Die vielfältigen politischen, gesetzlichen und ökonomischen Eingriffe in die medizinischen Versorgungsstrukturen in den letzten Jahren und auch die zu erwartenden tief greifenden Veränderungen im Gesundheitssystem erfordern eine Überprüfung der Konsequenzen dieser Eingriffe für die Patienten sowie auch deren ökonomischer Auswirkungen. Versorgungsforschung ist aber bisher in Deutschland nach wie vor ein vernachlässigtes Feld sowohl in der somatischen als auch der psychotherapeutischen Medizin. Die vom Deutschen Ärztetag 2005 beschlossene Förderung der Versorgungsforschung (Gerst 2005) und auch die für ambulante Versorgung durch das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-WSG, 2007) vorgeschriebene, aber bisher nur begrenzt umgesetzte Qualitätssicherung bieten Möglichkeiten, praxisrelevante Daten zu erheben, beinhalten aber auch die Gefahr sinnloser Datensammlungen unter Rechtfertigungsdruck gegenüber den Kostenträgern. Von Kostenträgern unabhängig (d. h. auftrags- und interessenunabhängig) und nicht im Rahmen von kontrollierten Therapiestudien erhobene Daten zur psychotherapeutischen Versorgungssituation aus der Perspektive der Patienten liegen bisher kaum vor und stellen ein Desiderat dar (Rabe-Menssen et al. 2011; Schauenburg et al. 2009).

Hintergrund und Fragestellung

In diesem Bereich kann für die ambulante Psychotherapie die „Consumer-Reports-Studie“ (Seligman 1995) als wegweisend gelten: Das US-amerikanische Verbrauchermagazin Consumer Reports verschickte 1994 an 184.000 Leser ca. 100 Fragen zu Autos und zu psychischer Gesundheit. Letztere sollten von Lesern beantwortet werden, die „in den letzten drei Jahren zu irgendeinem Zeitpunkt Stress oder andere psychische Problemsituationen erlebt hatten, zu deren Bewältigung Sie sich an eine der folgenden Gruppen wandten: Verwandte, Pfarrer, professionelle Psychologen oder Psychiater, Hausärzte oder Selbsthilfegruppe“. Den Fragebogen beantworteten 22.000 Leser, 7000 Leser die Fragen zur psychischen Gesundheit. Es zeigte sich eine große Zufriedenheit mit der Inanspruchnahme professioneller Beratung oder Therapie. Zusätzliche medikamentöse Behandlung empfanden 59% der Antwortenden als hilfreich, aber 44% beklagten Nebenwirkungen, und die Kombinationsbehandlung erzielte keine besseren Resultate als alleinige Psychotherapie. Begrenzungen durch die Kostenträger bezüglich Dauer oder Frequenz der Behandlung wirkten sich negativ auf das Behandlungsergebnis aus.

Hartmann (2006) replizierte mit einem Aufruf zur Teilnahme an einer Fragebogenuntersuchung in der Zeitschrift Stiftung Warentest diese Studie in Deutschland. Interessierten wurde der „Fragebogen zur Psychotherapie“ (Hartmann 2006) zugeschickt. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, den Fragebogen im Internet zu beantworten. Als Teilnahmekriterien galt die Bejahung folgender Fragen: „Hatten Sie während der letzten 6 Jahre irgendwelche seelischen Probleme?“ und „Haben Sie deswegen Hilfe gesucht (z. B. bei einem Psychotherapeuten, einer Beratungsstelle, einem Hausarzt, einem anderen Arzt oder einer Selbsthilfegruppe)?“ Anhand der 1426 auswertbaren Fragebogen zeigte sich, dass 76% der Patienten mit ihrer psychotherapeutischen Behandlung absolut oder sehr zufrieden waren (Hartmann u. Zepf 2004).

Die vorgestellte Untersuchung geht unter Aspekten der Versorgungsforschung der Frage nach, wie sich die ambulante psychotherapeutische Versorgung in Deutschland aus Sicht der Patienten darstellt. Es sollten Angaben der Patienten selbst zu Anlässen, Dauer und Einschätzung des Behandlungsergebnisses ambulanter Psychotherapie erhoben werden – unabhängig von Kostenträgern und Leistungserbringern.

Um möglichst viele Patienten zu erreichen, wurde anders als in den bisher durchgeführten Fragebogenuntersuchungen eine aktivere Rekrutierung mithilfe von Telefonanrufen und telefonischen Interviews gewählt. Um die Versorgungssituation in den neuen Bundesländern differenzierter abzubilden, sollte ein, verglichen mit der deutschen Gesamtbevölkerung, überproportionaler Anteil von Probanden aus den neuen Bundesländern rekrutiert werden.

Nachfolgend werden strukturelle Aspekte der psychotherapeutischen Versorgungssituation beschrieben. Es wird dargestellt, wer und aus welchen Gründen ambulante Psychotherapie in Anspruch nahm, wo Menschen mit psychischen Beschwerden Hilfe suchten, welche Empfehlungen sie erhielten und wie die Wege in eine ambulante Psychotherapie verliefen.

In einer weiteren Arbeit (Albani et al. 2011) wird die Wirksamkeit der Behandlungen anhand der Einschätzungen der Befragten zu ihren Erfahrungen mit ambulanter Psychotherapie analysiert.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Die Daten der vorgestellten Untersuchung wurden im Auftrag der Universität Leipzig von dem Meinungsforschungsinstitut USUMA GmbH, Berlin, erhoben.

Zunächst wurden in einem Screening über allgemeine, bundesweite telefonische Bevölkerungsbefragungen Personen in Privathaushalten ermittelt, die innerhalb der letzten 6 Jahre psychotherapeutisch behandelt wurden oder seit mindestens 3 Monaten behandelt werden und die bereit waren, über eine solche Behandlung Auskünfte zu geben. Dabei handelte es sich einerseits um Mehrthemenbefragungen, zum anderen um spezifische Befragungen in den neuen Bundesländern (z. B. zum „Bild der DDR“), um gezielt den Anteil Befragter aus den neuen Bundesländern zu erhöhen.

In einem zweiten Schritt (Hauptstudie) wurden diese Personen über ein standardisiertes Telefoninterview von Interviewern zu ihrer ambulanten Psychotherapie befragt. Es erfolgten sowohl vor als auch im Verlauf der Befragung spezielle Schulungen der Interviewer durch die Autoren der Untersuchung. Die Probanden wurden ausführlich vom Interviewer über die Untersuchung aufgeklärt und darüber informiert, dass die Auswertung anonym, also nicht in Verbindung mit Namen, Anschrift oder Telefonnummer des Befragten erfolgt.

Das standardisierte Telefoninterview enthielt Fragen des Consumer Reports (deutsche Version von Hartmann 2006) und wurde durch weitere Fragen zum Inanspruchnahmeverhalten und zur Bewertung des Nutzens der Psychotherapie ergänzt.

Es wurden alle Haushalte über den Arbeitskreis Deutscher Marktforschungsinstitute (ADM) –Telefonstichprobe „eASYSAMPLe“ (Bik-Aschpurwis u. Behrend GmbH 2009) ausgewählt, in der auch nicht ins Telefonbuch eingetragene Telefonnummern nach dem „Gabler-Häder-Verfahren“ (Häder 1994) berücksichtigt sind. Auf diese Weise konnte eine zufällige Auswahl der kontaktierten Haushalte sichergestellt werden. Innerhalb des Haushalts wurde die Zielperson anhand des „Schwedenschlüssels“ (Kirschner 1984) ebenfalls zufällig ermittelt.

Um die Antreffwahrscheinlichkeit des Merkmals „Psychotherapiebehandlung innerhalb der letzten 6 Jahre“ zu erhöhen, wurde nach Abschluss der ersten Befragungswelle von Februar/März 2008 eine Nachfrage zu weiteren Personen im Haushalt eingefügt, auf die dieses Merkmal zutrifft, und im positiven Fall, ob diese Person (oder eine dieser Personen) evtl. bereit wäre, hierzu separat Auskunft zu geben. Da diese Frage nur im Fall einer nichtqualifizierten oder bereiten Zielperson gestellt wurde, können darüber keine direkten Rückschlüsse zur allgemeinen Verteilung von Psychotherapiepatienten in Deutschland gezogen werden.

In der Feldzeit vom 02.06.2008 bis zum 23.09.2009 wurden in der Zielgruppe der mindestens 18 Jährigen insgesamt 46.686 Screening-Interviews durchgeführt. Aus diesen ergaben sich in der direkten Abfrage zunächst 3424 Zielpersonen und auf Nachfrage 882 weitere Personen mit ambulanter psychotherapeutischer Behandlung im Haushalt. Insgesamt erklärten sich 1913 Personen dazu bereit, an der Hauptstudie teilzunehmen. Von diesen 1913 Bereitwilligen konnten mit 1212 Personen Interviews realisiert werden (Ausschöpfungsquote 74%). Gründe für die Nichtrealisierung der Interviews lagen darin, dass die aktuelle Therapiezeit zu kurz war (<3 Monate), die Therapie zu lange zurücklag (>6 Jahre), dass die Zielperson das Interview verweigerte (n=71), das Gespräch abbrach (n=73) oder nicht erreichbar war. In 170 Fällen wurde bereits in der Kontaktanbahnung durch den Interviewer festgestellt, dass die ermittelte Zielperson keine psycho-, sondern eine physiotherapeutische Behandlung erhalten hatte bzw. die zunächst erfasste Person nicht im Haushalt lebte.

Die Daten wurden mithilfe des statistischen Software-Pakets SPSS für Windows 10.0 analysiert.

Ergebnisse

Vergleich der „Response“- und der „Non-response“-Gruppe

Ein Vergleich derer, die am Interview teilnahmen, und derer, die zwar Erfahrung mit ambulanter Psychotherapie hatten, aber mit denen aus verschiedenen Gründen keine Interviews zustande kamen, ist nur in den Fällen möglich, in denen die ausgewählte Person bereits in der Rekrutierung die Zielperson war, da für andere Personen im Haushalt vor dem eigentlichen Hauptinterview keine soziodemografischen Daten erhoben wurden. Daher bezieht sich der Vergleich in Tab. 1 auf alle direkt kontaktierten Personen mit psychotherapeutischer Behandlung.

Tab. 1 Vergleich der Teilnehmer am Interview mit der Gesamtgruppe Rekrutierter mit Erfahrung in ambulanter Psychotherapie

Für 1300 Personen, die über das speziell entworfene Rekrutierungsprojekt ermittelt wurden, fehlt der Bildungsabschluss, da dieser erst im Hauptinterview erfasst wurde. Es zeigt sich, dass die interviewten Psychotherapiepatienten der Altersgruppe über 65 Jahre leicht unter-, die der Altersgruppe 45 bis 54 Jahre leicht überrepräsentiert sind. In der Gruppe der Interviewteilnehmer ist der Anteil derer mit einem abgeschlossenen Studium höher als in der Gesamtgruppe.

Soziodemografische Merkmale

Die soziodemografischen Merkmale der Untersuchungsstichprobe finden sich in Tab. 2. Zum Vergleich mit der deutschen Gesamtbevölkerung wurden, soweit verfügbar, Daten der Mikrozensuserhebungen der Jahre 2007 und 2008 des Statistischen Bundesamts herangezogen (Statistisches Bundesamt 2008; Statistisches Bundesamt 2009). Die Vergleichbarkeit ist eingeschränkt, weil die soziodemografischen Merkmale z. T. mit unterschiedlichen Kategorien erhoben wurden.

Tab. 2 Soziodemografische Merkmale der befragten Psychotherapiepatienten und der deutschen Gesamtbevölkerung

Übereinstimmend mit anderen Untersuchungen zeigte sich, dass mit 72% deutlich mehr Frauen als Männer eine ambulante psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nahmen – z. B. 75% Patientinnen bei Hartmann u. Zepf (2004; Inanspruchnahme innerhalb der letzten 6 Jahre, N=1772); Linden et al. (1993): 73% Patientinnen bei 1334 Anträgen an den Gutachter auf Verhaltenstherapie in der kassenärztlichen Versorgung.

Die Altersgruppe der 31- bis 44-Jährigen war bei den befragten Psychotherapiepatienten, verglichen mit der Gesamtbevölkerung, unter-, die der 45- bis 59-Jährigen überrepräsentiert. Bezüglich der gesamten Untersuchungsstichprobe ist der Anteil über 60-Jähriger geringer als in der deutschen Bevölkerung. Auffällig ist aber ein hoher relativer Anteil von Männern über 60 Jahre, die über Erfahrungen mit ambulanter Psychotherapie berichten.

Wie angestrebt, lag der Anteil Befragter aus den neuen Bundesländern mit 33% über dem gesamtdeutschen Durchschnitt von 20%.

Bei den befragten Psychotherapiepatienten war der Anteil verheirateter, aber auch der lediger Probanden niedriger als in der Gesamtbevölkerung, der Anteil verwitweter oder geschiedener Befragter dagegen deutlich höher.

Die befragten Psychotherapiepatienten hatten, verglichen mit der gesamtdeutschen Bevölkerung, insgesamt ein höheres Bildungsniveau: Der Anteil der Hauptschulabsolventen lag bei 20% (vs. 40% in der Gesamtbevölkerung). Von den Patienten hatten 36% die mittlere Reife, deren Quote in der Gesamtbevölkerung bei 29% liegt. Die Fachhochschul- oder Hochschulreife haben 25% aller Deutschen. Von den hier befragten Psychotherapiepatienten gaben 17% das Abitur und 27% ein abgeschlossenes Studium an. Verglichen mit der Gruppe der im Screening-Interview identifizierten Psychotherapiepatienten ergibt sich über das Kriterium „Bereitschaft zur Teilnahme am Interview“ eine Selektion in Richtung höherer Bildungsabschluss. Psychotherapiepatienten mit Hochschulabschluss scheinen auskunftsbereiter zu sein als Patienten mit Hauptschulabschluss.

Der Anteil Erwerbstätiger, aber auch der Anteil Arbeitsloser war bei den Psychotherapiepatienten höher als in der Allgemeinbevölkerung, der Anteil an Rentnern etwa gleich hoch.

Mehr als die Hälfte der befragten Patienten gaben ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1000 EUR pro Person im Haushalt an. Patientinnen hatten insgesamt niedrigere Einkommen als Patienten. Es gaben 34% der Befragten an, allein zu leben. Mit 2 Personen im Haushalt lebten 35% der Befragten, 16% mit 3 Personen, 10% mit 4 Personen und 4% mit mehr als 5 Personen.

Therapieanlass

Anhand von 4 vorgegebenen Hauptkategorien von Beschwerden (Ängste, niedergedrückte oder gereizte Stimmung, süchtiges Verhalten, Störungen des Essverhaltens), die bei Zustimmung detaillierter erfragt wurden, und weiteren Kategorien von Krankheitssymptomen wurden die Probanden befragt, welche Beschwerden sie veranlasst hatten, ambulante psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen (Tab. 3). Von den Befragten gaben 85% depressive Beschwerden als Anlass für die ambulante Psychotherapie an, 24% sogar Suizidalität. Es nannten 63% der Befragten Ängste, 54% psychosomatische Beschwerden, 26% Essstörungen, 14% süchtiges Verhalten, 16% Zwangsstörungen, 12% sexuelle Funktionsstörungen und 14% Persönlichkeitsstörungen als Behandlungsanlass. Wegen Problemen, mit einer körperlichen Erkrankung fertigzuwerden, nahmen 30% der Probanden psychotherapeutische Hilfe in Anspruch.

Tab. 3 Anlass der ambulanten Psychotherapie (N=1212)

Werden die einzelnen Beschwerden (ohne die 4 Hauptkategorien und ohne „andere Probleme“) zugrunde gelegt, wurden im Mittel 5,11 Beschwerden (SD ±2,86) genannt. Es gaben 9% der Befragten eine Beschwerde, 25% 2 Beschwerdegruppen, 41% 3, 21% 4 und 4% 5 Beschwerdegruppen an. Im Mittel wurden 1,63 „andere Probleme“ (SD ±1,37) angegeben.

Befragt nach ihrer allgemeinen seelischen Verfassung, als die Befragten wegen der Probleme Hilfe suchten, betrug der Mittelwert auf einer 5-stufigen Skala von „1: sehr schlecht“ bis „5: sehr gut“ 1,72 (SD ±0,80). Es schätzen 84% der Befragten ihren Zustand als „sehr schlecht“ oder „schlecht“ ein.

Ansprechpartner im Vorfeld

In Tab. 4 werden die Zustimmungsraten zu der Frage dargestellt, mit wem die Befragten vor ihrer ambulanten Psychotherapie über ihre Probleme gesprochen haben, wer zur Psychotherapie ermuntert hat und die Kombination der beiden Fragen (wer von denen, mit denen gesprochen wurde, hat dann auch zur Psychotherapie ermutigt). Es gaben 6% der Befragten an, mit niemandem über ihre Probleme geredet zu haben.

Tab. 4 Ansprechpartner und Ermutigung zur Psychotherapie (N=1212)

Es äußerten 60% der Befragten (n=720), dass es die eigene Entscheidung gewesen sei, eine Psychotherapie zu beginnen; 57% (n=687) sagten, dass sie von anderen zur Psychotherapie ermuntert worden seien. Es ergaben sich insgesamt eher niedrige Raten für die Zustimmung zu der Frage, ob die in Tab. 4 aufgeführten Personen die Psychotherapieentscheidung der Befragten unterstützten. Heilpraktiker, Seelsorger, die Telefonseelsorge, Lehrer und Selbsthilfegruppen spielten als Ansprechpartner eine geringe Rolle und ermutigten auch kaum zur Psychotherapie, selbst, wenn sie wegen der seelischen Probleme angesprochen wurden.

Für 62% der Befragten war der Hausarzt Ansprechpartner für die seelischen Probleme, der dann, wenn er angesprochen wurde, in 33% eine Psychotherapieempfehlung und in 30% eine psychopharmakologische Behandlungsempfehlung gab. Fast die Hälfte der Befragten hatte mit Familienmitgliedern bzw. Freunden und Bekannten gesprochen. Während ca. ein Viertel der angesprochenen Familienmitglieder zur Psychotherapie ermutigte, waren es nur 13% der Freunde und Bekannten. Wenn Psychiater Ansprechpartner waren (für 25% all derer, die Ansprechpartner hatten), erhielten die Betroffenen in 27% eine Ermutigung zur Psychotherapie und in 50% eine Empfehlung für Medikamente zur Behandlung der seelischen Beschwerden. In 38% der Fälle wurde von Behandlern in stationären Einrichtungen zur ambulanten Psychotherapie ermutigt.

Zeit bis zum Beginn der Therapie

Nach ihrer Entscheidung für eine ambulante Psychotherapie konnten 53% der Befragten innerhalb eines Monats mit der Behandlung beginnen, 87% innerhalb von 3 Monaten und 96% innerhalb von 7 Monaten (Tab. 5). Es lässt sich nicht klären, ob sich diese Zeitangaben auf die Wartezeit zwischen der Entscheidung zur Behandlung und einem Erstgespräch beziehen oder den Zeitraum zwischen dem Ende der probatorischen Phase bis zum Behandlungsbeginn umfassen. Falls Letzteres zutrifft, könnte die insgesamt verhältnismäßig kurze Wartezeit damit zu erklären sein, dass viele niedergelassene Kollegen nur dann probatorische Sitzungen anbieten, wenn sicher ist, dass in absehbarer Zeit ein Therapieplatz zur Verfügung steht.

Tab. 5 Zeitraum bis zum Beginn der ambulanten Psychotherapie

Medikamenteneinnahme und Medikamentenwirkung

Es wurde 62% aller Befragten (n=748) geraten, zur Behandlung ihrer seelischen Probleme Medikamente einzunehmen. In 33% der Fälle gab der Hausarzt, in 45% der Psychiater, in 25% der behandelnde Neurologe und in 25% eine Klinik diese Behandlungsempfehlung zu Medikamenten. Von allen Befragten nahmen 671 (55%) Medikamente zur Behandlung ihrer seelischen Probleme ein.

In Tab. 6 ist die Einschätzung der Medikamentenwirkung bezüglich der seelischen Probleme dargestellt. Von denjenigen, die die Empfehlung für eine medikamentöse Behandlung erhalten hatten, empfanden 70% diese als hilfreich, aber 30% gaben belastende Nebenwirkungen an. Insgesamt beklagten 43% derjenigen, die Medikamente genommen hatten, belastende Nebenwirkungen der Medikamente. Es empfanden 19% der Probanden die Medikamente als nichthilfreich; 10% gaben an, trotz der Empfehlung keine Medikamente genommen zu haben.

Tab. 6 Medikamentenwirkung

Zugangswege und Präferenzen bezüglich des Therapeuten

Bei 40% der Befragten erfolgte eine Überweisung zur ambulanten Psychotherapie durch einen Arzt (Tab. 7). Eine Empfehlung durch Freunde oder Kollegen für ihren Psychotherapeuten erhielten 19% der Probanden. Jeweils ca. 12% fanden ihren Psychotherapeuten durch die Gelben Seiten bzw. die Empfehlung einer Klinik.

Tab. 7 Zugang zur ambulanten Psychotherapie

Befragt nach Präferenzen bezüglich des Geschlechts des Psychotherapeuten äußerten 73% der Befragten keinerlei Präferenzen. Eine Therapeutin bevorzugten 21%. Dass sie keine Präferenzen bezüglich des Alters des Therapeuten hatten, gaben 85% der Probanden an. Es wollten 6% lieber zu einem älteren, 7% zu einem etwa gleich alten und 1% zu einem jüngeren Behandler.

Psychotherapeutische Vorbehandlungen

Für fast die Hälfte der Befragten (43%, n=515) handelte es sich nicht um die erste ambulante Psychotherapie. Es waren 26% der Befragten schon einmal, 17% bereits mehrfach in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung (bei Mehrfachbehandlung: Range 2 bis 20 Behandlungen, 47% zweimal, 22% dreimal, 11% viermal und 10% fünfmal). Die Befragten, die bereits eine oder mehrere Vorbehandlungen hatten, gaben zu 44% an, dass diese (bzw. bei mehreren die längste) Vorbehandlung bis zu 6 Monaten dauerte. Bei 19% der Probanden betrug die Vorbehandlungsdauer zwischen 6 Monate und bis zu einem Jahr.

Angaben zur psychotherapeutischen Behandlung

Die ambulante Psychotherapie wurde in 57% der Fälle von weiblichen Psychotherapeuten durchgeführt. Von den Befragten gaben 71% an, dass ihr Behandler zur Berufsgruppe der Psychologen gehörte, bei 25% waren die Behandler Ärzte, und bei 4% der Befragten gehörten die Behandler einer anderen Berufsgruppe an.

Weibliche Psychotherapeuten sind in der vorgestellten Befragung unterrepräsentiert, wenn die Zahlen der an der vertragsärztlichen psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Psychologen und psychotherapeutisch tätigen Ärzte zugrunde gelegt werden (Kassenärztliche Bundesvereinigung 2008): Der Anteil der ärztlichen Psychotherapeutinnen in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) betrug 63,4%, der der Psychologinnen 67,6%. Die Angaben der Befragten zur Berufsgruppe der Behandler (71% Psychologen, 25% Ärzte, 4% andere) spiegelt weitgehend die Verteilung zwischen ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten in der KBV mit 72,6% Psychologen wider.

Danach befragt, mit welcher psychotherapeutischen Methode der Befragte behandelt wurde bzw. wird, nannten 47% Verhaltenstherapie, 41% tiefenpsychologisch fundierte Therapie und 5% psychoanalytische Therapie. Diese Angaben entsprechen in etwa der Verteilung der Zulassungen bezüglich der Verfahren bei der KBV (Psychologen/Ärzte: 47/12% Verhaltenstherapie; 36/64% tiefenpsychologisch fundierte Therapie, 6/9% psychoanalytische Therapie; 11/15% tiefenpsychologisch fundierte Therapie und psychoanalytische Therapie).

Um die Breite möglicher, weiterer Verfahren zu erfassen, wurde daran anschließend erfragt, welche der folgenden Behandlungsmethoden möglicherweise auch Teil der Therapie waren: klientenzentrierte Therapie, systemische Therapie, Familientherapie, Paartherapie, Körpertherapie, Hypnose, Hypnotherapie, Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR), Biofeedback, Entspannungsverfahren oder etwas anderes. Bezüglich systemischer Therapie stimmten 36% der Befragten zu, bezüglich Entspannungsverfahren 26% und bezüglich Gesprächstherapie 58%.

Kostenträger

Bezüglich der Kostenübernahme (Tab. 8) zeigte sich die angesichts der Versicherungsverhältnisse in Deutschland zu erwartende Verteilung [ca. 10% der Deutschen sind voll privat krankenversichert (Verband der Privaten Krankenversicherungen 2008), ca. 90% sind Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung]: Bei 79% der Befragten wurden die Kosten vollständig von der gesetzlichen, bei 3% vollständig von der privaten Krankenversicherung übernommen. Nur 4% der Befragten trugen die Kosten ihrer ambulanten Psychotherapie vollständig selbst.

Tab. 8 Kostenträger der ambulanten Psychotherapie

Die Frage, ob Begrenzungen durch die Krankenversicherung Einfluss auf die Dauer der Therapie hatte, bejahten 20% der Befragten (n=237). Es waren 78% der Befragten (n=803) der Meinung, dass der Leistungsumfang der Krankenversicherung für Psychotherapie ausreichend ist. Dass sie die Kosten für eine ambulante Psychotherapie nicht selbst getragen hätten, gaben 82% der Probanden (n=470) an. Nach den Gründen dafür befragt, stimmten 75% dieser Probanden (n=419) der Aussage zu, dass sie die Therapie nicht zahlen können, 20% (n=114) der Aussage, dass sie die Therapie nicht zahlen wollen.

Setting

Es gaben 91% der Befragten (n=1098) an, in einzeltherapeutischer Behandlung zu sein. In Einzelsitzungen, aber gelegentlich zusammen mit dem Lebenspartner, wurden 4% der Probanden (n=52) und in Gruppensitzungen ebenfalls 4% behandelt. Lediglich 0,8% gaben an, regelmäßig zusammen mit Ihrem Lebenspartner und 0,2% zusammen mit der Familie behandelt worden zu sein bzw. behandelt zu werden.

Dauer und Frequenz

Der Range der Dauer der abgeschlossenen ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen lag bei 1 bis 600 Sitzungen. Die 698 Probandinnen mit einer abgeschlossen Therapie hatten im Mittel 48 Sitzungen (SD ±68,6). Probanden, die zum Zeitpunkt der Befragung noch in Behandlung waren (n=514), gaben im Mittel 54 Stunden (SD ±75,1) an.

In Übereinstimmung mit den Angaben zu den Behandlungsverfahren zeigte sich bei der Verteilung der Sitzungszahl der beendeten Behandlungen (Tab. 9), dass 55% der Behandlungen nach maximal 30 Stunden beendet waren (entspricht der Kurzzeittherapie im Richtlinienverfahren: 25 Therapiestunden und 5 probatorische Sitzungen zur Abklärung der Behandlungsindikation), 78% nach maximal 60 Sitzungen (verhaltenstherapeutische Langzeittherapie mit erstem Verlängerungsschritt und tiefenpsychologisch fundierte Langzeitpsychotherapie) und 90% nach maximal 100 Sitzungen (tiefenpsychologisch fundierte Langzeittherapie mit Verlängerung).

Tab. 9 Verteilung der Sitzungszahl der beendeten Behandlungen (n=698)

Die in Tab. 10 abgebildeten Behandlungsfrequenzen entsprechen der Verteilung der therapeutischen Verfahren – nur 1,7% der Befragten hatten mehr als 3, 10% 2 bis 3 Therapiestunden/Woche. Die Mehrzahl der Befragten (41%) gab eine einstündige wöchentliche Sitzungsfrequenz an. Es sind bzw. waren 26% der Probanden 2- bis 3-mal/Monat und 20% 1-mal/Monat oder seltener in Behandlung.

Tab. 10 Sitzungsfrequenz der ambulanten Psychotherapie

Bei 55% der Befragten wurden die therapeutischen Sitzungen gegen Ende der Behandlung in größeren Abständen durchgeführt. Nur 3% hatten mitunter mehrere Stunden im Block (Expositionsbehandlung).

Weitere Unterstützung

Um zu erfassen, welche Behandlungen und Unterstützung für die Beschwerden, die Psychotherapieanlass waren, über die ambulante Psychotherapie hinaus in Anspruch genommen wurden, wurde die in Tab. 11 dargestellte Auflistung vorgegeben. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten (56%, n=676) stimmten der Aussage zu, dass sie neben der ambulanten Psychotherapie weitere Unterstützung hatten. Neben der ambulanten Psychotherapie hatten 33% der Befragten, die zusätzliche Unterstützung bejahten, eine hausärztliche, 19% eine ambulante psychiatrische und 12% andere ärztliche Behandlung. Neben der Psychotherapie nahmen 11% der Probanden eine Behandlung bei einem Heilpraktiker in Anspruch. Jeweils ca. 18% wurden zusätzlich zur ambulanten Psychotherapie auch stationär (psychosomatisch bzw. psychiatrisch) behandelt.

Tab. 11 Weitere Unterstützung neben der ambulanten Psychotherapie (n=676)

Beendigung der Therapie

Nach dem Grund für die Beendigung der Therapie gefragt (Tab. 12), gaben 36% derjenigen, deren Behandlung bereits abgeschlossen war (n=698), an, dass ihre Probleme gelöst seien, bzw. 68% der Probanden, dass sie besser mit ihren Problemen umgehen können. Es waren 23% der Meinung, dass eine weitere Therapie nicht helfen würde, und bei 36% schlug der Therapeut die Beendigung der Behandlung vor. Bedenken wegen der Kompetenz des Behandlers stellten nur bei 10%, ein Therapeutenwechsel nur bei 2% der Befragten den Beendigungsgrund dar. Ebenso niedrig war der Anteil derer, die als Beendigungsgrund die Kosten der Therapie (6%), die eigenen Kosten für die Therapie (3%) oder Probleme mit den Kostenträgern (6%) nannten.

Tab. 12 Gründe für die Beendigung der ambulanten Psychotherapie (n=698)

Diskussion

Die vorgestellte Untersuchung lieferte im Rahmen einer naturalistischen Studie differenzierte Aussagen über die Versorgungssituation im Bereich der ambulanten Psychotherapie in Deutschland. Es konnte eine sehr umfangreiche Stichprobe erhoben werden. Die hier demonstrierten Ergebnisse können keine Aussagen über die Repräsentativität der untersuchten Stichprobe für die Gesamtheit aller ambulant psychotherapeutisch behandelten Patienten machen. Angesichts der Grundgesamtheit von 46.686 Screening-Interviews, der geringen Unterschiede bezüglich soziodemografischer Merkmale zwischen den interviewten Patienten und denen, mit denen kein Interview zustande kam, und der Ausschöpfungsquote von 74%, kann davon ausgegangen werden, dass wesentliche Aspekte der Erfahrungen von ambulanten Psychotherapiepatienten erfasst wurden.

Es zeigte sich für die deutsche, erwachsene Bevölkerung eine „ambulante Psychotherapiequote innerhalb der letzten 6 Jahre“ von 7%. Dabei lässt sich nicht spezifizieren, um welche Art der „ambulanten Psychotherapie“ es sich handelte. Die Angaben zu den Kostenträgern der Psychotherapie (in 79% vollständige Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung) und zu den Behandlungsverfahren sowie der große Anteil psychologischer Psychotherapeuten deuten darauf hin, dass sich die Aussagen der Befragten im Wesentlichen auf Richtlinienpsychotherapie beziehen und somit „anerkannte“ Psychotherapieverfahren bewertet wurden.

In der vorgestellten Stichprobe waren Befragte aus den neuen Bundesländern überrepräsentiert. Jenseits der bekannten sozioökonomischen Ungleichheiten zwischen Ost- und Westdeutschland ergaben sich eher wenige Unterschiede in den hier dargestellten Variablen.

Die Gruppe der 45- bis 65-Jährigen war unter den befragten Psychotherapiepatienten am stärksten vertreten, die der 18- bis 29-Jährigen und die der über 65-Jährigen am geringsten. Da die Prävalenz psychischer Störungen über alle Altersgruppen annähernd gleichmäßig verteilt ist (Wittchen u. Jacobi 2001), zeigt die hier ermittelte Altersverteilung, dass sich das Inanspruchnahmeverhalten für ambulante Psychotherapie bei den hier Befragten in den Altersgruppen deutlich unterscheidet. Dieser Befund steht im Einklang mit der von anderen Autoren konstatierten Unterversorgung Älterer bezüglich ambulanter Psychotherapie (z. B. Maercker 2003; Stoppe 2010).

In den hier vorgestellten Daten findet sich kein Hinweis auf eine Bevorzugung jüngerer oder besonders wohlhabender Patienten. Die Bildungsabschlüsse der befragten Patienten sind höher als die der deutschen Gesamtbevölkerung, v. a. in der Gruppe der Befragten mit mittlerer Reife. Sowohl der Anteil der Erwerbstätigen wie auch derjenigen, die zum Zeitpunkt der Befragung arbeitslos waren, war in der Untersuchungsstichprobe höher als in der Allgemeinbevölkerung. Die negativen Effekte von Erwerbslosigkeit und auch der Angst vor Arbeitsplatzverlust auf die körperliche sowie psychische Gesundheit sind empirisch inzwischen gut belegt (z. B. Berth et al. 2003; Laubach et al. 1999) und legen eine stärkere Inanspruchnahme ambulanter psychotherapeutischer Behandlungen durch Betroffene nahe.

Der hohe Anteil Befragter, bei denen die Kosten der ambulanten Psychotherapie wesentlich von der Krankenversicherung getragen wurden, bildet das hohe Gut eines breiten Leistungsspektrums für ambulante Psychotherapie im deutschen Krankenversicherungssystem ab, das aufrechterhalten werden sollte. Obwohl ein Fünftel der Befragten Einschränkungen durch die Kostenträger auf die Behandlungsdauer angab, waren die Therapiekosten nur bei einem sehr geringen Anteil der Patienten der Beendigungsgrund der Behandlung. Die Mehrzahl der Befragten schätzte die von der Krankenversicherung finanzierte ambulante psychotherapeutische Behandlung als ausreichend ein. Dass von den 82% der Befragten, die eine Eigenfinanzierung ihrer Psychotherapie ablehnten, drei Viertel nicht in der Lage wären, ihre Behandlung selbst zu zahlen, unterstreicht einmal mehr die Forderung, dass im Bereich der ambulanten Psychotherapie keine Leistungseinschnitte vorgenommen werden dürfen, damit auch künftig allen Betroffenen unabhängig von ihrer ökonomischen Lage eine adäquate psychotherapeutische Behandlung möglich ist.

Die Befragten gaben als Behandlungsanlass vielfältige sowie zahlreiche Beschwerden und Probleme an. Die von 84% der Probanden als schlecht oder sehr schlecht eingeschätzte eigene psychische Verfassung sowie auch die große Anzahl von Befragten, die an mehreren Symptomen sowie weiteren Problemen litten, verdeutlicht das Ausmaß der Beeinträchtigung und die Problematik der Multimorbidität in der Versorgungspraxis. Auch wenn sich die vorgestellte Untersuchung auf die Perspektive der Patienten stützt und im Rahmen der Studie keine standardisierte Diagnostik erfolgte, kann bei nahezu allen Befragten von einer Indikationsstellung zur ambulanten Psychotherapie durch approbierte ärztliche oder psychologische Kollegen ausgegangen werden.

Dass fast die Hälfte der Patienten bereits eine oder mehrere ambulante psychotherapeutische Behandlungen hatten, könnte ein weiterer Hinweis für die Chronizität der Erkrankung bei einem Teil der Betroffenen sein, wofür auch der hohe Anteil von Patienten (ca. 36%) für die während der ambulanten Psychotherapie eine stationäre Behandlung notwendig wurde, spricht. Gerade für chronisch Erkrankte führen die Beschränkungen im Rahmen der Richtlinienpsychotherapie häufig zu einem Versorgungsdefizit im ambulanten Bereich. Weitere mögliche Gründe dafür, dass es einen hohen Anteil bereits psychotherapeutisch vorbehandelter Befragter gab, wären: unzureichende Effektivität der Behandlungen, ungenügende langfristige Stabilität der Behandlungserfolge oder Neuerkrankungen.

Diese Befunde bestätigen die Kritik bezüglich der unzureichenden externen Validität von randomisierten klinischen Untersuchungen, die sich meist auf sorgfältig ausgewählte Patienten mit monosymptomatischen Störungen beschränken. Sowohl in der Forschung wie auch in der Therapie und in der Ausbildung erscheint das derzeit vielfach propagierte v. a. störungsspezifisch orientierte therapeutische Vorgehen dem Gegenstand nur wenig angemessen und ist kritisch infrage zu stellen.

Dass Psychotherapie nach wie vor ein tabuisiertes Thema zu sein scheint, lässt sich anhand der Angaben zu Ansprechpartnern bei psychischen Problemen und der nur geringen Ermutigung zur Psychotherapie vermuten: Nahezu alle Befragten wandten sich mit ihren Problemen an andere, aber nur etwas mehr als die Hälfte wurden von anderen in ihrer Psychotherapieentscheidung ermutigt. Angesichts der Tatsache, dass die hier Befragten ihre ärztlichen Behandler zu einem hohen Prozentsatz wegen psychischer Probleme angesprochen haben und zu einer Psychotherapie motiviert wurden oder motivierbar waren, kann vermutet werden, dass eine fachgerechte Aufklärung und Motivierung zur indizierten psychotherapeutischen Behandlung bei der Gesamtheit der von psychischen Erkrankungen Betroffenen noch seltener stattfindet.

Dass für mehr als die Hälfte der Befragten ihr Hausarzt Ansprechpartner für psychische Beschwerden war, gibt Hinweise auf die offensichtlich positive Hausarzt-Patient-Beziehung vieler Befragten, die eine wertvolle Ressource darstellt. Der hohe Stellenwert, den Ärzte in der Primärversorgung gerade auch als Ansprechpartner für psychische Beschwerden von Patienten haben, steht im Kontrast zu der derzeit noch unzureichenden Diagnostik psychischer Erkrankungen und entsprechender Behandlungsempfehlungen in der Primärversorgung (z. B. Diagnoseraten von Depressionen von Hausärzten 35%; Pittrow et al. 2007). Inwieweit dies darin begründet ist, dass Hausärzte möglicherweise die seelischen Nöte ihrer Patienten nur unzureichend aufgreifen, dass die notwendige Zeit für ausführlichere Gespräche mit Patienten im Praxisalltag fehlt bzw. unzureichend vergütet wird, wäre genauer zu untersuchen.

Gerade die von der Bundesregierung gesetzlich verankerte Förderung von Hausarztmodellen [s. dazu Sozialgesetzbuch V, § 73b Abs. 1: „Die Krankenkassen haben ihren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung (hausarztzentrierte Versorgung) anzubieten.“], die den Hausarzt als „Lotse im System“ positionieren, unterstreicht die Bedeutung, die Hausärzten in der Diagnostik psychischer Erkrankungen und für die Indikationsstellung qualifizierter Psychotherapie zukommt.

Dass Psychiater für ein Viertel der Befragten Ansprechpartner für psychische Probleme waren, unterstreicht die Bedeutung der psychiatrischen Fachärzte in der Versorgung und verdeutlicht die dort offensichtlich etablierten tragfähigen Arzt-Patient-Beziehungen. Dass die Empfehlungsquote zu Psychotherapie durch Psychiater bei nur 27% und damit deutlich unter der für Medikamente (50%) lag, erstaunt und wirft Fragen nach der differenziellen Behandlungsindikation auf, die weitergehender Untersuchungen bedürfen.

Die positive Arzt-Patient-Beziehung und das Vertrauen, das Patienten zu ihren Ärzten haben, sind bisher möglicherweise unzureichend genutzte Ressourcen sowohl für eine frühzeitige, fachgerechte, „evidence-based-medicine“-basierte Therapie (s.z.B. Nationale Versorgungsleitlinie Depression; DGPPN et al. 2009), wie auch für die Verhinderung von Arbeitsunfähigkeit, Chronifizierung und Erwerbsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen. Möglicherweise wird darin aber auch der zu geringe Stellenwert, den die „sprechende Medizin“ im gesamten Gesundheitssystem hat, deutlich. Angesichts dieser Defizite im bestehenden Versorgungssystem erhält das Erstzugangsrecht zu Psychotherapeuten eine besondere Bedeutung. Aus diesem Grund sind beispielsweise auch Selektivverträge, die dieses Erstzugangsrecht einschränken, ausgesprochen kritisch zu sehen, da das Erstzugangsrecht entsprechend informierten Patienten zumindest die Möglichkeit der „Selbsthilfe“ beim Zugang zur Psychotherapie ermöglicht.

Das Behandlungsangebot war für die Mehrzahl der Befragten zeitnah verfügbar. Die Gründe für die Beendigung der Therapie verdeutlichten ein hohes Maß an Behandlungszufriedenheit und Therapieerfolg (für eine ausführliche Darstellung zur Wirksamkeit der Behandlungen: Albani et al. 2011).

Aus methodischer Sicht sind bei der vorgestellten Studie u. a. die retrospektive Datenerhebung, die Begrenzung auf die Ebene des Patientenurteils und das Fehlen von Kontrollgruppen kritisch anzumerken. Darüber hinaus könnte das telefonische Interview als Erhebungsmethode vielleicht bestimmte Patientengruppen ausschließen und die Freiwilligkeit der Teilnahme möglicherweise eine Selektion in Richtung „die Zufriedenen antworten“ beinhalten. Andererseits ermöglicht die telefonische Befragung durch ein unabhängiges Meinungsforschungsinstitut (und im Besonderen bei 698 der Befragten nach Beendigung der Therapie) eine maximale Anonymität und Unabhängigkeit der Befragten, die es unzufriedenen Patienten erleichtern könnte, kritische Einschätzungen zu äußern.

Die bereits an der Consumer-Reports-Studie geäußerte Kritik am Untersuchungsdesign und die sich daraus ergebenden intensiven und kontroversen methodischen Diskussionen (Brock et al. 1996; Hunt 1996; Kotkin et al. 1996; Kriegman 1996; Mintz et al. 1996), sowie Seligmans differenzierte Erwiderungen (Seligman 1996a; Seligman 1996b) sind nach wie vor aktuell und sollen hier nicht wiederholt werden.

Schlussfolgerungen

Die von den hier befragten Psychotherapiepatienten beschriebene Versorgungssituation und die positiven Erfahrungen mit ambulanter Psychotherapie sprechen für ein hohes qualitatives Niveau der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland, dem aber insgesamt ein quantitatives Versorgungsdefizit gegenübersteht.

Angesichts der derzeit in Deutschland defizitären Situation der psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgungsforschung im Sinne einer Beschreibung der psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgungssituation und der Entwicklung, Implementierung und Evaluation psychotherapeutisch/psychosomatischer Konzepte im klinischen Alltag sind verstärkte Bemühungen auf diesem Gebiet nicht nur im Interesse einer qualifizierten und adäquaten Versorgung der Patienten, sondern auch im Hinblick auf die Berufssituation von Psychotherapeuten dringend notwendig. Es bedarf weiterer Untersuchungen an aussagefähigen Stichproben über den Versorgungsbedarf und die Versorgungssituation in der ambulanten Psychotherapie (wie auch in der gesamten Krankenversorgung), um empirisch gesicherte, verlässliche Grundlagen für eine breite, gesamtgesellschaftliche gesundheitspolitische Diskussion über unser zukünftiges deutsches Gesundheitssystem zur Verfügung zu stellen.

Fazit

Bei psychischen Beschwerden eine ambulante Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, scheint nach wie vor ein „Tabuthema“ zu sein. Obwohl sich Betroffene an andere Menschen wenden und über ihre Probleme sprechen, wurde sowohl von Familienangehörigen als auch von Freunden/Bekannten ambulante Psychotherapie kaum empfohlen. Die vorgestellten Ergebnisse bestätigten zum einen den bekannten, hohen Bedarf an fachgerechter psychotherapeutischer Versorgung, ergaben aber auch Hinweise auf eine Unterversorgung anhand der Zugangswege zu ambulanter Psychotherapie: Patienten wurden von ihren ärztlichen Behandlern, die häufig erste Ansprechpartner bei psychischen Erkrankungen waren, nur unzureichend „im System weitergeleitet“. Die offensichtlich bestehenden positiven Arzt-Patient-Beziehungen, in denen psychische Probleme angesprochen wurden, könnten stärker als Ressourcen für eine frühzeitige Indikation fachgerechter psychotherapeutischer Behandlung genutzt werden. Unberührt davon bleibt der hohe Stellenwert des Erstzugangsrechts zur Psychotherapie, das beibehalten werden muss. Darüber hinaus sollten alle Bemühungen intensiviert werden, psychische Erkrankungen und psychotherapeutische Behandlungen zu entstigmatisieren. Es sind nach wie vor verstärkte Anstrengungen zur Implementierung psychosomatischen Denkens und Handelns in der Primärversorgung notwendig, wofür auch eine entsprechende und angemessene Honorierung sicherzustellen ist.