Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags …

  • sind Ihnen die FFP(„fragility fractures of the pelvis“)-Klassifikation von osteoporotischen Frakturen des Beckenrings und die Einordnung in den Kontext mit der bereits etablierten AO(Arbeitsgemeinschaft Osteosynthesefragen)-Klassifikation bekannt,

  • sind Sie mit der entscheidenden bildgebenden Diagnostik von osteoporotischen Frakturen des Beckenrings vertraut,

  • kennen Sie die wichtigsten minimal-invasiven Operationstechniken,

  • haben Sie Kenntnis über die frakturtypengerechte Behandlungsstrategie nach der FFP-Klassifikation,

  • wissen Sie über die wichtigsten Outcomeparameter bei der Behandlung von FFPs Bescheid.

Einleitung

Die osteoporotische Fraktur des Beckenrings beim älteren Menschen ist aus mehreren Gründen für den Patienten wie auch den Behandler ein problembehaftetes Krankheitsbild:

  1. 1.

    Die allgemein gebräuchliche Klassifikation der Beckenfrakturen nach AO (Arbeitsgemeinschaft Osteosynthesefragen) bildet in erster Linie Verletzungen bei jüngeren Patienten ab und weniger gut die osteoporotische Fraktur des Beckenrings beim älteren Menschen.

  2. 2.

    Des Weiteren gibt es bisher in der Literatur nur retrospektive Auswertungen, und hier zeigt sich, dass weniger als 50 % der Patienten mit einer osteoporotischen Fraktur des Beckenrings wieder den ursprünglichen Funktionsstatus erreichen konnten [1].

  3. 3.

    Die Patienten werden häufig unzureichend diagnostiziert, und die Schwere der vorliegenden Pathologie wird unterschätzt, was zur Folge hat, dass viele Patienten einen prolongierten Heilungsverlauf aufweisen.

Insgesamt zeigen osteoporotische Frakturen des Beckenrings ein erhebliches Komorbiditätsrisiko insbesondere bei prolongiertem Heilungsverlauf, wie in einem Kollektiv von 93 konservativ behandelten Patienten mit einer Komplikationsrate von insgesamt 58 % gezeigt werden konnte. Hier runter fallen v. a. zeitkritische Komplikationen wie Harnwegsinfekte mit 61 %, Pneumonien mit 29 %, Depressionen mit 5 % und thromboembolische Ereignisse mit 3 %. [2]. Umso wichtiger ist es, möglichst zeitnah mit einem strukturierten Behandlungsalgorithmus zu beginnen, um eine zügige schmerzarme Mobilisation und Überführung in die gewohnte Umgebung zu erreichen.

Cave

Die Schwere der Verletzung bei FFPs wird unterschätzt.

In diesem Beitrag soll ein diagnostisch-therapeutischer Behandlungspfad aufgezeigt werden, der sowohl von der Klassifikation als auch von der therapeutischen Umsetzung her einfach anwendbar ist und für die meisten Patienten gut funktioniert. Auf weniger häufige Sonderfälle soll bewusst verzichtet werden.

Definition, Epidemiologie und Pathomechanismus

Die osteoporotische Fraktur des Beckenrings wird nach der World Health Organization (WHO) als eine Fraktur definiert, die aufgrund eines inadäquaten Traumas entsteht, das bei normaler Knochensubstanz nicht zu einer knöchernen Verletzung führen würde [3]. Jüngere Patienten mit einem Altersgipfel zwischen dem 25. und 30. Lebensjahr erleiden Beckenfrakturen in der Regel im Rahmen eines Hochrasanztraumas bzw. Massivtraumas (Verkehrsunfälle, Abstürze). Bei älteren Patienten kann schon die Einwirkung einer geringen Energie im Rahmen eines Bagatelltraumas zu Beckenfrakturen führen. Häufig ist auch gar kein Trauma in der Anamnese nachweisbar. Derartige Beckenfrakturen betreffen bevorzugt Frauen und haben einen Häufigkeitsgipfel zwischen dem 7. und 8. Lebensjahrzehnt. Frakturen sind hier als Ausdruck einer geschwächten Knochenstruktur im Sinne der Osteoporose zu sehen. Die Geschlechter- und Altersverteilung jenseits des 7. Lebensjahrzehnts zeigen eine klare Assoziation mit osteoporotisch verminderter Knochenfestigkeit (Abb. 1; [4]). Neben der Osteoporose führen eine zunehmende Ossifikation und Rigidität der Bandstrukturen zu einem Verlust der Beckenelastizität und dadurch zu einer veränderten Lastübertragung [5]. Ganz besonders das Sakrum ist aufgrund der pathobiomechanischen Veränderungen bei älteren Patienten frakturgefährdet [6]. Das häufigste Verletzungsmuster bei Sturz auf die Seite ist die Fraktur der Massa lateralis des Sakrums in Kombination mit einer Fraktur des Ramus superior des Os pubis [7].

Abb. 1
figure 1

Darstellung der Alters- und Geschlechtsverteilung geriatrischer Beckenringfrakturen (Daten aus dem Beckenringregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie [DGU] von Rollmann et al. 2017). (Aus [8], mit freundl. Genehmigung)

Merke

Osteoporose ist der größe Risikofaktor für FFPs.

Klassifikationen

Für die Klassifikation von Becken- und Sakrumfrakturen sind über die letzten Jahrzente unterschiedliche Klassifikationen entwickelt und angewendet worden.

  • Die seit vielen Jahren übliche AO-Klassifikation für Beckenfrakturen stellt immer noch die am häufigsten zitierte Frakturklassifikation dar. Kurz zusammengefasst, erfolgt hier die Klassifikation nach folgenden Muster:

    • Typ A: stabile Beckenfrakturen,

    • Typ B: teilstabile Beckenfrakturen (rotationsinstabil, aber vertikal stabil) und

    • Typ C: instabile Beckenfrakturen (rotations- und vertikal instabil) [9].

  • Wie bereits eingangs erwähnt, ist jedoch die AO-Klassifikation mit den 3 klassischen Frakturtypen für die Klassifikation von osteoporotischen Frakturen des Beckenrings mit dem Ziel, eine einfach anwendbare Therapieentscheidung zu erreichen, weniger gut geeignet. Hier kann sich im geriatrischen Patientenkollektiv eine falsche Verletzungsschwere abbilden, weil osteoporotische Frakturen des Beckenrings nicht mit Beckenringfrakturen jüngerer Patienten vergleichbar sind. Gerade die bei älteren Patienten vorkommenden bilateralen Sakruminsuffizienzfrakturen sind bei jungen Erwachsenen eine Seltenheit und weisen in der Regel auf ein hochenergetisches Trauma entsprechend AO Typ C hin [8].

  • Auch sind spezielle Klassifikationen wie beispielweise die 1988 eingeführte Klassifikation der Sakrumfrakturen nach Denis und Comfort mit dem 3‑Zonen-Modell auch eher selten in der Praxis für diese Art der Frakturen anwendbar [10].

  • Die von Rommens und Hofmann 2013 vorgeschlagene Klassifikation zur Einteilung und Therapiefindung osteoporotischer Frakturen des Beckenrings berücksichtigt neben dem für die Klinik relevanten Grad der Instabilität auch speziell die häufig vorkommenden Sakruminsuffizienzfrakturen [11, 12]. Beide Aspekte, sowohl die zu erwartende Instabilität des Beckens als auch die Ausprägung der Sakrumbeteiligung, sind für die Therapiefindung neben der schmerzarmen Mobilisierbarkeit als weiteres Kriterium essenziell. Vorgeschlagen wurde hier die Bezeichnung „osteoporoseassoziierte Fragilitätsfrakturen des Beckenrings“ sowie die englische Abkürzung FFP für „fragility fractures of the pelvis“. Die FFP-Klassifikation beschreibt insgesamt 4 Typen mit jeweils weiterer Unterteilung (Abb. 2, 3, 4 und 5).

Abb. 2
figure 2

a FFP(„fragility fractures of the pelvis“)-Ia-Frakturtyp: unilaterale isolierte vordere Beckenringfraktur. b FFP-Ib-Frakturtyp: bilaterale isolierte vordere Beckenringfraktur

Abb. 3
figure 3

a FFP(„fragility fractures of the pelvis“)-IIa-Frakturtyp: nicht dislozierte unilaterale hintere Beckenringfraktur. b FFP-IIb-Frakturtyp: nicht dislozierte unilaterale inkomplette hintere Beckenringfraktur mit Kompressionscharakter durch die anteriore Massa lateralis (inkompletter Frakturtyp) und einer begleitenden unilateralen Fraktur des vorderen Beckenrings. c FFP-IIc-Frakturtyp: nicht dislozierte unilaterale komplette hintere Beckenringfraktur durch das Sakrum oder Iliumfraktur oder iliosakrale Verletzung und eine begleitende Fraktur des vorderen Beckenrings

Abb. 4
figure 4

a FFP(„fragility fractures of the pelvis“)-IIIa-Frakturtyp: dislozierte unilaterale hintere Beckenringfraktur durch das Os ilium und eine begleitende vordere Beckenringfraktur. b FFP-IIIb-Frakturtyp: dislozierte unilaterale hintere Beckenringfraktur vom Typ einer iliosakralen Ruptur und eine begleitende vordere Beckenringfraktur. c FFP-IIIc-Frakturtyp: dislozierte unilaterale hintere Beckenringfraktur durch das Os sacrum und eine begleitende vordere Beckenringfraktur

Abb. 5
figure 5

a FFP(„fragility fractures of the pelvis“)-IVa-Frakturtyp: dislozierte bilaterale hintere Beckenringfraktur durch das Os ilium oder vom Typ einer iliosakralen Ruptur beidseits. b FFP-IVb-Frakturtyp: dislozierte bilaterale hintere Beckenringfraktur durch das Os sacrum vom Typ einer spinopelvinen Sprengung mit Frakturverlauf durch die Massa lateralis beidseits und einer horizontalen Komponente (sog. U‑Fraktur des Sakrums). c FFP-IVc-Frakturtyp: dislozierte bilaterale Kombinationsfrakturen des hinteren Beckenrings mit oder ohne begleitende vordere Beckenringfraktur

Klinische Bedeutung der Bildgebung

Die konventionelle Röntgenuntersuchung, als Beckenübersichtsaufnahme in einem a.-p.-Strahlengang ausgeführt, sowie die Röntgenspezialaufnahmen mit Röhrenkippung für eine Inlet-View- und Outlet-View-Aufnahme gehörten lange Zeit zur Standarddiagnostik bei Beckenfraktur. Konsens ist allerdings, dass diese projektionsradiographischen Aufnahmen bei Weitem nicht alle osteoporotischen Frakturen des Beckenrings erfassen können und hier eine deutliche diagnostische Lücke besteht.

Goldstandard ist daher bei entsprechendem Verdacht die großzügige Durchführung einer nativen CT(Computertomographie)-Beckenuntersuchung mit Rekonstruktion aller 3 Ebenen. Bei negativer CT-Untersuchung und weiterhin persistierenden Schmerzen muss die Diagnose mittels Magnetresonanztomographie (MRT) des Beckens erzwungen werden. Hier zeigen sich dann typischerweise okkulte Frakturen als sog. Bone-bruise-Verletzungen des Sakrums die ausgeprägte immobilisierende Schmerzen verursachen können, ähnlich wie die in der CT sichtbaren Frakturen.

Merke

Besonders geeignete MRT Sequenzen sind T2, PDW oder STIR.

Besonders geeignet für die Darstellung eines solchen „bone bruise“ sind fettunterdrückte T2 oder protonengewichtete Sequenzen (PDW) entweder in Inversion-Recovery-Technik (STIR) oder durch spektrale Fettsättigung. Eine Verabreichung von Kontrastmittel ist für die reine Frakturdiagnostik weder in der CT noch in der MRT erforderlich.

Minimal-invasive operative Techniken

Für die operative Versorgung von osteoporotischen Frakturen des Beckenrings bei älteren Patienten sollte eine minimal-invasive therapeutische Option gewählt werden. Goldstandard sind perkutane minimal-invasive Osteosynthese/Fixationsverfahren. Das Entscheidende ist hier, das Weichteil- und Muskeltrauma so gering wie möglich zu halten, da der klinische Erfolg für den Patienten nicht nur von der durchgeführten Fixation der Fraktur, sondern auch im hohen Maße von der postoperativen sofortigen Mobilisation abhängig ist. Dieses ist umso mehr zu berücksichtigen, je älter der Patient ist. Insbesondere bei dementen Patienten kann die sofortige schmerzarme Mobilisation unter Vollbelastung in zeitnaher häuslicher gewohnter Umgebung entscheidend für das Outcome sein.

Zu einer Auswahl geeigneter ventraler perkutaner minimal-invasiver Osteosynthese/Fixationsverfahren gehören folgende Techniken:

  • ventraler minimal-invasiver subkutaner Fixateur interne,

  • minimal-invasive intramedulläre transpubische Schraubenosteosynthese,

  • offene Plattenosteosynthese als nichtminimal-invasives Verfahren mit hoher Stabilität für besondere Indikationen.

Zu einer Auswahl geeigneter dorsaler perkutaner minimal-invasiver Osteosynthese/Fixationsverfahren gehören folgende Techniken:

  • minimal-invasive perkutane iliosakrale Schraubenosteosynthese (SI-Schraube),

  • minimal-invasive perkutane iliosakrale Schraubenosteosynthese (SI-Schraube) mit Zementaugmentation,

  • minimal-invasiver spinopelviner Fixateur interne von LWK (Lendenwirbelkörper) 4 auf Os ilium,

  • dorsale Plattenosteosynthese als nichtminimal-invasives Verfahren in ausgewählten Fällen,

  • die Sakroplastie bei isolierten inkompletten Kompressionsfrakturen („bone bruise“) des Sakrums zur Schmerztherapie in ausgewählten Fällen.

Eine Kombination aus ventralen und dorsalen minimal-invasiven Verfahren ist je nach Frakturtyp möglich und sinnvoll. Die häufig anzuwendenden und sinnvoll zu kombinierenden Verfahren sind in erster Linie:

  • die ventrale minimal-invasive subkutane Fixateur-interne-Versorgung,

  • die dorsale minimal-invasive perkutane iliosakrale Schraubenosteosynthese (SI-Schraube),

  • die dorsale minimal-invasive spinopelvine Fixateur-interne-Versorgung von LWK 4 auf Os ilium.

Dorsale minimal-invasive perkutane iliosakrale Schraubenosteosynthese (SI-Schraube)

Klassischerweise erfolgt die Implantation von SI-Schrauben mittels eines Bildwandlers in einem sog. Inlet-View- und Outlet-View-Strahlengang [13, 14]. Es bietet sich aber bei vorhandener Technik speziell für die dorsale perkutane iliosakrale Schraubenosteosynthese (SI-Schraube) die Verwendung einer Navigation an. Hierbei können sowohl eine SI-Schraube mit der Spitze in den Wirbelkörper von SWK (Sakralwirbelkörper) 1 sowie auch eine zweite SI-Schraube mit der Spitze in den Wirbelkörper von SWK 2 implantiert werden. Für die Referenzierung bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Eine gut durchzuführende Methode ist das Anbringen der „spine clamp“ an den Processus spinosus von LWK 5 in Kombination mit einem CT-Fluoro-Matching. Navigiert wird dann über eine für die Navigation geeignete Bohrhülse. Hierbei werden zunächst Kirschner-Drähte navigiert vorgelegt und darüber Großfragmentstahlschrauben mit Beilagscheibe implantiert (Abb. 6a–c).

Abb. 6
figure 6

Dislozierte unilaterale Fraktur des vorderen und hinteren Beckenrings Typ FFP („fragility fractures of the pelvis“) IIc. a Hier wurde bei nicht möglicher schmerzarmer Mobilisation nach 5 Tagen eine minimal-invasive perkutane iliosakrale Schraubenosteosynthese (SI-Schraube) durchgeführt mit zusätzlich einer Stabilisierung des vorderen Beckenrings über einen minimal-invasiven subkutanen Fixateur interne. bc Die dorsale Versorgung erfolgte über eine navigierte Bohrhülse mit einer Referenzierung über LWK (Lendenwirbelkörper) 5 und CT(Computertomographie)-Fluoro-Matching

Cave

Bei der Implantation von SI Schrauben unter BW kommt es überproportional häufig zu Schraubenfehllagen.

Ventrale minimal-invasive subkutane Fixateur-interne-Versorgung

Für die Anlage eines ventralen minimal-invasiven subkutanen Fixateur interne empfehlt sich zunächst für die Positionierung der Hautschnitte über der Spina iliaca anterior inferior die Zuhilfenahme des Bildwandlers, um hier die Schnittführung möglichst zentriert und klein zu halten. Eine Länge von 3 cm ist für den Hautschnitt bei guter Platzierung ausreichend. Die Schraube sollte 2–3 cm oberhalb des Acetabulumendes in einen gut zu tastenden Knochensockel implantiert werden. Nach dem manuellen Vorbohren mit einer entsprechenden Pedikelfinderaale soll die Schraube zwischen den beiden Kortikalisblättern spongiös verankert werden. Die Verwendung von entsprechenden Pedikelschrauben mit einem polyaxialen Kopf hat sich hier bewährt. Für die Anlage des Querverbinderstabes ist die Verlegung subkutan epifaszial die sicherste und einfachste Methode. Der Stab muss häufig leicht konvex vorgebogen werden, um die Abdomenkontur nachzuempfinden (Abb. 7a, c).

Abb. 7
figure 7

a Dislozierte dorsale bilaterale Beckenringfraktur mit Beteiligung des ventralen Beckenrings rechtsseitig Typ IVc. Hier wurden eine dorsale minimal-invasive spinopelvine Fixateur-interne-Versorgung von LWK (Lendenwirbelkörper) 4 auf Os ilium sowie eine ventrale minimal-invasive subkutane Fixateur-interne-Versorgung durchgeführt. bc Dorsale und ventrale minimal-invasive Hautschnitte, die für die Versorgung ausreichend sind und eine sofortige schmerzarme postoperative Mobilisation ermöglichen

Dorsaler minimal-invasiver spinopelviner Fixateur interne von Lendenwirbelkörper 4 auf Os ilium

Für die Technik der dorsalen minimal-invasiven spinopelvinen Fixateur-interne-Versorgung empfiehlt sich ebenfalls, zunächst unter Bildwandler die Hautschnittführung möglichst zentriert über dem Pedikel von LWK 4 beidseits sowie über der medialen v des Os ilium anzulegen, um auch hier die Hautschnitte klein zu halten. Es erfolgt dann die minimal-invasive Implantation von 2 Pedikelschrauben in den Wirbelkörper von LWK 4, darauf folgend die minimal-invasive Implantation von 2 Iliumschrauben nach vorherigem Vorbohren mittels einer entsprechenden Pedikelfinderaale. Die Schrauben werden zwischen die beiden Kortikalisblätter des Os ilium verankert. Die Schrauben können je nach Schwere der Osteoporose mit und ohne Zementaugmentation implantiert werden. Die Quer- und Längsverbinder werden subfaszial verlegt und mittels eines T‑Konnektors verbunden (Abb. 7a, b). Aus anatomisch-morphologischen Gründen sollte die lumbale Verankerung über 2 Pedikelschrauben in den Wirbelkörper LWK 4 gewählt werden. Die Pedikel von LWK 5 stehen meisten weiter ventral und sind kraniokaudal deutlich stärker inkliniert, sodass hier eine Verankerung nicht sinnvoll möglich ist.

Behandlungsalgorithmus

Wichtigstes Behandlungsziel bei osteoporotischen Frakturen des Beckenrings ist die schnelle Mobilisation des Patienten mit oder ohne Operation. Hierzu ist ein klarer Behandlungsalgorithmus zur schnellen Therapieentscheidung von zentraler Bedeutung, ebenso die Abklärung einer bisher nicht diagnostizierten Osteoporose sowohl im stationären wie auch ambulanten Behandlungsverlauf. Diese Vorgehensweisen sind in der Abb. 8 (modifiziert [8]) als schematisches Flussdiagramm zusammengefasst dargestellt.

Abb. 8
figure 8

Behandlungsalgorithmus. VAS visuelle Analogskala, FFP „fragility fractures of the pelvis“, PT Physiotherapie, CT Computertomographie, MRT Magnetresonanztomographie, SI iliosakral, FX Fraktur, OP Operation. (Mod. nach [8], mit freundl. Genehmigung)

Merke

Die schnelle Mobilisation steht als Behandlungsziel im Vordergrund.

In dem Algorithmus ist im ersten Schritt zum einem zwischen FFP-1-, FFP-2- und FFP-3-, FFP-4-Frakturtypen zu unterscheiden und zum anderen zwischen einer FFP-3-, FFP-4-Faktur mit oder ohne Instabilität. Im zweiten Schritt wird zwischen dem Vorhandensein von immobilisierenden Schmerzen und geringeren Schmerzen (VAS [visuelle Analogskala] < 5), die eine Mobilisation zulassen, weiter unterschieden.

Cave

Bei konservativer Therapie von Frakturtypen FFP I und FFP II sollte bei einem deutlich verzögerten Verlauf an weitere occulte Frakturen gedacht werden.

Nach dem Behandlungsalgorithmus werden FFP-3- und FFP-4-Frakturtypen mit entsprechender Instabilität einer zeitnahen minimal-invasiven Operation zugeführt. Patienten mit FFP-3- oder FFP-4-Frakturtypen ohne Instabilität, aber mit immobilisierenden Schmerzen werden zunächst konservativ stationär behandelt. Bei fehlenden immobilisierenden Schmerzen (VAS < 5) kann auch eine ambulante Weiterbetreuung erfolgen. Bei FFP-1- oder FFP-2-Frakturtypen mit immobilisierenden Schmerzen erfolgt eine stationäre Aufnahme zur weiterführenden zunächst konservativen Behandlung. Bei fehlenden immobilisierenden Schmerzen (VAS < 5) erfolgt, soweit möglich, eine ambulante Weiterbetreuung. Zur konservativen Behandlung gehört eine auf die schnelle und schmerzarme Mobilisation fokussierte Physiotherapie in Kombination mit einer Schulung für eine schonende Alltagsbewältigung. Analgetisch sollte nach dem WHO-Stufenschema vorgegangen werden.

Entscheidend für den Therapieerfolg bei einem initial konservativen Therapieversuch ist die Evaluation nach 5 bis 7 Tagen mit dem Ziel festzustellen, ob eine schmerzarme Mobilisation (NRS [numerische Rating-Skala] < 5) ohne dauerhafte Opiattherapie möglich ist. Wenn nein, sollte eine Reevaluation mit dem Ziel einer zeitnahen Operation erfolgen.

Bei Patienten mit einem FFP-1- oder FFP-2-Frakturtyp, die ebenfalls innerhalb von 5 bis 7 Tagen nicht schmerzarm mobilisiert werden können, sollte eine MRT-Diagnostik im kurzfristigen Verlauf durchgeführt werden. Dieses gilt ebenso für ambulant betreute Patienten mit einer rezidivierenden Schmerzexazerbation.

In diesen Fällen liegt nicht selten ein sog. „bone bruise“ ursächlich zugrunde. Dies bedeutet eine Destruktion der spongiösen Mikrostruktur häufig im Sakrum, die sich in der CT nicht als Frakturlinie darstellt und ebenfalls immobilisierende Schmerzen verursachen kann. Schmerztechnisch problematisch ist dies insbesondere, wenn es sich um eine Kombination mit einer kontralateralen „echten“ Fraktur handelt. Diese Patienten sollten dann ebenfalls bei nicht möglicher schmerzarmer Mobilisation einer Reevaluation für eine zeitnahe Operation zugeführt werden.

Die Wahl des geeigneten operativen Verfahrens richtet sich zum einen nach dem Vorhandensein eines rein dorsalen Frakturtyps oder einer Kombination aus einem dorsalen und ventralen Frakturtyp sowie nach dem Frakturverlauf in Bezug auf die SI(iliosakral)-Fuge.

Bei dem Vorhandensein eines rein dorsalen Frakturtyps reicht eine operative Frakturversorgung von dorsal in Form einer perkutanen SI-Schraubenosteosynthese oder einer minimal-invasiven spinopelvinen Abstützung. Im seltenen Fall ist auch eine Plattenosteosynthese bei einer Fraktur im Bereich des Os ilium notwendig.

Bei einer Kombinationsverletzung von dorsal und ventral ist bei einem dorsalen und ventralen unilateralen Frakturtyp häufig eine rein dorsale Versorgung ausreichend. Bei einem dorsalen bilateralen und ventralen unilateralen Frakturtyp oder einem dorsalen bilateralen und ventralen bilateralen Frakturtyp sollten immer ein dorsales und ventrales Verfahren kombiniert angewendet werden. Hier bieten sich ein minimal-invasiver ventraler subkutaner Fixateur interne für ventral und eine minimal-invasive spinopelvine Fixateur-interne-Versorgung für dorsal an.

Die SI-Schraubenosteosynthese bietet sich v. a. bei einem dorsalen unilateralen Frakturtyp mit einer zur Operation qualifizierten Patientenkonstellation (nicht schmerzarm mobilisierbar nach 5 bis 7 Tagen und eher FFP-IIa, -IIb-, -IIc- sowie FFP-IIIb-, -IIIc-Konstellation) an.

Outcome und abschließende Betrachtungen

Osteoporotische Frakturen des Beckenrings (Fragilitätsfrakturen des Beckenrings) stellen ein erhebliches Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko für einen älteren Patienten dar. In retrospektiven klinischen Auswertungen zeigte sich wiederholt eine deutliche Reduktion der Selbstständigkeit nach stattgehabter osteoporotischer Fraktur des Beckenrings. So konnte in einer Auswertung von Breuil et al. eine Reduktion der Selbstständigkeit bei fast 50 % der betroffenen Patienten innerhalb des Nachbeobachtungszeitraums von durchschnittlich 29 Monaten gezeigt werden [15].

Prognostisch zeigen sich bei Patienten mit leichten Frakturtypen (FFP Typ I und FFP Typ II) und durchgeführter konservativer Therapie eine Schmerzlinderung innerhalb von 2 Wochen und eine Wiederherstellung der Mobilität innerhalb von 6 Wochen [16]. Im Rahmen der konservativen Therapie beobachtet man jedoch immer wieder eine Pseudoarthrose mit dann Notwendigkeit zur sekundären operativen Versorgung. Der Behandlungsverlauf ist in diesen Fällen regelhaft deutlich protrahiert.

Bei einer operativen Therapie von schwereren Frakturtypen (FFP Typ II, FFP Typ III und FFP Typ IV) ist mit einer schnelleren Schmerzlinderung zu rechnen. Für das Erreichen einer wieder vollständig hergestellten Mobilität ist in der Regel ein Zeitraum von 3 Monaten notwendig [16].

Für eine raschere Mobilisierung der Patienten sollte die operative Versorgung möglichst mit minimal-invasiven Verfahren durchgeführt werden, wenngleich es hierzu noch keine größeren Vergleichsstudien gibt. In einer Studie von Hopf et al. konnte zumindest retrospektiv eine signifikante Schmerzreduktion nach durchgeführter perkutaner iliosakraler Schraubenosteosynthese gezeigt werden. Hier konnte eine Schmerzreduktion von VAS 6,8 auf VAS 1,8 nachgewiesen werden. Dabei waren alle 30 behandelten Patienten zunächst mit einem konservativen Therapieversuch gestartet und zeigten hierunter jedoch nur eine marginale Besserung der Schmerzsymptomatik von VAS 6,8 auf VAS 6,0 [17].

Vonseiten der Versorgung des vorderen Beckenrings beinhaltet die Technik des ventralen Fixateur externe mit 2,5–50 % eine nicht unwesentliche Rate an Pininfekten, wie eine Auswertung von Vaidya et al. gezeigt hat. Im Gegensatz dazu zeigen ventrale minimal-invasive subkutane Fixateur-interne-Versorgungen eine deutliche Reduktion der Pininfektrate und sollten, wenn immer möglich, dem Fixateur externe vorgezogen werden [18].

Insgesamt stellten die in dieser Abhandlung beschriebenen operativen Techniken zur Versorgung von osteoporotischen Frakturen des Beckenrings eine effektive therapeutische Option dar und müssen bei entsprechender Indikation auch konsequent indiziert und zeitnah durchgeführt werden. Ebenso effektiv ist die sekundäre operative Versorgung von Patienten nach konservativem Therapieversagen. Einschränkend muss an dieser Stelle aber auch gesagt werden, dass größere prospektive Fallserien bisher fehlen. Soweit bekannt, erfüllen jedoch die vorgestellten minimal-invasiven Operationstechniken den alterstraumatologischen Anspruch einer schnellen und schmerzarmen Mobilisation des Patienten mit entsprechender zügiger Rückführung in die gewohnte Umgebung und stellen daher den Goldstandard für die operative Versorgung dieser Art von Frakturen dar.

Fazit für die Praxis

  • Die FFP(„fragility fractures of the pelvis“)-Klassifikation ist der AO(Arbeitsgemeinschaft Osteosynthesefragen)-Klassifikation bei osteoporoseassoziierten Fragilitätsfrakturen vorzuziehen.

  • Zeitverlust sollte durch sofortiges Festlegen eines klaren Behandlungspfades und Behandlungsziels entsprechend dem FFP-Algorithmus vermieden werden.

  • Die schmerzarme Mobilisation (NRS [numerische Rating-Skala] < 5) nach 5 bis 7 Tagen ist das primäre Behandlungsziel bei FFP-I- und FFP-II-Frakturtypen. Wenn dies nicht erreicht wird, sollte die zeitnahe Reevaluation einer Operation erfolgen.

  • Minimal-invasive Operationsverfahren sind sowohl für dorsale als auch für ventrale Versorgungen der Goldstandard.

  • Bei prolongiertem Verlauf von FFP-1- oder FFP-2-Frakturtypen sollte eine MRT (Magnetresonanztomographie) (STIR-Sequenz) zum Ausschluss eines Double-hit-Traumas mit dorsaler Fraktur und kontralateralem dorsalen „bone bruise“ durchgeführt werden.