Eine Krebserkrankung bedeutet einen tiefen Einschnitt in das eigene Leben, das des Partners und der Familie. Vieles, was selbstverständlich war, wird infrage gestellt: getroffene Lebensentscheidungen, Lebenssinn, Hoffnung, Gewissheit, Liebe und Gemeinsamkeit. Sinnorientierte psychotherapeutische Interventionen zielen darauf, Menschen mit einer spürbar begrenzten Lebenserwartung im Umgang mit Verlust und Trauer zu unterstützen, Stärken und Errungenschaften im Leben des Patienten zu würdigen, Gefühle von Einsamkeit zu verringern, Beziehungen zu klären und neue Hoffnung sowie Lebensperspektiven zu fördern.

Existenzielle Belastungen

Die Diagnose, das Wiederauftreten und Fortschreiten einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie Krebs können bei Patienten eine Reihe von akuten und länger andauernden emotionalen Belastungsreaktionen hervorrufen. Dazu gehören Schock, Zweifel und Fassungslosigkeit, Trauer sowie emotionale Taubheit. In Abhängigkeit von der psychosozialen Situation der Person, ihren Vorerfahrungen mit belastenden Lebensereignissen und der individuellen Bedeutung der Krebserkrankung können weitere Reaktionen Traurigkeit, Hilflosigkeit und Gefühle der Einsamkeit, Verlust an Kontrolle bis hin zu starken Ängsten, „distress“, Verzweiflung, Depression und Verlust an Lebenssinn umfassen.

Die psychischen Belastungssymptome treten häufig als Reaktion auf die multiplen Stressoren im Verlauf einer fortschreitenden Erkrankung auf, die individuelle Ressourcen, persönliche Werte und das Identitätsgefühl einer Person bedrohen können (Chochinov et al. 2009; Rodin et al. 2009; Thekkumpurath et al. 2008). Insbesondere Funktionseinschränkungen und die körperliche Symptombelastung stellen einen Risikofaktor für das Auftreten einer hohen psychischen und existenziellen Belastung dar.

Neben den körperlichen und psychosozialen Problem bei Patienten mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung wurde in den letzten Jahren der Untersuchung existenzieller Belastungen, die sich im Verlust von Gefühlen der Sinnhaftigkeit, Demoralisierung, Verzweiflung und spirituellem Leiden ausdrücken können, zunehmend Aufmerksamkeit gewidmet (LeMay u. Wilson 2008; Leung u. Esplen 2010; Lichtenthal et al. 2009). Studien weisen darauf hin, dass bis zu 44% der Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung existenzielle und spirituelle Belastungen aufweisen (Hui et al. 2010; LeMay u. Wilson 2008).

Nach Autoren wie Yalom (1980), Yalom u. Greaves (1977) sowie Kissane et al. (2001) sind die Themen Tod, Sinn, Trauer, Einsamkeit, Freiheit und Würde zentrale existenzielle Herausforderungen bei schwer kranken Patienten. Kissane et al. (2001) beschreiben Demoralisierung als emotionalen Zustand einer Person, der in der Auseinandersetzung mit diesen existenziellen Belastungen auftreten kann. Demoralisierung bezeichnet einen von der klinischen Depression unterscheidbaren, dysphorischen Zustand, wie er u. a. bei medizinisch und psychiatrisch Erkrankten in relevanter Häufigkeit anzutreffen sei. Kernphänomen des Syndroms ist zum einen die existenzielle Belastung, gegeben durch das Gefühl, keinen Sinn mehr im Leben zu sehen und keine Ziele mehr zu haben, die dem Leben eine sinnvolle Richtung geben, bis hin zum Verlust des Identitätsempfindens. Zum anderen gehören hierzu Emotionen und Kognitionen der Hilf- und Hoffnungslosigkeit, die aus der als ausweglos erlebten Situation und der Wahrnehmung, keine Bewältigungsstrategien anwenden zu können, erwachsen. Eine solche existenzielle Krise ist für die Betroffenen mit Angst und Verzweiflung verbunden. Die kognitiven Einstellungen sind darüber hinaus von Pessimismus, dem Gefühl persönlichen Versagens und negativen Verzerrungen geprägt.

Übersichtsarbeiten belegen für die Mehrzahl empirischer Studien einen positiven Zusammenhang zwischen Lebenssinn, Spiritualität und Wohlbefinden, auch, wenn soziodemografische und krankheitsspezifische Faktoren wie Schmerz oder Fatigue kontrolliert werden (Visser et al. 2010). Dabei bezieht sich Spiritualität auf das über traditionelle Glaubensüberzeugungen hinausgehende individuelle Erleben, das es einem Menschen ermöglicht, Lebenssinn zu erfahren, d. h. auf das Gefühl des Verbundenseins mit etwas Transzendentem (Vaillant 2008). Spiritualität und das Vorhandensein von Lebenssinn stehen darüber hinaus im Zusammenhang mit Hoffnung, Lebensfreude sowie dem Gefühl der Verbundenheit mit sich selbst und anderen. Sie gehen aber auch mit einer höheren sozialen und körperlichen Funktionsfähigkeit einher (Visser et al. 2010). Das Empfinden eines übergeordneten Lebenssinns stellt weiterhin einen negativen Prädiktor für Depressivität und Demoralisierung dar (Vehling et al. 2011).

Sinn- und kohärenzorientierte Theorien

Die theoretische Fundierung zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten zu existenziellen Belastungen geht auf Viktor Frankl (1905–1997) zurück, der grundlegende Aspekte der menschlichen Existenz wie Tod, Leiden, Freiheit und die Suche nach dem Sinn in ihrer psychologischen Bedeutung aufgriff und in den Kontext therapeutischer Interventionen stellte. Frankls Annahmen, die in weiten Teilen auf die Existenzphilosophie Bezug nehmen, sind grundlegend für Konzeptionen zu Sinnsuche und Sinnfindung sowie deren Adaptation auf die Situation körperlich kranker Menschen. Ähnliche theoretische Ansätze finden sich u. a. in den von Antonovsky (1987) umfassend beschriebenen Konzepten der Salutogenese und der Resilienz wieder. Reker u. Chamberlain (2000) unterscheiden zwischen individuellem Lebenssinn, d. h. einer übergreifenden Wahrnehmung von Sinnhaftigkeit im Leben einerseits und situationsbezogenem Sinn andererseits. Situationsbezogener Sinn ergibt sich aus der persönlichen Bedeutung, die eine Person einer bestimmten Erfahrung zuweist. Individueller Lebenssinn wird als rahmengebende Grundüberzeugung verstanden, die Ausdruck in einer von Gefühlen der Kohärenz und zielgeleiteter Bestimmung geprägten Lebensperspektive und Weltanschauung findet.

Die Definition von Lebenssinn umfasst das Gefühl einer logischen Verbindung von Lebensereignissen, einer persönlichen Identität, eines subjektiven Grundes für die eigene Existenz sowie ein soziales Bewusstsein, ebenso wie das Vorhandensein wertbasierter Zielsetzungen, Aufgabenstellungen und einer Richtung im Leben (Reker u. Chamberlain 2000).

Die Frage, inwiefern eine Person im Leben, in ihren Einstellungen und ihrer Selbstwahrnehmung Kohärenz empfindet, lasst sich auch aus der Perspektive entwicklungspsychologischer bzw. sozial-kognitiver Ansatze zum autobiografischen Selbstverständnis beantworten. Die Integration von Erfahrungen in eine zusammenhängende Lebensgeschichte ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, das Leben als sinnvoll zu erfahren. Der Begriff der „autobiografischen Kohärenz“ bezeichnet das Vorhandensein einer subjektiv schlüssigen und stimmigen Lebensgeschichte als Voraussetzung für ein Gefühl von Sinnhaftigkeit und Erfülltheit im Leben (Kenyon 2000). Nach Baumeister u. Newman (1994) greifen Menschen bei der Beschreibung und Erklärung von Lebensereignissen vornehmlich auf Narrativierungen zurück. Vergangenheit sowie Gegenwart werden in Beziehung zueinander gesetzt und Erlebtes mit dem eigenen Selbstbild verknüpft, um den eigenen Lebenserinnerungen eine subjektiv sinnvolle Form zu geben (Habermas u. Bluck 2000). Die individuelle Lebensgeschichte, die auf dem Weg solcher Prozesse autobiografischen Schlussfolgerns entsteht, konstituiert Identität und Selbstverständnis einer Person (Linde 1993).

Nach Habermas u. Bluck (2000) beinhaltet die Organisation von Erfahrungen in eine kohärente Autobiografie vier Formen der Kohärenz; hierbei wird die größte Relevanz der kausalen Kohärenz zuteil. Sie trägt dem Bedürfnis Rechnung, die Lebensereignisse in einer subjektiv logischen und schlüssigen Weise zu verbinden (Linde 1993). Solche Kausalattributionen dienen der Aufrechterhaltung des Gefühls von Kontrolle im Verlauf des Lebens. Mit der zeitlichen Kohärenz ist in der westlichen Kultur zumeist die Vorstellung eines linearen zeitlichen Bezugs der Lebenserinnerungen aufeinander verbunden. Als weitere Form der Kohärenz definieren Habermas u. Bluck (2000) biografische Kohärenz. Sie prägt die Konstruktion der Lebensgeschichte im Licht gesellschaftlicher Richtwerte für Dauer und Zeitpunkt des Auftretens als bedeutsam erachteter Ereignisse. Schließlich können Menschen thematische Kohärenz erzeugen, indem sie die Lebensereignisse auch unter thematischen Gesichtspunkten miteinander verknüpfen und ihnen somit einen Sinn verleihen.

Mit der Diagnose einer Krebserkrankung und ihren Folgen kann das Gefühl autobiografischer Kohärenz unterbrochen werden, indem die individuell mit der Lebensgeschichte verbundenen Annahmen über die Welt, grundlegende Werte und das Selbstbild infrage gestellt werden.

Sinnbasierte Krankheitsverarbeitung

Das heute vorherrschende Verständnis von Krankheitsverarbeitungsprozessen im Verlauf einer Krebserkrankung ist vom „Coping“-Begriff der transaktionalen Stresstheorie von Lazarus u. Folkman (1984) geprägt. Ein Ansatz, der auf kognitive Bewältigung fokussiert sowie die Beziehung zwischen Coping-Strategien und positiven Affekten genauer beleuchtet, ist das Konzept der sinnorientierten Stressverarbeitung von Park u. Folkman (1997). Die Autorinnen unterscheiden zwischen einem globalen und einem situationsbezogenen Sinnaspekt („global“ vs. „situational meaning“). Bezüglich des erstgenannten Aspekts übernehmen sie die Definition des individuellen Lebenssinns von Reker u. Chamberlain (2000), die ein Gefühl von Kohärenz und logischer Ordnung sowie eine richtunggebende Bestimmung durch individuell wertvolle Ziele umfasst. „Situational meaning“ bezeichnet hingegen die persönliche Bedeutsamkeit einer spezifischen Situation. Letztere ist Ausgangspunkt der Integration dieses Sinnkonzepts in die traditionelle Stresstheorie. Die individuelle Bedeutung einer Situation ist nach Park u. Folkman (1997) Folge kognitiver Bewertungsprozesse bei der Auseinandersetzung mit einem Ereignis. Insbesondere bei gravierenden Ereignissen werden sinnorientierte Stressverarbeitungsstrategien eingesetzt. Geschehen könne dies auf dem Weg der Änderung der persönlichen Bedeutung des Ereignisses durch kognitive Prozesse der Neu- oder Umbewertung. Eine bedeutsame Rolle spielen weiterhin Reattributionen, selektive Inzidenz und die Verschiebung des Fokus auf mögliche positive Folgen („benefit“) der Erfahrungen.

Sinnorientierte Interventionen

Konzepte und Angebote

Das Konzept der psychosozialen Versorgung von Krebspatienten ist einem supportiven Therapieansatz verpflichtet, der grundsätzlich darauf zielt, Menschen dazu zu befähigen, ein höchstes Maß an Selbstständigkeit und Lebensqualität zu erreichen und zu bewahren, sie beim Umgang mit den Krankheits- und Behandlungsfolgen während sowie nach der Erkrankung und Therapie zu unterstützen sowie Patienten und Angehörige dazu zu ermutigen, eigene Strategien zur Bewältigung der Krankheit zu entwickeln.

Es besteht weitreichender Konsens, dass existenziellen Fragestellungen ein wichtiger Aspekt in der psychoonkologischen Versorgung schwer kranker Menschen zukommt. Obwohl verschiedene gruppentherapeutische Verfahren bei Krebspatienten auf ihre Wirksamkeit geprüft wurden, liegen bislang für schwer kranke Patienten insgesamt wenig evaluierte psychotherapeutische Interventionsangebote vor, die als Einzel- oder Gruppenintervention durchführbar, praktikabel und gut geeignet sind, die psychische Belastung bei Patienten mit fortschreitender Krebserkrankung zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern.

Eine aktuelle internationale Literaturarbeit gibt einen Überblick über bestehende evaluierte sinnorientierte Interventionen, die für körperlich kranke Patienten entwickelt wurden (LeMay u. Wilson 2008). Wie Tab. 1 zu entnehmen ist, stellen 6 der 9 beschriebenen Verfahren Gruppeninterventionen mit z. T. deutlich langer Dauer dar. Von den Einzelinterventionen ist ein Verfahren für früh erkrankte Patienten (Creamer et al. 1992) und das zweite für terminal erkrankte Patienten (Chochinov et al. 2004) konzipiert.

Tab. 1 Sinnorientierte Interventionen für Krebspatienten. (Adaptiert nach LeMay u. Wilson 2008)

Übergreifend zielen sinnorientierte Interventionen für Krebspatienten auf die Stärkung des Selbstwertgefühls und des Gefühls von Würde, auf die Würdigung von Stärken und Errungenschaften im Leben des Patienten, auf die Verringerung von Gefühlen der Isolation und Einsamkeit, auf die Stärkung oder Klärung der Bindung zwischen Patient und Familie, auf die Verbesserung der Kommunikation mit dem Behandlungsteam, auf die Mobilisierung innerer Ressourcen und das Aufzeigen neuer Lebensperspektiven trotz einer spürbar begrenzten Lebenserwartung. Weitere Zielsetzungen beinhalten die Reduktion von emotionalen und spirituellen Belastungen, die Förderung von Hoffnung, Mut und Kontrolle, die Klärung von Missverständnissen und Erwartungen sowie vonseiten des therapeutischen Teams die Signalisierung von Offenheit gegenüber Themen wie Trennung, Verlust, Tod oder Angst vor dem Unbekannten.

Insgesamt liegen allerdings kaum Interventionen vor, die die medizinische Versorgungssituation des Patienten explizit in der Therapie mitberücksichtigen, spezifische Faktoren, die zur Entstehung der Depression und des Verlusts an Lebenssinn bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung beitragen, identifizieren und Hilfestellung z. B. bei schwierigen Behandlungsentscheidungen auch in enger Kooperation mit dem onkologischen Behandlungsteam leisten (Rodin et al. 2009). Die Mehrzahl evaluierter Interventionen für Patienten mit fortschreitender Erkrankung ist darüber hinaus als Gruppentherapie konzipiert (Goodwin et al. 2001; Kissane 2009). Einzelpsychotherapie bietet bei der Behandlung schwer kranker Patienten Vorteile gegenüber einer Gruppenbehandlung und wird auch von den meisten Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung bevorzugt. Sie lässt sich – den spezifischen körperlichen Funktionsstatus und die Bedürfnisse eines Patienten berücksichtigend – individueller planen und psychische Krisen sowie Belastungen von Patienten, die durch das Versterben von Gruppenmitgliedern entstehen können, werden vermieden.

Wirksamkeit

Empirische Wirksamkeitsnachweise für sinnorientierte Interventionen sind bisher begrenzt (LeMay u. Wilson 2008). Diese Tatsache ist v. a. dadurch begründet, dass die Mehrzahl der Interventionen auf körperlich schwer kranke Patienten fokussiert. Damit ist die Durchführung von randomisierten kontrollierten Interventionsstudien erheblich erschwert. Insbesondere für die supportiv-expressive Gruppentherapie (SEGT; Spiegel u. Spira 1991) liegen drei randomisierte kontrollierte Studien mit einer ausreichenden Stichprobengröße vor, die die Wirksamkeit entsprechend internationaler Kriterien der American Psychological Association zumindest potenziell belegen (Chambless u. Hollon 1998; LeMay u. Wilson 2008). Auch nichtrandomisierte Prä-post-Studien sowie randomisierte kontrollierte Pilotstudien geben Hinweise auf die Wirksamkeit von Interventionen mit den Schwerpunkten Würde und Sinnfindung (Chochinov et al. 2005; Henry et al. 2010; Lee et al. 2006). Darüber hinaus wurden einige sinnorientierte Interventionen erst in den letzten Jahren entwickelt (Hales et al. 2010), sodass die Wirksamkeitsnachweise noch ausstehen.

Fazit

Das Spektrum evaluierter wirksamer sinnorientierter psychotherapeutischer Interventionen für Krebspatienten mit einer fortschreitenden Erkrankung, die ambulant durchgeführt werden können, ist insgesamt besonders für den deutschsprachigen Raum begrenzt. Dies steht im Gegensatz zu dem Bedürfnis vieler Patienten nach Verringerung der psychischen Belastung und nach Austausch zu Themen wie Hoffnung und Lebenssinn. Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung haben durch vielfältige medizinische und psychosoziale Faktoren im Krankheitsverlauf ein erhöhtes Risiko, existenzielle Belastungen zu entwickeln. Obwohl es insgesamt eine Reihe von wirksamen psychotherapeutischen Interventionen zur Behandlung psychischer Störungen und Belastungen gibt (u. a. kognitiv-behaviorale Therapie, interpersonelle Therapie), sind diese nur begrenzt bei Patienten mit einer fortschreitenden Krebserkrankung durchführbar. Spezifische, für die Situation schwer erkrankter Patienten konzipierte supportive Interventionen können helfen, Lebenssinn, Hoffnung und Lebensqualität zu fördern.