Zusammenfassung
Wird eine Leiche in skelettiertem Zustand gefunden, kann sich die Klärung der Identität als schwierig erweisen. Schlagen herkömmliche Methoden der Identifizierung wie etwa ein DNA-Abgleich fehl, kann die Rekonstruktion des Gesichtes auf dem Schädel die einzige Möglichkeit sein, dem unbekannten Toten sein Aussehen und im günstigsten Fall seine Identität wiederzugeben. Für eine Weichteilrekonstruktion stehen mehrere Methoden und daraus entwickelte Varianten zur Verfügung. Liegen keine Hinweise über die körperliche Verfassung zu Lebzeiten vor, kann die Bandbreite der möglichen Ausprägungen sehr groß sein. Dies soll die vorgestellte Studie verdeutlichen.
Abstract
If a body is found in a skeletonized condition, a determination of identity can be difficult and even more if no further findings are present which might assist identification. If all other methods for identification have failed, e.g. a comparative DNA analysis, a reconstruction of the face on the skull can be the only remaining possibility. A number of methods with varying results exist for soft tissue reconstruction. Any further findings can be helpful, because they might give indications of the unknown deceased persons facial appearance before death. If there are no indications of the physical condition during life, the spectrum of possible facial expressions can be very large. The study deals with the variety of facial appearances based on the same skeletal remains.
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Das aus Weichteilen gebildete Gesicht steht im engen Zusammenhang mit der knöchernen Schädelarchitektur. Da diese bei jedem Menschen in der Ausprägung ihrer Formen einmalig ist, bedingt dieser Umstand, dass auch das Gesicht darauf einzigartig sein muss. Diese sich nicht wiederholende Form macht sich die plastische Gesichtsrekonstruktion zunutze. Wissenschaftlich ermittelte Dicken der Weichteile an genau definierten Schädelpunkten erlauben den Wiederaufbau des Gesichtes auf einem Schädel. Für die Rekonstruktion historischer Persönlichkeiten ist dem Rekonstrukteur ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit im Dienste der Medienwirksamkeit gestattet. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn eine Rekonstruktion in einem forensischen Fall zur Klärung einer Identität eingesetzt wird. Hier muss auf jede freie Gestaltung, die nicht durch Fakten gesichert ist, verzichtet werden.
Einleitung
Die „Manchester Methode“, die von Richard Neave begründet wurde, ist ein etabliertes dreidimensionales Gesichtsrekonstruktionsverfahren, das den Aufbau aller dem Schädel aufliegenden Weichteile in anatomisch korrekter Lage vorsieht. Diese werden anschließend mit einer Hautschicht überdeckt. Für die Bestimmung der Weichteildicken wurden hier die Daten von Helmer konsultiert, die an definierten Punkten am Schädel geschlechtsspezifische und altersabhängige Dicken vorsehen. Diesbezüglich haben jüngst de Greef et al. [2] einen neuen Datensatz vorgestellt, der an einem sehr großen kaukasoiden Probandenkollektiv erhoben wurde. Jede vorgesehene Landmarke für eine Weichteildickenermittlung wurde dreimal gemessen und in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Body-Mass-Index (BMI) nachvollziehbar in einer Tabelle aufgelistet.
Weitere mögliche Methoden sind die „amerikanische Methode“ und die „russische Methode“. Erstere arbeitet ebenfalls mit vorgegebenen Weichteildicken, sieht aber keinen Aufbau der muskulären Strukturen vor [8]. Hierbei werden die Zwischenräume zwischen den einzelnen Weichteilpunkten mit Modelliermasse aufgefüllt und ebenfalls mit Haut überzogen. Diese Methode erfordert weniger anatomische Kenntnisse, dafür aber ein erheblich größeres künstlerisches Talent. Die „russische Methode“, begründet von Gerassimow (zit. nach [10]), bildet ebenfalls die Gesichtsmuskulatur nach, basiert zwar auch auf erhobenen Weichteildicken, die Muskeln werden jedoch größtenteils frei aufgelegt. Die „Manchester Methode“ stellt eine Kombination aus den beiden vorgenannten dar.
Es stellt sich die Frage, welche Ausprägung das Gesicht als Folge des speziellen körperlichen Zustands der verstorbenen Person hatte.
Ziele der vorliegenden Studie waren zum einen die Verdeutlichung der Bandbreite der möglichen Ausprägungen aufgrund der allgemeinen Konstitution (Ernährung, Alter usw.) durch das Anfertigen von fünf verschiedenen Rekonstruktionen auf einer Kopie desselben Schädels. Zum anderen wurden die Rekonstruktionen zur Validierung mit einem Foto von der Person zu Lebzeiten verglichen, um Effizienz und Genauigkeit der Methode zu ermitteln. Zum Abschluss der Arbeit fand eine Vergleichspräsentation der Rekonstruktionen mit dem Lebendfoto für Rechtsmediziner, Kripobeamte, Anthropologen und Medizinstudenten statt. Sie sollten nach dem eigenen Empfinden den „Erfolg“ der Arbeit bewerten, indem sie den Grad der Ähnlichkeit nennen sollten.
Material und Methoden
Für die Studie wurde ein Schädel von aus der Asservatensammlung des Instituts für Rechtsmedizin am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf zur Verfügung gestellt. Jedoch wurden keinerlei Informationen über die Person mitgeliefert. Da die Person eindeutig identifiziert und auch polizeibekannt war, existieren fotografische Aufnahmen. Diese verblieben aber, für die Rekonstrukteurin nicht einsehbar, in der Rechtsmedizin.
Der eigentlichen Rekonstruktion geht stets eine Bestimmung des Alters zum Zeitpunkt des Todes und des Geschlechtes voraus. Die Bestimmung des Geschlechtes erfolgte nach Herrmann et al. [5] und lieferte in diesem Fall eine klare Zuordnung zu männlich. Unter Verwendung der Methoden von Ubelaker [9], Bass [1], Nemeskeri (zit. nach [8]) ergab sich ein Alter zum Zeitpunkt des Todes zwischen 28 und 33 Jahren.
Zur Wahrung der Intaktheit des Originalschädels ist es notwendig, diesen im Vorfeld abzuformen, da er manipulativ bearbeitet wird. Sowohl der Schädel an sich als auch die Mandibula wurden fünfmal abgeformt und der ursprünglichen Anatomie entsprechend zusammengesetzt.
Die Abformung eines Schädels gliedert sich in mehrere Arbeitsschritte. Zunächst muss der Schädel so vorbereitet werden, dass er die Prozedur der Abformung zerstörungsfrei übersteht. Anschließend wird eine Negativform aus einer weichen und einer harten Schale angefertigt. Die weiche, innere Schale gibt exakt die Oberflächenstruktur des Schädels wieder. Sie ist flexibel und liegt dem Schädel wie eine dünne Haut auf. Die harte, äußere Schale dient als Halteapparat für die weiche Schale, damit deren Form gewahrt bleibt. Die Schalen werden mit Gips aufgefüllt. Nach der Aushärtung hat man ein Positiv des Originals, das für die weitere Arbeit Verwendung findet.
Da dem Original einige Zähne, in der Hauptsache die Inzisiven, fehlten, wurden diese bei den Abgüssen durch Kunststoffzähne ersetzt. Anschließend wurde jeweils der Schädel in der „Frankfurter Horizontalen“ auf einen Arbeitsständer befestigt.
Das Gesicht wurde sodann in fünf möglichen Ausprägungen rekonstruiert:
-
1.
normale körperliche und gesundheitliche Verfassung,
-
2.
adipöser Zustand,
-
3.
kachektischer Zustand,
-
4.
Zustand bei Alkoholabhängigkeit und
-
5.
Zustand bei Acne vulgaris.
Alle Rekonstruktionen wurden nach der „Manchester Methode“, auch „kombinierte Methode“, gearbeitet.
Der Zeitaufwand für die Anfertigung einer Gesichtsrekonstruktion liegt bei 3–4 Tagen. Bei „Sonderanfertigungen“, wie etwa Darstellung eines Bartes, Ausarbeitung spezieller Hautveränderungen oder Verletzungen, ebenso Aufbringen einer Frisur, nimmt die Rekonstruktion erheblich mehr Zeit in Anspruch.
Ergebnisse
Der Vergleich der fünf Rekonstruktionen mit dem Lebendfoto hat gezeigt, dass eine Wiedergabe des Gesichtes durchaus in solch einem Rahmen durchführbar ist, dass eine Wiedererkennung möglich ist. Das Zusammenspiel der Merkmale erlaubt auch dann eine Identifizierung, wenn die einzelnen Merkmale nicht zu 100% identisch sind. Hierzu betonen Stephan u. Henneberg [7], dass nicht die anatomische Akkuratesse, sondern die Gesamtähnlichkeit den Ausschlag für eine Wiedererkennung gibt. Eine Bildergalerie der fünf Rekonstruktionen im Vergleich zu dem Foto zu Lebzeiten ist in Abb. 1 dargestellt. Das Gesicht bleibt aufgrund des Grundgerüsts immer das gleiche, die jeweiligen Abweichungen liegen in der Natur der Studie aufgrund der unterschiedlichen Darstellungsformen.
Die Alterszuordnung von 28–33 Jahren der diesem Schädel zugehörigen Person (zum Zeitpunkt des Todes 29 Jahre alt), ebenso das männliche Geschlecht erwiesen sich als zutreffend.
Das Ergebnis der Rekonstruktionen wurde bei der Demonstration für die Kripobeamten, Anthropologen und Rechtsmedizinern subjektiv als gut und für etwaige Ermittlungen dienlich bewertet.
Diskussion
Die Studie hat exemplarisch gezeigt, dass ein Schädel wirklich nur ein Gesicht bedingen kann, dieses allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen. Die Anordnung der Muskeln ist stets gleich, ebenso die Positionierung der Augen oder z. B. die Bestimmung der Nasenbreite. Der veränderte Zustand resultiert aus mehr oder minder ausgeprägtem subkutanen Fett oder krankheitsbedingten Veränderungen der Haut.
Es ist nicht möglich, ein Gesicht in 100%iger Naturtreue zum Aussehen der Person zu Lebzeiten wiederzugeben. Dies ist schon daher nicht möglich, da gewisse Weichteilanteile am Schädel nicht „ablesbar“ sind. Grupe et al. [3] empfehlen für diese Schwierigkeit einer Rekonstruktion in zwei Dimensionen, dass alle zur Verfügung stehenden gesicherten hilfreichen Informationen wie beispielsweise Farbe und Länge der Haare, Pigment- oder Leberflecken eingearbeitet werden. Dies gilt ebenso uneingeschränkt für alle anderen Arten der Gesichtsrekonstruktion. Obwohl die Ausprägung der Merkmale größtenteils am Schädel definiert werden kann, ist es nicht möglich, ein plastisches Porträt zu schaffen. Vielmehr dient das Zusammenspiel aller Merkmale der Wiedererkennung, und dies gilt auch, wenn nicht die vollkommen korrekte Wiedergabe erzielt wurde. Der Person nahe stehende Verwandte oder Freunde werden diese auch dann erkennen, wenn z. B. die Nasenspitze anders dargestellt wurde. Fehlende knöcherne Partien, die die Richtlinien für die Ausarbeitung eines Merkmals liefern, können eine Auswirkung auf die Qualität der Rekonstruktion haben. Bei sehr stark beschädigten Schädeln steht zu befürchten, dass knöcherne Richtlinien in einem so erheblichen Maß fehlen, dass eine Wiedererkennung nicht möglich ist bzw. sich im Bereich des Zufalls bewegt.
Die fünffache Rekonstruktion eines Gesichtes wie in dem vorliegenden Fall ist nicht die Regel. In einem forensischen Fall würde bei fehlenden Begleitfunden immer ein Gesicht nach den Mittelmaßen und in einem gesunden Zustand dargestellt werden. Hier bestand zwar die Möglichkeit, aus einem „Gesichtpool“ das am ehesten passende auszuwählen, doch für eine objektive Entscheidung sollte die Rekonstruktion in normalem und gesundem Zustand bei dem Vergleich mit dem Foto gewählt werden.
Fazit für die Praxis
Es kann durchaus hilfreich sein, eine plastische Gesichtsrekonstruktion in einem forensischen Fall einzusetzen, wenn alle anderen Möglichkeiten der Identifikation fehlgeschlagen sind. Je mehr Begleitinformationen vorliegen, desto mehr kann sich das Aussehen jenem der Person zu Lebzeiten annähern. Bei der plastischen Gesichtsrekonstruktion handelt es sich demnach nicht nur um eine Form der Kunst, sondern um eine wissenschaftlich fundierte und erfolgreiche Technik zur Identifikation.
Hier soll erneut auf die Studie von Stephen u. Henneberg [7] hingewiesen werden, die sich mit der Frage der Effizienz von dreidimensionalen Gesichtsrekonstruktionen beschäftigt. Die Auswertung der eigenen Studie hat gezeigt, dass bei den Betrachtern ein klares Wiedererkennungswert mithilfe der vorliegenden Rekonstruktionen zu verzeichnen war.
Literatur
Bass WM (1995) Human osteology, 4th edn. Missouri Archaeological Society, Columbia
Greef S de, Claes P, Vandermeulen D et al. (2006) Large-scale in-vivo Caucasian facial soft tissue thickness database for craniofacial reconstruction. Forensic Sci Int 159: S126–S146
Grupe G, Christiansen K, Schröder I, Wittwer-Backofen U (2005) Anthropologie. Ein einführendes Lehrbuch. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio
Helmer R (1984) Schädelidentifizierung durch elektronische Bildmischung. Kriminalistik, Heidelberg
Herrmann B, Grupe G, Hummel S et al. (1990) Prähistorische Anthropologie. Leitfaden der Feld- und Labormethoden. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio
Prag J, Neave R (1997) Making faces. A & M, Texas
Stephan CN, Henneberg M (2006) Recognition by forensic facial approximation: case specific examples and empirical tests. Forensic Sci Int 156: 182–191
Taylor K (2000) Forensic art and illustration. CRC, Boca Raton
Ubelaker DH (1999) Human skeletal remains. Excavation, analysis, interpretation, 3rd edn. Taraxacum, Washington
Veselovskaya EV, Balueva T (2004) Using Gerasimov“s method to reconstruct face according to the skull. Practical course in Department of Anthropology, Faculty of Science, Masaryk University of Brno, 14th–17th December 2004
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Ohlrogge, S., Christiansen, K., Orschiedt, J. et al. Blindstudie zur plastischen Gesichtsrekonstruktion. Rechtsmedizin 17, 326–328 (2007). https://doi.org/10.1007/s00194-007-0463-x
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