Bei Patienten mit infantiler Zerebralparese (ICP) besteht häufig eine Dezentrierung der Hüftgelenke, die im Verlauf zunimmt und ohne adäquate Therapie nicht selten in einer hohen Hüftluxation endet. Aufwändige operative Rekonstruktionen der Hüftgelenke werden vor allem bei schwerst funktionell beeinträchtigten Tetraplegikern nicht konsequent durchgeführt. In diesen Fällen liegt häufig eine hohe Hüftluxation vor, die aus Gründen der drohenden Reluxation und des fraglichen funktionellen Gewinns nicht rekonstruiert wird. Die Inzidenz für Subluxationen und Luxationen bei Kindern mit ICP wird in verschiedenen Studien mit 2,6–75% angegeben [2, 6, 8]. Ursache der Hüftluxation bei Patienten mit ICP ist der erhöhte Muskelzug im pathologischen spastischen Muster. In verhältnismäßig kurzer Zeit kann bei einer primär gesunden Hüfte der Eintritt einer spastischen Lähmung über eine Dezentrierung zu einer Subluxation und im Laufe der Zeit zu einer hohen Hüftluxationen führen (Abb. 1). Im Zusammenspiel mit der kontrakten Muskulatur und den kontrakten gelenkumgebenden Weichteilen, Kapsel und Bändern, resultieren daraus fixierte Fehlstellungen. Klinisch zeigt sich dann häufig eine Windschlagdeformität mit Adduktionskontraktur des einen und Abduktionskontraktur des gegenseitigen Hüftgelenkes. Funktionell hat dies den Verlust von wichtigen Restfunktionen zur Folge. Bei zunehmender Hüftbeugekontraktur kann die Stehfähigkeit, welche Voraussetzung für eine Transferfähigkeit über den Stand mit einer Hilfsperson ist, verloren gehen. Da Patienten mit ICP eine nahezu normale Lebenserwartung haben, stellt gerade die Transferfähigkeit einen wichtigen funktionellen Teilaspekt dar. Die freie Beweglichkeit der Hüftgelenke ist ein wesentlicher Punkt für die Pflegbarkeit und Sitzfähigkeit und damit unmittelbar mit der Frage der Lebensqualität und der aktiven Teilnahme am täglichen Leben verknüpft. Kontrakturen mit Bewegungseinschränkungen erschweren die Betreuung und Pflege. Sie können zu erheblichen Schmerzen führen und somit die Lebensqualität der Patienten stark beeinträchtigen. Von den Angehörigen, der Pflege oder dem behandelnden medizinischen Personal wird wahrgenommen, dass 50–70% aller Patienten mit spastischer Hüftluxation an Schmerzen leiden [5]. Darüber hinaus können zunehmende Kontrakturen, wie die Adduktionskontraktur des Hüftgelenkes, die Körperpflege im Einzelfall so erschweren, dass Hautprobleme wie Intertrigo mit bakterieller oder Pilzinfektion auch bei noch so guter Pflege nicht zu verhindern sind.

Abb. 1
figure 1

Patientin mit Tetraspastik 5/94 im Alter von 10 Jahren

In der vorliegenden Arbeit werden die einzelnen Therapieoptionen mit der Indikation, Technik und den Ergebnissen vorgestellt.

Material und Methoden

Kopfhalsresektion und Angulationsosteotomie

Der ersten Gruppe wurden Patienten mit ICP zugeordnet, die in den Jahren 1969–1997 in der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg mit einer Kopfhalsresektion oder einer Angulationsosteotomie behandelt worden waren. Insgesamt wurde 34-mal eine Kopfhalsresektion und 10-mal eine Angulationsosteotomie durchgeführt. Ziel der Eingriffe war die Schmerzreduktion sowie die Beseitigung der Kontrakturen. Dadurch sollte die Pflege, die Lagerung, das Sitzen sowie die Steh- und Transferfähigkeit erhalten oder wiederhergestellt werden. Postoperativ wurde zunächst ein Becken-Bein-Gips angelegt und früh mit einer physiotherapeutischen Behandlung begonnen. Bei 18% der Kopfhalsresektionen erfolgte postoperativ eine Radiatio mit 4–5 Gray, um heterotope Ossifikationen in ihrem Ausmaß zu begrenzen.

Bei der Kopfhalsresektion wird über einen lateralen Zugang nach T-förmigem Eröffnen der Kapsel das Ligamentum capitis femoris reseziert. Nachdem die Muskulatur vom Trochanter major entfernt worden ist, wird das Hüftgelenk vollständig luxiert. Die Resektion kann im Bereich des lateralen Schenkelhalses, intertrochantär oder subtrochantär erfolgen. Um sekundäre Kontrakturen oder Probleme mit dem proximalen Stumpf des Femur zu vermeiden, sollte in der Regel der subtrochantären Resektion der Vorzug gegeben werden. Eventuelle Osteophyten an der Pfanne werden abgetragen und die Ostetomieränder geglättet. Mit der Kapsel und der Glutealmuskulatur wird die Pfanne aufgefüllt. Der proximale Femurstumpf wird mit der Quadrizepsmuskulatur gedeckt. In den letzten Jahren haben wir damit begonnen, den Hüftkopf mit zwei Drahtcerclagen auf dem Femurstumpf zu befestigen, um damit eine flächigere Abstützung zu erreichen und einen positiven Einfluss auf Ossifikationen und Schmerzverlauf auszuüben.

Die Angulationsosteotomie erfolgt in aller Regel ohne Eröffnung des Hüftgelenks. Entsprechend der präoperativen Planung wird subtrochantär ein lateral-dorsal-basiger Knochenkeil entnommen. Der dadurch entstehende Winkel sollte 40–50° betragen. Damit kann die meist gleichzeitig bestehende Adduktionskontraktur korrigiert werden. Vor der Fixation einer vorgebogenen DC-Platte kann eine evtl. notwendige Derotation erfolgen. Für das Hüftgelenk ist die Angulationsosteotomie eine adduzierende Osteotomie. Idealerweise stützt sich der Trochanter minor danach am Becken ab (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Angulationsosteotomie bei hoher Hüftluxation

Rekonstruktion

Die zweite Patientengruppe umfasste 96 Patienten, bei denen im Zeitraum von 1990–1999 in der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg bei hoher Hüftluxation eine Rekonstruktion erfolgt war. Die Grunderkrankung war in allen Fällen eine ICP: in 63 Fällen mit dem klinischen Bild einer Tetraparese, in 14 Fällen einer Diparese und in 19 Fällen mit einem anderen Lähmungsmuster. Die Patienten waren funktionell schwer beeinträchtigt. In den meisten Fällen fanden sich ausgeprägte Kontrakturen.

Insgesamt wurden 111 Beckeneingriffe durchgeführt: 61 Osteotomien nach Salter, 17 periazetabuläre Osteotomien nach Pemberton, 29 Tripleosteotomien und 4 Osteotomien nach Chiari (Abb. 3). Die knöchernen Rekonstruktionen wurden häufig in Kombination mit Mehretagenkorrekturoperationen durchgeführt. Zusätzlich erfolgten neben einer Verkürzungsosteotomie des proximalen Femurs Weichteileingriffe wie der Rektustransfer nach medial, die Psoasresektion, die offene Kniebeugesehnenverlängerung oder die Ablösung der ischiokruralen Muskulatur proximal. Bei Patienten, die gehfähig sind, wird in der präoperativen Diagnostik eine instrumentelle Ganganalyse standardmäßig eingesetzt.

Abb. 3
figure 3

Beckeneingriffe der Gruppe 2 (n=111)

Auswertung

Im Rahmen einer retrospektiven Analyse der klinischen und radiologischen Patientendokumentation wurde das Kollektiv in Hinblick auf Revisionseingriffe sowie die Transfer- und Gehfähigkeit nachuntersucht.

Ergebnisse

In der ersten Gruppe konnte bei insgesamt 74% der Patienten, die mit einer Kopfhalsresektion versorgt worden sind, und bei 80% der Patienten, bei denen eine Angulationsosteotomie erfolgte, ein gutes bis befriedigendes Ergebnis erreicht werden. Bei insgesamt 20% der Patienten kam es im postoperativen Verlauf zu einer Funktionsverschlechterung. Gemessen an dem in der Regel funktionell schlechten Ausgangsbefund stellt dies einen akzeptablen Anteil dar. Die postoperative Beweglichkeit des Hüftgelenks war für die Bewertung des Befundes der am meisten gewichtete Parameter. Bei fast allen Patienten konnte eine Beugefähigkeit von 90° und somit die Sitzfähigkeit erreicht werden. Ein Drittel der Patienten zeigte eine Abduktionsfähigkeit von 10°, dadurch wurde die Pflege deutlich erleichtert. In 66% der Fälle ließ sich eine deutliche Schmerzreduktion und somit eine Verbesserung der Alltagsaktivitäten und des subjektiven Wohlbefindens erreichen.

Die Ergebnisse in der zweiten Gruppe waren ähnlich gut. Von den untersuchten 96 Patienten konnte bei 41 Patienten die Transferfähigkeit postoperativ erhalten oder erreicht werden. Freies Gehen oder Gehen am Rolator ließ sich bei 13 Patienten erreichen. Zwei Patienten, die im Alter von 22 und 16 Jahren operiert worden waren, konnten postoperativ nicht mehr frei stehen, obwohl es Ihnen präoperativ möglich war. Ein Patient konnte zunächst postoperativ kurze Gehstrecken frei gehen, hat diese Fähigkeit aber wieder verloren. Bei drei Patienten kam es zu einer Reluxation, bei zwei Patienten war im postoperativen Verlauf zusätzlich ein Weichteilrelease notwendig. In Abb. 4 und 5 ist der postoperative Röntgenbefund der Patientin mit Tetraspastik und hoher Hüftluxation von Abb. 1 und der radiologische Verlauf 4 Jahre postoperativ dargestellt. Intraoperativ zeigten sich die unterschiedlichsten Stadien der Hüftkopfzerstörung (Abb. 6).

Abb. 4
figure 4

Postoperativer Befund nach beidseitiger Rekonstruktion bei der Patientin von Abb. 1 im Alter von 11 Jahren

Abb. 5
figure 5

Patientin von Abb. 1 und 4 im Alter von 14 Jahren

Abb. 6
figure 6

Hüftkopf: intraoperatives Präparat nach Resektion, Deformierung und Knorpeldefekt sind deutlich erkennbar

Diskussion

Die Behandlung der Hüftgelenkdezentrierungen und -luxationen stellt eine zentrales Problem bei der Behandlung von Patienten mit ICP dar. Aufwändige operative Rekonstruktionen der Hüftgelenke werden vor allem bei schwerst funktionell beeinträchtigten Tetraplegikern nicht konsequent durchgeführt mit der Begründung, dass der funktionelle Gewinn vergleichbar gering und die Langzeitprognose ungewiss sei [3, 4]. Die gute Hüftgelenkbeweglichkeit ist die Vorraussetzung für die Transfer- und Stehfähigkeit, die Sitzfähigkeit sowie die Pflegbarkeit. Der Erhalt dieser Funktionen ist gerade bei schwer beeinträchtigten Tetraspastikern wichtig, um deren Tätigkeiten im täglichen Leben zu erhalten oder zu ermöglichen und eine möglichst hohe Lebensqualität zu erreichen. Dies rechtfertigt unserer Meinung nach auch einen höheren operativen Aufwand.

Eine häufig angewendete Methode der Hüftstabilisierung ist die Weichteilverlängerung, die Adduktorentenotomie, die in manchen Fällen mit einer zusätzlichen proximalen Femurosteotomie kombiniert wird. Während einige Autoren dabei von sehr guten Erfolgsraten berichten [7, 11], haben Turker u. Lee [12] bei längerfristigen Nachuntersuchungen von Kindern mit ICP, bei denen bilaterale Adduktorentenotomien durchgeführt worden waren, eine Misserfolgsrate von 58% festgestellt. Andere Studien belegen, dass mit komplexen Hüftrekonstruktionen längerfristig eine Stabilität des Hüftgelenks erzielt werden kann [1, 2]. Dabei werden Beckenosteotomien mit varisierenden, derotierenden und verkürzenden Femurosteotomien sowie Weichteileingriffen kombiniert.

Die Indikation zur operativen Rekonstruktion in Fällen der hohen Hüftluxation bei ICP sollte frühzeitig gestellt werden; alleinige Weichteileingriffe haben sich im Langzeitverlauf nicht bewährt. Das Risiko eines Funktionsverlusts oder postoperativ persistierender Schmerzen steigt mit zunehmendem Alter. Um die basalen Funktionen, d. h. die Sitzfähigkeit, Pflegbarkeit sowie die Steh- und Transferfähigkeit, zu erhalten, muss die Indikation auch bei schwer beeinträchtigten Patienten gestellt werden. In der vorliegenden Untersuchung zeigten sich günstige Ergebnisse bezüglich des Reluxationsrisikos.

In der Literatur liegen über die Behandlung alter Hüftluxationen bei Patienten mit ICP wenige Berichte vor. Über Langzeitergebnisse findet sich keine Arbeit mit größerer Patientenzahl.

Samilson et al. [9] berichteten über eine Verbesserung der Symptomatik einer Hüftluxation bei Patienten mit ICP nach Angulation, wobei die Operationstechnik vergleichbar ist. Andere Autoren haben sogar die prophylaktische Angulationsosteotomie bei schweren Tetraparesen empfohlen [10]. Insgesamt sollte bei entsprechendem klinischen Befund mit freier Beugefähigkeit in der Adduktionsstellung des Hüftgelenks der Angulationsosteotomie der Vorzug gegeben werden. Die Kopfhalsresektion kann danach bei ungünstigem Ergebnis immer noch angeschlossen werden. Letztere scheint ein höheres Risiko für die Ausbildung von heterotopen Ossifikationen darzustellen. Hier kann als Prophylaxe eine postoperative Radiatio durchgeführt werden. Eine Modifikation der Operationstechnik mit einer Stumpfkappenplastik mit dem entnommenen Hüftkopf wurde in Einzelfällen angewendet; über die Ergebnisse und das Risiko der Bildung von heterotopen Ossifikationen kann aber noch keine endgültige Aussage getroffen werden. Insgesamt sollte unabhängig von der angewendeten Operationstechnik in der Nachbehandlung sowohl in der Rückenlagerung als auch im Sitzen eine leichte Längsextension auf das Femur ausgeübt werden.

Fazit für die Praxis

Die Angulationsosteotomie und Kopfhalsresektion sowie die proximale Femurresektion sind sinnvolle und adäquate Therapieoptionen in der Behandlung alter hoher Hüftluxationen bei älteren Patienten mit ICP. Mit diesen Verfahren können die Schmerzen reduziert sowie die Sitzfähigkeit und Pflegbarkeit erhalten oder erreicht werden. Sie stellen jedoch nur Rückzugsverfahren für die Fälle dar, wenn eine Rekonstruktion nicht mehr möglich sein sollte oder bereits erfolgt ist und erneut Schmerzen oder eine Luxation aufgetreten sind. Da Patienten mit ICP ein immer höheres Lebensalter erreichen, sollte bei hoher Hüftluxation möglichst früh die operative Rekonstruktion angestrebt werden.