Hintergrund

Rückenschmerzen sind nach wie vor eine der häufigsten Ursachen für Beeinträchtigungen beruflicher Aktivität und Teilhabe. In Deutschland war die Rückenschmerzdiagnose M54 im Jahr 2006 für 7,2% aller Arbeitsunfähigkeitstage verantwortlich (erwerbstätige AOK-Mitglieder [30]) und zugleich eine der häufigsten Ursachen für Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit [9]. Die damit hierzulande einhergehenden jährlichen direkten und indirekten Krankheitskosten wurden unlängst auf 48,96 Mrd. EUR bzw. 2,2% des Bruttoinlandsprodukts geschätzt [52].

Im deutschen Rehabilitationssystem überwiegt bei lang andauernden Rückenschmerzen die 3-wöchige stationäre Versorgung in Rehabilitationskliniken. Seit den 1990er Jahren haben hier, in Anlehnung an etablierte Programme aus Skandinavien und Nordamerika, zunehmend stärker berufsorientierte Programme an Bedeutung gewonnen [3]. Im Rahmen der orthopädischen Rehabilitation konzentrierten sich diese Programme zunächst auf eine verbesserte Diagnostik körperlich funktioneller Leistungsfähigkeit, z. B. durch die Evaluation funktioneller Leistungsfähigkeit nach Isernhagen [24], und daraufhin abgestimmte Trainingsangebote [46]. Epidemiologische Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte haben jedoch wiederholt darauf hingewiesen, dass neben den erlebten körperlichen Funktionseinschränkungen auch verschiedene psychosoziale arbeitsplatzbezogene Faktoren prognostische Bedeutung für den Verlauf von Rückenschmerzen haben. Diese Faktoren und die Wechselwirkung dieser Faktoren mit eingeschränkter körperlicher Funktionsfähigkeit werden in der orthopädischen Rehabilitation bislang allerdings weniger berücksichtigt.

Der folgende Beitrag soll vor diesem Hintergrund den Forschungsstand zur prognostischen Bedeutung psychosozialer arbeitsplatzbezogener Faktoren für den beruflichen Wiedereingliederungserfolg bei Rückenschmerzpatienten zusammentragen und mögliche Konsequenzen für die Weiterentwicklung der orthopädischen Rehabilitation diskutieren.

Methodik

Studienauswahl

Die hier vorgestellte Literaturübersicht wurde als Sekundärreview („review of reviews“) durchgeführt und berücksichtigte systematische Übersichtsarbeiten zu prognostischen Faktoren für den Verlauf unspezifischer Rückenschmerzen. Die identifizierten Reviews wurden unlängst von Hayden et al. [15] im Rahmen der Methodenentwicklung für die Erstellung systematischer Übersichtsarbeiten zusammengetragen. Die von den Autoren angewandte multiple Suchstrategie nutzte elektronische Datenbanken (Medline, Embase und Cinahl; n=357)Footnote 1 und ergänzte die resultierende Studienauswahl durch anderweitig bekannte Arbeiten sowie einen Referenzcheck bereits identifizierter Übersichtsarbeiten (n=29; [14]). Aus diesen Referenzen selektierten Hayden et al. [15] alle englischen und französischen Übersichtsarbeiten zu Prognosefaktoren bei unspezifischem Rückenschmerz. Diese Auswahl resultierte in insgesamt 17 Übersichtsarbeiten. In das hier vorgestellte Sekundärreview wiederum sollten ausschließlich die Übersichtsarbeiten einbezogen werden, die Kohortenstudien berücksichtigten, die Patienten mit akuten oder subakuten Rückenschmerzen einschlossen, die Bedeutung psychosozialer arbeitsplatzbezogener Faktoren untersuchten und als Zielgröße die berufliche Wiedereingliederung der Studienteilnehmer verwendeten.

Synthese der Ergebnisse

Für den folgenden Beitrag wurden die relevanten Übersichtsarbeiten erneut gesichtet und die Ergebnisse zu 6 psychosozialen arbeitsplatzbezogenen Faktoren extrahiert (soziale Unterstützung durch Kollegen, soziale Unterstützung durch Vorgesetzte, Entscheidungsspielraum, psychosoziale Arbeitsanforderungen, subjektive Erwerbsprognose, Arbeitszufriedenheit). In Anlehnung an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF; [10, 53]) wurden diese Faktoren in soziale und personenbezogene Faktoren gruppiert. Die Kategorie Psychosozialer Kontext und Arbeitsorganisation umfasste dabei die Faktoren soziale Unterstützung durch Kollegen, soziale Unterstützung durch Vorgesetzte, Entscheidungsspielraum und psychosoziale Arbeitsanforderungen. Die subjektive Prognose zukünftiger Erwerbsfähigkeit und die erlebte Arbeitszufriedenheit wurden der Kategorie Arbeitsbezogene Einstellungen zugeordnet.

Ergebnisse

Auswahl von Übersichtsarbeiten für das Sekundärreview

Die Tab. 1 zeigt die 17 von Hayden et. [15] identifizierten Übersichtsarbeiten. Diese Übersichtsartikel berücksichtigten 9–54 Originalarbeiten. Der Median für die Anzahl eingeschlossener Studien lag bei 17,5. Die prognostische Bedeutung psychosozialer arbeitsplatzbezogener Faktoren wurde in 11 Übersichtsarbeiten thematisiert [8, 12, 13, 29, 32, 36, 44, 45, 47, 48, 49]. Die Arbeit von Linton [32] und die methodisch hochwertige Arbeit von Hartvigsen et al. [13] schlossen neben Arbeiten, die den Erfolg beruflicher Wiedereingliederung untersuchten, auch Studien ein, die auf andere Zielgrößen (z. B. Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung oder Funktionsfähigkeit) gerichtet waren. Die Arbeiten von Kuijer [29] und van der Hulst [49] beschränkten sich vorwiegend auf die Untersuchung von prognostischen Faktoren bei bereits chronisch erkrankten Personen. Die anderen 7 Arbeiten waren hinsichtlich der Zielgröße (berufliche Wiedereingliederung) und der berücksichtigten Studienpopulationen (akute und subakute Phase) vergleichbar [8, 12, 36, 44, 45, 47, 48].

Tab. 1 Systematische Reviews zu prognostischen Faktoren bei unspezifischem Rückenschmerz nach Hayden et al. [15]

Für die kritische Bewertung der Arbeiten ist die Frage relevant, wie die Autoren nach der Sichtung der Primärstudien zu ihren Schlussfolgerungen gelangten. Das Vorgehen der Autoren war dabei wenig einheitlich. So berücksichtigten nur Steenstra et al. [45] bei der Ergebnissynthese neben der Ergebniskonsistenz auch die Qualität der Primärstudien, während die anderen Autoren ihre Schlussfolgerungen ohne Berücksichtigung der Studienqualität trafen. Unterschiedlich war zudem der Umgang mit nicht signifikanten Studienergebnissen, die z. T. nicht berücksichtigt wurden. Uneinheitlich war ebenfalls die Definition, wie viele Studien für die Feststellung starker Evidenz notwendig waren. Nur in einer der ausgewählten Übersichtsarbeiten wurde die Synthese der Studienergebnisse auch durch eine Metaanalyse ergänzt, um gepoolte Effektschätzer zu ermitteln [45].

Prognostische Faktoren für die berufliche Wiedereingliederung

Die Tab. 2 fasst die Ergebnisse der Literaturübersicht zusammen. Die zusammengetragenen Übersichtsarbeiten bestätigen, dass Rückenschmerzpatienten mit geringer sozialer Unterstützung, geringem Entscheidungsspielraum, hohen psychosozialen Arbeitsanforderungen und einer ungünstigen subjektiven Erwerbsprognose eine schlechtere Prognose für die Rückkehr ins Erwerbsleben haben. Die prognostische Bedeutung der erlebten Arbeitszufriedenheit wurde hingegen widersprüchlich bewertet.

Tab. 2 Synthese der Ergebnisse

Psychosozialer Kontext und Arbeitsorganisation

Soziale Unterstützung durch Kollegen

Die Übersichtsarbeiten von Steenstra et al. [45], Fayad et al. [12], Crook et al. [8], Shaw et al. [44] sowie Truchon u. Fillion [47] haben Studienergebnisse zur Bedeutung der durch Kollegen erfahrenen sozialen Unterstützung zusammengetragen. Der von Steenstra et al. [45] berichtete gepoolte Effektschätzer deutete auf einen insgesamt schwachen, aber dennoch signifikanten Effekt der erlebten sozialen Unterstützung auf die berufliche Wiedereingliederung hin (ES=1,20; 95%-KI=1,04–1,38).

Gemeinsam war allen Arbeiten der Verweis auf die holländische Fallkohortenstudie von van der Weide et al. [50]. Um prognostische Faktoren für die Dauer bis zum Zeitpunkt des beruflichen Wiedereintritts zu ermitteln, schätzten van der Weide et al. [50] multivariate proportionale Hazardmodelle und konnten eine schnellere berufliche Wiedereingliederung bei höherer sozialer Unterstützung durch Kollegen bestätigen (HRR=0,82; 95%-KI=0,73–1,00).

Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte

Steenstra et al. [45] bestätigten darüber hinaus einen schwachen gepoolten Effekt der am Arbeitsplatz durch Vorgesetzte erlebten sozialen Unterstützung (ES=1,26; 95%-KI=1,01–1,58).

Entscheidungsspielraum

Steenstra et al. [45], Crook et al. [8] und Truchon u. Fillion [47] fassten die Ergebnisse hinsichtlich der prognostischen Bedeutung des am Arbeitsplatz erlebten Entscheidungsspielraums zusammen und bezogen sich damit auf eine der beiden Dimensionen des von Karasek vorgeschlagenen Anforderungs-Kontroll-Modells [26]. Karasek et al. [26] beschreiben in diesem Modell einerseits berufliche Tätigkeiten anhand der psychosozialen Arbeitsanforderungen (erfahrbar z. B. durch widersprüchliche Anweisungen oder Zeitdruck) und andererseits anhand des Entscheidungsspielraums, über den Personen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben verfügen. Als hoch beanspruchend und mit gesundheitlichen Risiken verbunden, sehen Karasek et al. insbesondere solche beruflichen Situationen, in denen Arbeitnehmern trotz hoher psychosozialer Anforderungen nur ein geringer Entscheidungsspielraum bei der Bewältigung der Aufgaben zugebilligt wird. Die Bedeutung dieses Modells zur Erklärung von Entstehung und Chronifizierung koronarer und psychischer Erkrankungen gilt mittlerweile als gesichert [27, 42].

Steenstra et al. [45] identifizierten mit den Arbeiten von Krause et al. [28] und Schultz et al. [43] zwei relevante Primärstudien, die die prognostische Bedeutung des erlebten Entscheidungsspielraums untersuchten. Die Ergebnisse dieser Studien stellten sich als widersprüchlich dar. Während Krause et al. [28] einen entsprechenden Effekt berichteten (HRR=0,59; 95%-KI=0,43–0,80), konnten Schultz et al. [43] keine Evidenz für die prognostische Bedeutung des am Arbeitsplatz verfügbaren Entscheidungsspielraums finden.

Crook et al. [8] sowie Truchon u. Fillion [47] wiederum sahen in ihren Übersichtsarbeiten einen entsprechenden Zusammenhang bestätigt. Crook et al. [8] verwiesen dazu auf Ergebnisse von Hemingway et al. [18] aus der Whitehall-II-Studie, einer großen Kohortenstudie mit Angestellten des öffentlichen Dienstes aus dem Großraum London. Studienteilnehmer, die dort zum Zeitpunkt der Ersterhebung einen geringen Entscheidungsspielraum angaben, hatten im 4-Jahres-Follow-up ein höheres Risiko langer Arbeitsunfähigkeitsepisoden als Personen mit hohem Entscheidungsspielraum (RR=1,64; 95%-KI=1,25–2,14).

Truchon u. Fillion [47] schließlich identifizierten eine weitere relevante Originalstudie, in der Öhlund et al. [38] für eine schwedische Fallkohorte einen protektiven Effekt abwechslungsreicher und vielseitiger Arbeitsgestaltung feststellten und damit ebenfalls auf die prognostische Bedeutung des verfügbaren Entscheidungsspielraums hinwiesen.

Psychosoziale Arbeitsanforderungen

Dieselben drei Übersichtsarbeiten fassten auch Ergebnisse zur anderen in Karaseks Modell beschriebenen Dimension beruflicher Tätigkeit zusammen [8, 45, 47]. Während Steenstra et al. [45] die Evidenz auch hier nur als unzureichend bewerteten, sahen Crook et al. [8] und Truchon u. Fillion [47] ausreichende Hinweise für einen Zusammenhang von erlebter psychosozialer Anforderung und beruflicher Wiedereingliederung.

Die Arbeit von Steenstra et al. [45] verwies dabei wiederum auf die Studien von Krause et al. [28] und von Schultz et al. [43]. Während Krause et al. [28] einen entsprechenden Zusammenhang bestätigten (HRR=0,74; 95%-KI=0,60–0,92), konnte die Studie von Schultz et al. [43] keinen Hinweis für einen solchen Zusammenhang finden. Die Übersichtsarbeiten von Crook et al. [8] und Truchon u. Fillion [47] bezogen sich beide auf die von van der Weide et al. [50] durchgeführte Studie, in der die Autoren mit der Frage nach Arbeitstempo und Arbeitsmenge zwar nur einen spezifischen Indikator des von Karasek vorgeschlagenen Konstrukts untersuchten, für diesen Faktor jedoch in den durchgeführten multivariaten Analysen einen zumindest schwachen adversen Effekt auf die Rückkehr ins Erwerbsleben bestätigen konnten (HRR=0,82; 95%-KI=0,73–1,00).

Arbeitsbezogene Einstellungen

Subjektive Erwerbsprognose

Die prognostische Bedeutung der subjektiven Erwartung hinsichtlich der beruflichen Wiedereingliederung wurde in den Übersichtsarbeiten von Truchon u. Fillion [47], Turner et al. [48] und Shaw et al. [44] thematisiert. Die Autoren verwiesen dazu auf die drei Originalstudien von Linton u. Hallden [34], Hogg-Johnson u. Cole [22] und Hazard et al. [16] und sahen durch diese Arbeiten ausreichende Evidenz für die prognostische Bedeutung der geäußerten subjektiven Erwerbsprognose gegeben.

Linton u. Hallden [34] untersuchten in einer schwedischen prospektiven Kohortenstudie prognostische Faktoren für die Rückkehr an den Arbeitsplatz bei in der Akutversorgung rekrutierten Patienten mit akuten und subakuten Rückenschmerzen. Die Autoren bestätigten, dass eine günstigere Wiedereingliederungserwartung mit einer geringeren kumulierten Anzahl krankheitsbedingter Fehlzeiten im darauf folgenden 6-Monats-Zeitraum einherging. Hazard et al. [16] konnten für eine amerikanische Kohorte die subjektive Erwerbsprognose ebenfalls als relevante Vorhersagegröße für den Wiedereingliederungserfolg identifizieren. Einen überzeugenden Nachweis für einen entsprechenden Zusammenhang haben zudem auch Hogg-Johnson u. Cole [22] vorgelegt, die in einer methodisch hochwertigen Studie den Erwerbsverlauf einer kanadischen Kohorte von 907 erkrankten Arbeitern über den Zeitraum von einem Jahr verfolgten. Personen mit einer ungünstigen subjektiven Prognose hatten in dieser Kohorte gegenüber Personen mit günstiger Prognose eine um 35% verringerte Chance auf berufliche Wiedereingliederung (HRR=0,65; 95%-KI=0,52–0,81).

Arbeitszufriedenheit

Die Arbeiten von Steenstra et al. [45], Fayad et al. [12], Crook et al. [8], Shaw et al. [44], McIntosh et al. [36] und Truchon u. Fillon [47] berücksichtigten Fallkohortenstudien, die die prognostische Bedeutung von Arbeitszufriedenheit für den Erfolg beruflicher Wiedereingliederung untersuchten. Die überwiegende Anzahl der in diesen Übersichtsarbeiten zitierten Originalarbeiten lieferte jedoch keinen Hinweis auf eine prognostische Bedeutsamkeit der erlebten Arbeitszufriedenheit für den späteren Wiedereingliederungserfolg.

Insgesamt wurde ein solcher Zusammenhang nur durch zwei Originalarbeiten unterstützt. Cats-Baril u. Frymoyer [6] konnten Arbeitszufriedenheit mittels Diskriminanzanalyse als einen relevanten Prädiktor für die berufliche Wiedereingliederung bestätigen. Coste et al. [7] schätzten für eine in der Akutversorgung rekrutierte französische Kohorte ein multivariates proportionales Hazardmodell für die Rückkehr ins Erwerbsleben und berichteten für Personen mit geringer Arbeitszufriedenheit eine verringerte Chance einer erfolgreichen beruflichen Wiedereingliederung innerhalb eines 3‑Monats-Zeitraums (HRR=0,57; 95%-KI=0,24–1,13). Allerdings war dieser Effekt in den multivariaten Analysen nicht mehr signifikant.

Diskussion

Die hier vorgestellten Übersichtsarbeiten zeigen, dass Rückenschmerzpatienten mit geringer sozialer Unterstützung, geringem Entscheidungsspielraum, hohen psychosozialen Arbeitsanforderungen und einer ungünstigen subjektiven Erwerbsprognose eine schlechtere Prognose für die Rückkehr ins Erwerbsleben haben. Die prognostische Bedeutung der erlebten Arbeitszufriedenheit konnte hingegen nicht bestätigt werden. Die Ergebnisse decken sich mit einer aktuellen Übersichtsarbeit von Iles et al. [23], die ebenfalls hohe Evidenz für die prognostische Bedeutung der subjektiven Prognose fanden, einen Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und der beruflichen Wiedereingliederung aber ebenfalls nicht bestätigen konnten.

Stresstheoretische Interpretation

Stresstheoretisch lässt sich die prognostische Bedeutung der hier untersuchten Faktoren für den Erwerbsverlauf bei Rückenschmerzpatienten durch die Wechselwirkung zweier relevanter Stressoren erklären: der Erkrankung einerseits und der Arbeitssituation andererseits. Die aufgezeigte Evidenz für die prognostische Bedeutung der diskutierten Faktoren verweist dabei auf die mögliche Moderatorwirkung dieser Faktoren bei der Bewältigung chronischer Erkrankungen. So kann die durch Kollegen erlebte soziale Unterstützung die Auswirkungen der erlebten Einschränkungen abschwächen, wenn zeitweise Aufgaben von anderen übernommen werden. Gleiches gilt für berufliche Tätigkeiten, die durch einen hohen Entscheidungsspielraum gekennzeichnet sind und die betroffene Person in die Lage versetzen, den Arbeitsablauf selbst anzupassen. Wechselwirkungen sind aber auch umgekehrt denkbar. So werden Konflikte mit einzelnen Kollegen durch lange Abwesenheit aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen i. Allg. nicht ausgeräumt, sondern eher verschärft, da die Abwesenheit häufig mit Mehrarbeit für alle anderen verbunden ist.

Ob solche Situationen allerdings tatsächlich zu negativen Stressreaktionen führen, wird nach Lazarus u. Folkman [31] ganz wesentlich durch kognitive Bewertungen der Situation bestimmt. Lazarus u. Folkman [31] sehen diesen Bewertungsprozess durch zwei Dimensionen bestimmt (Abb. 1). Die erste beschreibt, inwiefern ein Ereignis als bedrohlich wahrgenommen wird („primary appraisal“). Die zweite betrifft die Bewertung der persönlichen Ressourcen, die Belastungssituation bewältigen zu können („secondary appraisal“), und beschreibt damit die Selbstwirksamkeitserwartungen, die u. a. in der subjektiven Prognose der Patienten hinsichtlich des Wiedereingliederungserfolgs Ausdruck finden. Diese Erwartungen sind deshalb so relevant, weil sie in allen Phasen der Rehabilitation von Bedeutung sind [35]. Primäre und sekundäre Bewertungen können parallel verlaufen und sich wechselseitig beeinflussen. Unternimmt die betroffene Person einen Bewältigungsversuch, bittet beispielsweise Kollegen um Unterstützung, wird das Ergebnis registriert und führt schließlich zu einer Neubewertung der Situation. Ist dieser Versuch erfolgreich, ist der Stress beseitigt. Kann die Person die Situation allerdings nicht meistern, hält die Stressreaktion an und kann selbst wieder zu einem Stressor werden.

Abb. 1
figure 1

Stresstheoretisches Modell zur prognostischen Bedeutung psychosozialer Belastungen in Anlehnung an Lazarus u. Folkman [31]

Erklärtes Ziel der Rehabilitation ist es, die Patienten auf die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit vorzubereiten. Eine wesentliche Aufgabe im Rehabilitationsprozess muss deshalb darin bestehen, gesundheitsförderliche Strategien für den Umgang mit vorhandenen beruflichen Belastungssituationen zu unterstützen und zu entwickeln. Passive Strategien, die bestehende berufliche Belastungen durch verminderten Arbeitseinsatz zu reduzieren versuchen, sind dabei in der Regel nicht erfolgreich, sondern führen eher zu einer Verschärfung der Schwierigkeiten. Der Betroffene sollte stattdessen dazu ermutigt werden, Mitverantwortung für die Gestaltung seiner Beanspruchungssituation zu übernehmen.

Hinsichtlich der beruflichen Orientierung werden damit Rehabilitationsziele bedeutsam, die zumindest in der orthopädischen Rehabilitation bislang weniger berücksichtigt wurden. Solche Ziele betreffen Möglichkeiten der Selbstregulierung und Selbstmotivation bei der Organisation und Durchführung von Arbeitsabläufen, die Bearbeitung von Selbstwertproblemen, die angemessene Wahrnehmung eigener Stärken und Erfolge, den Abbau überhöhter Ansprüche aufgrund ausgeprägten Perfektionsstrebens und geringer Distanzierungsfähigkeit, ein gesundes Gleichgewicht von An- und Entspannung, Sicherheit im Umgang mit anderen Menschen, die Verbesserung sozialer Kompetenzen und die Auseinandersetzung mit Fragen eines möglichen Krankheitsgewinns (z. B. Vermeidung einer Mobbingsituation oder Zuwendung und Aufmerksamkeit [17, 21, 51]).

Die Vermittlung von praktischen Fertigkeiten im Umgang mit beruflichen Belastungssituationen sollte die betroffenen Personen dazu befähigen, auf diese Situationen handlungs- statt lageorientiert zu reagieren. Während Lageorientierung in diesem Zusammenhang auf eine Haltung verweist, die betroffene Personen wiederholt ihre missliche Lage beklagen lässt, ohne aktiv an einer Änderung der Situation zu arbeiten, ist mit dem Konzept der Handlungsorientierung eine Einstellung beschrieben, die Menschen dazu befähigt, Handlungspläne zu entwerfen und damit aktiv auf ihre Lebenssituation Einfluss zu nehmen.

Grenzen und Forschungsbedarf

Da die berücksichtigten Übersichtsarbeiten sich überwiegend auf englischsprachige Publikationen bezogen und die Studienpopulationen der zugrunde liegenden Kohortenstudien v. a. in englischsprachigen und skandinavischen Ländern sowie den Niederlanden und Frankreich rekrutiert wurden, bleibt unklar, inwiefern diese Ergebnisse auf deutsche Arbeitnehmer mit Rückenschmerzen übertragen werden können. Eine kritische Sichtung der Fallkohortenstudien, auf die sich die Übersichtsarbeiten bezogen, zeigt zudem, dass die in den Primärstudien untersuchten Faktoren meist unstandardisiert und/oder durch Einzelitems erfasst wurden. In der Mehrzahl der identifizierten Fallkohortenstudien wurde die Arbeitssituation beispielsweise lediglich durch eine einzelne Frage zur Arbeitszufriedenheit erfasst. Die Reliabilität solcher Messungen ist begrenzt, zudem ist die inhaltliche Validität der verwendeten Einzelitems gering, da unklar bleibt, worauf sich die derart erhobene Arbeitszufriedenheit tatsächlich bezieht.

In Fallkohortenstudien kaum berücksichtigt wurden bislang konkrete arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (z. B. Typ-A-Verhalten), aus denen sich Hinweise für die Ausgestaltung von Therapieangeboten ableiten ließen. Eigene Analysen in einer Stichprobe orthopädischer Rehabilitanden haben beispielsweise einen ungünstigen Effekt von arbeitsbezogenem Perfektionismus auf die berufliche Wiedereingliederung bestätigt [4]. Zukünftige Fallkohortenstudien sollten daher stärker als bisher die Relevanz modifizierbarer Risikofaktoren fokussieren.

Fazit für die Praxis

Für die Umsetzung der oben dargestellten Rehabilitationsziele kann auf verschiedene, gut evaluierte verhaltenstherapeutische Verfahren wie Meichenbaums Stressimpfungstraining [37], Problemlöse- oder Stressbewältigungstrainings [25] oder das Gruppentraining sozialer Kompetenzen von Hinsch u. Pfingsten [20] zurückgegriffen werden. Gezielte berufsbezogene verhaltenstherapeutische Trainings für die Rehabilitation wurden zudem von Hoffmann u. Hofmann [21], Hillert et al. [19] und Heitzmann et al. [17] vorgelegt. Erste Ergebnisse zur Implementierung eines solchen Programms in der orthopädischen Rehabilitation zeigen, dass Patienten von solchen beruflich orientierten kognitiv-behavioralen Schulungen einen hohen Nutzen erwarten [1] und entsprechende Angebote die Ergebnisse hinsichtlich der beruflichen Wiedereingliederung tatsächlich verbessern können [2].