Genetische und biogeochemische Analyseverfahren sind Bestandteile der modernen biologischen und forensischen Anthropologie. Es steht außer Zweifel, dass gerade im forensischen Kontext jegliche Information bei einer Identifizierung von unbekannten Individuen überaus hilfreich sein kann. Der Beweiswert solcher Informationen muss durch die kompetente Probenentnahme und -verarbeitung sichergestellt werden.

Hintergrund

Die Etablierung naturwissenschaftlicher Analytik in das Methodenspektrum der Archäologie ermöglicht seit einigen Jahren Einblicke in die Vergangenheit, die das Wissen über die Lebensbedingungen und die Lebensweise (prä-)historischer Bevölkerungen maßgeblich erweitern. In der Bioarchäologie sind zum einen Untersuchungen von alter Desoxyribonukleinsäure (aDNA) von Bedeutung, die u. a. ihre Anwendung bei der genetischen Geschlechtsbestimmung und Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen [18, 22, 28, 53], der Typisierung klinischer und phänotypischer Marker [9, 27] sowie der Rekonstruktion prähistorischer Migrationsereignisse [7, 23, 34, 55] und der Phylogenese des Homo sapiens [20, 32, 33] finden. Alte DNA (aDNA) ist jegliche DNA, die bereits autolytisch verändert ist. Zum anderen steht die Ermittlung der Stabilisotopenverhältnisse verschiedener Bio- und Geoelemente für die Rekonstruktion von Ernährung, zur Feststellung des Stillverhaltens [35, 42] sowie zur Ermittlung von Herkunft, Ortskonstanz und Mobilität [10, 31, 50] im Fokus. Im Hinblick auf primäre Fragestellungen der forensischen Anthropologie, wie die Identifizierung unbekannter Toter oder Straftäter [38], die Ermittlung ihrer geografischen Herkunft, die Verwandtschaftsrekonstruktion sowie auch für Fragen der Authentizität und Herkunft von z. B. Lebensmitteln, Medikamenten oder Drogen sind diese Anwendungen ebenfalls von Bedeutung [2, 12, 13, 17, 36].

Die zeitaufwendigen und kostenintensiven Analysen hängen entscheidend von der richtigen Entnahme und Auswahl der Proben ab.

Deshalb sollte eine Einflussnahme auf das zu untersuchende Probenmaterial für genetische und biogeochemische Analysen zweckmäßigerweise nicht erst im Labor, sondern bereits im Feld erfolgen [8]. Eine Probenentnahme in situ ist zumindest bei aDNA-Analysen für die Qualität und Validität der Ergebnisse von zentraler Bedeutung [45, 46]. Im Folgenden werden daher Beprobungsstrategien für DNA und Isotopenanalysen vorgestellt, die sich in der biologischen Anthropologie bewährt haben und auch im forensischen Kontext von Bedeutung sind.

Alte Nukleinsäuren

Methodische Schwierigkeiten

Die methodischen Schwierigkeiten im Umgang mit aDNA haben ihre Ursache in liegezeit- sowie milieubedingten biochemischen Degradierungs- und Modifikationsprozessen von Nukleinsäuren, die Einfluss auf deren Quantität und Qualität nehmen. In vivo ist das Genom durch zellinterne Systeme vor solchen Veränderungen geschützt. Nach dem Tod des Organismus werden diese Schutzmechanismen jedoch inaktiv, und die einsetzende Autolyse induziert den enzymatischen Abbau von Gewebe und DNA. Die DNA-Erhaltung wird zudem maßgeblich von äußeren Faktoren beeinflusst, die vom Liegemilieu abhängig sind und im Vergleich zur Autolyse langsamer, aber dafür dauerhaft ablaufen. Diese postmortalen Degradierungsprozesse führen zu einer sukzessiven Reduktion des endogenen DNA-Gehalts. Im (prä-)historischem Kontext hat daher das Milieu einen ausschlaggebenderen Einfluss auf die DNA-Erhaltung als die Liegezeit selbst [58].

Ein direkter Einflussfaktor auf die Erhaltung von Nukleinsäuren sind Bakterien und Pilze des Bodens, die Gewebe und DNA relativ schnell zersetzen und verstoffwechseln [3]. Auch Feuchtigkeit begünstigt die schnelle DNA-Degradierung, da Bodenwasser in die Knochen diffundiert und dort diagenetische Abbauprozesse der Knochenstruktur in Gang setzt [25]. Nukleinsäuren, die in dieser Knochenmatrix schützend verpackt sind, werden somit enzymatischen und bakteriellen Abbauprozessen ausgesetzt. Feuchtigkeit hat zudem einen zusätzlichen Effekt auf den DNA-Erhalt. Durch hydrolytische Spaltung werden DNA-Stränge in kurze Fragmente degradiert, sodass bei aDNA häufig nur Fragmentlängen zwischen 100 und 500 bp nachweisbar sind [44]. Die Degradierung erfolgt entweder durch Spaltung des Zucker-Phosphat-Rückgrats oder durch Depurinierung (hydrolytische Abspaltung der Purinbase eines Nukleotids). Es wird vermutet, dass die Depurinierung den DNA-Degradierungsprozess dominiert [58]. Des Weiteren können Nukleotide durch Hydrolyse modifiziert werden. Die Abspaltung stickstoffhaltiger Molekülgruppen (Deaminierung) resultiert in einer veränderten Molekülstruktur der Nukleotide, die letztlich Fehlpaarungen innerhalb des DNA-Doppelstrangs ergibt [24, 37]. Derartige Fehlpaarungen können schnell als authentische Mutationen interpretiert werden und die Ergebnisse verfälschen [19]. Elektromagnetische Strahlung [z. B. Ultraviolett(UV)-Strahlung] begünstigt die Bildung freier Sauerstoffradikale, die DNA oxidativ schädigen [37]. Derartige Schäden können Basenmodifikationen hervorrufen und die Amplifikation der DNA blockieren [52]. Die Temperatur ist neben der Feuchtigkeit der bedeutendste Faktor, der die Geschwindigkeit postmortaler Degradierungsprozesse beeinflusst. In wärmeren Klimazonen ist der DNA-Gehalt häufig geringer als in Mitteleuropa, da die meisten chemischen Reaktionen bei höheren Temperaturen schneller ablaufen (Wirkungsoptimum vieler Enzyme beträgt ca. 37 °C) und Wärme die Proliferation von Mikroorganismen unterstützt. Außerdem fördern höhere Temperaturen die Depurinierung und beschleunigen somit einen wesentlichen Degradierungsprozess alter DNA [56]. Der pH-Wert des Bodens dagegen wirkt nicht direkt auf die DNA, sondern auf die Gewebe (Knochen/Zähne). Bei einem sauren Milieu wird der Abbau der Mineralmatrix beschleunigt, in die die DNA schützend eingebettet ist [41].

Diese Faktoren reduzieren unmittelbar den Gehalt endogener DNA und erhöhen damit das Risiko, die Proben mit moderner DNA zu kontaminieren und die Ergebnisse zu verfälschen [26]. Das Problem besteht v. a. bei der Bearbeitung humaner DNA, da das Skelettmaterial vor und während der genetischen Analysen mit einer Vielzahl von Bearbeitern (Ermittlern, Ausgräbern, Anthropologen, Laborpersonal) in Kontakt kommt. Die postmortale Degradierung und das Risiko einer Kontamination erfordern bei humanen Proben grundsätzlich die rasche Beprobung vor Ort und anschließend die probengerechte Lagerung, um schädigenden Einflüssen vorzubeugen.

Empfehlungen für die DNA-Beprobung

Kontaminationsvermeidende Maßnahmen

Kontaminationsvermeidende Maßnahmen zielen darauf, das Probenmaterial ab dem Zeitpunkt der Auffindung vor Kontaminationen mit moderner DNA (Hautschuppen, Haare, Schweiß und Speichel des Probennehmers oder -bearbeiters) zu schützen. Das Tragen von langärmliger Kleidung (im Idealfall ein Ganzkörperanzug), Kopftuch oder Mütze, Mundschutz und Handschuhen ist zwingend erforderlich (Abb. 1). Um Kreuzkontaminationen zu vermeiden, sind die Handschuhe zwischen jeder Probenentnahme (auch beim selben Individuum) zu wechseln und verwendete Hilfsmittel oder Werkzeuge entweder einmalig zu benutzen oder bei mehrmaliger Verwendung zu dekontaminieren (z. B. durch Einwirken von Natriumhypochlorid für 15 min). Es ist wünschenswert, dass die Beprobung von einer Person durchgeführt wird, womit multiple Kontaminationen durch unterschiedliche Bearbeiter minimiert werden. Die genetische Typisierung aller Personen, die während der Freilegung, Bergung und Untersuchung mit dem Probenmaterial in Kontakt gekommen sind, ist essenziell, um im Abgleich mit den Ergebnissen der DNA-Analyse Bearbeiter als potenzielle Kontaminationsquelle ausschließen zu können.

Abb. 1
figure 1

In-situ-DNA-Probenentnahme. Um Kontaminationen vorzubeugen, ist mindestens das Tragen von Kopftuch, langer Kleidung, Mundschutz und Handschuhen notwendig. (© LDA Halle, Institut für Anthropologie, Universität Mainz, mit freundl. Genehmigung)

Probenauswahl

Pro Individuum sollten 2 bis 3 Proben ausgewählt werden, um die optimale Reproduktion der DNA-Ergebnisse zu gewährleisten. Prinzipiell eignen sich für genetische Analysen alle erhaltenen Gewebe. Bei Überresten mit geringer Liegezeit oder Mumifizierungen mit Weichteilerhaltung sind v. a. Haar-, Haut- oder Blutproben für die DNA-Analyse geeignet.

Hartgewebe haben sich aufgrund ihrer diagenetischen Beständigkeit im (prä-)historischen Kontext bewährt.

Allerdings sind nicht alle anatomischen Skelettelemente gleich gut bzw. überhaupt geeignet. Zahnproben weisen in der Regel eine bessere DNA-Erhaltung und geringere Kontaminationsanfälligkeit auf als Knochenproben und sind daher zu favorisieren [45]. In der Reihenfolge ihrer Priorität sind folgende Hartgewebeproben bevorzugt auszuwählen: Molaren, Prämolaren, Canini und, falls keine Zähne vorhanden sind, entweder Femur oder Tibia, Humerus oder Pars petrosa ossis temporalis (Abb. 2). Kreuzkontaminationen und die Dauer der Beprobung können weiter reduziert werden, wenn statt der Beprobung einzelner Zähne ganze Unter- bzw. Oberkiefer mit mindestens 3 gut erhaltenen Zähnen ins Labor überführt werden; hier können die Zähne unter Reinraumbedingungen extrahiert werden. Analog sollten Knochen in toto verpackt und an das zuständige Labor weitergeleitet werden. Von einer Beprobung im Feld ist abzuraten, da Sägearbeiten außerhalb des Labors erhebliche Risiken für Kreuzkontaminationen bergen. Bei der Auswahl sollten kariöse oder abgebrochene Zähne sowie stark verwitterte, zerbrochene und verbrannte Knochen als Proben ausgeschlossen werden.

Abb. 2
figure 2

Probenauswahl für genetische Analysen. Molaren (M1, M2, M3) aus Ober- oder Unterkiefer sind am besten geeignet. Alternativ sind Prämolaren (PM1, PM2) oder Canini (C) verwendbar. Sollte kein Zahnmaterial vorhanden sein, sind Femur oder Tibia zu bevorzugen. Humerus oder Pars petrosa können alternativ entnommen werden. Die Nummerierung der Zähne folgt der internationalen Nomenklatur der Fédération Dentaire Internationale. (© Institut für Anthropologie, Universität Mainz, mit freundl. Genehmigung)

Beprobung

Die Beprobung in situ ist zu favorisieren, da sie nicht nur das Risiko von Kontaminationen reduziert [45], sondern sich z. T. auch erheblich auf eine günstigere DNA-Erhaltung auswirkt [46]. Im Idealfall wird bei bodengelagerten menschlichen Überresten zunächst der Schädel/Kopf freigelegt, damit zeitlich umgehend beprobt werden kann. Wichtig ist, dass der Fund vor der Probenentnahme nicht gewässert und länger als absolut notwendig Wärme sowie UV-Licht ausgesetzt ist, da diese Prozesse erheblich zur Verringerung nachweisbarer DNA beitragen [46]. Besonders in warmen Regionen oder Jahreszeiten empfiehlt es sich, die Überreste vor Sonneneinstrahlung abzuschirmen und die Proben unverzüglich nach der Entnahme kühl zu lagern. Die Behandlung mit Lösungsmitteln oder anderen Chemikalien vor der Probenentnahme und das Beschriften von möglichen Beprobungsstellen sind in jedem Fall zu vermeiden, da diese Substanzen die Isolierung der DNA aus den Geweben erschweren oder sogar unmöglich machen.

Verpackung und Lagerung

Die entnommenen Proben sollten unverzüglich in sterile Probenbeutel oder „tubes“ verpackt und beschriftet werden. Von alternativen Verpackungsmitteln wie z. B. Fotodosen ist abzuraten. Um Kreuzkontaminationen zu vermeiden, ist jede Einzelprobe separat zu verpacken. Die Proben sollten direkt nach der Entnahme kühl, trocken und dunkel gelagert werden. Das Probenmaterial kann eingefroren, sollte dann jedoch bei konstanten Temperaturen gehalten werden, da Auf- und Abtauvorgänge die Nukleinsäuren schädigen [6].

Stabile Isotope

Anwendung

Die am häufigsten durchgeführten Stabilisotopenbestimmungen erfolgen an:

  • Strontium (87Sr/86Sr) für Informationen zu Wanderungen, geografischer Herkunft bzw. Mobilität [4, 29],

  • Sauerstoff (δ18O) für Mobilität, Saisonalität und die Charakterisierung klimatischer Bedingungen [11, 14, 30, 57],

  • Stickstoff (δ15N) sowie Kohlenstoff (δ13C) für Fragen nach den Nahrungsgrundlagen [35] und

  • Schwefel (δ34S) zur Bestimmung des Einflusses des Meeres und unter besonderen geologischen Umständen zur Bedeutung von Süßwasserfisch in der Nahrung [39, 40].

Die Isotopenverhältnisse der leichten Elemente Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Schwefel werden als δ-Werte, d.h. als Differenzen zu den Isotopenverhältnissen von Standardmaterialien angegeben.

Die genannten Anzeiger für die Lebensweise und Lebensbedingungen von Menschen manifestieren sich in verschiedenen Teilen des Skeletts (Knochen/Zähne) und in unterschiedlichen Komponenten der biogenen Hartgewebe, d. h. entweder in der anorganischen Phase (Hydroxylapatit) oder im organischen Anteil (Kollagen). In der modernen forensischen Anthropologie werden Stabilisotopenuntersuchungen verschiedener Elemente zusätzlich an Haaren und Nägeln durchgeführt, die überwiegend aus Keratin bestehen. Durch Isotopenanalysen der Elemente Wasserstoff und Blei an Körpergewebeproben lassen sich weitere geografische Informationen zur örtlichen Differenzierung gewinnen. Wasserstoffisotopenwerte (δD) in Körperproteinen korrelieren mit den klimatischen Bedingungen am Aufenthaltsort eines Individuums zu Lebzeiten [15, 17]. Für das Verhältnis verschiedener Bleiisotope (206Pb/204Pb, 207Pb/204Pb, 208Pb/204Pb) in Körpergeweben ist hauptsächlich der anthropogene Bleieintrag in die Umwelt verantwortlich, der aufgrund länderspezifischer Handelswege des Bleis nationalen Charakter besitzt [5, 21, 48].

Empfehlungen für die Beprobung stabiler Isotope

Knochen, Zähne, Haare und Nägel sind während der Bodenlagerung diagenetischen Einflüssen ausgesetzt, die sowohl die äußere als auch die innere Struktur der Gewebe verändern können. Strontium- und Bleiisotope in Körpergeweben können bei längerer Liegezeit mit den im Boden oder Wasser enthaltenen Geoelementen kontaminiert werden. Die Gefahr der Veränderung von Isotopenverhältnissen (Kontamination) durch unsachgemäße Behandlung der Körpergewebe während und nach der Bergung ist aber weitaus geringer als bei alter DNA. Das Skelett kann im Feld nach den üblichen Arbeitsschritten freigelegt, dokumentiert und mechanisch gereinigt werden. Allerdings sind die Behandlung mit chemischen Härtern oder Lacken sowie das Beschriften von möglichen Beprobungsstellen unbedingt zu vermeiden. Auch von einer Mazeration frischer Skelettteile ist abzusehen.

Probenauswahl

Strontium-, Blei- und Sauerstoffisotopenanalysen

Strontium-, Blei- und Sauerstoffisotopenanalysen werden an Hydroxylapatit, der anorganischen Komponente von Knochen und Zähnen, durchgeführt. Wichtigstes Probenmaterial ist der Zahnschmelz der Molaren. Er wird während der Kindheit und frühen Jugend mineralisiert, unterliegt keinen Umbauprozessen zu Lebzeiten und ist gegen diagenetische Veränderungen während der Bodenlagerung vergleichsweise resistent [29]. Zur bestmöglichen zeitlichen Einordnung von Informationen über Residenzwechsel zu Lebzeiten und zum Abgleich mit evtl. bekannten biografischen Daten des untersuchten Individuums ist auf die gezielte, durch den Zeitraum ihrer Anlage bestimmte Auswahl der zu untersuchenden Zähne zu achten. Die Zahnkronen der ersten Dauermolaren mineralisieren etwa zwischen der Geburt und dem 3. bis 4. Lebensjahr (Abb. 3). Sie sind wegen ihrer dickeren Schmelzschicht gegenüber gleichzeitig angelegten Schneidezähnen zu bevorzugen. Mit einiger zeitlicher Überlappung zu diesem Zahntyp mineralisieren die 2. Molaren ca. zwischen dem 3. und 7. Lebensjahr. Alternative Proben hierzu sind die Prämolaren, deren Zahnkronen zwischen dem 2. und 6./7. Lebensjahr gebildet werden [1]. Die Zahnkronen der 3. Molaren werden mit erheblicher individueller Variation in der späteren Kindheit bis ins Jugendalter, d. h. zwischen ca. dem 7. und 14. bis 16./18. Lebensjahr, angelegt [43, 49].

Wichtigstes Probenmaterial ist der Zahnschmelz der Molaren

Für Fragen nach der Geburtsregion eines Individuums sind die am frühesten mineralisierten Zähne eines Gebisses zu untersuchen, bei Kindern Milchzähne. Steht die Herkunftsregion eines Individuums im Mittelpunkt einer Studie, genügt in der Regel die Analyse einer früh mineralisierten Zahnkrone pro Individuum. Die Erweiterung des Probensatzes um später mineralisierten Zahnschmelz erlaubt es darüber hinaus, evtl. Wohnortwechsel bzw. Mobilität innerhalb der Kindheit nachzuvollziehen. Eine ideale Beprobung sollte deshalb sowohl einen 1. als auch einen 3. Molaren einbeziehen, um Informationen über die frühe und spätere Kindheit/frühe Jugend zu verbinden und den gesamten im Zahnschmelz überlieferten Zeitraum abzudecken. Zeigen sich Unterschiede in den Isotopensignaturen zwischen dem 1. und dem 3. Molaren eines Gebisses, kann der Ortswechsel des Individuums durch Hinzunahme von Proben eines 2. Molaren oder Prämolaren zeitlich noch feiner aufgelöst werden. Die derzeit höchste chronologische Differenzierung der Isotopendaten ermöglicht die Beprobung des Zahnschmelzes mithilfe der Laserablation [16, 47, 54].

Zähne können einzeln oder im Kiefer, gewaschen oder ungewaschen in handelsüblichen Fundtüten zur Analyse gelangen und sind vorher zwingend mit Herkunftsinformationen zu versehen. Optimale Probenmengen für Sr-, Pb- und O-Isotopenanalysen an der phosphatischen Komponente des Hydroxylapatits sind jeweils ca. 10 mg Zahnschmelz. Grundsätzlich empfiehlt es sich, die genannten Analysen an den gleichen Zähnen durchzuführen. Allerdings ist bei der Probenauswahl für O-Isotopenanalysen ein möglicher Einfluss von Muttermilch auf während der Stillzeit mineralisierte Zahnkronen zu bedenken [59], den man möglicherweise mit der Analyse gezielt erfassen oder aber auch vermeiden möchte. Insbesondere bei wenig diagenetisch überprägtem rezentem Material bieten auch Knochen ein hohes Informationspotenzial. Durch Analysen von schnell (z. B. Rippen) oder langsam (z. B. Femurkompakta) umbauenden Knochen können prinzipiell Hinweise auf Residenzwechsel zu Lebzeiten gewonnen werden [29]. Die Information aus den Knochen schließt die zeitliche Lücke zwischen der Wachstumszeit von Zähnen und der von Haaren bzw. Nägeln, die in der letzten Lebensphase eines Individuums gebildet werden. Die Analysen von Sr und Pb erfolgen sowohl an Zahn- und Knochenmaterial als auch an Haaren und Nägeln; hier sind die Geoelemente in die Keratinmatrix eingebettet.

Abb. 3
figure 3

Probenauswahl für Strontium- bzw. Sauerstoff- und Kohlenstoff- bzw. Stickstoffisotopenanalysen. Die Nummerierung der Zähne folgt der internationalen Nomenklatur der Fédération Dentaire Internationale. C Canius, M Molar, PM Prämolar. (© Institut für Anthropologie, Universität Mainz, mit freundl. Genehmigung)

Wasserstoff-, Kohlenstoff-, Stickstoff- und Schwefelisotopenanalysen

Die Stabilisotopenanalysen der Bioelemente H, C, N und S werden an Haaren und Nägeln nach der Reinigung und Entfettung des Materials direkt analysiert. Aus Knochen und Dentin wird das Kollagen präpariert und seine isotopische Zusammensetzung bestimmt. Über ein Multielementanalysensystem ist eine gleichzeitige Erfassung der Stabilisotopenverhältnisse der genannten Bioelemente möglich [51]. Der Materialbedarf beträgt etwa 15 mg Haare bzw. Nägel und insgesamt etwa 1 g Knochen oder Dentin.

Zur Bestimmung der Aufenthaltsorte werden Körpergewebe nach ihrer Bildungszeit ausgewählt

Steht die Bestimmung der geografischen Herkunft und Aufenthaltsorte eines unbekannten Individuums durch isotopenanalytische Untersuchungen im Vordergrund, sollten mehrere Körpergewebe entsprechend ihrer Bildungszeit ausgewählt und beprobt werden. So kann man möglichst detaillierte Informationen über die Lebenszeit der Person von der Kindheit bis kurz vor dem Tod erhalten. Falls vorhanden, sollten 1 bis 3 unterschiedliche Molaren, alternativ auch Schneide- und Eckzähne, eine Rippe oder ein Stück Femurknochen (aus der Diaphyse) sowie Haare bzw. Nägel asserviert werden. Sind Kopfhaare mit einer Länge > 3 cm vorhanden, sollten Haarstränge möglichst parallel fixiert werden, um zeitlich aufeinanderfolgende Haarabschnitte untersuchen zu können. Je nach Fragestellung und vorhandenen Körpergeweben wird über die Zahl und Art der Analysen individuell entschieden.

Fazit für die Praxis

  • Aus der Kombination von klassischen morphologischen und metrischen Befunden sowie DNA- und Isotopenanalysen ist eine hohe Informationsdichte zu erwarten.

  • Die herausragende Bedeutung der Zähne für die analytischen Methoden ist evident. Im archäologischen Kontext sind invasive Eingriffe bei besonders altem und damit wertvollem biologischen Quellenmaterial sehr ungern gestattet. Daher hat es sich bei der Beprobung als zweckmäßig erwiesen, denselben Zahn sowohl für DNA- als auch für Isotopenuntersuchungen zu verwenden. Schmelz und Dentin werden dabei im Reinraum getrennt, die DNA aus dem Dentin extrahiert und der Zahnschmelz sowie das Kollagen aus dem Dentin für die geplanten Isotopenanalysen herangezogen.

  • Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten bio- sowie geoarchäometrischer Techniken und ihr sinnvoll kombinierter Einsatz haben nicht nur die archäologische Forschung entscheidend bereichert, sondern sie werden in den letzten Jahren auch vermehrt zur Beantwortung forensischer Fragestellungen eingesetzt. Der Erfolg solcher Analysen ist jedoch an essenzielle, hier dargelegte Anforderungen an das Probenmaterial und eine darauf abgestimmte Beprobungsstrategie auf der Ausgrabung oder bei der Bergung unbekannter Toter gebunden.