Simons u. Mense [4] definieren 1998 in der Zeitschrift „Pain“: „Muscle tension“ (für Muskelspannung) als

„Measurable sources of muscle tension include viscoelastic tone, physiological contracture (neither of which involve motor unit action potentials), voluntary contraction, and muscle spasm“.

Voraussetzungen der Erfassung von Muskelspannung mit der Hand

In der manuellen Medizin dient die Untersuchung der Muskelspannung zur Diagnostik und Kontrolle des Behandlungserfolgs.

Der Begriff „Muskelspannungserhöhung“ trifft eine Aussage über die Zunahme einer die Muskelspannung charakterisierenden Größe im Vergleich zu einem Normbereich dieser Größe.

Wir haben also sowohl über den Charakter dieser Größe eine Aussage zu treffen, als auch über den als Vergleich herangezogenen Normbereich.

Eine bisher im Glossar der Ärztevereinigung für Manuelle Medizin gegebene Definition zur Muskelspannung lautet:

Muskelspannung, posturale: die bei aufrechter Körperhaltung höhere Spannung der Muskulatur im Vergleich zum bequemen Liegen“.

Dies ist zunächst pragmatisch ausreichend und bietet ein Vergleichskriterium.

Spannung charakterisiert im Allgemeinen eine Kraft, hier vielleicht die Kraft, die der Muskel einer äußeren, auf ihn dehnend einwirkenden Zugkraft entgegensetzt. In der Muskelphysiologie finden wir dies in den so genannten Dehnungskurven, mit der Muskellänge als x-Achse und der Kraft (das dehnende Gewicht) als y-Achse, welche gleich der Muskelspannung (Gegenkraft) ist. Auch ein nicht aktiver, ruhender Muskel setzt einer dehnenden Kraft eine Spannung entgegen. Diese kann bei verschiedenen Personen an homonymen Muskeln unterschiedlich sein. Nach Dehnung ist eine kurzzeitige Verschiebung der Ruhedehnungskurve nach rechts möglich. Diese auch am isolierten Muskel messbare Spannung muss von dem so genannten Reflextonus als unwillkürlichem Spannungstonus tonischer asynchron aktiver motorischer Einheiten unterschieden werden, der neurogener Natur ist und unterschiedlicher Ursache sein kann.

Palpation als Messverfahren

Um die Messgröße für Muskelspannung zu beschreiben, muss also das Messverfahren beschrieben werden.

Das Messverfahren zur Bestimmung der Muskelspannung in der manuellen Medizin ist die Palpation mit der erfahrenen Hand eines geübten Untersuchers. Bei der Palpation übt der Untersucher einen Druck auf den zu untersuchenden Muskel und die über diesen bzw. mit ihm verbundenen Strukturen aus. Der Muskel und diese Strukturen setzen dem Palpationsdruck einen Widerstand entgegen, den der Untersucher (subjektiv) bewertet. Für die Bewertung nutzt das Gehirn des Untersuchers die Informationen aus den Sensoren seiner Haut, der Propriozeptoren seiner bei der Palpation eingesetzten Muskeln und anderer an der Palpation beteiligter Strukturen (Sehnen, Bindegewebe, Gelenke) unter Berücksichtigung des für die Palpationsbewegung eingesetzten motorischen Programms [1]. In die Bewertung selbst gehen Erfahrung, sensomotorische Fähigkeit sowie Zusatzinformationen verschiedenster Art ein, welche die Subjektivität der Messgröße bedingen.

Wenn keine Vergleichsituation wie in obiger Definition (z. B. bequemes Liegen) genannt ist, kann z. B. ein Vergleich mit der kontralateralen Seite oder einem erinnerten früher festgestellten Zustand vorgenommen werden. In den meisten Fällen handelt es sich aber wohl um einen Vergleich mit dem subjektiven Erfahrungswert des geübten Untersuchers.

In den meisten Fällen hat die mittels Palpation beurteilte Muskelspannung auch keinen numerischen Wert, meist nicht einmal einen skalierten Wert, sondern es wird nur über eine Spannungserhöhung ( bzw. -zunahme) oder Spannungsminderung (bzw. -abnahme) berichtet.

Ausführliche Literatur zum geschichtlichen Werden des Begriffs findet sich in den Beiträgen von Viol und Laube [3,5].

Nach diesen einleitenden Bemerkungen zum methodischen Hintergrund sollen nun die Ursachen für die Muskelspannung analysiert werden.

Muskelspannung – eine Definition für den praktischen Zweck?

Simons u. Mense definieren 1998 in der Zeitschrift „Pain“: „Muscle tension“ (für Muskelspannung) als

„Measurable sources of muscle tension include viscoelastic tone, physiological contracture (neither of which involve motor unit action potentials), voluntary contraction, and muscle spasm“ [4].

Diese Definition für Muskelspannung beinhaltet demzufolge Ursachen/Komponenten ohne und mit Aktionspotenzialen von den α-Motoneuronen sowie aus willkürlichen und unwillkürlichen Kontraktionen. Aus diesem Grunde wird auch von „passivem Muskeltonus“ und „aktivem Muskeltonus“ gesprochen.

Janda (1991) geht bei der Suche nach Ursachen für schmerzauslösende Muskelspannung von einem holistischen Prinzip aus, nach dem der ganze Körper nach Ursachen analysiert werden muss, um letztlich auch bei der Behandlung ganzheitlich vorgehen zu können [2]. Auch er verweist darauf, dass die Verwendung der Begriffe „Muskeltonus“ und „Muskelspannung“ inklusive der englischen Begriffe nicht standardisiert wissenschaftlich ist, sondern dass diese von den einzelnen Autoren als Arbeitsbegriffe methodenabhängig verwendet werden. Eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Typen von Muskelspannungserhöhung hat aber großen praktischen Wert für die Diagnostik und Therapie. Janda hat fünf Typen einer Muskelspannungserhöhung vorgeschlagen (Tab. 1).

Tab. 1 Erhöhte Muskelspannung nach Janda (1991)

Es soll nun im Folgenden versucht werden, anhand der physiologischen Gegebenheiten und anhand der pathophysiologischen Erscheinungen die am Zustandekommen palpapler oder messbarer Spannung im Muskel beteiligten Mechanismen auf den verschiedenen Ebenen zu untersuchen. In Anlehnung an die Aufstellung von Janda möchten wir eine für Befunderhebung und Therapie praktikablere begriffliche Gliederung vorschlagen (Tab. 2).

Tab. 2 Erhöhte Muskelspannung entsprechend ihrer Ursache

Palpabler Befund – physiologische Gegebenheiten, pathophysiologische Erscheinungen

Bei unserer Analyse beginnen wir in der Reihenfolge wie in Tab. 2 dargestellt, also in der Peripherie.

Ursachen/Komponenten der Muskelspannung ohne Aktivität der α-Motoneurone

Die extramuskelzelluläre Komponente der Muskelspannung

Viskös-elastische Komponenten

Da in der manuellen Medizin die Muskelspannung nicht am isolierten Muskel untersucht wird, gehen in den Palpationsbefund nicht nur viskös-elastische Komponenten des Muskels selbst, sondern auch der Spannung der Gewebe (Gewebsspannung) der über dem Muskel liegenden Strukturen wie auch der direkt mit dem Muskel verbundenen Strukturen mit ein.

Dazu gehören die Haut mit all ihren Schichten, das Bindegewebe in Form von Hüllen, Faszien und je nach Palpationsort evtl. auch Sehnen und Bänder, Fettgewebe, Blutgefäße (Arterien, Venen, Kapillaren) und Nerven.

Der dem Palpationsdruck entgegenstehende Widerstand entsteht hier hauptsächlich durch den Flüssigkeitsgehalt der Zellen (intrazellulär) und den Flüssigkeitsgehalt der Zwischenzellräume (extrazellulär) sowie die Durchblutung (intravaskulär). Natürlich gehen die Beschaffenheit der Haut und des Bindegewebes ebenfalls ein.

Zumindest beim Füllungszustand der Gefäße und bei der Kapillardurchblutung ist gesichert, dass der Spannungszustand der glatten Muskelzellen beteiligt ist. Sowohl über den sympathischen Zweig des autonomen Nervensystems als auch vaso- und neuroaktive Substanzen aus den Geweben und aus dem Immunsystem wird die Vasomotorik beeinflusst. Dieser Faktor sollte unter der Alltagsbelastung bei meist abnehmenden konditionellen Voraussetzungen nicht unterschätzt werden. Die einzelnen Strukturen sind natürlich auch unterschiedlich ausgeprägt, entsprechend ihrer funktionellen Anpassung oder konstitutionell bedingt.

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass die einzelnen Komponenten der elastischen Rückstellkräfte mit unterschiedlicher Geschwindigkeit verlaufen können. Bei sehr langsamem Verlauf kann so ein Rückstand der Verformung (Hysterese) bleiben, der dann als plastische Komponente des Palpationswiderstands bezeichnet werden müsste.

Der viskös-elastische Anteil, dessen Ursache nicht in den Muskelfasern selbst, aber im mit dem Muskel funktionell verbundenen Gewebe liegt, könnte als extramyofibrilläre Komponente der Muskelspannung bezeichnet werden. Sie ist beim Muskel in situ durchaus eigenständig und nicht grundsätzlich funktionell mit den anderen Komponenten der Muskelspannung verbunden.

In der manuellen Diagnostik zu beachten:

Eine längerfristige Spannungszunahme im Bereich der extramuskelzellulären Komponenten geht meist mit Veränderungen der Zellstruktur oder des Bindegewebes einher. Kurzfristigere Spannungsänderungen sind eher auf Änderungen im Zellstoffwechsel, dem Stoffaustausch oder in der der Blutversorgung zu suchen. Dementsprechend ist dann logischerweise hier auch die therapeutische Wirkung zu vermuten. Eine chronobiologische Abhängigkeit ist hochwahrscheinlich.

Die myofibrilläre Komponente der Muskelspannung

Die kontraktilen Proteine Aktin und Myosin sind im Skelettmuskel streng strukturiert angeordnet. Aus dieser Strukturierung ergibt sich das mikroskopische Erscheinungsbild der Querstreifung, in der der Name „quergestreifter Muskel“ seinen Ursprung hat. Da Aktin und Myosin bei allen Tierarten und sogar in einzelnen Zellen, deren Funktion mit einer Bewegung verbunden ist, die eine Bewegung ermöglichende biochemische Struktur sind, müssen wir etwas näher auf den inneren Aufbau des Muskels eingehen.

Eine Muskelzelle ist in ihrem Inneren aus vielen Myofibrillen aufgebaut, die 1 μm dick sind und als lange dünne Fasern so lang wie die Muskelzelle selbst sind. Die Myofibrille hat einen regelmäßigen Aufbau aus völlig gleich strukturierten Abschnitten, den Sarkomeren. Diese stellen die kontraktilen Einheiten einer Muskelfaser dar. Millionen Sarkomere sind in Serie hintereinander geschaltet. Die Myofibrillen sind genau parallel ausgerichtet und bedingen so die Querstreifung, die durch Doppelbrechung des Lichts im Bereich der Myosinfilamente (A-Bande; A=anisotrop) zustande kommt. Der schematische Aufbau eines Sarkomers ist meist in jedem Buch über die Muskulatur oder Muskelfunktion gut bildlich dargestellt.

Neben den beiden Filamenten der kontraktilen Proteine Aktin (9 nm dick) und Myosin (15 nm dick) ist ein weiteres Filament, das Titin (1 μm lange Moleküle) als Strukturprotein für die Längenänderung und Stabilität des Sarkomeres von Bedeutung. Wegen seiner Elastizität hat Titin energiespeichernde Eigenschaften.

Weitere Proteine einer Myofibrille sind die regulativen Proteine Troponin und Tropomyosin sowie die Bindungsproteine α-Actinin, Myomesin, Myosinbindungsprotein C u.a. Das Titin hat elastische Eigenschaften, es hält die dreidimensionale filamentäre Struktur im Sarkomer unabhängig von dessen Länge aufrecht. Die Titinmoleküle haben die Eigenschaft, sich im Abschnitt zwischen Myosinfilamenten und dem Ende des Sarkomers (I-Bande; I=isotrop; Raum zwischen den Aktinfilamenten zweier Sarkomere) zusammenzufalten oder aufzufalten, je nachdem, ob sich das Sarkomer bei Muskelkontraktion verkürzt oder bei Muskeldehnung durch das Gegeneinandergleiten der Filamente (Theorie der gleitenden Filamente) verlängert.

Die Funktion des Muskels, chemisch gespeicherte Energie in mechanische Energie umwandeln zu können, vollzieht sich in den Sarkomeren.

Querbrückenzyklus – Erzeugung von Kraft und Bewegung

In einem regelmäßigen Zyklus verbinden sich die Bindungsstellen an den „Myosinköpfen“ mit denen an den Ketten der Aktinfilamente zu so genannten „Querbrücken“ und lösen sich wieder. Im Verlauf dieses Zyklus kommt es zu folgenden Vorgängen:

  • Konformationsänderungen am Myosinfilament (Änderung des Winkels zwischen Myosinkopf und übrigem Myosinfilament) während der Querbrückenphase, wodurch die Myosin- und Aktinfilamente gegeneinander verzogen werden (die Aktinfilamente gleiten zwischen die Myosinfilamente);

  • Energiefreisetzung aus dem energiereichen Adenosintriphosphat (ATP), das durch am Myosinkopf vorhandene Fermente (ATPase) gespalten wird.

ATP-ADP-Zyklus – Bereitstellung wandelbarer chemischer Energie

Adenosintriphosphat muss ständig wieder aufgebaut werden, dafür ist ein Nachschub an chemischer Energie zu sichern. ATP kann kurzfristig vom ADP unter Verwendung der Energie aus Kreatinphosphat und mittelfristig über Energiegewinnung aus anaerober Glykolyse (unter Bildung von Laktat und Absenkung des pH-Werts) regeneriert werden. Langfristig funktioniert dies aber nur durch Energie aus der oxidativen Phosphorylierung, das heißt durch „Verbrennung“ von Kohlehydraten und Fetten unter ständigem Verbrauch von Sauerstoff, wobei Wasser und CO2 entstehen. CO2 muss als Stoffwechselendprodukt entfernt werden.

Die Variation der Spannung, wie sie bei einer vom α-Motoneuron über Aktionspotenziale ausgehenden Kontraktion entsteht, werden in weiter unten stehenden Abschnitten beschrieben.

In der manuellen Diagnostik zu beachten:

Auch bei der Muskelzelle spielt die Zellspannung durch Struktur und Sarkoplasma bei der Palpation eine Rolle.

Die inneren Strukturen der Strukturproteine und der kontraktilen Proteine im Kontraktionsvorgang bilden die eigentliche Quelle der Muskelspannung. Die kleinste Einheit für die nur dem Muskel eigene Spannung ist die Querbrücke zwischen Myosinkopf und Aktin.

ATP-Mangel

ATP-Mangel führt zu einer dauerhaften Verbindung zwischen Aktin und Myosin zu Aktomyosin. Wenn genügend ATP vorhanden ist, können sich die Querbrücken wieder lösen. Man bezeichnet deshalb das ATP auch als „Weichmacher“. ATP wird nach dem Tode nicht mehr hergestellt, und der ATP-Mangel führt dabei zur Totenstarre.

ATP-Mangel kann bei starken Erschöpfungszuständen entstehen, wie z. B. nach langen Läufen oder Märschen, auch dabei kann ein erhöhter Spannungszustand festgestellt (der Muskel ist hart) werden. Es erscheint denkbar, dass unter bestimmten Umständen ATP-Mangel durch ungenügende Energiezufuhr zum Muskel oder im Muskel lokal begrenzt entstehen kann.

ATP wird direkt an den Myosinköpfen gespalten. Die Verbrennung von Kohlehydraten und Fetten geschieht aber in den Mitochondrien. Über ein intrazelluläres Transportsystem („NADH-Shuttle“) wird die gespeicherte Energie von den Mitochondrien zwischen die Aktin- und Myosinfilamente transportiert.

Bei unterschiedlicher Sarkomerlänge könnte es möglich sein, dass die intrazellulären Transportwege unterschiedlich frei sind. Durch Blockierung des intrazellulären Transports kann es ebenfalls zu lokal unterschiedlichen pH-Wert-Veränderungen kommen. Auf die unbedingt notwendige Voraussetzung einer ausreichenden Sauerstoffzufuhr (Sauerstoffaufnahme, Hämoglobinmenge als Transportkapazität, lokale Durchblutung, Diffusionsweg) sei hier nur hingewiesen. Diese Parameter sind stark abhängig vom allgemeinen körperlichen Leistungszustand, genauso aber auch von lokalen anatomischen Gegebenheiten.

Kalziumionen (Ca++) regeln die Aktin-Myosin-Bindung

Die Regulation des Ablaufs der Bindung und Lösung von Aktin und Myosin im Querbrückenzyklus erfolgt intrazellulär durch Kalziumionen. Diese sind im sarkoplasmatischen Retikulum der Muskelfasern gespeichert.

Das sarkoplasmatische Retikulum (von rete = Netz) besteht aus Quer- und Längstubuli, welche die Myofibrille umhüllen. Die Längstubuli haben an ihren Enden Erweiterungen, die so genannten Terminalzysternen. Alle drei Bestandteile bilden eine Triade, wobei die Längstubuli und die Terminalzysternen Ca++ speichern.

Ca++ wirkt wie ein „Schalter“ für das Starten bzw. Beenden des Querbrückenzyklus. Ab einer Konzentration von 10−7 mmol/l freiem Ca++ wird der Zyklus gestartet, bei geringerer Ca++-Konzentration läuft der Querbrückenzyklus nicht ab.

Im Normalfall ist das Ca++ in den Zysternen gespeichert. Es wird nur durch Potenzialänderungen (Erregung) an der Membran des sarkoplasmatischen Retikulums freigesetzt, indem sich Ca++-Kanäle öffnen. Das Ca++ wird anschließend wieder unter Energieverbrauch aktiv in die Zysternen zurück transportiert (Kalziumpumpe). Dieser aktive Transport erfordert ebenfalls ATP als Energielieferant! Im Einzelnen erfolgt die Freisetzung von Ca++ über einen potenzialsensiblen Rezeptor (Dihydropyridin) und einen Ryanodinrezeptor am Kanalprotein. Nach Öffnung des Kalziumkanals tritt Ca++ ins Zytosol über und bindet sich an das Troponin C. Die Bindungsstellen am Aktin werden freigegeben, und der Querbrückenzyklus läuft solange ab, bis die Ca++-Konzentration wieder sinkt.

In der manuellen Diagnostik zu beachten:

Der Ablauf des Querbrückenzyklus ist in Verbindung mit den „gleitenden Filamenten“ der Kontraktionsvorgang und damit die Ursache für Kraft und/oder Bewegung. Die Relaxation tritt ein, wenn die Konzentration von Ca ++ im Zytosol unter 10 −7  mmol/l sinkt.

Eine Potenzialänderung in nur einem Quertubulus kann einen lokalen Querbrückenzyklus starten, das heißt eine lokale Kontraktion auslösen. Eine Kontraktur als eine nicht fortgeleitete, aber reversible Dauerkontraktion kann im Minimalfall nur in zwei benachbarten Halbsarkomeren ausgelöst werden. Es gibt dabei keine fortgeleiteten Aktionspotenziale. Eine solche lokale Dauerdepolarisation kann auch durch andere Faktoren ausgelöst werden, z. B. extrazelluläre Erhöhung von Kaliumionen, Magnesiummangel oder experimentell durch Koffein – aber ohne Kalziumionen ist keine Kontraktur möglich.

Aus den in diesem Abschnitt dargestellten intrazellulären Mechanismen ergibt sich eine Komponente der Muskelspannung, die als myofibrilläre Komponente der Muskelspannung oder Muskelspannungserhöhung bezeichnet werden könnte. Durch die intrazellulären Veränderungen wird auch das Milieu im extrazellulären Raum beeinflusst, wenn die Veränderungen im extrazellulären Milieu nicht selbst die Ursachen für intrazelluläre Veränderungen, die zu Spannungsänderungen in der Muskelzelle führen, waren. Dadurch können intramuskuläre Rezeptoren so beeinflusst werden, dass über Reflexbahnen eine weitere Komponente der Muskelspannungserhöhung hinzukommen kann. Von solchen Mechanismen hängt es dann mit ab, ob manualtherapeutische Maßnahmen schneller oder erst nach längerer Therapie wirksam werden.

Es sei an dieser Stelle betont, dass im Einklang mit dem obigen Zitat der Definition nach Mense nichts dagegen spricht, dass eine lokale Muskelspannung sowohl völlig ohne nervalen Einfluss über das α-Motoneuron, als auch bei vorhandenen Aktionspotenzialen aus dem Rückenmark vorhanden sein kann, wofür die berichteten Befunde von Triggerpunkten sprechen.

Um später auf die spinalen Ursachen für eine Erhöhung der Muskelspannung eingehen zu können, sollen die physiologischen Grundlagen der Typisierung der Muskelfasern und die Vorgänge bei der Erregungsübertragung an der neuromuskulären Endplatte kurz aufgelistet werden.

Muskelsysteme

Auf die unterschiedlichen Typen der Muskelfasern bzw. Muskulatur wird in jedem Muskel- oder Bewegungs-, Übungs-, bzw. Sportbuch eingegangen. Meist wird aber die hohe interindividuelle Variabilität unterschätzt, die mindestens ebenso wichtig ist wie ein Hinweis auf phasische und tonische Muskelfasern.

Alle Fasern einer motorischen Einheit (mE) sind vom gleichen Typ und werden vom gleichen α-Motoneuron innerviert.

Muskelfasern können anhand ihrer strukturellen, kontraktil-mechanischen und biochemisch-energetischen Merkmale in verschiedene Typengruppen eingeteilt werden. Die Typengruppen sind nicht scharf abgegrenzt. Tatsächlich existiert ein ganzes Spektrum von kontinuierlichen Übergängen zwischen den Typen I und IIb. Alle Muskelfasern einer mE haben die gleichen strukturellen, kontraktilen und biochemischen Eigenschaften (Tab. 3).

Tab. 3 Muskelfasertypen und ihre Eigenschaften

Für die weitere Beschreibung der funktionellen Eigenschaften der mE wollen wir uns auf die Begriffe „tonische mE“ und „dynamische mE“ beschränken. Die Verteilung der Typen der mE ist von Muskel zu Muskel unterschiedlich, sodass es üblich ist, Muskeln mit überwiegend tonischen mE als „tonische Muskeln“ und solche mit überwiegend dynamischen mE als „phasische Muskeln“ (besser „dynamische Muskeln“) zu bezeichnen. Der Name „tonisch“ kommt daher, dass diese Muskelfasern (mE, Muskeln) über längere Zeit eine gleichförmige Muskelspannung aufrechterhalten können. Demgegenüber wechseln dynamische Fasern (mE, Muskeln) die Spannung durch nur kurzzeitige Kontraktion bzw. Pausen zwischen den einzelnen Kontraktionen. Grob gesehen kann man sagen, dass Muskulatur zur Aufrechterhaltung der Körperhaltung gegen die Gravitationskraft zum tonischen Typ und Muskulatur zur Lokomotion und Zielmotorik zum dynamischen Typ gehört.

Bei den einzelnen Tierspezies ist die Zusammensetzung der einzelnen Muskeln aus den verschiedenen Typen motorischer Einheiten je nach Bewegungsart speziesspezifisch.

Die in Lehrbüchern angegebenen Tabellen zu tonischen und dynamischen Muskeln entstammen zum größten Teil muskelbioptischen Untersuchungen kleinerer Populationen von Leistungssportlern. Es sei schon an dieser Stelle erwähnt, dass mE (Muskeln) mit unterschiedlichen kontraktilen Eigenschaften und unterschiedlichen Aufgaben in Halte- und Zielmotorik natürlich auch unterschiedlicher Steuer- und Kontrollmechanismen des ZNS bedürfen.

In der manuellen Diagnostik zu beachten:

Beim Menschen gibt es aufgrund der individuellen Spezialisierung (Arbeitsteilung) in motorischen Fertigkeiten größere individuelle Unterschiede in der Zusammensetzung eines Muskels aus unterschiedlichen Typen mE. Dadurch sind z. B. einzelne Personen unterschiedlich gut zu Spitzenleistungen in Ausdauer-, Kurzzeit- oder Schnellkraftsportarten fähig.

Anatomische Variation der Muskelkraft

Die Kraft eines Muskels und ihre Variation ist von energetischen Faktoren und Faktoren der intramuskulären Koordination ( Steuerung der mE durch Information vom ZNS) abhängig.

Längerfristig verändert sich die Muskelkraft bei Hyper- oder Hypotrophie eines Muskels.

Bei Muskelhypertrophie kommt es zu strukturellen Veränderungen im Muskel durch Vermehrung der Myofibrillen in einer Muskelzelle, wodurch deren Volumen und Umfang zunimmt. Eine Muskelzelle mit mehr Myofibrillen beinhaltet mehr kontraktile Proteine, es stehen mehr Querbrücken zur Umwandlung chemischer in mechanische Energie zur Verfügung, es kann mehr Kraft erzeugt werden. Die Zunahme des Volumens einer Muskelzelle wird durch den Diffusionsweg begrenzt, den Sauerstoff und Nährstoffe von den extrazellulär liegenden Kapillaren bis zur Mitte der Muskelzelle überwinden müssen.

Bei einer Hypotrophie und Atrophie vermindert sich die Menge kontraktiler Proteine.

Das Ausmaß einer Hypertrophie oder Hypotrophie der Muskulatur hängt von ihrem Gebrauch und von Geschlecht und Alter des Individuums ab. Bei Immobilisierung kommt es zu einer Abnahme der Muskelmasse von im Extremfall (z. B. nach gerade erreichter Hypertrophie) bis zu 30% in 3 Tagen und bis zu 80% in 6 Wochen. Im gleichen Maße verringert sich auch der Faserquerschnitt, da die Myofibrillen zerfallen. Tonische Fasern atrophieren dabei stärker als dynamische Fasern. Die Atrophie ist stärker ausgeprägt, wenn die Immobilisierung in verkürzter Lage des Muskels besteht.

Die Längenanpassung der Muskelfasern bei Wachstum oder Verkürzung geschieht durch Zunahme bzw. Abnahme der Anzahl der Sarkomere. Eine Immobilisierung im Dehnungszustand führt dann zu einer Zunahme der Sarkomere und umgekehrt. Bei Muskeldehnung wird der Verlauf der Atrophie stark verringert. Bei einer reversiblen strukturellen Verkürzung kann es anstelle der abgebauten Sarkomere zu bindegewebigem Umbau kommen („Tightness“).

Die vom Muskel erzeugte Kontraktionskraft ist abhängig vom Grad der Überlappung der Aktin- und Myosinfilamente, da von diesem die Anzahl der für die Querbrückenbildung zur Verfügung stehenden Bindungsstellen an beiden Proteinen abhängt.

Durch eine unterschiedliche individuelle Länge der Muskelfasern ist der Zustand optimaler Filamentüberlappung bei verschiedenen Personen nicht gleich. Dadurch wird die individuelle Maximalkraft bei unterschiedlichem Beugewinkel erzeugt. Unter dem Aspekt des Längenwachstums beziehungsweise der Muskeldehnung wird also ein längerer Muskel seine Maximalkraft bei einem größeren Gelenkwinkel entfalten.

Die oben bei Muskelsystemen beschriebene unterschiedliche Qualität der Muskelfasern und deren unterschiedliche Verteilung je nach Aufgabe des Muskels im Gesamtorganismus und individueller Ausprägung sind Ursache für individuelle Kraftfähigkeiten.

Eine kurzfristige Variation der Muskelkraft erfolgt durch nervale Ansteuerung, die weiter unten beschrieben wird. Auch die nervale Ansteuerung unterliegt einer Vervollkommnung durch Trainingsprozesse (Lernprozess).

Die spinale Komponente der Muskelspannung

Die Kontraktion eines Skelettmuskels wird durch das Zentralnervensytem (ZNS) gesteuert und kontrolliert. Der Ausgang vom ZNS zum Muskel erfolgt über die Neuriten der α-Motoneurone des Rückenmarks oder der Hirnnerven. Es ist der einzige Ausgang für die Skelettmuskulatur.

Ein α-Motoneuron innerviert über sein Axon (efferente Nervenfaser, motorische Nervenfaser) immer eine mehr oder weniger große Anzahl von Muskelfasern. Ein α-Motoneuron mit seinem Axon und den von ihm innervierten Muskelfasern wird als „motorische Einheit“ bezeichnet. Sie ist die kleinste funktionelle Einheit für die Motorik, die vom ZNS getrennt nerval angesteuert und damit beeinflusst werden kann.

Die Anzahl der Muskelfasern, die zu einer motorischen Einheit (mE) gehört, ist unterschiedlich und hängt von den motorischen Funktionen ab, an denen dieser Muskel beteiligt ist. Muskeln mit feinmotorischen Aufgaben (Kehlkopf, äußere Augenmuskeln, Fingermuskulatur) bestehen aus mE mit wenig Muskelfasern, sie sind dadurch zu fein abgestuften Bewegungen fähig. Muskeln mit grobmotorischen Aufgaben bestehen aus mE mit vielen Muskelfasern, sie sind dadurch nur für grob abgestufte Bewegungen einsetzbar, so z. B. die große Extremitäten- und Rumpfmuskulatur (Tab.  4 ).

Tab. 4 Faserdurchmesser und Fasermenge pro motorische Einheit verschiedener Muskeln

Die zu einer mE gehörenden Fasern sind im Muskel so verteilt, dass sich die Territorien mehrerer mE überlappen. Dies ist Voraussetzung für glatte Bewegungsabläufe und gleichmäßige Verteilung der intramuskulären Spannung.

Die motorische Nervenfaser ist aufgrund ihrer dicken Myelinscheide schnell leitend, d. h. die von den Motoneuronen erzeugten Aktionspotenziale gelangen mit 120 m/s zum Muskel. An ihrem Ende spaltet sich die motorische Nervenfaser in die Endverzweigung für die einzelnen Muskelfasern auf. Hier verliert die Nervenfaser ihre Myelinscheide (nackte Faser). Dadurch verringert sich die Leitungsgeschwindigkeit auf etwa 1 m/s. Unter bestimmten Umständen kann es dadurch zu einem Unterschied in der Laufzeit der Aktionspotenziale (so genannter „Jitter“) kommen.

Die α-Motoneurone der verschiedenen Typen mE unterscheiden sich durch die Größe ihrer Zellkörper, die wiederum mit unterschiedlichen Eigenschaften für die Erzeugung von Aktionspotenzialen zusammenhängt.

Die α-Motoneurone sind Bestandteil des ZNS. Sie erhalten über Aktionspotenziale Informationen aus der Peripherie und aus unterschiedlichen Abschnitten des Rückenmarks und des Gehirns (ZNS).

Die von den α-Motoneuronen ausgehenden Aktionspotenziale und Aktionspotenzialfolgen gelangen über die neuromuskuläre Endplatte zu den Muskelfasern und lösen so über den oben beschriebenen Mechanismus der elektromechanischen Ankopplung (Ca-Schalter) die Muskelkontraktion aus und steuern so die Muskeltätigkeit.

Nerval gesteuerte Abstufung der Muskelkraft

Die Abstufung der nerval bedingten Muskelspannung (Muskelkraft) erfolgt über zwei unterschiedliche Mechanismen:

  • Frequenz der Aktionspotenzialfolge (zeitliche Summation);

  • Anzahl aktiver mE (räumliche Summation).

Ein einzelnes Aktionspotenzial führt zu einer einmaligen Einzelzuckung aller Fasern der mE. Im Elektromyogramm registriert man unter diesen Bedingungen ein so genanntes Summenaktionspotenzial als Summe der Aktionspotenziale aller zur mE gehörenden Muskelfasern.

Die Aktionspotenziale der Muskelfasermembran werden über das sarkoplasmatische Retikulum ins Innere der Myofibrille geleitet, hier wird das gespeicherte Ca++ freigesetzt, daraufhin der Querbrückenzyklus in Gang gesetzt, Kraft erzeugt und schließlich die Kraft vom Muskel über die Sehne auf Muskelansatz und Muskelursprung übertragen.

Folgt nun ein zweites oder weitere Aktionspotenziale bevor das freie Ca++ wieder in die Speicher zurückgepumpt, der Querbrückenzyklus abgeschaltet wird und die Spannung wieder abgeklungen ist (Erschlaffung), kann sich eine weitere Einzelzuckung auf die vorherige Einzelzuckung aufbauen, sodass im Effekt eine höhere Spannung entsteht. Die Spannung summiert sich in ihrem zeitlichen Verlauf. Deshalb wird dies als „zeitliche Summation“ bezeichnet. Die Spannung bzw. Kraft einer mE kann so um den Faktor 4 bis 8 erhöht werden. Für schnelle Kontraktionen generiert das α-Motoneuron zu Beginn der Bewegung eine kleine höherfrequente (50–70 Hz) Salve von Aktionspotenzialen, um einen schnellen Kontraktionsbeginn zu sichern. Zur Aufrechterhaltung der Kontraktion kann dann die Frequenz der Aktionspotenziale wieder gesenkt (20–10 Hz) werden (Ökonomisierung).

Bei einer Muskelkontraktion können je nach Bedarf an Kraft unterschiedlich viele mE eingesetzt werden, wobei sich die Kräfte der parallel eingesetzten mE addieren. Dies wird als „räumliche Summation“ bezeichnet. Bei geringer Kraft einer Kontraktion werden ausschließlich tonische mE eingesetzt.

Die Reihenfolge der Einbeziehung der mE in eine stärker werdende Kontraktion geschieht nach einer festen Reihenfolge, wobei zuerst die α-Motoneurone mit kleinerem Zellkörper aktiviert werden und entsprechend ihrer Größe weitere Neurone aktiv werden.

Dadurch wird die Entstehung von Ermüdung verringert. Die Kraft der einzelnen mE entspricht dem Kraftniveau bei ihrem Einsatzbeginn.

Die Erhöhung der Spannung in einer oder mehreren mE eines Muskels, die durch Aktionspotenziale der α-Motoneurone ausgelöst ist, können wir als „spinale Muskelspannungserhöhung“ bezeichnen.

Wenn es sich dabei nicht um eine willkürliche Aktion handelt, ist allerdings der Ursache nachzugehen, warum die α-Motoneurone Aktionspotenziale (vermehrt) erzeugen. α-Motoneurone erhalten vielfältige Informationen von anderen Neuronen.

In der manuellen Diagnostik zu beachten:

Um die Aktivität der α-Motoneurone auch gezielt beeinflussen zu können, müssen die physiologischen Zusammenhänge der Aktivierung der α-Motoneurone betrachtet werden. Refelektorische und psychomotorische Komponenten spielen hier gleichermaßen eine Rolle.

Wir können die ein α-Motoneuron beeinflussenden Informationen nach dem Ursprung grob in drei Gruppen einteilen:

  • Einflüsse aus sensorischen Afferenzen im gleichen Segment (segmental begrenzt);

  • Einflüsse sensorischer Afferenzen und Informationen aus höheren oder tieferen anderen Segmenten beim motorischen Zusammenspiel (segmental verkettet);

  • Einflüsse aus höheren Zentren der Motorik bzw. die Motorik beeinflussenden Zentren des ZNS (supraspinal).

Muskelspannung im System der menschlichen Motorik

Mit der Beteiligung der Aktivität der α-Motoneurone an der Muskelspannung sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir uns nicht mehr nur mit dem α-Motoneuron selbst beschäftigen müssen, sondern mit der Organisierung der Motorik an sich.

Das motorische System generiert

  • Reflexbewegungen;

  • Rhythmen;

  • Willkürbewegungen.

Um die gesamte Problematik einleitend kurz zu beleuchten, sei erwähnt, dass die Willkürbewegungen psychophysischen Prinzipien mit Bewegungsschemata mit Invarianzen, Reaktionszeiten, Relation von Schnelligkeit zu Genauigkeit u.a. folgen.

Das motorische System ist hierarchisch organisiert:

  • Spinale α-Motoneurone führen die Bewegung aus;

  • Reflexe sichern die notwendige Stabilität;

  • Der Hirnstamm moduliert die spinalen motorischen Reflexkreise;

  • Die Hirnrinde moduliert die Aktivität von Motoneuronen und des Hirnstamms.

Hier sind also die segmentalen, segmental-verknüpften und supraspinalen Ursachen für eine erhöhte Muskelspannung zu suchen.

Dies soll Gegenstand einer späteren Analyse sein.

Fazit für die Praxis

Die manuelle Medizin sammelt Erkenntnisse aus der praktischen Tätigkeit und hat die Pflicht, diese individuelle und kollektive Erfahrung in bestehende Wissenssysteme einzuordnen.

Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, den sich ständig entwickelnden Erkenntnisstand biologischer Grundlagen als Basis für das eigene Handeln zu analysieren („Logic based medicine“).