Die kataleptische Totenstarre ist ein ebenso mysteriöses wie umstrittenes thanatologisches Phänomen. Ihre Existenz widerspricht den Alltagsbeobachtungen des Rechtsmediziners gänzlich. Mithilfe einer Literaturrecherche wurde die deutschsprachige rechtsmedizinische Literatur auf Fallmitteilungen, in denen eine kataleptische Totenstarre beschrieben worden ist, untersucht.

Definition

Die kataleptische Totenstarre bezeichnet eine Totenstarre, die sofort mit dem Tod auftritt und den menschlichen Körper durch schlagartiges Starrwerden in der dem Tod unmittelbar vorangegangenen Stellung hält – auch gegen die Schwerkraft (Abb. 1, Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Bekanntester Fall einer kataleptischen Totenstarre: der „Fall von Wahncau“. (Aus [11])

Abb. 2
figure 2

Beispiel einer kataleptischen Totenstarre: Die den Strick haltende linke Hand und der linke Unterarm waren bei der Auffindung in einer nichtunterstützten Lage. (Aus [16])

Sie wurde im Zusammenhang mit verschiedensten Todesursachen, so z. B. Tetanus, Intoxikationen und Schädelhirntraumata, insbesondere Schussverletzungen, beschrieben [2, 3]. Geprägt wurde der Begriff der kataleptischen Totenstarre im Jahr 1859 durch den deutschen Physiologen Emil Du Bois-Reymond (1818–1896; [4]).

Historische Beispiele

Hinweise auf eine kataleptische Totenstarre lassen sich schon im Altertum finden, so z. B. in der alttestamentarischen Erzählung um die Zerstörung von Sodom und Gomorrha. („Als Lots Frau zurückblickte, wurde sie zu einer Salzsäule“ [1].) Seit der Renaissance wurden wiederholt Fälle beschrieben, in denen eine kataleptische Totenstarre als Erklärung der beobachteten postmortalen Körperstellung diskutiert wurde. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts häufen sich die Beschreibungen, insbesondere aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) und aus dem Deutsch-Französischen Krieg (1870–1871; Übersicht bei [2]).

Bisherige Bewertung

Im Jahr 1922 untersuchte Baumann [2] im Rahmen einer Dissertation alle ihm greifbaren Fallbeschreibungen der kataleptischen Totenstarre. Er kam zu folgendem Schluss: „Immerhin scheint die kataleptische Totenstarre sehr selten zu sein.“ Seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts werden Mitteilungen über die kataleptische Totenstarre seltener und versiegen schließlich ganz.

Die Bewertung des Phänomens fällt in den rechtsmedizinischen Lehrbüchern des 20. Jahrhunderts sehr unterschiedlich aus: So bejahen 1927 Haberda [5] und noch 1975 Mueller [6] die Existenz der kataleptischen Totenstarre; hier schreibt Letzterer einschränkend, „dass sie so selten ist, dass man niemals a priori mit ihrem Vorliegen rechnen soll.“ Mueller erwähnt in seinem Lehrbuch, dass er im Zweiten Weltkrieg durch Befragen von Truppenärzten und in der eigenen Arbeit keine Fälle einer kataleptischen Totenstarre habe feststellen können. In neuerer Zeit wird die Existenz der kataleptischen Totenstarre von Forster u. Ropohl [7] sowie Henssge u. Madea [8, 9] verneint. In einem Beitrag zur Fort- und Weiterbildung mit Thema Leichenveränderungen in dieser Zeitschrift wird die kataleptische Totenstarre nicht mehr erwähnt [10].

Literaturrecherche

Material

Eingang in die Untersuchung fanden ab dem Jahr 1922 (Zeitpunkt der erwähnten Dissertation von Baumann [2]) publizierte, deutschsprachige Fallbeschreibungen, in denen von einer kataleptischen Totenstarre ausgegangen oder eine solche zumindest vermutet worden war. Ausgenommen sind Fotografien in Atlanten o. Ä., die keinen oder kaum erläuternden Text aufweisen. Auf den „Fall Wahncau“ [11] wird in der Diskussion aufgrund seines Bekanntheitsgrades eingegangen.

Methode

Eine beschriebene postmortal festgestellte Körperstellung muss alle von den Autoren definierten Kriterien (Infobox 1) erfüllen, um mit einer kataleptischen Totenstarre erklärt werden zu können.

Die genaue Beschreibung der frühen Leichenveränderungen (Totenstarre, Totenflecke) muss gefordert werden, um eine Umlagerung des Leichnams in eine nichtunterstützte Lage ausschließen zu können. Aus gleichem Grund werden intakte Schließverhältnisse und die Abwesenheit Dritter als weitere Kriterien aufgestellt. Bei einer Auffindung im Freien wäre eine Lageveränderung der Leiche durch Drittpersonen, Witterung oder – in Zusammenhang mit Kriegshandlungen – physikalische Einflüsse wie Druckwellen von detonierenden Artilleriegeschossen nie sicher auszuschließen.

Für die Diagnose einer kataleptischen Totenstarre als nichtnotwendig angesehen wurde die fotografische Dokumentation der Fundsituation. Insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es nämlich weniger üblich als heute, Fundsituationen standardmäßig fotografisch zu dokumentieren, und Publikationen dieser Zeit sind weniger bebildert als heutige. Beim Bestehen auf fotografischen Abbildungen der kataleptischen Lage hätte somit die Möglichkeit bestanden, Fälle fälschlicherweise auszuschließen.

Das Ziel dieser Arbeit ist eine rein phänomenologische Beurteilung der kataleptischen Totenstarre; deshalb wird eine autoptische Klärung der Todesursache und der Todesart nicht als zwingendes Kriterium angesehen.

Resultate

Die Resultate der Literaturrecherche werden in Tab. 1 dargestellt. Hier werden interessenhalber auch für diese Arbeit nichtrelevante Punkte aufgeführt (z. B. Alter und Geschlecht des Verstorbenen, Todesursache, Todesart).

Tab. 1 Übersicht der Fallbeschreibungen einer kataleptischen Totenstarre seit 1922

Es fanden sich 15 Fallbeschreibungen einer kataleptischen Totenstarre, davon 14 in rechtsmedizinischen Fachzeitschriften [3, 12, 13, 14, 15, 16] und eine in einer Monographie [17]. Eine weitere Beschreibung betraf ein gejagtes Reh und fand keinen Eingang in die hier beschriebene Untersuchung [13]. Zwölf Fälle wurden bis 1925 publiziert. Je ein Fall wurde 1929, 1956 und 1970 mitgeteilt.

In 5 Fällen wurde die Totenstarre – zumeist kursorisch (z. B. „halbsteife Muskulatur“) – beschrieben. Eine Beschreibung der Totenflecke erfolgte in keinem Fall.

Zehn Leichen wurden im Freien beobachtet, davon 6 im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen im Ersten Weltkrieg. Vier Leichen mit nichtunterstützter Lage wurden in Innenräumen festgestellt; eine kataleptische Totenstarre wurde in einer offenen Gartenlaube vorgefunden. In allen Fällen, die in Innenräumen festgestellt wurden, waren Drittpersonen anwesend.

Bei 10 der 15 Fallbeschreibungen war der Beschreiber der kataleptischen Totenstarre selbst am Fundort. Zwei Beobachtungen einer nichtunterstützten Lage beruhen auf Fremdbeobachtungen. Aus den restlichen Beschreibungen geht nicht hervor, ob die beschriebene Leichenlage auf Fremd- oder Eigenbeobachtung beruht.

Fotos der Auffindeposition liegen in 3 Fällen vor.

Lediglich in 3 von 15 Fällen erfolgte gesichert eine Obduktion. Diese ergab zweimal eine tödliche Schussverletzung des Kopfes sowie wahrscheinlich eine letal verlaufende Mischintoxikation mit Alkohol und Morphin.

Keine der 15 Fallbeschreibungen erfüllte die aufgestellten diagnostischen Kriterien der kataleptischen Totenstarre.

Diskussion

In der vorliegenden Arbeit wurden diagnostische Kriterien für die kataleptische Totenstarre unter einem phänomenologischen Blickwinkel definiert (Infobox 1). Die Begründung der Kriterien findet sich im Abschn. “Methode“. Keiner der in der deutschsprachigen Literatur seit 1922 aufgeführten Fälle einer kataleptischen Totenstarre erfüllt diese Kriterien.

Auffallend ist die aus heutiger Sicht unzureichende Beschreibung der frühen Leichenveränderungen. Nach Meinung der Autoren sind gerade die Beschreibungen der Totenflecke und der Totenstarre zum Ausschluss einer postmortalen Lageveränderung ein zentraler Punkt bei der Existenzprüfung einer kataleptischen Totenstarre.

Gut die Hälfte der Fallbeschreibungen wurden von denselben Autoren (Lochte u. Baumann [13]; Tab. 1) publiziert. Dies erklärt sich dadurch, dass von den genannten Autoren im Anschluss an die Dissertation von Baumann ein Aufruf an die deutschsprachigen Rechtsmediziner erging, ihnen Fallbeschreibungen über kataleptische Totenstarre mitzuteilen.

Der wahrscheinlich bekannteste Fall einer kataleptischen Totenstarre, der „Fall von Wahncau“, wurde nicht in die hier beschriebene Untersuchung aufgenommen. Seine Bekanntheit beruht auf dem Abdruck zweier Abbildungen im verbreiteten Atlas der gerichtlichen Medizin von Prokop u. Radam [11]. Diese Fallbeschreibung wurde von Wahncau 1895 publiziert und liegt somit außerhalb der hier untersuchten Zeitspanne. In seiner Arbeit geht Baumann auf den Fall von Wahncau“ ein [2]. Die geforderten Kriterien werden auch in diesem Fall nicht erfüllt (keine Beschreibung der frühen Leichenveränderungen bei Prokop u. Radam, Auffindung im Freien).

Die Existenz der kataleptischen Totenstarre muss somit nach dieser Literatursichtung des Zeitraums ab 1922 als unbewiesen gelten.

Fazit für die Praxis

Eine „kataleptische“ Leichenposition – d. h. eine nichtunterstützte Lage der Leiche oder von Gliedern der Leiche – kann nicht mit einer kataleptischen Totenstarre erklärt werden. Sie verlangt daher eine sorgfältige rechtsmedizinische und kriminalistische Abklärung der Frage, unter welchen Umständen und durch wen der Leichnam in die beobachtete Stellung gebracht worden ist.