Tollwut beim Menschen

Tollwut ist eine der ältesten und bedeutendsten virusbedingten Zoonosen [17], die meist durch den Speichel, seltener durch infektiöses Nervengewebe und zerebrospinale Flüssigkeit infizierter Tiere oder durch ein virushaltiges Aerosol übertragen wird [3]. Nach Schätzungen der WHO sterben weltweit jährlich bis zu 55.000 Menschen an Tollwut, vor allem in Afrika und Asien. Bislang sind 15 Fälle bekannt geworden, bei denen Tollwut durch eine Organ- oder Gewebetransplantation übertragen wurde [1].

Die Infektionskrankheit wird durch neurotrope RNA-Viren des Genus Lyssavirus der Familie Rhabdoviridae hervorgerufen [20], die sich durch ein sehr breites Wirtsspektrum auszeichnen [3]. Die überwiegende Mehrzahl der jährlichen Todesfälle wird durch das klassische Tollwutvirus (Rabiesvirus, RABV) verursacht [9, 23], dessen Hauptreservoir Karnivoren darstellen. Darüber hinaus sind auch tödliche Infektionen mit Tollwutviren von Fledermäusen beschrieben [14, 19]. Nach einer variablen Inkubationszeit von wenigen Wochen bis zu einigen Jahren in Einzelfällen [13] verläuft die Tollwut beim Menschen ohne Behandlung innerhalb von 5 bis 7 Tagen nach dem Auftreten der ersten Symptome tödlich, während unter medikamentöser Therapie Überlebenszeiten von bis zu 133 Tagen beschrieben sind [5, 6]. Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen überleben Patienten die Erkrankung [22]. Pathogenetisch findet nach der Inokulation des Virus, beispielsweise durch den Biss eines tollwutkranken Tieres, zunächst ein retrograd intraaxonaler Transport des Erregers zum Zentralnervensystem, insbesondere dem limbischen System und dem Hirnstamm, statt, der anschließend von einer zentrifugalen intraaxonalen Ausbreitung des Virus in verschiedene periphere Organe und Gewebe gefolgt ist [16].

In Deutschland wurden zwischen 1981 und 2004 sechs humane Tollwutfälle (Lyssa humana) registriert. Zwei Patienten wurden durch den Biss eines tollwutkranken Hundes oder Fuchses in Deutschland infiziert, während die anderen 4 Personen die Erkrankung aus dem Ausland mitbrachten [12]. Die im Jahr 2004 erkrankte Person wurde als Organspender für sechs verschiedene Empfänger genutzt, von denen drei an der Zoonose erkrankten und verstarben [7, 12]. In dieser Falldarstellung werden die klinischen, morphologischen, immunhistologischen und elektronenmikroskopischen Befunde der Patientin mit dem Lungentransplantat beschrieben.

Fallbeschreibung

Klinischer Verlauf bei der Organspenderin

Eine 26-jährige Frau, die im Oktober 2004 auf einer Reise nach Indien von einem Hund gebissen worden war, hatte nach ihrer Rückkehr nach Deutschland bis zum Dezember desselben Jahres keine gesundheitlichen Probleme. Eine Woche vor ihrem Tod litt sie zunächst an heftigen, persistierenden Kopfschmerzen, anschließend an Fieber, Wesensänderungen und Aggressionsverhalten. Durch einen Drogentest wurde Kokain nachgewiesen und man nahm an, dass bei der Patientin eine toxische Psychose vorläge, denn die Information über den Hundebiss im außereuropäischen Ausland war nicht bekannt. Sie starb an einem Herzversagen, und nach Feststellung des Hirntods wurde sie als Organspender freigegeben. Lunge, Nieren, Pankreas, Leber und Hornhäute wurden 6 verschiedenen Empfängern in 5 verschiedenen Krankenhäusern zwischen dem 31.12.2004 und dem 01.01.2005 transplantiert.

Klinischer Verlauf bei der Organempfängerin

Eine 46-jährige Frau, der im Rahmen einer Retransplantation nach einem Ventrikelseptumdefekt und einer Eisenmenger-Reaktion die Lunge der Spenderin implantiert worden war, starb infolge eines zentralen Herz- und Kreislaufversagens innerhalb von 7 Wochen nach der Operation. Nach dem chirurgischen Eingriff hatte sie eine protrahierte Verschlechterung des Allgemeinbefindens gezeigt und eine Woche vor ihrem Tod wurden zunächst unspezifische neurologische Symptome beobachtet, die anschließend von einem Bewusstseinsverlust gefolgt wurden.

Obduktionsbefunde

Das Herz der Organempfängerin wies eine Hypertrophie beider Ventrikel auf. In den Lungenarterien wurden zahlreiche Emboli nachgewiesen. An den Anastomosestellen wurden Nekrosen der Bronchialschleimhaut und des Bronchialknorpels festgestellt. In der Leber fanden sich disseminierte, zentrolobuläre Nekrosen, und es lagen eine akute Pankreatitis und renale Hyperämie vor.

Histologische Befunde

In den Neuronen des frontalen, temporalen und okzipitalen Kortex, des Hypothalamus, des Subikulums, des entorhinalen Areals, des parahippokampalen Gyrus, des lateralen Corpus geniculatum, des Nucleus olivaris inferior, der Nuclei nervi vagi et hypoglossi (Abb. 1 a), der Formatio reticularis, der Pons, der Medulla oblongata, des Rückenmarks sowie in den Purkinje-Zellen des Zerebellums (Abb. 1 b) wurden zahlreiche, überwiegend singuläre, insbesondere im Hippokampus immer wieder auch multiple, eosinophile, intrazytoplasmatische Einschlusskörper (Negri-Körper) nachgewiesen. Zusätzlich fanden sich bilateral symmetrische Wasserscheideninfarkte beidseits am Lobulus biventer cerebelli. In der Leptomeninx und im Neuropil wurden fokal schüttere perivaskuläre, lymphozytäre Infiltrate beobachtet.

Abb. 1
figure 1

Intrazytoplasmatische, eosinophile Einschlusskörper (Negri-Körper, Pfeile; HE-Färbung, Vergr. 20:1). a Nachweis in Nervenzellen im Kerngebiet von N. vagus und N. hypoglossus. b Nachweis in Purkinje-Zellen des Kleinhirns

In der Lunge waren einige in Organisation befindliche Gefäßemboli vorhanden. Außerdem bestanden eine geringgradige, fibrinöse Pleuritis pulmonalis und eine mäßige Alveolarhistiozytose. An den Anastomosestellen wurde eine mittelgradige, ulzerative Bronchitis mit Knorpelnekrosen und Gefäßthromben festgestellt. Im Herzen lagen eine ausgeprägte Hypertrophie von Kardiomyozyten sowie kleinherdige Fibrosen vor. Die Koronararterien wiesen ausgeprägte atherosklerotische Plaques auf. In beiden Nieren fanden sich multiple kortikale Adenome, Fibrosen und Nekrosen der proximalen Tubulusepithelien. Im Pankreas lagen kleinherdige Nekrosen vor.

Immunhistochemische Befunde

Die Neuronen des zerebralen Kortex, Hippokampus, Hirnstamms, Kleinhirns und des Rückenmarks enthielten hochgradig Tollwutvirusantigen im Zytoplasma (Abb. 2 a). Außerdem wurde eine Immunmarkierung des Tollwutvirus in Axonen und Dendriten beobachtet (Abb. 2 b). In zahlreichen peripheren Nerven der transplantierten Lunge (Abb. 2 c), einzelnen Nerven der Schilddrüse, der Nieren, des Pankreas, der Speicheldrüse (Abb. 2 d) und in den Ganglien der Darmwand (Plexus myentericus; Abb. 2 e) wurde Tollwutvirusantigen detektiert. In Herz, Nebenniere, Lymphknoten, Leber, Gallenblase, Harnblase, Ovarien, Uterus, Eileiter und Knochen wurde Tollwutvirusantigen nicht nachgewiesen.

Abb. 2
figure 2

Immunhistochemischer Nachweis von Tollwutvirusantigen (Pfeile; Nomarski-Differenzialinterferenzkontrastoptik). a Zytoplasmatisches Tollwutvirusantigen in zahlreichen Neuronen des Hippokampus (Vergr. 100:1). b Nachweis im Perikaryon und in Fortsätzen eines Neurons der Medulla oblongata (Vergr. 63:1). c Immunhistochemischer Nachweis in einem Nervenanschnitt der Lunge (Vergr. 40:1). d In der Speicheldrüse Nachweis von Tollwutvirusantigen in einem Nervenanschnitt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Azinuszellen (A; Vergr. 100:1). e Tollwutvirusantigen in einem intramuralen Ganglion des Darms (Vergr. 100:1). f Elektronenmikroskopie: projektilförmige, längs getroffene und runde, quer getroffene Rhabdoviruspartikel (Pfeile; Aufsatztechnik, Vergr. 30.000:1)

Elektronenmikroskopische Befunde

Proben aus histologischen Schnitten vom Hippokampus und Kleinhirn wurden durch Aufsatztechnik direkt für die elektronenmikroskopische Untersuchung aufgearbeitet. In den Neuronen wurden zahlreiche, teilweise gewundene, zytoplasmatische Einschlüsse nachgewiesen, die der Morphologie von Rhabdoviren entsprachen (Abb. 2 f).

Diskussion

Die Übertragung von Tollwut unter Menschen ist ein sehr seltenes Ereignis. Abgesehen von einer anekdotenhaften Schilderung über den Tod der Mutter des italienischen Arztes Marcello Malpighi im 17. Jahrhundert, die von ihrer tollwutkranken Tochter gebissen wurde [18], sind interhumane Infektionen nur durch Transplantationen infektiösen Gewebes verursacht worden [18]. Bei der hier beschriebenen Patientin wurde eine Tollwutvirusinfektion durch Transplantation einer Lunge von einer infizierten Spenderin übertragen. Sie ist damit eine von 6 Empfängern weltweit, die durch die Verpflanzung eines Organs dieser tödlichen Virusinfektion erlegen ist [1]. Weitere 9 Patienten sind bis heute durch Kornea- oder Gefäßtransplantate infiziert worden [1]. Im vorliegenden Fall starben auch die Empfänger eines Nieren- und eines Pankreas-Nieren-Transplantats an den Folgen der Infektion. Der Empfänger der Leber hatte Jahre vor der Transplantation eine Tollwutimpfung erhalten, besaß bereits vor der Operation antivirale Antikörper und erkrankte nicht [1]. Ebenso überlebten die Empfänger der Korneatransplantate [1].

Tollwut wurde als Differenzialdiagnose bei der Erkrankung der Organspenderin nicht erwogen, da zunächst keine anamnestisch indikativen Hinweise auf eine Exposition vorlagen und die klinische Symptomatik dahingehend nicht wegweisend war. In den meisten Fällen beginnt die klinische Symptomatik 30 bis 90 Tage nach dem Biss eines tollwutkranken Tieres mit unspezifischen Symptomen in Form von Fieber, Nausea, Husten, Kopf- und/oder Muskelschmerzen. Wenige Tage später manifestieren sich enzephalitische Symptome mit Angstzuständen, Verwirrtheit, Schlafstörungen, Hyperaktivität und Krämpfen, insbesondere der Kaumuskulatur. Innerhalb von 2 Wochen tritt der Tod durch Versagen der Herz- und Kreislauffunktion ein. Bei etwa 30% der tollwutinfizierten Menschen wird eine paralytische Form beobachtet, die eine klinische (Verdachts-) Diagnose erschwert. Eine intravitale Diagnose ist durch den Nachweis von Virusantigen und/oder -nukleinsäure in Speichel, Epithelzellen von Epidermis und Haarwurzeln, zerebrospinaler Flüssigkeit oder Kornea möglich [1]. Da es keine effektive Therapiemöglichkeit gibt, kommt der Infektionsprophylaxe eine besondere Bedeutung zu.

Nachweis von Tollwutantigenen

Tollwutvirusantigen wurde sowohl in Neuronen unterschiedlicher Hirnregionen und in ihren Fortsätzen als auch in peripheren Nerven und Ganglienzellen verschiedener Organe der Empfängerin immunhistologisch nachgewiesen. Diese Befunde dokumentieren deutlich den Neurotropismus sowie die intraaxonale Ausbreitung des Erregers, der im Gegensatz zur hämatogenen Streuung anderer, auch durch Transplantationen übertragbarer Viren, beispielsweise des West-Nile-Virus, steht [8].

Der hochgradige Nachweis von Tollwutvirusantigen im Gehirn steht im Kontrast zu der relativ geringen entzündlichen Alteration des Gewebes. Dieser Befund ist pathogenetisch auf die weitgehend intrazelluläre Lokalisation des Erregers unter Wahrung der zellulären Integrität und die damit verbundene geringe Exposition von viralem Fremdprotein gegenüber Immunzellen zurückzuführen [16].

Der Antigennachweis in Nerven der Speicheldrüse, Schilddrüse und der Nieren sowie in Ganglienzellen und Nerven von Pankreas und Darm dokumentiert, dass eine zentrifugale Ausbreitung des Virus bei der Patientin stattgefunden hat. Vergleichbare Virusantigennachweise wurden bei tollwutkranken Patienten in Speicheldrüsen, Pankreas, Darmganglien, Herz, Zunge, Larynx und Haut bereits beschrieben [10, 11]. Auch wenn immunhistologisch in exkretorischen Zellen Virusantigen im vorliegenden Fall nicht nachweisbar war, besteht prinzipiell eine Infektionsgefahr, auch für die Ärzte und das Pflegepersonal. Körperflüssigkeiten tollwutkranker Patienten, vor allem Speichel, Tränenflüssigkeit und Sputum, sind virushaltig [18] und dieser Gefährdung wurde bei dieser Patientin entsprechend Rechnung getragen [15]. Die neurogene Ausbreitung des Virus erklärt die Infektiosität innerer Organe, die im Fall einer Transplantation wiederum eine Infektionsquelle darstellen würden. Alternativ wird eine hämatogene Besiedelung von Organen, möglicherweise durch infizierte Makrophagen, in Betracht gezogen [4], jedoch wurde bislang weder eine virämische Krankheitsphase nachgewiesen [18] noch liegen immunhistologische Hinweise auf eine hämatogene Ausbreitung des Erregers vor.

Bei Transplantationen müssen möglichst umfangreiche diagnostische Untersuchungen zur ätiologischen Abklärung ungewöhnlicher Infektionskrankheiten und zum Gesundheitsschutz der Empfänger durchgeführt werden. Das Tollwutvirus gehört zu einer Gruppe neurotroper Viren, zu denen beispielsweise das humane Herpesvirus 6 und das lymphozytäre Choriomeningitisvirus gehören, die bei Transplantatempfängern eine neue Nische gefunden haben, da diese Personen infolge der Therapie zur Verhinderung der Abstoßung immunsupprimiert sind [21]. Die Erkennung neurotroper Infektionen ist bei Transplantatempfängern besonders schwierig, da die klinischen Symptome aufgrund der therapiebedingten Immunsuppression abgeschwächt sind und eine Verwechslung mit Abstoßungsreaktionen und toxischen Effekten der Therapie zur Verhinderung der Rejektion bestehen [21].

Fazit für die Praxis

  • Die Übertragung einer Tollwutvirusinfektion durch Organtransplantation von einem infizierten Spender ist sehr selten.

  • Ungewöhnliche Krankheitserreger zu entdecken und Übertragungen zu vermeiden stellen zentrale Gebote der Gesundheitsfürsorge bei Transplantationen dar.

  • Umfangreiche diagnostische Untersuchungen sollten zur Detektion von Erregern wie Rabies- und anderen Viren erfolgen, insbesondere wenn die Todesursache des Organspenders nicht eindeutig geklärt und eine Infektion nicht grundsätzlich auszuschließen ist.

  • Nach einer erfolgten Transplantation ist die Erkennung neurotroper Infektionen beim Organempfänger aufgrund der therapiebedingten Immunsuppression besonders schwierig.