensqualität ist.

Die NV-AMD-Patienten berichteten darüber hinaus über mehr Stürze. Es wurde gezeigt, dass eine schlechte Sehschärfe das Risiko einer Person für einen Sturz signifikant erhöht [9, 11]. In dieser Studie berichteten 13,3% der NV-AMD-Patienten darüber, in den vergangenen 12 Monaten gestürzt zu sein, was dem Dreifachen der von den Kontrollpersonen angegebenen Häufigkeit entspricht (4,3%). Die NV-AMD-Patienten erhielten auch häufiger eine Hilfe bei Alltagsaktivitäten wie häusliche Pflege als die Patienten der Kontrollgruppe. Wie zu erwarten suchten NV-AMD-Patienten häufiger einen Ophthalmologen oder Optiker auf. Diese Studie zeigt, dass die Unterstützung von Personen, bei denen es durch eine NV-AMD zu fortschreitender Erblindung kommt, mit einer hohen Ressourcen-Inanspruchnahme verbunden ist.

Bislang wurden in Deutschland keine Untersuchungen zu im Zusammenhang mit einer NV-AMD auftretenden Kosten veröffentlicht, die auf einem prospektiven Studiendesign basieren. Unsere Studie ergab für ältere deutsche Patienten mit NV-AMD jährliche Kosten in Höhe von 9871 Euro (95%-KI: 7057; 12.686), was dem Sechsfachen der bei Personen ohne NV-AMD auftretenden Kosten von 1559 Euro entspricht (95%-KI: -3085; 6202). Nichtmedizinische direkte Kosten machten die Hälfte aller AMD-Kosten aus (51%), wobei Kosten für eine Hilfestellung im Alltag und soziale Leistungen die wichtigsten Kostenfaktoren in dieser Kategorie waren (3608 Euro und 1429 Euro).

Da diese Studie nur Kliniken und Patienten einschloss, die bereit waren, an der Untersuchung teilzunehmen, sind die Ergebnisse möglicherweise nicht für die gesamte NV-AMD-Population repräsentativ. Darüber hinaus blieb der große Teil der älteren Population, der in Pflegeheimen lebt, unberücksichtigt. Viele Patienten, die in Pflegeheimen leben, haben ihre Unabhängigkeit wegen einer Abnahme ihrer Sehschärfe verloren, sodass diese Studie die Sturzhäufigkeit und die damit verbundenen Konsequenzen sowie den Einfluss der NV-AMD in dieser Population möglicherweise unterschätzt [5].

Die Studie zeigt, dass die NV-AMD in Deutschland mit einer signifikanten humanen Belastung verbunden ist und dadurch die Bedeutung einer frühen Behandlung der Erkrankung anzustreben ist. Patienten mit NV-AMD weisen eine signifikant niedrigere QoL, eine schlechtere sehbezogene Leistungsfähigkeit, mehr depressive Symptome, mehr Stürze und Frakturen, eine höhere Abhängigkeit von Bezugspersonen und eine ausgeprägtere Inanspruchnahme von Ressourcen des Gesundheitswesens auf als Personen einer Kontrollgruppe ohne die Erkrankung. Daher ist es wichtig, das Bewusstsein in Bezug auf die humanen Aspekte der NV-AMD zu erhöhen, da die Belastung durch die Erkrankung mit zunehmender Alterung der Bevölkerung ansteigen wird. Eine frühe Diagnosestellung und Behandlung der NV-AMD könnten die Verschlechterung der Sehschärfe signifikant vermindern, dadurch das Wohlbefinden des Betroffenen erhalten und die gesundheitsbezogenen Kosten über die Lebenszeit vermindern.