Validierte Analysen der muskuloskelettalen Interaktionen tragen derzeit zur Erweiterung des Grundlagenwissens über die Funktion des Kniegelenks bei. Zukünftig kann dieses Wissen durch Integration in die klinische Routine zur besseren Planung gelenkerhaltender Eingriffe und zur Optimierung der endoprothetischen Versorgung beitragen.

Während der Bewegung des Kniegelenks spielen die Knochen, Muskeln und Bänder des Kniegelenks in komplexer Weise zusammen. Chirurgische Eingriffe am Knie können daher große Auswirkungen auf die Kräfte in den muskuloskelettalen Strukturen und die Funktion des Knies haben. Wissen um die Biomechanik des Kniegelenks ist daher wesentliche Grundlage bei Operationen zur Behandlung von Verletzungen und Erkrankungen des Gelenks, die auf die Wiederherstellung der physiologischen Verhältnisse zielen. So wird beispielsweise durch Korrekturosteotomien versucht, die Kräfte am Knie gezielt so zu verändern, dass die Funktion des natürlichen Gelenks möglichst langfristig bewahrt wird [13, 26, 27].

Der Operateur schätzt die Auswirkung eines chirurgischen Eingriffs auf die Biomechanik des Gelenks bisher primär aufgrund seiner persönlichen Erfahrung ein. Weder detaillierte, patientenspezifische Informationen über die präoperativ in vivo wirkenden Kräfte, noch Angaben wie diese Kräfte (Kinetik) oder wie die dreidimensionale (3D-)Gelenkbewegung (Kinematik) durch eine bestimmte Korrektur verändert werden, stehen dem Operateur heute zur Verfügung. Bisherige Planungssysteme basieren häufig auf 2D-, rein geometrischen Analysen von Röntgenbildern. Die auf das Gelenk oder die Prothese einwirkenden 3D-Kräfte und die Art und Weise der Übertragung dieser Belastung auf den Knochen spielen jedoch auch für den langfristigen Erfolg des künstlichen Gelenkersatzes (Funktion, Abrieb) eine wesentliche Rolle [6, 15].

Mathematische Berechnungsmodelle zur Bestimmung der Gelenkkräfte

Computerbasierte Berechnungsverfahren sind etablierte Methoden für die Analyse der muskuloskelettalen Interaktionen [2, 9]. Eingabegrößen für die Berechnungsverfahren sind einerseits Daten zur Kinematik des Beins, d. h. die räumliche Position von Fuß, Unterschenkel, Oberschenkel und Becken während der Bewegung. Aber auch die am Fuß angreifenden Kräfte und Momente, d. h. Daten zur Kinetik, müssen bekannt sein. Sowohl die kinematischen als auch die kinetischen Daten können in einer klinischen Ganganalyse gemessen werden [3]. Mit mechanischen Berechnungsmodellen lassen sich daraus die am Kniegelenk wirkenden Momente bestimmen [12]. Um das mechanische Gleichgewicht zu diesen so genannten äußeren Momenten herzustellen, müssen die inneren Strukturen, d. h. Muskeln und Bänder, entsprechend gleichgroße, aber gegenläufig wirkende Momente erbringen.

Das Moment, das ein Muskel oder ein Band erzeugen kann hängt v. a. von dem Hebelarm am Gelenk ab. Diese Hebelarme können mit Hilfe anatomischer Modelle, welche die Lage der Ansatzpunkte von Muskeln und Bändern während der Bewegung beschreiben, ermittelt werden. Da aber mehr Strukturen (Muskeln, Bänder) Kräfte ausüben können, als Gleichungen zur Beschreibung der Gelenkmechanik vorhanden sind, können die Kräfte im Kniegelenk nicht unmittelbar berechnet werden. Man verwendet daher mathematischen Optimierungsmethoden um unter der Annahme, dass der Verbrauch der metabolischen Energie bei Alltagsaktivitäten wie dem Laufen minimiert ist, die einzelnen Muskelkräfte zu berechnen [2, 9, 14]. Aus der Summe aller am Kniegelenk wirkenden Muskelkräfte ergibt sich die insgesamt am Gelenk übertragene Gelenkkontaktkraft [9, 14].

Die Spannbreite der mittels mathematischer Modelle berechneten tibiofemoralen Gelenkkontaktkräfte ist allerdings sehr groß. So werden bei physiologischen Achsverhältnissen für das normale Laufen Kräfte für das tibiofemorale Gelenk zwischen dem 1,7fachen und dem 7,1fachen Körpergewicht (body weight, BW) berichtet [24, 35]. Auch die Größe der mediolateralen bzw. a.-p.-Scherkraftkomponenten variiert mit Werten vom ca. 0,7fachen bis zum 3,9fachen BW erheblich [23, 28].

Validierung muskuloskelettaler Belastungsanalysen

Ein Validieren der mathematischen Analysen anhand von In-vivo-Messungen ist daher zwingend erforderlich, um die Ergebnisse auf Plausibilität zu prüfen [8]. Eine Messung der Muskelaktivität mittels EMG kann zwar zur Überprüfung der rechnerisch ermittelten Muskelaktivierungsmuster herangezogen werden, bisher konnte jedoch kein eindeutiger Zusammenhang zwischen EMG-Muskelaktivierung und Muskelkraft nachgewiesen werden [16]. Umfangreiche In-vivo-Messungen der mechanischen Belastungen an Hüfte, Wirbelsäule und Schulter bei ausgewählten Patientenkollektiven konnten durch die Arbeitsgruppe von Prof. G. Bergmann mit Hilfe von Messimplantaten durchgeführt werden und spielen eine zentrale Rolle für die Validierung numerisch bestimmter Gelenkkontaktkräfte [5, 35].

In einem direkten Vergleich zwischen berechneten und in vivo gemessenen Hüftkontaktkräften konnten Heller et al. [17] ein von ihnen entwickeltes muskuloskelettales Modell und das entsprechende Verfahren zur individuellen Berechnung der inneren Kräfte umfassend validieren. Der Vergleich der größten berechneten Gelenkkontaktkräfte während eines Doppelschrittes mit den in vivo gemessen Werten ergab dabei eine Abweichung von durchschnittlich lediglich 12% (Laufen) bzw. 14% (Treppensteigen). Das Modell war in der Lage, sowohl Kraftamplituden als auch den individuellen Charakter des zeitlichen Verlaufs der Gelenkbelastung für beide Aktivitäten vorherzusagen. Der zeitliche Aufwand für die Berechnungen liegt in der Größenordnung von wenigen Sekunden, sodass dieser Ansatz [17, 35] geeignet erscheint, die in vivo wirkenden muskuloskelettalen Belastungen im Rahmen der präoperativen Planung auch patientenindividuell zu berechnen.

Tibiofemorale und patellofemorale Gelenkkontaktkräfte

Das oben beschriebene, validierte muskuloskelettale Modell des menschlichen Beins [17, 35] wurde im Folgenden verwendet, um die am tibiofemoralen und patellofemoralen Gelenk übertragenen Kontaktkräfte genauer zu untersuchen [35]. Patientenspezifische muskuloskelettale Modelle des gesamten Beins wurden für alle Probanden der Validierungsstudie erstellt und die einzelnen Muskelkräfte sowie die tibiofemoralen und die patellofemoralen Gelenkkontaktkräfte beim Laufen und Treppensteigen berechnet.

Für das tibiofemorale Gelenk betrug die über alle Patienten gemittelte Maximalkraft in axialer Richtung beim Laufen das 3,3fache des Körpergewichts. Wenn die Belastungskurven aller Wiederholungen der Aktivität gemittelt wurden um ein typisches Belastungsprofil zu erhalten, ergab sich für das Laufen eine Spitzenbelastung in Höhe des 2,8fachen BW (Abb. 1). Die Maximalbelastung beim Treppensteigen war deutlich höher als beim Laufen. Die über alle Patienten gemittelte Maximalkraft betrug hier das 5,9fache BW, mit individuellen Maxima bis zum 6,8fachen BW (Abb. 1). Die Spitzenbelastung trat bei deutlich gebeugtem Knie (Beugewinkel stets >15°) auf. Der Mittelwert der maximalen Scherkraft in a.-p.-Richtung betrug das 0,6fache BW beim Laufen bzw. das 1,3fache BW beim Treppesteigen. Die maximale Belastung des patellofemoralen Gelenks trat beim Treppensteigen bei ca. 55° Flexion auf. Der Mittelwert aller Wiederholungen betrug das 3,0fache BW (Abb. 2). Beim Laufen trat zu Beginn der Standphase, also bei fast gestrecktem Knie, ein Maximum der Belastung (Mittelwert: ca. 0,7faches BW) auf, einhergehend mit entsprechender Aktivierung der Vasti.

Abb. 1
figure 1

Tibiofemorale Gelenkkontaktkräfte während eines Bewegungszyklus beim Laufen (oben) und Treppensteigen (unten), angegeben in Mehrfachen des Körpergewichts (BW). Die Graphen zeigen den Verlauf der axialen Komponente [durchgezogene Linien Mittelwert aus je 6 Wiederholungen von 4 Probanden (schwarz) ±Standardabweichung (grau)], sowie den Verlauf der a.-p. (AP) bzw. mediolateral (ML) ausgerichteten Scherkräfte (unterbrochene Linien)

Abb. 2
figure 2

Maximalwerte der patellofemoralen Gelenkkontaktkräfte beim Laufen und Treppensteigen, angegeben in Mehrfachen des Körpergewichts (BW). Die Balken zeigen die Mittelwerte aus je 6 Wiederholungen von 4 Probanden±Standardabweichung

Während die Bedeutung der Muskeln für die mechanische Belastung des Kniegelenks bekannt ist, können diese Kräfte nun auch mittels validierter muskuloskelettaler Analysen quantifiziert werden. Die Berechnungen ergaben, dass nicht nur das tibiofemorale, sondern auch das patellofemorale Gelenk während dynamischer Alltagsaktivitäten erheblichen mechanischen Belastungen unterliegt. Um möglichst ausgeglichene, physiologische Belastungsverhältnisse zu erhalten, sollten chirurgische Interventionen am Knie daher möglichst weichteilschonend durchgeführt werden. In der direkt postoperativen Phase könnten sich die hohen Scherbelastungen, die für das Treppensteigen (Beugewinkel >15°) berechnet wurden, nachteilig für die Regeneration der Weichteile und die Fixierung des Implantats auswirken. Die Analysen legen daher nahe, dass Bewegungen, die eine signifikante Muskelanspannung mit Kniebeugewinkeln >15° erfordern, in der postoperative Rehabilitation eher gemieden werden sollten.

Tibiofemorale Gelenkkontaktkräfte bei Achsfehlstellung

Die Wiederherstellung physiologischer Belastungsverhältnisse am Knie spielt im Rahmen der endoprothetischen Versorgung, aber auch bei Umstellungsosteotomien eine wichtige Rolle [13, 26, 27]. Während bisherige Studien den Einfluss einer Achsfehlstellung auf die statische Verteilung der Kräfte auf das mediale und laterale Kompartment am Knie untersuchten, wurden die Auswirkungen auf die Änderungen der in vivo wirkenden muskuloskelettalen Belastungen während dynamischer Aktivitäten bisher nicht analysiert.

In einem weiteren Schritt wurde daher der Einfluss einer Varus- bzw. Valgusfehlstellung am Knie auf die tibiofemoralen Gelenkkontaktkräfte während des gesamten Bewegungszyklus des Laufens und Treppensteigens untersucht [20]. Für die in der Validierungsstudie analysierten Patienten erfolgte dazu eine Simulation einer Varusfehlstellung von ≤10° bzw. einer Valgusfehlstellung von ≤8°. Die knöcherne Fehlstellung wurde durch eine Deformation der Knochenmodelle simuliert, und die Gangdaten wurden an die veränderte Lage des Kniegelenkzentrums angepasst [19]. Für jede Veränderung der Beinachse wurden die tibiofemoralen Gelenkkontaktkräfte neu berechnet und mit den berechneten Werten bei physiologischer Beinachse verglichen.

Eine Abweichung von der physiologischen Achsstellung führte zu einer Erhöhung der Gelenkbelastung (Abb. 3) und zwar sowohl für Varus- als auch für Valgusfehlstellungen. Vor allem bei Abweichungen von mehr als ca. 3–4° kam es zu einem erheblichen Kraftanstieg, wobei das individuelle Ausmaß des Anstiegs zwischen den Patienten deutlich variierte. Für eine Varusabweichung von 10° wurde ein Anstieg der maximalen tibiofemoralen Kontaktkräften während des Laufens von einem Mittelwert des 3,3fachen BW auf Werte bis zum 7,4fachen BW (entsprechend 45–114% der Kräfte bei regelrechter Achsstellung) berechnet. Für das Treppensteigen wurde ein Anstieg der maximalen Gelenkbelastung zwischen 15% und 35% der Kräfte bei regelrechter Achsstellung ermittelt. Für eine Achsfehlstellung von 8° Valgus wurde dagegen ein Anstieg der maximalen Gelenkkontaktkräfte von bis zu 140% (Laufen) bzw. 53% (Treppensteigen) der Kräfte bei regelrechter Achsstellung errechnet.

Abb. 3
figure 3

Die Analysen der Veränderung der tibiofemoralen Gelenkkontaktkräfte infolge einer Achsabweichung am Knie zeigten, dass sowohl eine deutliche Abweichung in Varus als auch in Valgus zu einem erheblichen Anstieg der Kräfte während der gesamten Standphase des Laufens führt

Die Ergebnisse zeigen eine klare Abhängigkeit der individuellen muskuloskelettalen Gesamtbelastung von der Achsstellung am Knie. Der starke Anstieg der tibiofemoralen Kräfte bei mehr als ca. 3–4° Abweichung von der physiologischen Achse kann die klinisch beobachtete verringerte Standzeit entsprechend fehlimplantierter Endoprothesen mit erklären [1, 4, 22, 30, 31]. Während man bisher bereits davon ausgeht, dass die mit einer Achsfehlstellungen verbundenen mechanischen Bedingungen eine wichtige Rolle für die Entstehung und Progression der Arthrose spielen [32], bieten validierte muskuloskelettale Modelle die Möglichkeit die Gelenkbelastungen patientenindividuell zu quantifizieren, Abweichungen von den physiologischen Bedingungen zu erkennen und Fehlstellungen in mechanisch optimaler Weise zu korrigieren.

Mathematische Modelle der Gelenkbewegung

Um die genaue Verteilung der auf dem medialen und lateralen tibiofemoralen Kompartment lastenden Kräfte zu ermitteln, ist eine hinreichend genaue Beschreibung der Bewegung des Kniegelenks erforderlich. Während eine klinische Ganganalyse sehr gut für die Messung der Gesamtbewegung des Beins geeignet ist, kann die komplexe 3D-Bewegung des Kniegelenks während dynamischer Bewegungen mit hautmarkerbasierten Messungen nur ungenau ermittelt werden [10, 34].

In der Literatur wurde daher eine Reihe von mathematischen Ansätzen zur Beschreibung der Kinematik des Kniegelenks vorgestellt [7, 11, 29, 36]. Wesentliche Limitationen dieser Anätze waren die Beschränkung auf eine rein 2D-Analyse [29], die alleinige Beschreibung der passiven Bewegung ohne Berücksichtigung der Muskelaktivität [7], oder die fehlende Validierung der Berechnungsmodelle mittels In-vivo-Daten größerer Probandenkollektive [11]. Während die Berechnung der Bewegung mit komplexen Finite-elemente-Modellen auch auf leistungsfähigen Computern mehrere Stunden benötigt und derzeit nicht für den Einsatz in der klinischen Praxis in Frage kommt, kann die Kniekinematik mit dem Konzept der 4-Gelenk-Kette in wenigen Sekunden berechnet werden [21, 36]. In bisher beschriebenen Modellen der 4-Gelenk-Kette werden jedoch weder Bewegungskomponenten in interner/externer Rotation noch in Abduktion/Adduktion berücksichtigt. Die 3D-in-vivo-Kniekinematik wird daher bisher nur unzureichend beschrieben [33]. In einer Studie basierend auf In-vivo-Daten untersuchten Heller et al. [18] daher, ob ein weiterentwickeltes, 3D-Modell der tibiofemoralen Kinematik in der Lage ist, die bekannte In-vivo-Kinematik eines größeren Probandenkollektives zu beschreiben. In der Studie an 12 Probanden zeigte sich eine insgesamt gute Übereinstimmung zwischen der von dem neuen Modell vorhergesagten und der in vivo gemessenen Gelenkstellung. Bei großen Beugewinkeln führte die Berücksichtigung der internen/externen Rotation im Berechnungsmodell zu einer signifikant verringerten Abweichung zwischen In-vivo-Kinematik und berechneter Kinematik (Tab. 1, Tab. 2).

Tab. 1 Abweichung zwischen berechneter und in vivo vermessener Lage der Referenzpunkte an den Epikondylen für die passive Kniebeugung der 12 Probanden (Mittelwert±Standardabweichung). Die Berücksichtigung der internen/externen Rotation führte zu einer signifikanten Verringerung der Abweichung bei 90° Beugung (Student-t-Test, p<0,004, in mm)
Tab. 2 Abweichung zwischen berechneter und in vivo vermessener Lage der Referenzpunkte an den Epikondylen für die aktive Kniebeugung der 12 Probanden (Mittelwert±Standardabweichung). Die Berücksichtigung der internen/externen Rotation führte auch hier zu einer signifikanten Verringerung der Abweichung bei 90° Beugung (Student-t-Test, p<0,05, in mm)

Im Vergleich zur Genauigkeit der Gelenkbewegung im Bereich von Zentimetern, die man bei konventionellen, hautmarkerbasierten Messungen der Bewegung erreichen kann [34], stellen die mit dem neuen Modell erzielten Ergebnisse somit eine deutliche Verbesserung dar. Um eine gute Übereinstimmung zwischen Modellrechnung und In-vivo-Messung zu erzielen, waren zwei wesentliche Voraussetzungen zu erfüllen: zunächst musste die interne/externe Rotation und damit eine wichtige Komponente der 3D-Kinematik im Modell berücksichtigt werden. Der 2. wesentliche Faktor war die Dehnung der Kreuzbänder innerhalb des physiologischen Spektrums. Unter diesen Bedingungen war das kinematische Modell in der Lage, auch die Gelenkstellungen bei aktivierter Extensorenmuskulatur gut zu beschreiben. Während in bisherigen Arbeiten meist nur die passive Bewegung des Kniegelenks untersucht wurde, konnte hier der Einfluss der Muskelaktivität auf die Kinematik des tibiofemoralen Gelenks quantifiziert werden. Solche genauen Modelle der Gelenkbewegung sind wichtige Voraussetzung, um die Kräfte im Inneren des Kniegelenks und die mechanische Beanspruchung des medialen und lateralen Tibiaplateaus während dynamischer Aktivitäten bei Patienten vor bzw. nach Umstellungsosteotomie zu berechnen.

Zusammenfassung und Perspektive

Während die Bedeutung der Muskulatur für die Belastungen und die In-vivo-Kinematik des Kniegelenks bekannt ist, konnte der Einfluss der Muskeln auf die mechanischen Belastungen (Kinetik) und die Bewegung (Kinematik) des Gelenks mit den hier vorgestellten Verfahren auch quantifiziert werden. Im Vergleich zu In-vivo-Daten zeigte sich, dass die individuellen muskuloskelettalen Belastungen, aber auch die tibiofemorale Kinematik des Gesunden mit Computermodellen der Knochen und Muskeln genau berechnet werden können. Aus der Analyse und dem Vergleich der muskuloskelettalen Interaktionen bei pathologischen Veränderungen des Kniegelenks durch entsprechende validierte Modelle könnten wichtige Informationen für eine biomechanisch optimierte Therapie ermittelt werden.

Neue mathematische Methoden für die Verarbeitung medizinischer Bilddaten lassen erwarten, dass man in Zukunft bereits auf Grundlage typischen klinischen Bildmaterials genaue, patientenspezifische Modelle zur individuellen Analyse der muskuloskelettalen Interaktionen effizient erstellen kann [25]. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um in Zukunft genauere Analysen der Funktion des Gelenks in der Routine durchführen zu können, um so den biomechanischen Gelenkstatus im Rahmen der Diagnose und Überwachung des Therapieerfolgs genau zu erfassen (Abb. 4). Anatomische 3D-Daten und die passive Gelenkbewegung können mit Navigationssystemen heute auch intraoperativ errechnet werden. Man kann daher erwarten, dass durch eine Kombination von Navigation mit muskuloskelettalen Analysen, die eine Prognose der mechanischen Bedingungen bei dynamischen Aktivitäten unter Belastung erlauben, es nicht nur möglich ist, präzise zu navigieren (im Sinne der Positionierung), sondern auch das biomechanische Ergebnis der gewählten Technik dargestellt werden kann. Wir gehen davon aus, dass in Zukunft der routinemäßige Einsatz validierter muskuloskelettaler Analysen eine Ergänzung heutiger präoperativer oder intraoperativer Operationsplanungen darstellen wird.

Abb. 4
figure 4

In Verbindung mit A-priori-Wissen um die anatomische Variabilität muskuloskelettaler Strukturen, verfügbar z. B. in statistischen Formmodellen, ist die effektive Erzeugung patientenindividueller muskuloskelettaler 3D-Modelle möglich. Durch den Vergleich der aus dem Röntgenbild ermittelten Knochenkonturen mit Projektionen aus 3D-Modellen kann die Anatomie der unteren Extremitäten eines Patienten mir Varusfehlstellung am Knie rekonstruiert werden. Diese Rekonstruktion der Anatomie am Rechner bildet die Grundlage für eine detaillierte Analyse der individuellen muskuloskelettalen Belastungen vor einer HTO

Fazit für die Praxis

Das bisher in der Praxis verwendete Verfahren der präoperativen Planung an Röntgenbildern wird in den kommenden Jahren durch die Berücksichtigung der biomechanischen Belastungen in entsprechenden Planungstools eine Vervollkommnung erfahren. Faktoren wie die postoperativ resultierende patellofemorale Kontaktkraft oder die für die Abriebmenge relevanten femorotibialen Kontaktkräfte können dann mit berücksichtigt werden.