Zusammenfassung
Die periprothetische Infektion am Kniegelenk ist eine seltene Komplikation. Allerdings stellt sie den Patienten und den Arzt vor große Herausforderungen. Die vergangenen Jahre haben neue Erkenntisse zur periprothetischen Infektion am Kniegelenk gebracht, die in neue Klassifikationen münden. In der vorliegenden Arbeit wird die aktuelle Literatur zur Thematik aufgearbeitet und ein neuer Therapiealgorithmus vorgeschlagen.
Abstract
Periprosthetic knee joint infection is a rare complication. However, patients as well as surgeons have to deal with severe problems. The past years have brought new knowledge on periprosthetic knee joint infections which have resulted in new classifications. The present manuscript evaluates the current literature on this topic and presents a new therapeutic algorithm.
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Hintergrund und Fragestellung
Die Therapie der Gonarthrose mit einem künstlichen Gelenk hat hohe Zufriedenheitsraten bei Patienten und konnte sich über die vergangenen Dekaden zu einer Routineoperation an spezialisierten Zentren entwickeln. Zunehmende Implantationszahlen bedeuten allerdings auch zunehmende Zahlen an Komplikationen. Sharkey et al. [21] identifizierten die Infektion als häufigsten Grund einer Fühkomplikation (innerhalb der ersten 2 Jahre nach Implantation). Die Einführung der perioperativen Single-shot-Antibiotikatherapie konnte die Rate der periprothetischen Infektionen am Kniegelenk zwar signifikant reduzieren [28], dennoch bleibt die Infektion eine gefürchtete Komplikation des endoprothetischen Kniegelenkersatzes. Ihre Inzidenz wird mit 0,4–2% für Primär- und 2–7% für Revisionseingriffe angegeben [22]. Zwar sind die Infektionsraten gering, jedoch ist das Auftreten einer periprothetischen Infektion eine erhebliche Belastung für die Arzt-Patienten-Interaktion. Die Behandlung der periprothetischen Infektion stellt den Operateur vor mehrere Probleme:
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korrekte Diagnose der Infektion,
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Identifikation des Mikroorganismus,
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Kontrolle der Infektion,
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langfristig funktionierendes Kniegelenk,
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Kommunikation mit dem Patienten,
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psychische Belastung des Patienten aufgrund der langwierigen Therapie,
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adäquate Antibiotikatherapie.
Die Literatur bietet nur unzureichende Anhaltspunkte über evidenzbasierte Verfahren oder klare Behandlungsalgorithmen.
In einer durch die Infektionskomplikation belasteten Arzt-Patient-Beziehung ist ein klar kommunizierter und konsequent umgesetzter Therapiealgorithmus von entscheidender und für beide Seiten beruhigender Bedeutung.
Diese Erkenntnis aufgreifend, war es das Ziel der vorliegenden Arbeit, einen Behandlungsalgorithmus für die Therapie der periprothetischen Infektion am Kniegelenk zu entwickeln (Abb. 1). Dieses Vorgehen wurde in Zusammenarbeit mit unseren klinischen Infektiologen erarbeitet und sollte sich möglichst breit in der verfügbaren Literatur abstützen.
Klassifikation periprothetischer Infektionen
Die klassische Literatur bietet verschiedene Einteilungen zu periprothetischen Infektionen. Eine häufig verwendete ist die der American Academy of Orthopaedic Surgeons (AAOS), diese unterteilt die Infektionen in 4 Typen:
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Typ I: positive Kulturen bei Revisionseingriff ohne vorherigem Verdacht,
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Typ II: Frühinfektion (<4 [8] Wochen),
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Typ III: akute hämatogene Infektion,
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Typ IV: Spätinfektion, chronische Infektion (> 4 [8] Wochen).
Aktuelle Klassifikationen orientieren sich zunehmend an mehreren Parametern, die sowohl die zeitliche Komponente, den Erreger, die Komorbiditäten, die Verankerung der Prothese am Knochen als auch die daraus folgende Therapie mit berücksichtigen. So kommen Borens et al. [3] zu folgender Einteilung:
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Frühinfektion (0–3 Monate),
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verzögerter Infekt (Low-grade-Infekt, 3–24 Monate),
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Spätinfektion (>24 Monate).
Therapie periprothetischer Infektionen
Die beschriebene Therapie periprothetischer Infektionen reicht von der allein konservativen (antibiotischen) Therapie [27] über Synovektomie und Lavage mit Prothesenerhalt [17, 20] bis hin zum ein- [11] und zweizeitigen [10] Wechsel der Prothese sowie endgültigen Verfahren wie der Resektionsarthroplastik und der Arthrodese oder Amputation [14, 29]. Zum aktuellen Zeitpunkt gilt der zweizeitige Wechsel als Goldstandard, mit Infektkontrollraten von 85–100% [10, 14, 30]. Er ist jedoch für den Patienten und den Chirurgen eine belastende und langandauernde Prozedur, die nicht selten mit erschwerten ligamentären und knöchernen Gegebenheiten beim Wiedereinbau einhergeht [14]. Nach wie vor wird die Diskussion über den ein- bzw. zweizeitigen Wechsel in der Literatur kontrovers geführt.
Es gibt einige Arbeiten, die den zweizeitigen Wechsel mit Implantatentfernung und Spacereinlage dem einzeitigen Wechsel als überlegen einstufen [14]. Allerdings sind vergleichende Arbeiten zum Thema nur in geringer Anzahl vorhanden [23]. Die Chance, die Infektion mit einem einzeitigen Wechsel zu kontrollieren wird in den meisten Arbeiten mit ca. 20–40% angegeben [4, 17, 23]. Demgegenüber stehen viele Arbeiten, die dem zweizeitigen Wechsel eine Heilungsrate von ungefähr 85–100% attestieren [10, 14, 30]. Prinzipiell ist ein radikales chirurgisches Débridement maßgeblich für den Erfolg.
Das radikale chirurgische Débridement ist für den Erfolg maßgeblich
Einige Autoren sehen vor allem die Dauer der Symptome als entscheidend an [4]. Dabei variiert die zeitliche Spannweite der Symptome, wann eine gelenkerhaltende Therapie noch den gewünschten Erfolg bringen kann, zwischen 2 Tagen und 6 Wochen [4, 17, 23]. Es scheint sich aber heraus zu kristallisieren, dass ein Zeitraum von 3–4 Wochen noch als akutes Einsetzen der Symptome gilt [16, 30] und alles darüber hinaus als chronische Infektion zu werten ist. Darüber hinaus gibt es gute Hinweise, dass die gelenkerhaltende Therapie v. a. bei Infektionen mit unkomplizierten Erregern erfolgreich ist [8].
Wie bereits weiter oben erwähnt, leiten Borens et al. [3] aus eigenen Erkenntnissen und in Übereinstimmung mit der Literatur eine moderne Klassifikation der periprothetischen Infektionen ab, die anhand mehrerer Parameter auch die Therapie vorgibt (Tab. 1).
Laborchemisches Monitoring
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das laborchemische Monitoring. Zwar liefern die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG), das C-reaktive Protein (CRP) und das Differenzialblutbild wertvolle Hinweise bei der initialen Diagnose des Infekts [1, 6, 19, 24]. Allerdings bleibt die Frage offen, ob sich diese Parameter auch zur Verlaufsdiagnostik eignen [9, 11].
Auch eine neuere Arbeit kann keinen laborchemischen Algorithmus ableiten: Kusuma et al. [13] halten nach 76 beobachteten Patienten fest, dass alle Parameter beim zweizeitigen Wechsel sinken, jedoch eine Aussage über die Infektkontrolle nicht getroffen werden kann.
Aachener Algorithmus der periprothetischen Infektion am Kniegelenk
Aus der zitierten Literatur leitet sich der nachfolgend formulierte Algorithmus ab, nach dem wir die periprothetischen Infektionen am Kniegelenk behandeln.
Von entscheidender Bedeutung ist die richtige Probengewinnung.
An anderer Stelle in diesem Heft wird dazu ausführlich Stellung bezogen. Nachfolgend wird die Probenentnahme nach Fink et al. [7] und Schäfer et al. [18] vorgeschlagen.
Probenentnahme
Intraoperativ sollten 5–6 Biopsate für die Mikrobiologie (NaCl 0,9%) und eine Gewebeprobe für die histologische Untersuchung (Pathologie), wenn möglich vor der Antibiotikatherapie gewonnen werden. Eine Bebrütung sollte für 14 Tage erfolgen. Darüber hinaus sollte eine Polymerase-chain-reaction(PCR)-Diagnostik angefordert werden. Bei systemischen Infektzeichen sollten 4 Blutkulturflaschen abgenommen werden (2-mal linker, 2-mal rechter Arm).
Ein Infekt gilt als nachgewiesen, wenn ein und derselbe Erreger in mindestens 2 mikrobiologischen Proben vorhanden ist oder wenn ein potenziell pathogener Erregernachweis in einer mikrobiologischen Probe und ein Nachweis von 3+-Leukozyteninfiltrat in der histologischen Probe gelingen.
Um eine Kontamination handelt es sich, wenn ein Erregernachweis (typisch für Verunreinigungen können sein: Corynabakterien, Bacillus spp., Proprionibakterien, Mikrokokken, koagulasenegative Staphylokokken; nicht typisch: Staph. aureus, Staph.-spp.-Enterokokken, gramnegative Stäbchenbakterien) nur in einer mikrobiologischen Probe gelingt und die Histologie negativ ist.
Therapie Frühinfekt/akuter Spätinfekt
In Übereinstimmung mit der Literatur wird der Frühinfekt/der akute Spätinfekt mit einem gelenkerhaltenden Versuch adressiert. Dabei sollten neben einer umfassenden Spülung eine radikale Synovektomie und der Wechsel aller beweglichen Teile der Prothese (in der Regel das Inlay) erfolgen. Eine systemische Antibiotikatherapie ist anzusetzen (s. weiter unten). Der Verlauf wird anhand der Klinik und der Laborchemie (CRP, Differenzialblutbild, BSG) gemonitort. Sofern diese Parameter sich nicht zeitnah normalisieren, ist eine Revision im Einzelfall zu diskutieren. Ansonsten läuft die Antibiose für 6–8 Wochen. Bei normalisierter Klinik und Laborchemie wird kontrolliert ein Auslassversuch der Antibiotikatherapie (für 2 Wochen) gestartet. Bleibt der Befund unauffällig, kann von einer Heilung des Infekts ausgegangen werden. Eine engmaschige Anbindung des Patienten an die Sprechstunde ist dennoch für 6 weitere Monate sinnvoll.
Sofern sich die Infektzeichen unter dem Auslassversuch erhöhen, ist von einem erschwerten Frühinfekt auszugehen. Die Therapie entspricht dann dem des komplizierten Spätinfekts bzw. des verzögerten Infekts (s. u.).
Therapie erschwerter Frühinfekt/verzögerter Infekt/komplizierter Spätinfekt
Bei dieser Form des Infekts ist ein zweizeitiger Wechsel anzuraten. Neben dem Ausbau der Prothese, der radikalen Synovektomie und Spülung ist eine systemische Antibiotikatherapie erforderlich. Zusätzlich verwenden wir einen antibiotikabeschickten (in der Regel Gentamicin, wenn der Erreger unbekannt ist, ansonsten sensibles Antibiotikum mit in den Zement gemischt) artikulierenden Zementspacer aus eigener Herstellung.
Der Verlauf wird anhand der Klinik und der Laborchemie (CRP, Differenzialblutbild, BSG) verfolgt. Sofern diese Parameter sich nicht adäquat normalisieren, ist eine Revision im Einzelfall zu diskutieren. Ansonsten läuft die Antibiotikatherapie für 6–8 Wochen i. v. oder p.o. oder eine Sequenztherapie. Bei normalisierter Klinik und Laborchemie wird dann kontrolliert ein Auslassversuch der Antibiose gestartet. Bleibt der Befund unauffällig, kann von einer Kontrolle des Infekts ausgegangen werden. Zwei Wochen nach dem Auslassversuch erfolgen die Punktion des Gelenks und die Probengewinnung. Kann kein Material gewonnen werden, erfolgt die offene Biopsie. Bei Keimfreiheit nach 2-wöchiger Bebrütung kann die Reimplantation vorgenommen werden.
Nach der Reimplantation wird in unserer Klinik die vormals testgerechte Antibiose für weitere 6 Wochen verabreicht. Evidenz hierzu besteht nicht. Eine engmaschige Anbindung des Patienten an die Sprechstunde empfiehlt sich.
Systemische Antibiotikatherapie
Eine systemische Antibiotikatherapie ist eine tragende Säule der Therapie periprothetischer Infektionen. Die folgende Auflistung ist eine Empfehlung, die in Kooperation mit der klinischen Infektiologie am Universitätsklinikum Aachen anhand aktueller Erkenntnisse erarbeitet wurde. Je nach Antibiogramm muss diese Empfehlung natürlich modifiziert werden.
Die systemische Antibiotikatherapie ist eine tragende Säule der Therapie periprothetischer Infektionen
Bei Infektverdacht ohne Erregernachweis erfolgt die kalkulierte Antibiotikatherapie zunächst mit Moxifloxacin einmal 400 mg i. v./Tag für 2 Wochen postoperativ (entsprechend den Angaben von Zimmerli et al. [30], wobei angesichts der hohen Bioverfügbarkeit und hohen i.-v.-Kosten die Oralisierung nach 3 Tagen erwogen werden kann), dann weiter per os und mit Rifampicin einmal 600 mg i. v. für 7 Tage, dann weiter per os (erste Wahl). Zweite Wahl ist die Kombination von Amoxicillin/Clavulansäure 3-mal 500/125 mg i. v. für 14 Tage postoperativ, dann weiter per os, Rifampicin einmal 600 mg i. v. für 7 Tage, dann weiter per os. Sofern die Proben nach 3 Tagen negativ bleiben, wird die Antibiose mindestens bis zum Erhalt des 14-Tage-Ergebnisses fortgeführt. Regelmäßiger Kontakt zu den Mikrobiologen ermöglicht ein rasches Eingreifen bei Änderung des Befundes.
Sofern ein Keimnachweis gelingt, erfolgt die gezielte Antibiotikatherapie nach Antibiogramm entsprechend Tab. 2 [2, 12, 25, 26].
Fazit für die Praxis
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Periprothetische Infektionen am Kniegelenk sind selten; wenn sie auftreten, stellen sie eine enorme Belastung sowohl für den Operateur als auch den Patienten dar.
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Die aktuelle Literatur bietet wenig Evidenz zur Therapie der periprothetischen Infektionen; um so wichtiger ist ein klar kommunizierter und auch konsequent umgesetzter Therapiealgorithmus in enger Kooperation zwischen Mikrobiologen, Operateuren und Patienten.
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Der angebotene Algorithmus, bei Früh- und Spätinfektionen ossär integrierte und gelockerte Implantate zu unterscheiden, scheint nachvollziehbar. Nach wie vor fehlen prospektiv randomisierte Studien, welche die Wirksamkeit dieses Algorithmus überprüfen.
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Der Goldstandard des zweizeitigen Wechsels in der Therapie der periprothetischen Infektionen wandelt sich zunehmend zu einem differenzierteren Vorgehen.
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Lüring, C., Lemmen, S., Quack, V. et al. Behandlungsalgorithmus der periprothetischen Infektionen am Kniegelenk. Orthopäde 41, 20–25 (2012). https://doi.org/10.1007/s00132-011-1837-z
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00132-011-1837-z
Schlüsselworte
- Kniegelenk
- Periprothetischer Gelenkinfekt
- Behandlungsalgorithmus
- Klassifikationen
- Evidenzbasierte Verfahren