Einleitung

Die Gonarthrose ist eine häufige Erkrankung, hat einen starken Einfluss auf die Lebensqualität von Patienten [1,2,3] und stellt eine hohe ökonomische Belastung für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft dar [1]. Die Behandlung der fortgeschrittenen Gonarthrose mittels Knietotalendoprothese (Knie-TEP) ist eine effektive Methode zur Verbesserung von Schmerz und Funktion [4, 5]. Die Implantation einer Knie-TEP ist eine der häufigsten elektiven Routineeingriffe in der Orthopädie und Unfallchirurgie weltweit [6] und gehörte im Jahr 2015 mit 173.304 Operationen zu den 20 häufigsten Operationen in Deutschland [7].

Infobox Beteiligte Fachgesellschaften, Patientenvertretungen, Kostenträger

Federführende Fachgesellschaft

  • Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC)

Beteiligte Fachgesellschaften/Organisationen

  • Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (BVOU)

  • Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V. (AE)

  • Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie

  • Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (DGOU)

  • Deutsche Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie e. V. (DGORh)

  • Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e. V. (DGU)

  • Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh)

  • Deutsche Kniegesellschaft e. V. (DKG)

  • Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V. (DNVF)

  • Deutsche Schmerzgesellschaft e. V.

  • Deutscher Verband für Physiotherapie e. V. (ZVK)

  • Sektion Rehabilitation – Physikalische Therapie (DGOU)

Beteiligte Patientenvertretungen

  • Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.

  • Deutsche Arthrose-Hilfe e. V.

Beteiligte Kostenträger

  • AOK Bundesverband

Allerdings sind ca. 10–20 % der Patienten mit dem Behandlungsergebnis (synonym: Outcome) nach Knie-TEP nicht oder nicht vollständig zufrieden [8,9,10]. Das Ausmaß an Patientenzufriedenheit hängt dabei wesentlich vom Grad der Erreichung der vom Patienten gesetzten Ziele ab und nicht ausschließlich von messbar verbesserten klinischen Outcomes [11]. Unterschiedliche Einflussfaktoren von Seiten des Patienten als auch der durchgeführten Behandlung können das Ergebnis der Knie-TEP und damit auch die Realisierung der patientenrelevanten Ziele beeinflussen. Diese verschiedenen Einflussfaktoren (Prädiktoren) können sich positiv oder negativ, sowie zudem gegensätzlich auf unterschiedliche Outcomes auswirken [12]. Um trotz der in komplexer Weise wirkenden variablen Einflüsse auf das Behandlungsergebnis nach Knie-TEP eine bedarfsgerechte Versorgung gewährleisten zu können, sind einheitliche, evidenzbasierte und allgemein akzeptierte Indikationskriterien notwendig. National wie auch international gibt es derzeit keine etablierten und flächendeckend angewandten Indikationskriterien [13], welche auf einer ausreichenden Evidenzgrundlage basieren [14].

Vor diesem Hintergrund wurde 2014 unter Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sowie der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik (AE) die Initiative „Evidenz- und konsensbasierte Indikation Knie-TEP“ (EKIT) angestoßen. Die Koordination und wissenschaftliche Leitung erfolgten am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden. Ziel der Initiative war es, auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz durch einen multiperspektivischen Konsensprozess unter Beteiligung von Repräsentanten der Leistungserbringer, der Patienten und der Kostenträger Indikationskriterien zu definieren und zu konsentieren [15, 16].

Abb. 1
figure 1

Checkliste Indikation Knie TEP

Schlüsselfrage

Welche Kriterien sollen vorliegen, um bei Patienten mit Gonarthrose oder Osteonekrose im Normalfall die Indikation zur Knietotalendoprothese zu stellen?

Definitionen

Die Knietotalendoprothese ist ein elektiver Eingriff, dessen Angemessenheit und Erfolg von unterschiedlichen Faktoren wie Patienteneigenschaften, Erkrankungsstadium, Vorbehandlungen, Komorbiditäten und – womöglich – auch von Eigenschaften des Behandlers abhängen. Die Leitlinie zielt darauf ab, diese Faktoren basierend auf systematisch zusammengefasster Studienevidenz und der Erfahrung der Leitliniengruppe zu einem Set an Kriterien zusammenzustellen, die bei der Indikationsstellung zu berücksichtigen sind. Dazu wurden folgende Definitionen festgelegt:

  • Hauptkriterien sind Mindestvoraussetzungen für die Indikationsstellung, die im Normalfall erfüllt sein müssen.

  • Nebenkriterien können die Empfehlung für die Knie-TEP verstärken, sind jedoch nicht zwingend für die Indikationsstellung notwendig.

  • Risikofaktoren schwächen die Empfehlung für die Knie-TEP ab, da diese mit einem erhöhten Komplikationsprofil und/oder einem potenziell schlechten patientenrelevanten Ergebnis assoziiert sind.

  • Absolute Kontraindikationen verbieten die Knie-TEP.

  • Relative Kontraindikationen sprechen gegen die Knie-TEP, verbieten diese in begründeten Fällen jedoch nicht.

Diese Indikationskriterien zielen auf den „normalen“ Gonarthrose-Patienten ab, welcher für mindestens 90 % aller Gonarthrose-Patienten repräsentativ sein soll.

Empfehlungen

  1. 1.

    Folgende Hauptkriterien sollen für die Indikation zur Knie-TEP vorliegen: Knieschmerz, Nachweis eines Strukturschadens (Arthrose, Osteonekrose), Versagen konservativer Therapiemaßnahmen, auf die Kniegelenkerkrankung bezogene Einschränkung der Lebensqualität und subjektiver Leidensdruck.

Starker Konsens (19 von 19)

  1. 2.

    Knieschmerzen sollen für die Indikation zur Knie-TEP über mindestens 3–6 Monate vorliegen. Die Schmerzstärke ist von Bedeutung für die Therapieentscheidung. Sie drückt sich in Schmerzdauer, Schmerzhäufigkeit und Ansprechen auf konservative Therapie aus: Die Dauer der Schmerzen sollte mindestens 3–6 Monate betragen, um die Indikation zur Knie-TEP zu stellen. Ein mehrfach wöchentlich intermittierend auftretender Schmerz oder kontinuierlicher Schmerz ist eine Voraussetzung für die Indikation zur Knie-TEP.

Starker Konsens (18 von 18, 1 Enthaltung)

  1. 3.

    Für die Indikation zur Knie-TEP soll der Nachweis eines Strukturschadens (Arthrose, Osteonekrose) vorliegen. Der Nachweis erfolgt mittels Röntgen: Bei einer unter Belastung durchgeführten Röntgenaufnahme sollte eine eindeutige Gelenkspaltverschmälerung bestehen.

Starker Konsens (19 von 19)

  1. 4.

    Für die Indikation zur Knie-TEP soll das Versagen konservativer Therapiemaßnahmen über mindestens 3–6 Monate dokumentiert sein. Eine konservative Therapie sollte über mindestens 3–6 Monate erfolglos durchgeführt worden sein. Voraussetzung für die Indikationsstellung zur Knie-TEP ist ein nicht ausreichendes Ansprechen auf die Kombination von medikamentöser und nicht-medikamentöser konservativer Therapie in diesem Zeitraum.

Starker Konsens (18 von 18, 1 Enthaltung)

  1. 5.

    Für die Indikation zur Knie-TEP soll eine auf die Kniegelenkerkrankung bezogene Einschränkung der Lebensqualität über mindestens 3–6 Monate vorliegen. Eine durch die Kniegelenkerkrankung bedingte Einschränkung der Lebensqualität ist Voraussetzung für die Indikation zur Knie-TEP. Die Einschränkung sollte mindestens einen Zeitraum von 3–6 Monaten umfassen.

Starker Konsens (19 von 19)

  1. 6.

    Für die Indikation zur Knie-TEP soll ein auf die Kniegelenkerkrankung bezogener relevanter subjektiver Leidensdruck vorliegen.

Starker Konsens (19 von 19)

  1. 7.

    Folgenden Nebenkriterien sollten für die Indikationsstellung zur Knie-TEP erfasst werden, ihr Vorhandensein beziehungsweise die Ausprägung beeinflussen die Empfehlungsstärke:

    • Einschränkungen der Gehstrecke

    • Einschränkungen bei langem Stehen

    • Einschränkungen beim Treppensteigen

    • Fehlstellung der Beinachse

    • Instabilität des Kniegelenks

    • Einschränkungen der Kniebeweglichkeit

    • Einschränkung der Beinkraft

    • Schwierigkeiten beim Hinsetzen, beim Knien, bei der Körperhygiene

    • Notwendige Unterstützung durch Hilfsperson

    • Schwierigkeiten bei Haushaltstätigkeiten

    • Schwierigkeiten bei der Nutzung von Verkehrsmitteln

    • Einschränkungen im sozialen Leben, in der Ausübung des Berufs und bei sportlicher Aktivität

    • Vermeidung von Nebenerkrankungen (kardiovaskulär)

Starker Konsens (18 von 19)

  1. 8.

    Folgende absolute Kontraindikationen sollen bei der Indikationsstellung zur Knie-TEP berücksichtigt werden: Absolute Kontraindikation für eine Knie-TEP ist eine floride Infektion im Kniegelenk. Weitere absolute Kontraindikationen sind solche, die typischerweise auch für andere elektive Eingriffe gelten (z. B. Infekt, akutes kardiovaskuläres Ereignis).

Starker Konsens (19 von 19)

  1. 9.

    Folgende relative Kontraindikationen sollen für die Indikationsstellung zur Knie-TEP berücksichtigt werden:

    • Deutlich verkürzte Lebenserwartung aufgrund von Begleiterkrankungen

    • Sehr hoher BMI (≥40)

Starker Konsens (16 von 16, 3 Enthaltungen)

  1. 10.

    Folgende Risikofaktoren für ein erhöhtes Komplikationsprofil oder schlechtes patientenrelevantes Outcome sollten berücksichtigt werden:

    • Abgelaufene Infektion im Kniegelenk

    • Erhöhtes Infektionsrisiko

    • Erhöhtes perioperatives Risiko (ASA 3 und 4)

    • Körperliche Komorbidität

    • Psychologisch/psychiatrische Komorbidität

    • Einnahme von Medikamenten, die das Operationsrisiko erhöhen

    • Suchtmittelabhängigkeit

    • Neurologische Störung

Starker Konsens (16 von 16, 3 Enthaltungen)

Infobox Mitglieder der Leitliniengruppe

Prof. Dr. med. Jörg Lützner; Organisation: UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden;

Funktion: Leitlinienkoordinator

Prof. Dr. med. J. Schmitt; Funktion: Moderator

Prof. Dr. med. Martin Aringer; Organisation: Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Herr Eckhardt Böhle; Organisation: Deutscher Verband für Physiotherapie e. V. (ZVK); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Dr. med. Hartmut Bork; Organisation: Sektion Rehabilitation – Physikalische Therapie (DGOU); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Prof. Dr. med. Karsten Dreinhöfer; Organisation: Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V. (DNVF); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Prof. Dr. med. Niklaus Friederich; Organisation: Deutsche Arthrose-Hilfe e. V.; Funktion: Patientenvertreter

PD Dr. med. Sascha Gravius; Organisation: Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC); Funktion: Vertreter

Fachgesellschaft

Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther; Organisation: UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU

Dresden; Funktion: Experte Endoprothetik

Prof. Dr. med. Karl-Dieter Heller; Organisation: Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (BVOU); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Prof. Dr. med. Robert Hube; Organisation: Deutsche Kniegesellschaft e. V. (DKG); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Prof. Dr. med. Erika Gromnica-Ihle; Organisation: Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V.; Funktion: Patientenvertreter

PD Dr. med. Stephan Kirschner; Organisation: Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik e. V. (AE); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Prof. Dr. med. Bernd Kladny; Organisation: Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (DGOU); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Dr. med. Michael Kremer; Organisation: Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e. V. (DGU); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Frau Maike Linke (geb. Lippmann); Organisation: Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie; Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Dr. Jürgen Malzahn; Organisation: AOK Bundesverband; Funktion: Vertreter Kostenträger

Prof. Dr. med. Rainer Sabatowski; Organisation: Deutsche Schmerzgesellschaft e. V.; Funktion: Vertreter Fachgesellschaft

Prof. Dr. med. Hanns-Peter Scharf; Organisation: Orthopädisch-Unfallchirurgisches Zentrum, Universitätsmedizin Mannheim; Funktion: Experte

Endoprothetik

Prof. Dr. med. Johannes Stöve; Organisation: St. Marienkrankenhaus, Ludwigshafen; Funktion: Leitlinienkoordinator, Leitlinie Gonarthrose

Dr. med. Richard Wagner; Organisation: Deutsche Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie e. V. (DGORh); Funktion: Vertreter Fachgesellschaft