Erweiterte Suizide mittels Schusswaffen sind zumeist durch sorgfältige Analyse der Auffindungssituation und kriminalistische Ermittlungen im Umfeld der Verstorbenen zu rekonstruieren. Dieses ist insbesondere dann möglich, wenn die am Auffindungsort gefundene Waffe den gefundenen Projektilen zugeordnet werden kann und die Waffe sich in unmittelbarer Nähe zu den Verstorbenen befindet. Zur Psychodynamik der erweiterten Suizide soll an dieser Stelle nicht weiter Stellung genommen werden; die Aufarbeitung des Falles erfolgte schwerpunktmäßig aus forensisch-radiologischer Sicht.

Radiologische Untersuchungen vor der Sektion gehören bei tödlichen Schussverletzungen schon länger zum Standard [3, 4, 5]. Diese werden insbesondere zur Lokalisation der Projektile bei Steckschüssen durchgeführt. In jüngerer Zeit werden die konventionellen Röntgenuntersuchungen zunehmend durch Röntgenschichtuntersuchungen (Computertomographie, CT) ersetzt, da hierdurch nicht nur Aussagen zur Lokalisation des Projektils, sondern auch zum Verlauf des Schusskanals und zur Handlungsfähigkeit der Betroffenen möglich sind [2, 3, 7, 9].

Falldarstellung

Auffindungssituation

An einem Winterabend wurden zwei Leichen in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus aufgefunden. Beide Verstorbenen zeigten keine sichtbaren Fäulnisveränderungen; die Leichenstarre war bei Auffindung jedoch in Lösung begriffen. Im Schlafzimmer der Wohnung lag die 38-jährige Frau in Rückenlage mit leicht angewinkelten Beinen auf dem Bett. Im Bereich des rechten oberen Quadranten der linken Brust, unmittelbar über dem oberen Rand des Büstenhalters, fand sich eine 0,6 cm durchmessende, rundliche Einschusswunde mit lediglich geringem Blutaustritt. Weitere Verletzungen wurden nicht festgestellt. Neben dem Bett, ca. 1,8 m vom Leichnam entfernt, lag ein modifizierter Karabiner (Altiere, St. Etienne mit Pistolengriff und verkürztem Lauf, Kaliber 9 mm Flobert). Auf dem Bett und auf dem Boden des Schlafzimmers fanden sich Blutspuren in Tropfenform, diese z. T. verwischt. Im benachbarten Wohnzimmer lag der Leichnam des 40-jährigen Mannes. Dieser befand sich in Bauchlage auf dem Boden, der Kopf in einer größeren Blutlache. Bei vorsichtiger Austastung des Mundraumes konnte im Bereich des harten Gaumens ein Knochendefekt festgestellt werden. Auf dem Tisch im Wohnzimmer fand sich ein unvollendeter Abschiedsbrief in einer „weiblichen“ Handschrift, der mit den Worten endete: „Ich schreibe dieses niemals“. Auf diesem Brief fanden sich zwei eingetrocknete Blutstropfen.

Kriminalistische Ermittlungen ergaben, dass der Mann zahlreiche Vorstrafen in Bezug auf Körperverletzung, Drogenbesitz und Förderung der Prostitution hatte. Beide Opfer pflegten seit längerem eine intime Beziehung, ohne jedoch eine gemeinsame Wohnung zu haben. Vonseiten der Frau gab es bereits mehrere Versuche die Beziehung zu beenden. Zwei Tage vor Auffindung der Leichen wurde die Frau durch ihren 12-jährigen Sohn und ihren getrennt lebenden Ehemann als vermisst gemeldet. Aufgrund der kriminellen Vorgeschichte des Mannes und der Auffindungssituation wurde eine gerichtliche Sektion der Leichen angeordnet. Dieses geschah mit der Zielsetzung, die Beteiligung einer dritten Person auszuschließen und die Projektile ballistisch zu untersuchen.

Radiologische Befunde

Am Folgetag der Auffindung wurde eine Ganzkörperröntgenschichtuntersuchung (Philips MX 8000 IDT) der beiden Leichen in der Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf durchgeführt. Beim weiblichen Leichnam wurde eine Oberflächenrekonstruktion vorgenommen, die eine deutliche Darstellung der Verletzung in der linken Brustregion wiedergibt (Abb. 1). Im koronaren Schnittbild durch den Brustkorb zeigte sich ein Hämoperikard. Weiterhin bestanden ein deutlicher linksseitiger Hämatopneumothorax und ein Hämatoperitoneum. Die Herzspitze stellte sich in einer fetzigen Kontur dar (Abb. 2). Im sagitalen Schnittbild ist der Schussverlauf zwischen Hautwunde und Endlage des Projektils im 10. Rippenzwischenraum dorsal dargestellt (Abb. 3). Darüberhinaus fand sich wenig freie Flüssigkeit in der Bauchhöhle. Der Leichnam des Mannes zeigte im Bereich des harten Gaumens, der Keilbeinhöhle und der Lamina cribrosa deutliche knöcherne Defekte sowie, in einer Linie mit diesen Defekten, einen Defekt der Tabula interna der Schädelkalotte. Das Projektil fand sich einige Zentimeter hinterhauptwärts dieses Defektes (Abb. 4). Der Verlauf der knöchernen Defekte des Gaumens der Keilbeinhöhle und der Lamina cribrosa lag nahezu in Körpermittellinie und verlief steil zur Stirn-Scheitel-Region.

Abb. 1
figure 1

CT-Rekonstruktion der Körperoberfläche der Frau (links) im Vergleich zur äußeren Leichenschau (rechts)

Abb. 2
figure 2

CT-Rekonstruktion des Brustkorbs der Frau mit irregulärer Kontur der Herzspitze (links) im Vergleich zum Sektionsbefund (rechts)

Abb. 3
figure 3

CT-Rekonstruktion des Brustkorbs der Frau mit Darstellung des Schussverlaufs zwischen röntgendichten Partikeln unter der Haut und Endlage des Projektils

Abb. 4
figure 4

CT-Rekonstruktion des Schädels des Mannes mit Darstellung des Projektilverlaufes (links) im Vergleich zum Sektionsbefund des Gehirns mit Fadenmarkierung des Projektilverlaufs (rechts)

Sektionsbefunde

Im Anschluss an die Röntgenuntersuchungen wurden beide Leichen im Hamburger Institut für Rechtsmedizin obduziert. Bei dem weiblichen Leichnam zeigten sich folgende Befunde: steil absteigender Schusskanal mit Einschuss im Bereich des rechten oberen Quadranten der linken Brust, fetzige Zerstörung der Herzspitze, Hämatoperikard (350 ml), Hämatopneumothorax (1250 ml), Durchschuss des Zwerchfells, Streifschuss der Milz, Hämatoperitoneum (250 ml) und Endlage des Projektils im 10. Rippenzwischenraum paravertebral links. Schwerwiegende vorbestehende Leiden kamen nicht zur Darstellung. Der männliche Leichnam wies einen Schusskanal durch den harten Gaumen, die Keilbeinhöhle und das rechte Frontalhirn im Bereich des Hemisphärenspalts zur Schädelkalotte auf. Das Projektil fand sich in der Scheitelregion zwischen harter Hirnhaut und Hirngewebe. An der Oberfläche der Mantelkante der rechten Hemisphäre bestand eine sehr oberflächliche Hirnrindenverletzung. Im Bereich des Schusskanals durch das rechte Frontalhirn kam es zur Impression der Tabula interna der Schädelkalotte.

Nach der Obduktion wurden Untersuchungen zur Blutalkoholbestimmung und toxikologische Untersuchungen durchgeführt. Es ergab sich bei der Frau eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,63‰, während bei dem Mann kein Alkohol nachgewiesen wurde. Keines der Opfer zeigte im toxikologischen Screening Hinweise auf eine Beeinflussung durch Drogen oder Medikamente.

Ergebnis der ballistischen Untersuchung

Beide Projektile konnten der im Schlafzimmer aufgefundenen Waffe zugeordnet werden.

Diskussion

Durch CT-Untersuchungen können postmortal wesentliche Befunde sicher erhoben werden [4, 6, 8]. Zum einen ist es problemlos mögliche Projektile im Körper zu lokalisieren und deren Lage sicher zu dokumentieren [1, 2, 3, 7, 8]. Zum anderen lassen sich in der CT die Schusskanäle auch in präparatorisch schwer zugänglichen Regionen rekonstruieren [4, 8]. Letzteres ist im vorliegenden Fall insbesondere im Bereich des Gaumens und der Keilbeinhöhle möglich gewesen. Darüber hinaus konnte sowohl autoptisch als auch radiologisch der Befund eines gering ausgeprägten sog. Ringelschusses erhoben werden. Aufgrund der rekonstruierten Schussverläufe – Brustschuss mit Zerstörung der Herzspitze und Kopfschuss durch das Frontalhirn nahe der Mittellinie mit kurzstreckigem Gleiten des Projektils entlang der Schädelkalotte – lassen sich zudem Aussagen zur Handlungsfähigkeit der Beteiligten machen. Aufgrund der schweren Herzverletzung ist bei der Frau nach dem Schuss eine fehlende bis sehr kurze Handlungsfähigkeit vorhanden gewesen, während bei dem Mann nach dem Schuss im Bereich des Hirnes zunächst keine lebenswichtigen Strukturen betroffen waren. Im letzteren Fall ist daher von einer erhaltenen Handlungsfähigkeit für kurze Zeit auszugehen.

Anhand der autoptisch bestätigten CT-Befunde lässt sich der Handlungsablauf rekonstruieren: In der Wohnung kam es zu einem Streit zwischen Mann und Frau. Der Mann zwang die Frau einen Abschiedsbrief zu schreiben und erschoss sie im Wohnzimmer in sitzender Position. Er trug den Leichnam ins Schlafzimmer und schoss sich dort in den Mund. Nachdem der gewünschte Erfolg nicht sofort eintrat, bewegte sich der Mann ins benachbarte Wohnzimmer und brach dort schließlich zusammen.

Fazit für die Praxis

Die CT lieferte im vorliegenden Fall nahezu sämtliche Befunde, die zur Feststellung der Todesursache, der Verletzungen und der Rekonstruktion der Handlungsabläufe notwendig waren. Durch eine CT erhobene Befunde haben neben ihrer hohen Aussagekraft außerdem den Vorteil, dass diese, anders als ein Obduktionsprotokoll, durch z. B. Zweitgutachter objektiv nachbegutachtet werden können. Des Weiteren liegt ein erheblicher Vorteil der rekonstruierten Bilder in der „blutfreien“ und anschaulichen Präsentation für Juristen.