Die jugendliche idiopathische Skoliose („adolescent idiopathic scoliosis“, AIS) ist eine definitionsgemäß im Alter von 11 bis 17 Jahren einsetzende und meistens dreidimensionale progrediente Deformität der Wirbelsäule unklarer Ätiologie [2, 7, 14]. Die unterschiedlichen Pathologien, welche der Deformität zugrunde liegen, bestimmen den natürlichen Verlauf der Erkrankung. Diese sind größtenteils weiterhin unklar und dementsprechend nicht behandelbar [2, 7]. In der aktuellen Literatur herrscht keine einheitliche Meinung über die Effektivität der Therapie der AIS mittels Korsett. Einige Studien konnten einen positiven Einfluss der Behandlung auf die Progression der Erkrankung zeigen [4, 8].

Korsettbehandlung

Um eine effektive Behandlung zu gewährleisten, müssen verschiedene Kriterien eingehalten werden. Unter anderem spielt die Tragezeit des Korsetts eine wichtige Rolle [11]. Eine Übersicht über die beste Evidenz zur konservativen Therapie der AIS geben 2 aktuelle Reviews von Sanders et al. [12] und Sponseller [13].

Beide Artikel zeigen, dass das Korsett oft nur während der Hälfte der verordneten Zeit getragen wird. Hierbei lassen sich insbesondere 2 Gruppen mit tendenziell schlechterer Compliance und dementsprechend geringerer Tragezeit ausmachen: Mädchen nach Einsetzen der Menarche und Jungen im Allgemeinen. Um die Ursachen hierfür zu ermitteln, wurde der negative psychologische Effekt der Korsettbehandlung auf Teenager untersucht. Dieser ist am Anfang der Therapie besonders deutlich und insbesondere Mädchen haben mit dem Korsett ein schlechteres Selbstbild. In Bezug auf die Langzeitbehandlung nimmt dieser Negativeffekt aber wieder ab.

Deutlich erwies sich in beiden Studien bzgl. des Therapieerfolgs die Vollzeitbehandlung (23 h) effektiver als die Teilzeitbehandlung (8–12 h). Rowe et al. [11] untersuchten 1910 Patienten und zeigten einen signifikanten Unterschied bzgl. des Therapieerfolgs zwischen Vollzeitbehandlung (93 % Erfolgsrate), zu Halbzeitbehandlung (62 % Erfolgsrate) und zu Patienten ohne Brace (42 % Erfolgsrate). In der Studie fehlt jedoch die Stratifikation der Daten nach Kurvenform, welche einen weiteren wichtigen Einflussfaktor bildet.

Patienten mit einer schlechten Ausgangssituation für die Korsettbehandlung sind einerseits übergewichtig und andererseits solche mit einer hochthroakalen Kurve (Apex oberhalb Th8) und/oder einer thorakale Lordose. Schwere Begleit- oder Grunderkrankungen stellen ebenfalls eine negative Ausgangsituation dar [13].

Geeignete Patienten

Die große Variabilität der Ergebnisse in der Literatur lassen nur einige wenige Empfehlungen zu. Gemäß der von Sponseller durchgeführten Analyse haben Patienten mit Risser-Stadium 0–1 und einer Kurve zwischen 25 und 45 sowie Patienten mit kleinerer, erwartungsgemäß jedoch stärker progredienten Verkrümmung die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung mittels Korsett. Etwas geringere Chancen auf einen Erfolg haben Patienten mit Risser-Stadium 2–3 und einer Kurve zwischen 30 und 45°. Ebenso wie Patienten/Patientinnen, die ein weniger als ein Jahr noch zu erwartendes Wachstum haben oder sich im Zeitfenster von mehr als einem Jahr nach der Menarche befinden.

Entscheidungsfindung für die Korsettwahl

Es konnte klar festgestellt werden, dass ein flexibles Korsett tendenziell ein schlechteres Outcome hat als ein steifes. Ein Unterschied, ob die Orthese computerassistiert oder rein manuell angefertigt wurde, bestand nicht. Überkorrekturorthesen, welche z. T. nur nachts zum Einsatz kommen, haben keine besseren Ergebnisse erzielt als die TLSO („thoraco-lumbar-sacral orthosis“), welche allgemein als Standard gilt. Allenfalls kann eine Überkorrekturorthese jedoch bei Patienten mit geringer Kurven (25–30°) und Verweigerung einer Vollzeitbehandlung alternativ eingesetzt werden [13].

Zeitpunkt für den Behandlungsabschluss

Allgemeine Kriterien zur Beendigung der Therapie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Wachstum von weniger als 1 cm in 6 Monaten,

  • radiologisch verschlossene distale Radiusepiphysenfuge und Risser-Stadium 4–5 und

  • 1,5 bis 2 Jahre zurückliegende Menarche.

Ein Unterschied zwischen einem direkten Abschluss der Behandlung und einer Entwöhnungsphase konnte nicht nachgewiesen werden. Engmaschige Kontrollen in dieser Phase werden jedoch empfohlen.

Insgesamt zeigt die Literatur eine große Varianz bzgl. der Erfolgsraten der Korsetttherapie. Dies als Folge des breiten Spektrums der Ein- sowie Ausschlusskriterien und der großen Variabilität bei der Erfassung der Zielparameter. Um die Effektivität der Korsettbehandlung besser beurteilen zu können, hat eine Arbeitsgruppe der Scoliosis Research Society (SRS) zur orthetischen Versorgung und des nonoperativen Managements der AIS Zielparameter zur Standardisierung von Studien zusammengestellt [10]. Eine Übersicht dieser Zielparameter befindet sich in Tab. 1.

Tab. 1 Kriterien der Scoliosis Research Society und Zielparameter

In der Klinik für Pädiatrische Orthopädie des Royal Children’s Hospital (RCH) in Melbourne, Australien, sieht der Behandlungsalgorithmus der zwischen 25–40° liegenden AIS bei noch zu erwartendem Wachstum während mindestens 12 Monaten die orthetische Versorgung („bracing“) als Behandlung der ersten Wahl vor. Zudem wird die Behandlung auch bei Kindern mit einer Kurve von 25° durchgeführt, sofern diese eine Progredienz zeigen. Die Indikation zur chirurgischen Aufrichtung und Fusion wird bei Patienten gestellt, bei welchen die Kurve mehr als 55° beträgt oder eine stark oder schnell progrediente Kurve zwischen 45 und 55° vorliegt.

Es kommt eine nach Gipsabdruck des Rumpfs des Patienten maßgefertigte thorakolumbosakrale Orthese (TLSO, „thoraco-lumbar-sacral orthosis“) zum Einsatz (Abb. 1). Die empfohlene Tragezeit beträgt 23 h/Tag. Eine Anpassung oder Erneuerung des Korsetts erfolgt alle 9 bis 12 Monate bis zum Abschluss der Skelettreife. Nach Abschluss der Behandlung erfolgt eine Entwöhnungsphase über 6 Monate mit halbtägiger (12 h) Tragezeit. Das Behandlungsprotokoll sieht weiter röntgenologische und klinische Kontrollen alle 4 bis 6 Monate vor, wobei diese Kontrollen bis 12 Monate nach Abschluss der Korsetttherapie fortgesetzt werden.

Abb. 1
figure 1

Beispiel einer thorakolumbosakralen Orthese

Patienten und Methoden

Es wurde eine Datenbankanalyse zur Identifikation aller Patienten durchgeführt, welche im Zeitraum zwischen dem 01.07.2009 und dem 30.06.2010 eine orthetische Behandlung erhalten hatten. Alle Patienten, welche die Kriterien der Scoliosis Research Society erfüllten, wurden in die Studie eingeschlossen.

Die radiologische Ausmessung der Kurven erfolgte nach Cobb [7]. Zur Bestimmung des Ausgangswinkels wurde das aktuellste stehende p.a.-Röntgenbild der gesamten Wirbelsäule vor Beginn der Behandlung verwendet. Für die Beurteilung des Verlaufs wurden die Röntgenbilder nach dem Übergang von der Voll- zur Halbtagstragezeit und dasjenige nach Abschluss der Therapie herangezogen. Bei doppelten Kurven erfolgte die Messung anhand der Veränderung der größeren Kurve. Doppelte Kurven wurden nur als solche gewertet, wenn diese mindestens 10° mehr als die Hälfte des Winkels der primären Kurve aufwiesen. Die Messung der Röntgenbilder erfolgte 2-mal durch einen einzigen Untersucher.

Neben den Zielparametern der SRS-Empfehlungen wurden die Kurven nach Lokalisation klassifiziert:

  • thorakal (Apex gleich oder höher Th11),

  • thorakolumbal (Apex zwischen Th11 und L1) oder

  • lumbal (Apex tiefer als L1).

Des Weiteren wurden Alter, Geschlecht, initiale Kurvengröße und Kurvenmuster in Subgruppenanalysen ausgewertet. Die statistische Analyse erfolge mittels des Fischer-Yades-Test für dichotome Daten und des ungepaarten t-Tests für kontinuierliche Daten, in beiden Fällen wurde ein zweiseitiger Test angewendet.

Ergebnisse

Im oben genannten Zeitraum wurden 233 Patienten in der Skoliosesprechstunde vorstellig. Hiervon erfüllten 146 die Kriterien der AIS. Bei 19 Patienten wurde die Indikation zur operativen Versorgung gestellt, 2 erhielten keine aktive Behandlung. Insgesamt 125 Patienten wurden mittels Korsett behandelt, von denen 83 die Therapie abgeschlossen hatten. Aus der Gruppe der 125 Patienten erfüllten 52 (42 %) die SRS-Einschlusskriterien. Das Durchschnittsalter bei Beginn der Therapie lag bei 13,1 Jahren, und der durchschnittliche initiale Cobb-Winkel bei 31,8°. Insgesamt wurden 39 Patienten (76 %) erfolgreich behandelt, bei 26 (51 %) wurde sogar eine Reduktion des Kurvenwinkels erreicht (Abb. 2). Sechs Patienten (12 %) benötigten eine operative Behandlung und 7 (14 %) hatten eine Kurve von mehr als 45° nach dem Erreichen der Skelettreife.

Abb. 2
figure 2

Röntgenbild eines bei Therapiebeginn 10-jährigen Mädchens im Verlauf. Links vor, rechts nach Abschluss der Korsettbehandlung (ein Jahr). Reduktion des Cobb-Winkels von 35° auf nahezu neutral

Die Subgruppenanalyse ergab, dass Kinder im Alter von 10 bis 11 Jahren im Vergleich zu älteren Kindern eine höhere Progredienzrate aufwiesen (44 vs. 14 %, p = 0,1497) und eher dazu neigten, eine Kurve von über 45° bis zum Abschluss des Skelettwachstums zu entwickeln (22 vs. 0 %, p = 0,1424). Entsprechend war die Rate der operativen Therapie (22 %) in dieser Gruppe höher.

Die Beziehung zwischen initialer Kurvengröße und Veränderung des mittleren Winkels während der Therapie war statistisch signifikant (p = 0,0438). Patienten mit einer kleinen Kurve zeigten ein besseres Outcome als Patienten mit großen Kurven (initialem Cobb-Winkel zwischen 25 und 20 vs. 35 und 40°). Der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant.

Bei der Lokalisation der Kurve zeigten thorakale Kurven eine höhere Rate an Progression und dementsprechend höheren Bedarf an chirurgischer Behandlung als thorakolumbale und lumbale Kurven. Doppelte Kurven zeigten insgesamt ein schlechteres Outcome. Auch bezogen auf das Geschlecht konnte seitens des Therapieerfolgs kein signifikanter Unterschied zwischen Jungen und Mädchen festgestellt werden.

Bei 23 Patienten, welche die SRS-Einschlusskriterien erfüllten, lag das mittlere Follow-up der Abschlusskontrolle bei 7,3 ± 1,8 Monaten. Bei diesen Patienten lag die Erfolgsrate bei 70 im Vergleich zu 82 % bei den restlichen Patienten, welche noch keine Abschlusskontrolle erhalten hatten. Nach Überprüfung der Aufzeichnungen war festzustellen, dass das Kontrollintervall bei diesen Patienten durch den jeweils behandelnden Arzt beim Übergang von Voll- zu Teilzeitbehandlung, aufgrund sichtbarer positiver Veränderung und deshalb unwahrscheinlicher Progredienz, verlängert wurde.

Diskussion

Vier Studien [1, 3, 6, 9], welche seit der Festlegung der SRS-Kriterien im Jahr 2005 publiziert worden sind, werden zum Vergleich des Outcomes unserer Ergebnisse herangezogen. Trotz der bestehenden Heterogenität der Studienpopulationen lassen sich aufgrund der besseren Vergleichbarkeit der Rahmen- und Zielparameter Ähnlichkeiten zu den von uns gefundenen Ergebnissen darstellen. Als wichtigster Aspekt ist festzustellen, dass die Faktoren mit dem größten Einfluss auf die Kurvenprogression, nämlich das Alter und die initiale Kurvenausprägung, auch in den anderen Studien bestätigt wurden. Dies kann als Erfolg der Reproduktivität und Kontrolle der SRS-Einschlusskriterien in Studien über die Bracebehandlung der AIS gesehen werden.

Studienübersicht

Janicki et al. [6] wiesen in ihrer Arbeit einen geringeren Erfolg der konservativen Behandlung der AIS im Vergleich zu vorherigen Studien nach. Die Resultate waren sogar schlechter als bei unbehandelten Patienten zu erwarten wäre. Als Ursache muss hier die fehlende Compliance seitens der Tragezeit der TLSO angenommen werden [11].

Coillard et al. [3] präsentierten bei der Bewertung des SpineCor-Brace etwas geringere Erfolgsraten als die Ergebnisse, die wir erzielen konnten. Dies kann der im Durchschnitt stärker ausgeprägten Initialkurve, dem mittleren Winkelunterschied von 3,2° (p = 0,0065) sowie der untersuchten Population zugeschrieben werden. Zudem zeigte diese Studie einen Zusammenhang zwischen Kurvenlokalisation und -ausmaß. Die konservative Behandlung war thorakal in 56,8 %, thorakolumbal in 69,4 % und in lumbalen in 83 % und bei doppelter Hauptkurve in 42,9 % der Fälle erfolgreich. Andere Untersuchungen weisen das Risiko einer Progression bei einfachen thorakalen Kurven als am höchsten aus, gefolgt von doppelten und thorakolumbalen Kurven [5].

Analog zu unseren Ergebnissen zeigte sich in Coillards Untersuchungen, dass Kurven mit einem initialen Winkel zwischen 25 und 29° eine 70,1 %ige Erfolgrate aufwiesen, wohingegen Kurven zwischen 30 und 40° nur in 52,4 % der Fälle korrigiert oder in der Progression gestoppt wurden.

Aulisa et al. [1] verhinderten mit dem Einsatz des Progressive Action Short Brace in 100 % der Fälle eine weitere Progression der Deformität bzw. erreichten in 94 % eine Verringerung des Kurvenwinkels. Eine Analyse der Methodik zeigte, dass hierbei trotz der Empfehlung nach der Intention-to-treat-Analyse, zu beurteilen aus der Population, 10 Patienten nicht in die Auswertung eingeschlossen wurden. Unter der Annahme, diese als Therapieversager werten zu müssen, reduziert sich diese Erfolgsrate auf 83 %. In einer Intention-to-treat-Analyse der Daten dieser Studie zeigt sich zwar weiterhin eine höhere Erfolgsrate, welche jedoch statistisch nicht signifikant ist (p = 0,4746). Weiter anmerkt werden muss, dass die Population dieser Studie im Vergleich zu unserer deutlich jünger (mittlerer Altersunterschied von 1,3 Jahren, p < 0,0001) ist. Auch wurden nur thorakolumbale Kurven von geringerer Ausprägung eingeschlossen.

Im Vergleich zu uns präsentierten Negrini et al. [9], trotz des Ausschlusses von Patienten, welche die Behandlung noch nicht abgeschlossen hatten, nach Intention-to-treat-Analyse signifikant bessere Ergebnisse mit einer Erfolgsrate von 88 % (p = 0,0280).

Limitationen

Als Limitierung unserer Studie ist festzuhalten, dass es sich um eine Analyse in einem bestimmten Zeitfenster handelt und somit nicht alle mittels TLSO behandelte Patienten eingeschlossen wurden. Auch weist unserer Kohorte als retrospektive Betrachtung ein relativ kurzes Follow-up-Intervall auf und erfüllt somit nur z. T. die SRS-Empfehlungen zur Datenanalyse.

Des Weiteren kann an den SRS-Kriterien bzw. deren Zielparametern u. a. der Cut-off-Level von 6° als Maß einer Kurvenprogression in Frage gestellt werden [12]. Auch die Vorhersagbarkeit der Skelettreife anhand des Risser-Stadiums, ein wichtiger Einflussfaktor auf den Erfolg einer Therapie mittels Korsett, wird kontrovers diskutiert [12, 13]. Die Stärke unserer Analyse könnte durch eine größere Kohorte und ein längeres Follow-up gesteigert werden. Doch bereits so lässt sich zeigen, dass die konservative Behandlung der AIS anhand der SRS-Kriterien bei moderaten Kurven eine erfolgreiche Behandlungsart darstellt. Die Compliance bzgl. der Korsetttherapie zeigt sich weiterhin als wichtigstes Merkmal der für den Erfolg der Behandlung.

Fazit für die Praxis

  • Die Bandlung der AIS mittels Korsett kann eine Progression der Erkrankung verhindern.

  • Die Auswahlkriterien für Patienten, die diese Behandlung erhalten sollten, müssen klar gestellt sein.

  • Die SRS-Kriterien bieten hierfür eine geeignete Richtlinie und Tragen zur einer besseren Vergleichbarkeit und höheren Evidenz von Forschungsergebnissen bei.

  • Compliance und Zusammenarbeit mit dem Patienten sind Schlüsselelemente für eine erfolgreiche Therapie.