Auf Grundlage von Forschungserkenntnissen zur psychischen Entwicklung in der frühen Kindheit (Überblick bei Stern 1992) sind Therapie- und Beratungsangebote für das Säuglings- und Kleinkindalter entwickelt worden. Eine qualitätsvolle Eltern-Säuglings-Therapie enthält nach Dornes (1999) eine entwicklungspsychologische Beratung, eine Sensibilisierung für vorsprachliche, kindliche Signale und eine Analyse der Gründe für elterliche Insensitivität. Als eine besonders effektive Interventionsmöglichkeit hat sich der Einsatz von Videoaufzeichnungen erwiesen. Diese therapeutische Technik besitzt einige Vorteile gegenüber anderen, die auf bildliche Darstellung verzichten. Den Therapeuten erschließt sich bei der detaillierten Beobachtung einer Videoaufzeichnung die Fülle der rasch wechselnden Prozesse des interaktiven Austausches zwischen Eltern und Säugling sowie deren Bedeutung für den emotionalen Gehalt der Beziehung besser als in der „Live-Situation“. Wiedergabetechniken, wie Wiederholung, Standbildeinblendung und Auflösung im Sekundenbereich, ermöglichen eine genaue Analyse eines Interaktionsverhaltens. Der Blick aus der Perspektive des Beobachters erleichtert den Eltern die Selbstwahrnehmung. Über die gemeinsame Analyse des Bildes lässt sich der Therapiefokus rasch klären und dadurch das Arbeitsbündnis zwischen Eltern und Therapeuten stärken. Voraussetzung für das Gelingen therapeutischer Interventionen ist ein gutes Arbeitsbündnis, das sich durch die konsequente Betonung und Wertschätzung des „Positiven“ in der Eltern-Kind-Interaktion erreichen lässt. Derzeit werden Videographien in vielen ambulanten sowie klinischen Beratungs- und Therapieangeboten für Eltern mit Säuglingen oder Kleinkindern angewandt (Fivaz-Depeursinge et al. 2005; Downing u. Ziegenhain 2001; Thiel-Bonney 2002).

Ein noch wenig beachteter Indikationsbereich stellt sich für die Therapie postpartal erkrankter Mütter zur Prävention und Therapie von Interaktions- und Beziehungsstörungen zwischen der Mutter und ihrem Baby. Während bisher vor allem Erfahrungen bei der Behandlung postpartaler Depressionen, Angst- und Anpassungsstörungen sowie bei Persönlichkeitsstörungen existieren (Papousek 2000; Deneke u. Lüders 2003), ist der Einsatz von Videotherapie bei Frauen mit psychotischen Störungen selten. Im Folgenden soll über die Anwendung der videomikroanalytischen Therapie (VMT) bei Depressionen und Psychosen berichtet werden. Unterschiede in der Therapie sollen aufgezeigt werden. Wir stützen uns dabei auf die klinische Erfahrung in der Mutter-Kind-Einheit am Psychiatrischen Zentrum Nordbaden. Seit fünf Jahren ist die VMT ein integraler Bestandteil eines Behandlungsprogramms für postpartal erkrankte Mütter und ihre Kinder, das additiv zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Standardbehandlung durchgeführt wird. Außer der VMT zählen zu dem Behandlungsprogramm eine interaktionszentrierte verhaltenstherapeutische Müttergruppe, die Arbeit mit Vätern sowie Angehörigen und das Modellernern durch die Unterstützung der Mutter-Kind-Beziehung im Alltag.

Elemente einer mikroanalytischen Interaktionsbeobachtung und Therapie

Beobachtungen von Mutter-Kind-Interaktionen haben gezeigt, dass der Säugling zur Entwicklung seiner kognitiven und emotionalen selbstregulatorischen Fähigkeiten auf die alltäglichen Interaktionen mit seiner Bezugsperson angewiesen ist, die durch Sprache, Stimme, Mimik und Berührung seine Aufmerksamkeit stimuliert und ihn in seiner affektiven Regulation unterstützt (Papousek 2004; Weinberg u. Tronick 1998; Beebe 2003). Aus dem vielfältigen Verhaltensrepertoire des interaktiven Austausches wurden für die VMT nach Downing (Downing u. Ziegenhain 2001; Downing 2003, 2004) die folgenden Elemente ausgewählt, die sich für die Behandlung psychisch schwer kranker Mütter als geeignet erwiesen haben (Hornstein et al. 2001, 2003):

  • Kontakt der Interaktionspartner zueinander („connection“)

  • Sprache

  • Organisation von Zeit und Raum

  • Führen und Folgen

  • Autonomie

Kontakt der Interaktionspartner zueinander (Connection)

Connection beschreibt die zeitliche Dimension, innerhalb derer Interaktionsangebote des Säuglings durch das Gegenüber beantwortet werden müssen, damit das Baby bei seiner noch eingeschränkten Aufmerksamkeitsspanne einen Zusammenhang zwischen seiner Aktion und der Reaktion der Umgebung herstellen kann.

Zeitlich kontingente Reaktionen erfolgen ungefähr innerhalb einer Sekunde. (In Forschungskontexten kann die Definition des Zeitfensters kontingenter Reaktionen variieren; Jaffe et al. 2001; Tronick 1989). Kontingenz gilt als wesentliches Merkmal eines gelungenen Beziehungsaufbaus zwischen Eltern und Säugling. Gelingt es der Mutter, eine Kette von kontingenten wechselseitigen Reaktionen in Gang zu setzen, kommt es zu einem „turn taking“ in der Interaktion, das von beiden Interaktionspartnern als positiv erlebt wird und dem Kind erste Ansätze eines Gefühls von Selbstwirksamkeit ermöglicht. Auf kognitiver Ebene entwickelt das Kind durch verlässliche, kontingente mütterliche Reaktion erste Schlussfolgerungen in Richtung von sich bedingenden Zusammenhängen „wenn – dann“. Ein vokales oder mimisches Echo der Mutter, eine Spiegelung des kindlichen Ausdrucks und auch ein kontingenter Körperkontakt fördern die kindliche Selbstwahrnehmung.

Sprache

Die Ansprache der Mutter unterstützt die kognitive und emotionale Entwicklung des Kindes. Die Differenzierung zwischen „beschreibender“ und „vorschreibender“ Sprache der Mutter findet im Kontext der alltäglichen Interaktionen mit dem Kind statt. „Beschreibt“ die Mutter, was sie macht oder welche positiven Gefühle sie gegenüber ihrem Kind hat, bzw. was das Kind macht, fühlt oder wahrnimmt, unterstützt sie die Aufmerksamkeit des Babys und sein Verständnis für Handlungsabläufe sowie Geschehnisse in der Umwelt. Im Kleinkindalter überwiegt die beschreibende Sprache gegenüber der Grenzen setzenden und Regeln vermittelnden vorschreibenden Sprache.

Organisation von Zeit und Raum

Wie viel Raum und Zeit die Mutter für die Interaktion mit dem Baby schafft, ob Handlungsabläufe durch Anfang und Ende charakterisiert sind sowie in angemessener Zeitspanne und Rhythmus durchgeführt werden, wie Gesicht und Körper von Mutter und Baby zu- oder auseinander positioniert sind, sich mit- oder gegeneinander bewegen, ist häufig eine Voraussetzung für und Ausdruck von kontingentem Interaktionsverhalten. Mit der zeitlich-räumlichen Organisation von Interaktion werden unbewusste Körpermikropraktiken und individuelle biophysiologische Zeitgeber vermittelt, die beim Kind zur Entwicklung von Vorläufern der Körperselbstwahrnehmung und von Körpergrenzen beitragen (Downing 2004).

Führen und Folgen

Wenn Eltern ein Kind „führen“, geben sie den Rahmen einer Interaktion vor und verfolgen ein Ziel. Wenn die Eltern ihrem Kind „folgen“, gibt das Kind das Ziel vor, und die Eltern übernehmen eine begleitende Rolle. Sie unterstützen dabei das kindliche Explorationsverhalten, während beim Führen Vorläufer dessen vermittelt werden, was als „Grenzen setzen“ später wichtig wird (Marvin et al. 2002). Der gelungene Wechsel zwischen Interaktionen des Führens durch die Eltern und solchen, in denen diese den kindlichen Impulsen folgen, sind Voraussetzung dafür, dass das Kind Neugier an der Umwelt entwickelt und Sozialverhalten erlernt.

Autonomie

Bereits im ersten Lebensjahr werden kindliche Verhaltensweisen zur Exploration der Umgebung aktiviert, indem Eltern Initiativen ihres Kindes unterstützen, während sie im Hintergrund als sichere Basis fungieren. Hierdurch vermitteln sie Selbstwirksamkeitserfahrungen, die das Vertrauen des Kindes in seine eigenen Fähigkeiten fördern. Exploration und Selbstwirksamkeit auf der Basis einer sicheren Bindung zu den Bezugspersonen sind Voraussetzung für die spätere Entwicklung von Autonomie und Selbstwert (Eyberg 1988; Ziegenhain 2004).

Die Therapiesitzung

Für eine Therapiesitzung wählt der Therapeut aus einer zehnminütigen Videoaufzeichnung eine Sequenz von ein bis zwei Minuten aus, die die signifikanten Momente der Mutter-Kind-Interaktion enthält. Im Aufbau einer Therapiesitzung findet sich der ressourcen- und lösungsorientierte Ansatz der VMT wieder. Im ersten Teil betrachten Mutter und Therapeut ein zuvor ausgewähltes positives Interaktionsmuster, das gemeinsam, entsprechend den oben beschriebenen Interaktionselementen, analysiert wird. Erst wenn der Mutter kompetentes Verhalten – selbst wenn es sich um eine einzige positive Ausnahme handelt – bestätigt worden ist, kann eine negative Interaktionssequenz thematisiert werden, womit der „working point“ definiert ist. Im zweiten Teil der Sitzung kann der Therapeut mit der Mutter verschiedene konkrete Möglichkeiten erarbeiten, wie sie das zuvor definierte positive Verhalten häufiger zeigen kann. Hierbei kommen Kognitionen und Gefühle der Mutter zur Sprache. Kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen der Umstrukturierung, wie z. B. Selbstinstruktion, imaginative Verfahren, aber auch Rollenspiele, in denen die Eltern die Perspektive des Kindes übernehmen sowie die Vermittlung entwicklungspsychologischer Informationen gehören zum Spektrum der Therapie. Ebenso können Körpererfahrungen exploriert und Körperwahrnehmungsübungen eingesetzt werden. Der Therapeut stellt sich flexibel auf die Bedürfnisse und Ressourcen der Patientin bei der Themenauswahl und dem Bearbeitungsmodus ein.

Videomikroanalytische Therapie bei Müttern mit affektiven und psychotischen Störungen

Postpartale psychische Erkrankungen behindern die Entwicklung elterlicher Kompetenzen und Feinfühligkeit erheblich, auch über die Dauer der akuten Erkrankung hinaus (Weinberg u. Tronick 1998). Insbesondere schwere Erkrankungen greifen tief in die psychische Struktur einer Mutter ein und verändern Emotionalität, Kognitionen, Wahrnehmung und Verhalten. Die intrapsychischen, strukturellen Veränderungen greifen auf den intersubjektiven Bereich über und damit auf das Neugeborene. Depressive Frauen zeigen überwiegend zwei unterschiedliche interaktionale Grundmuster: Sie können unterstimulierend oder überstimulierend sein (Field 1998). In ihrem Verhalten dem Kind gegenüber kann die wechselseitige Feinabstimmung und Responsivität fehlen. Bisweilen zeigen die Mütter einen negativen Affekt in Mimik und Sprache während der Interaktion mit dem Baby (Papousek 2002). Selbst wenn depressive Mütter keine Beeinträchtigung auf der Verhaltensebene zeigen, sind sie in der Interaktion mit ihrem Kind oft durch negative Kognitionen, Schuld- und Insuffizienzgefühle, durch depressives, eingeengtes Denken, überwertige Ideenbildung und Grübelneigung hoch belastet. Hierdurch sind sie in ständiger Überbeschäftigung auf sich selbst bzw. auf das Kind fixiert.

Bei psychotischen Müttern sind es häufig Wahnvorstellungen, Ich-Störungen und Halluzinationen, die sich auf das Kind beziehen und zu bizarren Fehlinterpretationen des kindlichen Verhaltens führen können. Extreme psychotische Realitätsverkennungen können eine Gefährdung des Kindes implizieren. Nach Abklingen der akuten psychotischen Symptomatik bleiben häufig unrealistische Vorstellungen sowie eine große Verunsicherung bezüglich der Mutterrolle und der alltäglichen Versorgungspflichten gegenüber dem Kind. Psychotische Mütter neigen dazu, ihre Ängste auf die Umgebung zu projizieren, werden misstrauisch und ziehen sich zurück. Im Gegensatz zu depressiven Müttern, die sich immer wieder selbstreflexiv mit Ängsten bezüglich ihrer Mutterschaft und Schuldgefühlen gegenüber dem Kind auseinander setzen, sind psychotische Frauen gedanklich mehr mit eigenen Bedürfnissen und ihrer Umwelt, als mit dem Baby beschäftigt, das sie zeitweise fast zu vergessen scheinen. Im Verhalten ihrem Kind gegenüber können sie abrupt zwischen Über- und Unterstimulation wechseln. Wenn das Interaktionsverhalten der Mutter durch Negativsymptomatik, Energielosigkeit, Affektarmut, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen oder desorganisiertes Verhalten geprägt ist, kommt es häufig zur Vernachlässigung des Babys. Überforderung im Alltag und Angst vor Verlust des Sorgerechts stehen nicht selten im Widerspruch zu der fehlenden realistischen Einschätzung eigener Kompetenzen und krankheitsbedingter Defizite im Umgang mit dem Kind.

Therapeutische Strategien bei Müttern mit affektiven Störungen

„Working point“

Bei depressiven Müttern liegt ein Schwerpunkt der Therapie auf der Korrektur und Umstrukturierung negativer Kognitionen sowie Emotionen im Zusammenhang mit der Mutterschaftskonstellation (Stern 1998). Diese prägen die Interaktion mit dem Kind und erschweren den emotionalen Beziehungsaufbau erheblich. Meist ermöglicht die visuelle Evidenz eines Bildes depressiven Müttern einen unmittelbaren emotionalen Zugang zu ihren eigenen Ressourcen; hierin kann der Therapeut sie bestärken. Typische depressive Kognitionen finden sich in Äußerungen, wie den folgenden: „Ich bin eine schlechte Mutter. Ich versage völlig. Andere können mein Kind besser verstehen und versorgen als ich. Ich bin schuld, wenn mein Kind später Schwierigkeiten in seinem Leben haben wird. Es wäre besser, wenn mein Kind eine andere Mutter bekäme. Das Baby schaut mich nicht an, es hat kein Interesse an mir. Es liebt mich nicht.“

Auf dem Standbild der Videoaufnahme kann eine depressive Mutter oft zum ersten Mal wahrnehmen, dass ihr Baby sie intensiv anschaut. Oder sie realisiert durch die Mikroanalyse einer positiven Videoaufzeichnung des Turn taking, dass sie in der wechselseitigen Interaktion mit dem Baby kompetent und feinfühlig auf seine kommunikativen Bedürfnisse eingeht. Dadurch kann es zu einer emotional tief greifenden Korrektur der generalisierten negativen Kognitionen und zu einer Abnahme von Insuffizienzgefühlen kommen. Typischerweise erkennen depressive Patientinnen die negativen Aspekte in der Interaktion selbst und neigen dazu, diese überzubewerten. Der Therapeut hat die unverzichtbare supportive Funktion, die Mutter zu entlasten, indem er z. B. Defizite im mimischen oder sprachlichen Ausdruck in den Zusammenhang mit der akuten Erkrankung stellt, Zukunftsperspektiven einführt und damit die Veränderungsmotivation aktiviert.

Umsetzung

Die Veränderungsmotivation und -fähigkeit einer Mutter ist mit biographischen Erfahrungen und der aktuellen Lebenssituation eng verknüpft. Depressive Mütter sind nicht selten durch Entbehrungen und Traumata in der eigenen Kindheit geprägt, die in der Mutterschaftskonstellation aktualisiert worden sind (Stern 1998) und zur Auslösung der postpartalen Depression beigetragen haben (Cramer 1998). In der akuten Phase der Depression sind diese frühen Erfahrungen durch die depressive Grundstimmung mit negativen Affekten und Kognitionen hoch besetzt. Ebenso werden negative Aspekte der aktuellen Lebenssituation, wie Konflikte mit Partnern – oft Folge der depressiven Erkrankung – verstärkt wahrgenommen und gewichtet.

Der lösungsorientierte Ansatz der VMT fordert vom Therapeuten eine differenzierte Einschätzung und flexible Handhabung dahingehend, wie viel Raum er diesen Themen geben wird, damit sich die depressive Mutter in ihrer individuellen Problemsituation empathisch verstanden und angenommen fühlt. Der Fokus des Durcharbeitens liegt jedoch auf der kognitiven und Verhaltensebene in der Mutter-Kind-Interaktion.

In der Umsetzungsphase der VMT werden, entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Patientinnen, verschiedene Therapiestrategien integriert. Beispielsweise können Verhaltensübungen am Standbild angewendet werden oder Psychoedukation zur Erkrankung bzw. zur Entwicklungspsychologie des Kindes. Anregungen zur Imagination oder körperfokussierte Techniken können einer intrusiven überstimulierenden Mutter helfen abzuwarten und dem Kind Zeit zur Exploration zu lassen. Ärgerliche oder aggressive Tendenzen der Mutter lassen sich, objektiviert durch das Bild, leichter konsensuell validieren und können den Weg zur Wahrnehmung von Überforderung und Schuldgefühlen frei machen. Hinter Momenten, in denen im „matching“ des kindlichen Affektausdrucks die mütterliche mimische oder vokale Affektspiegelung einen abwertenden Unterton erhält, z. B. wenn die Mutter das Kind nachäfft, verbergen sich oft negative Repräsentanzen und Ablehnung des Kindes. Der Zugang zu diesen Gefühlen ist zur Prävention gewalttätiger Tendenzen gegenüber dem Baby unerlässlich. In solchen Fällen müssen auch konkrete Lösungen erarbeitet werden, die die Aktivierung eines unterstützenden Netzwerks von Partnern, Familie oder institutionellen Helfern impliziert.

Therapeutische Strategien bei Müttern mit psychotischen Störungen

Working point

Für eine psychotische Mutter wird durch das Medium des Bildes mehr als in jedem anderen therapeutischen Kontext, der sich auf Sprache oder alltagspraktische Übungen bezieht, Realität in die Therapie eingeführt.

Im Gegensatz zu depressiven Müttern, die meist in der grüblerischen Auseinandersetzung mit ihrem negativen Selbstbild gefangen sind und dies ständig in der Interaktion mit dem Kind bestätigt sehen, steht bei psychotischen Müttern oft ein idealisiertes Mutterbild unverbunden neben der Realität. Unserer Erfahrung zufolge reagieren vor allem Mütter, die unter schizophrenen Erkrankungen leiden, zum Schutz ihres fragilen Selbst hoch verletzlich auf Kritik und wehren zunächst therapeutische Beziehungsangebote ab. Das apersonale, scheinbar neutrale Medium des Bildes in der VMT-Sitzung und der in der Dreiersituation „Therapeut-Video-Klient“ entstehende indirekte Kontakt ist für sie leichter anzunehmen als der direkte Kontakt zum Therapeuten. Andererseits ist es für viele schizophrene Mütter äußerst belastend, sich selbst im Bild zu sehen, da es sie mit der Realität des Selbst konfrontiert. Nach unserer Beobachtung vermeiden die Mütter häufig in den ersten VMT-Sitzungen diese Konfrontation, indem sie nur ihr Baby betrachten und sich selbst aus dem Bild ausblenden. Da der Therapeut gerade bei der psychotischen Mutter die vielleicht einzige positive Ausnahme für die Sitzung ausgewählt hat, scheint das Baby im Bild die Mutter zu bestätigen, dass sie eine gute Mutter ist und keine Probleme mit ihrem Kind hat, entsprechend ihrer idealisierten Selbstwahrnehmung. Dies wird genutzt, um ihre Therapiemotivation zu gewinnen. Auch in der Bild-für-Bild-Analyse erkennt die psychotische Mutter zu Therapiebeginn ihre Defizite in der Interaktion nur selten, da ihre Wahrnehmung fragmentiert bleibt. Manchmal können Patientinnen keine Verbindung zwischen der Dyade im Bild, sich selbst und ihrem Kind herstellen. Zum Beispiel sprechen sie bei der Analyse des eigenen Bildes in der dritten Person „die Mutter lächelt das Kind an“. Über den bildlichen Fokus auf das Kind kann es schrittweise gelingen, fehlende oder verfälschte Wahrnehmungen gemeinsam mit der Patientin zu identifizieren und zu korrigieren. Erst wenn der Patientin die Identifikation mit sich und dem Kind auf dem Bild gelingt, ist das Therapiebündnis tragfähig genug, um auf die wechselseitige Interaktion eingehen zu können und einen spezifischen Working point zu definieren.

Umsetzung

Bei Müttern mit psychotischen Störungen sind der therapeutische Zugang und die Veränderungsmotivation meistens leichter über den Fokus auf die Interaktion als auf die Kognition möglich. Die Therapieziele sind niedriger gesteckt, da oft viele basale Bereiche im Umgang mit dem Baby gestört sind, wie z. B. Motorik und Koordination beim „handling“, das Gefühl für Muskeltonus und Körpergrenzen, für Wärme- und Kälteempfinden beim Füttern und Baden des Babys. Aufmerksamkeits- und Gedächtnisdefizite behindern die Planung von Alltagsabläufen. Das Ziel der Therapie besteht darin, dass die Mütter lernen, sich in die Bedürfnisse ihres Babys einzufühlen und Fehlinterpretationen kindlichen Verhaltens abzubauen. Hierfür ist nach unserer Erfahrung die Beschränkung auf wenige Arbeitspunkte, die in mehreren Therapiesitzungen wiederholt werden, nachhaltiger wirksam als ein häufiger Wechsel der Arbeitsschwerpunkte.

Als besonders geeigneter Therapiefokus hat sich die beschreibende Sprache erwiesen, da die Schwelle für die Anwendung der beschreibenden Sprache für eigene Handlungen oder solche des Kindes niedrig und die Umsetzung einfach ist. Gleichzeitig hilft die beschreibende Sprache auch, die eigenen kognitiven Defizite zu überwinden, die Konzentration zu fokussieren, um die eigenen Handlungen vorausschauend zu planen, damit z. B. das Baby nicht unbeaufsichtigt auf dem Wickeltisch liegen bleibt, wenn die Mutter die Flasche zum Füttern holt. Durch beschreibende Sprache richtet die Mutter ihre Aufmerksamkeit auf Handlungen des Kindes und lernt so, seine Signale wahrzunehmen. Oft gelingt der Mutter anfangs, trotz Anleitung und Training im Alltag, nur ein basales Verständnis für die kindlichen Signale, während wahnhafte Interpretationen, ähnlich einer „doppelten Buchführung“, noch eine Zeit lang entsprechend der produktiven Symptomatik bestehen bleiben können. Trotzdem lernen die Mütter zunehmend auf die Signale adäquat zu reagieren. Hierdurch wächst die wechselseitige Aufmerksamkeit zwischen Mutter und Kind, und es entwickeln sich manchmal intuitiv die mimische und die vokale Kommunikation. Ist die Kommunikation durch die beschreibende Sprache angebahnt, können positive interaktionale Verhaltensweisen in anderen Bereichen angestoßen werden, die nach Abklingen der produktiven Symptomatik – und wenn negative Symptome nicht im Vordergrund stehen – oft rasch generalisieren. Remittierte psychotische Mütter können dann in der Interaktion mit ihrem Baby kompetent und feinfühlig sein.

Dies kann auch für Mütter mit anhaltenden schizophrenen Störungen gelten, allerdings oft nur zeitlich begrenzt, da sie durch die empathische Einstellung auf das Baby und die Kommunikation mit diesem so absorbiert sind, dass ihnen keine Valenzen bleiben, noch eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und zu integrieren. So kann es z. B. auf der Höhe des affektiven Austausches im Turn taking plötzlich zum Abbruch von Seiten der jetzt überforderten Mutter kommen, die der Experimentalsituation des „still face’s“ vergleichbar, erstarrt und aus der Interaktion aussteigt. Ihr Baby hat bereits gelernt, dass die Mutter nicht erreichbar ist, es wirbt nicht um sie mit Blicken oder Lauten, sondern ist gewohnt, sich selbst zu regulieren und wird die Mutter, die sich ihm später wieder zuwendet, nicht mit einem Lächeln begrüßen. In der Mikroanalyse solch komplexer szenischer Abläufe kann es einer schizophrenen Mutter gelingen – oft mit tiefer Trauer –ihre Grenzen zu erkennen, ihre mütterliche Kompetenz realistisch einzuschätzen und aus freiem Entschluss, statt unter dem so häufig erlebten Druck von Ärzten und Institutionen, eine Entscheidung zum Wohl ihres Kindes zu treffen. Für einige Mütter kann dies bedeuten, dass sie ihr Baby teilweise oder ganz in die Betreuung anderer übergeben. In der VMT haben sie jedoch ein positives Selbstbild und mütterliche Kompetenzen erworben, die ihnen helfen, den Kontakt zu ihrem Kind zu halten.

Fazit für die Praxis

Die VMT ist ein Therapieverfahren, das für die Behandlung postpartal erkrankter Mütter mit schweren psychischen Störungen, wie affektiven und psychotischen Erkrankungen, gut einsetzbar ist. Die bei diesen Erkrankungen häufigen kognitiven und Intentionalitäts- oder Wahrnehmungsstörungen werden durch das Medium des Bildes, das einen direkten emotionalen Zugang ermöglicht, weit gehend ausgespart. Die Visualisierung erleichtert die konsensuelle Validierung eines Problembereiches, sodass ein Arbeitsbündnis rasch zustande kommt. Gerade bei psychotischen Patientinnen vertritt das Bild die Realität. Zur Prävention oder Behandlung von Interaktions- und Beziehungsstörungen zwischen Mutter und Kind sowie zur Unterstützung des Selbstvertrauens in die mütterlichen Kompetenzen ist der Einsatz von VMT additiv zur psychiatrisch-pharmakologischen Behandlung sinnvoll. Die VMT kann helfen, den krankheitsauslösenden Stressor des Übergangs in die Mutterschaft zu verringern. In diesem Sinne könnte die VMT einen Beitrag zur Rezidivprophylaxe leisten.