Im Jahr 2010 wurden erstmalig Daten aus Autopsieberichten in den Qualitätsbericht des UniversitätsSpital Zürich (USZ) einbezogen. Durch dieses Vorgehen konnte die Autopsie mit einem positiven Aspekt belegt werden, da sie die hohe diagnostische Qualität des USZ dokumentierte. Die Autopsie schafft Sicherheit und Vertrauen. Daher gilt als bestes Argument für die Autopsie: „Wer nie erfährt, was er falsch gemacht hat, wird immer glauben, dass er alles richtig macht“.

Paradigmenwechsel

Die Autopsie galt über lange Jahre als Goldstandard für die klinische Diagnose. In den letzten Jahren kam es jedoch zu einem deutlichen Absinken der Autopsieraten in Deutschland und auch in der Schweiz [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7]. Die Gründe für diesen Abfall sind vielfältig und in der Literatur gut dokumentiert. Neben gesetzlichen Änderungen, insbesondere im Wechsel von der Widerspruchs- zur Zustimmungsregelung, ist auch eine veränderte Einstellung der Ärzteschaft Ursache für diesen Trend [8]. So wird zunehmend auch von den Ärzten argumentiert, dass durch die exzellente Diagnostik mit modernen Methoden die wesentlichen Diagnosen schon bekannt sind, sodass sich eine Autopsie erübrigt. Nur durch die Überzeugung der Kliniker wird es in Zukunft möglich sein, eine angemessene Autopsierate zu erhalten. Vonseiten der Patienten und des Pflegepersonals werden Gründe genannt wie: „Der Patient hat genug gelitten“, Verzögerung der Bestattung, religiöse Gründe, aber häufig auch eine schlechte Information durch die Pathologen über die Ergebnisse der Autopsie [4, 9].

Dem fallenden Trend der Autopsierate konnte sich auch das USZ nicht entziehen (Abb. 1). Beobachtet man den zeitlichen Verlauf, zeigen sich ein kontinuierlicher Abfall der Autopsierate, und der Wechsel von der Widerspruchs- zur Zustimmungsregelung hatte keine abrupte Abnahme der Autopsierate zur Folge. Dies zeigt, dass es sich um einen Trend handelt, der eher wenig durch die Gesetzeslage beeinflusst wird.

Abb. 1
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Verhältnis durchgeführter und verweigerter Autopsien am UniversitätsSpital Zürich. Rot verweigerte Autopsien, blau am USZ durchgeführte Autopsien. (Nicht berücksichtigt sind Autopsien für auswärtige Krankenhäuser)

Positive Aspekte der Autopsie

Der Abfall der Autopsierate wird von den Pathologen seit Jahren bedauert, und es wird auf die zahlreichen positiven Aspekte der Autopsie in der modernen Medizin hingewiesen [7, 10, 11]. Als Nutzen für Patienten und Angehörige werden die Kenntnis der genauen Todesursachen aufgeführt, der Nachweis klinisch unbekannt gebliebener Erbleiden und familiärer Erkrankungsdispositionen, der Nachweis möglicher Gefährdung der Umwelt durch Infektionen, versicherungsrechtliche Aspekte u. a. Unbenommen ist die Bedeutung der Autopsie für die Forschung, da in den letzten Jahren zahlreiche Erkrankungen durch Autopsiebefunde besser beschrieben werden konnten. Zu nennen sind beispielsweise die Pneumozystispneumonie, Staublungenerkrankungen, Erkrankungen des Nervensystems wie z. B. die Silberkornkrankheit des Gehirns u. a. [1, 2, 4]. Problematisch ist die Autopsiereduktion für die Aus- und Weiterbildung, da zahlreiche Medizinstudierende mittlerweile keine Autopsien mehr während des Studiums erleben und auch für die Ausbildung der Fachärzte die geforderten Autopsieraten häufig nicht mehr erreicht werden können [1, 12].

Diagnosediskrepanzen

Bei der Argumentation der Pathologen für eine hohe Autopsierate wird immer wieder der Nachweis von Diagnosediskrepanzen angeführt [13, 14]. In der „Görlitzer Studie“ wurden z. B. bei 47% der Verstorbenen Diskrepanzen zwischen den Autopsiediagnosen und den Angaben auf den Todesbescheinigungen nach der Leichenschau berichtet. In 30% der Fälle betraf dies Hauptdiagnosen. Dies führt nicht unmittelbar zu einer Motivationssteigerung der „Kliniker“, eine Autopsie herbeizuführen. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass in keiner Studie bislang gezeigt werden konnte, dass eine hohe Autopsierate mit einer hohen Qualität der Medizin verbunden ist. Diagnosediskrepanzen sind relativ unabhängig von der Autopsierate ([3, 15, 16, 19, 20, 21, 22, 23]; Tab. 1).

Tab. 1 Häufigkeit von diagnostischen Diskrepanzen der Klasse I und Autopsierate. (Nach [3, 20, 21, 22, 23])

Diagnosediskrepanzen können am besten durch die Kriterien von Goldmann et al. [2] sowie Battle et al. [17] erhoben werden (Tab. 2). Bei dieser Klassifikation der diagnostischen Fehler wird zwischen diskrepanten Hauptdiagnosen der Klasse I und Klasse II sowie den diskrepanten Nebendiagnosen (Klasse III und Klasse IV) unterschieden. Die Klasse-I-Fehler beinhalten Fehler, die einen Einfluss auf das Überleben des Patienten gehabt hätten, während Klasse-II-Fehler in den Hauptdiagnosen einen zweifelhaften Einfluss auf das Überleben gehabt hätten. In Zürich konnte vor 10 Jahren eine Studie publiziert werden, die eine signifikante Reduktion der diagnostischen Fehler von 1972 bis 1992 beschreibt [18]. Die Autopsierate lag 1972 bis 1992 über 90%, im Jahr 2002 lediglich bei 53%. Eine Nachfolgestudie hat das Jahr 2002 analysiert (Manuskript in Vorbereitung). Wie in der vorangegangenen Studie wurden 100 zufällig ausgewählte Patienten von 2 Klinikern und einem Pathologen bezüglich Diskrepanzen in den Haupt- und den Nebendiagnosen beurteilt. Die Befunde der Patienten, die auf den Stationen der inneren Medizin bzw. der Intensivmedizin verstorben waren, wurden detailliert ausgewertet. Die Diskussion der Befunde ergab, dass lediglich in einem interdisziplinären Ansatz von Internisten und Pathologen eine korrekte Zuordnung zu den Diagnosediskrepanzen möglich ist, da viele klinische Befunde von Pathologen allein nicht korrekt bewertet werden können. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die Klasse-I-Diagnosediskrepanzen im Jahr 1972 bei 16%, im Jahr 1982 bei 9%, im Jahr 1992 bei 7% und im Jahr 2002 bei 2% lagen. Die Studie reflektiert damit in erster Linie die gewachsenen diagnostischen Möglichkeiten in der inneren Medizin. Die diagnostische Sensitivität und Spezifität ist in den letzten Jahren deutlich verbessert worden.

Tab. 2 Klassen von diagnostischen Diskrepanzen. (Adaptiert nach [2, 17])

Identifikation diagnostischer Fehler

Die Qualität der Medizin hat sich also unabhängig von der Autopsierate signifikant erhöht. Trotzdem wird durch Autopsien eine Qualitätskontrolle in Form der Identifikation von diagnostischen Fehlern erreicht. Daher stellt sich die Frage nach der optimalen Autopsierate zum Nachweis von Diagnosediskrepanzen. In einer Arbeit von Shojania et al. [5] wurde eine Modellkalkulation von Klasse I-Diagnose-Irrtümern über die letzten 40 Jahre vorgelegt. In dieser Studie berechnete man die Nachweisrate von Klasse-I-Fehlern bei postulierten Autopsieraten von 5%, 37% und 100%, um eine Empfehlung für eine optimale Autopsierate abzugeben. Die in dieser mathematischen Berechnung postulierten Daten zum Nachweis von Diagnoseirrtümern ließen sich in der hier vorgestellten Untersuchung nicht bestätigen. Landefeld et al. [3] haben demgegenüber versucht, die Wahrscheinlichkeit von Fehldiagnosen auf Basis des Krankenaktenstudiums vorherzusagen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung waren dahingehend ernüchternd, dass es den Klinikern nicht möglich war, die Wahrscheinlichkeit von Klasse-I- bzw. Klasse-II-Diagnoseirrtümern nur annähernd durch die Analyse der Krankengeschichte vorauszusagen. Dies kann als Argument für stichprobenartige Autopsien angeführt werden, unabhängig davon, ob Kliniker Diagnosefehler vermuten oder nicht (Tab. 3).

Tab. 3 Vorhersage von Klasse-I- oder Klasse-II-Fehlern aus Angaben in Krankenakte und Befunden bei Autopsie [3]

Autopsiedaten im Qualitätsbericht des Krankenhauses

In verschiedenen Krankenhäusern werden zunehmend Qualitätsindikatoren erhoben, die jedoch häufig keine Autopsiedaten berücksichtigen. Solche Qualitätsindikatoren werden aus Routinedaten gemäß nationalen Vorgaben und Richtlinien durch eine zentrale Kodierabteilung dokumentiert und zur Verfügung gestellt. Dabei werden häufig die Hauptdiagnosen gemäß offiziellen Richtlinien definiert und für das entsprechende Hospitalisationsjahr im Rahmen der medizinischen Statistik angegeben. Weiterhin fließen in diese Qualitätsberichte neben Routinedaten auch externe Qualitätsmessungen ein. Diese beinhalten mehrphasige und strukturierte Messabläufe. Auswertungen erfolgen durch krankenhausinterne und auswärtige Messorganisationen. Dazu kommen Registerdaten oder retrospektive Studien. Die Indikatoren werden genau definiert, die Resultate beschrieben und vergleichbare Daten aus Literatur oder von anderen Institutionen gegenübergestellt. Durch die in Zürich vorhandenen Langzeitdaten des Qualitätsmonitorings mithilfe von Autopsien wird derzeit versucht, Autopsiedaten in den Qualitätsbericht des Krankenhauses einfließen zu lassen. Im Jahr 2010 wurden erstmalig Daten aus Autopsieberichten in den Qualitätsbericht einbezogen [24]. Dazu wurden sämtliche Klinikdirektoren in einem separaten Anschreiben gebeten, die in ihren Kliniken durchgeführten Autopsien des Jahres 2010 retrospektiv auf Diagnosediskrepanzen in den Hauptdiagnosen zu analysieren. Der Rücklauf betrug 100%, und es konnte gezeigt werden, dass über das gesamte Spital die Diagnosediskrepanzen bei lediglich 1% der Klasse-I-Fehler lagen (Abb. 2). Diese Zahlen wurden im Zusammenhang mit dem Langzeitmonitoring im Qualitätsbericht des Jahres 2010 publiziert und dokumentieren die hohe diagnostische Qualität am USZ.

Abb. 2
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a Qualitätsbericht des UniversitätsSpitals Zürich mit (b) Angabe der diagnostischen Fehler der Klasse I (1972–2002: innere Medizin und Intensivmedizin, 2010: gesamtes Krankenhaus). ([24]; mit freundlicher Genehmigung des UniversitätsSpitals Zürich)

Fazit für die Praxis

  • Die diagnostische Qualität (niedrige Zahl von diagnostischen Diskrepanzen) ist in einem Krankenhaus weitgehend unabhängig von der Autopsierate.

  • In den vergangenen Jahrzehnten konnte durch die verbesserten diagnostischen Möglichkeiten die Zahl von Diagnosediskrepanzen in der Klinik signifikant reduziert werden.

  • Die Dokumentation dieser verbesserten Qualität in der Diagnostik der Klinik kann jedoch ausschließlich durch die Autopsie erfolgen.

  • Es gibt in der Literatur keine Empfehlungen für eine Autopsierate, die für die Dokumentation der Diagnosediskrepanzen optimal geeignet wäre.

  • Zunehmend werden Qualitätsindikatoren in Qualitätsberichten von Krankenhäusern publiziert.

  • Die Aufnahme von Autopsiedaten in den Qualitätsbericht zur Dokumentation einer hohen diagnostischen Qualität kann zu einer positiven Einstellung gegenüber der Autopsie führen und möglicherweise die Autopsierate auf höherem Niveau stabilisieren.