Rückenschmerzen werden in den westlichen Industrieländern extrem häufig beklagt, münden oft in eine chronische Erkrankung und sind für einen hohen Anteil der Kosten im Gesundheitswesen verantwortlich. So berichtet etwa ein Drittel der befragten finnischen Erwachsenen über Rückenschmerzen innerhalb des letzten Monats und 12% über eine Ischialgie, unter den Krankschreibungen ist die Diagnose Rückenschmerz die häufigste [7].

Biologie und Pathophysiologie der Bandscheibe

Üblicherweise besteht die menschliche Wirbelsäule aus 23 intervertebralen Bandscheiben, die Bestandteil des Bewegungssegments sind. Die Bandscheiben machen 20–30% der Länge der Wirbelsäule aus und werden vom vorderen und hinteren Längsband sowie den angrenzenden knorpeligen Endplatten der Wirbelkörper begrenzt (Abb. 1). Bestandteile der Bandscheibe sind der äußere Anulus fibrosus und der zentrale Nucleus pulposus.

Abb. 1
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Axialer und seitlicher Schnitt durch die lumbale Bandscheibe

Der Aufbau der Bandscheibe ändert sich während des Wachstums erheblich, einige Veränderungen sind bereits Vorstufen der Bandscheibendegeneration im Alter. Bei der Bandscheibe des Erwachsenen beträgt die Zelldichte des Nucleus pulposus ungefähr 4×106 Zellen/cm3 und beim Anulus fibrosus zirka 9×106 Zellen/cm3. Diese Zelldichte ist im Vergleich zu anderen Geweben sehr niedrig und erklärt, warum die Integrität der Bandscheibe bzw. der extrazellulären Matrix im Laufe des Lebens kaum erhalten werden kann [13].

Der Wassergehalt und die Proteoglykankonzentration der erwachsenen Bandscheibe nimmt von außen nach innen zu, während der Kollagengehalt in gleicher Richtung abnimmt. Darüber hinaus ist der Kollagengehalt in der HWS und der Proteoglykangehalt in der LWS am höchsten. Die Proteoglykane vermitteln eine Schwellung des Nucleus durch Wassereinlagerung, die radial durch die Kollagenfibrillen und axillär durch die Endplatten der angrenzenden Wirbelkörper eingeschränkt wird. Mit zunehmendem Alter nimmt jedoch der Wasser- und Proteoglykangehalt von Nucleus und Anulus ab und damit auch die Fähigkeit, axialen Lasten zu widerstehen [13].

Während des Wachstums wird die Bandscheibe im Wesentlichen über die knorpeligen Endplatten der angrenzenden Wirbelkörper und deren Gefäßsystem versorgt. Mit zunehmenden Alter kommt es allerdings zu einer Kalzifizierung der Endplatten und nachfolgender Reduktion dieser Versorgung. Hierdurch werden die Bandscheibenzellen in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, Zellsubstanzen zu synthetisieren und sich zu teilen, die Abnahme der Zelldichte im Alter beschleunigt sich [6].

Der Metabolismus der Bandscheibenzellen wird durch mechanische Einflüsse ihrer Umgebung beeinflusst. Sowohl statische axiale Belastungen als auch das Fehlen axialer Belastungen führen zu einer Reduktion des Proteoglykangehalts der Bandscheibe, während intermittierende axiale Belastungen in einem physiologischen Ausmaß den Zellmetabolismus günstig beeinflussen [13]. Zu geringe, statische oder zu hohe Belastungen auf die Bandscheibe über einen längeren Zeitraum können daher die Basis für Veränderungen der Zellstrukturen und Degeneration der Bandscheibe sein.

Schmerzentwicklung

Die bandscheibenbedingten Schmerzen werden durch verschiedene pathophysiologische Entstehungsmechanismen vermittelt. Der nozizeptive Rückenschmerz wird durch nozizeptive Nervenfasern an der Bandscheibe selbst fortgeleitet. Bei einer gesunden Bandscheibe gibt es nur im äußeren Bereich des Anulus und in den angrenzenden Ligg. longitudinales Nervenfasern [2, 12]. In dezidierten histologischen Untersuchungen konnten Peng et al. zeigen, dass sich entlang von Rissen im Anulus fibrosus einer degenerativ veränderten Bandscheibe vaskularisiertes Granulationsgewebe nachweisen lässt, in dem sich nozizeptive Nervenfasern und inflammatorische Zytokine wie Prostaglandine, Interleukin (IL)-6 und IL-8 befinden. Die nozizeptive Schmerzvermittlung ist also an dieses Granulationsgewebe und seine Inhalte gebunden. Bei älteren Bandscheiben wurden in dieser Arbeit viele Nervenfasern am posterioren Rand des Anulus gefunden, aber die Patienten waren schmerzfrei, da keine Risse mit angrenzenden Granulationsgewebe und nozizeptiven Nervenfasern vorhanden waren [12].

Der neuropathische Rückenschmerz kann durch unterschiedliche Mechanismen hervorgerufen werden. Klassischerweise wird die Nervenwurzel hier mechanisch kompromittiert, z. B. durch einen Bandscheibenvorfall (Abb. 2). Die Nervenwurzel kann andererseits aber auch durch entzündliche Mediatoren aus der degenerierten Bandscheibe chemisch geschädigt werden [2].

Abb. 2
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MRT eines Bandscheibenvorfalls mit radikulärer Symptomatik LWK4/LWK5

Biomechanik

Für die Versorgung und Integrität der Bandscheibe ist ein Lastwechsel innerhalb physiologischer Belastungen und die Vermeidung von statischen Belastungen von großer Bedeutung. Für diese Belastungen ist das Körpergewicht bzw. Übergewicht oberhalb der zu untersuchenden Bandscheibe und die Kontaktfläche zwischen der Bandscheibe und der angrenzenden Endplatte entscheidend. Nur durch intradiskale Druckmessungen können die physiologischen Belastungen bestimmt werden. Die Grundlagen für solche Untersuchungen legte Nachemson in den 1960er und 70er Jahren [1, 10, 11]. Noch heute sind seine erhobenen Daten die Basis für physiotherapeutische Behandlungen und Rehabilitationsprogramme.

Nachemson konnte mit seinen Untersuchungen an Probanden nachweisen, dass der intradiskale Druck gegenüber dem Sitzen (7–10 kg/cm2) im Stehen (10–15 kg/cm2) um etwa 30% reduziert ist. Dieser Druck reduziert sich in Seitenlage und noch weiter in Rückenlage. Nach Anlage eines Korsetts wurde der gemessene Druck im Stehen (6–8 kg/cm2) bei allen Probanden um im Durchschnitt 24% gesenkt [10]. In weiteren Untersuchungen seiner Arbeitsgruppe wurde nachgewiesen, dass der intradiskale Druck mit zunehmender Flexion der Wirbelsäule ansteigt und bei Rotation höher ist als bei Seitneigung [1].

In aktuelleren Untersuchungen wurden kleinere und wesentlich leistungsfähigere Messsysteme verwendet als von Nachemson. Wilke publizierte Daten an einem Probanden über 24 h, mit denen er zeigte, dass sich der intradiskale Druck während des Schlafs kontinuierlich erhöht, vermutlich durch die Rehydratation der Bandscheibe [16]. Viele der von Nachemson gemachten Beobachtungen konnten in dieser Studie bestätigt werden, allerdings nicht die Druckerhöhung im Sitzen gegenüber dem Stehen. Bei sehr nachlässiger Sitzhaltung waren die gemessenen Drücke sogar erheblich geringer. Des Weiteren hatte ein Wechsel zwischen Seitenlage und Rückenlage keinen wesentlichen Einfluss auf den Druck innerhalb der Bandscheibe.

Dem gegenüber konnte eine ebenfalls 1999 publizierte Studie an 8 Probanden und 28 Patienten diesbezüglich die Ergebnisse von Nachemson bestätigen: auch hier waren die Drücke beim aufrechten Sitzen höher als beim Stehen, eine nachlässige Sitzhaltung wurde hier nicht untersucht [15]. Generell lagen die gemessenen Drücke bei degenerativ veränderten Badscheiben niedriger als bei gesunden, bei Lastaufnahme durch die Arme im Sitzen und Stehen erhöhte sich der intradiskale Druck.

Im Wesentlichen konnten die wegweisenden Pionierarbeiten von Nachemson durch neuere Untersuchungen mit modernen Messsystemen bestätigt werden. Der intradiskale Druck ist lageabhängig, im Liegen geringer als im Stehen und Sitzen. Flexion der Wirbelsäule und zusätzliche Lastaufnahme mit den Armen (oder Erhöhung des Körpergewichts) erhöht diesen Druck, am höchsten ist er beim Bücken.

Epidemiologie

Übergewicht führt sicher zu einem erhöhten statischen und dynamischen Druck in der Bandscheibe, die Versorgung der Zellen verschlechtert sich, Verletzungen der Integrität der Bandscheibe, z. B. Risse am Anulus fibrosus mit nachfolgender mechanischer oder chemischer Schädigung der Nervenwurzel oder Bildung nozizeptiver Schmerzfasern an der Bandscheibe selbst können die Folge sein. Es stellt sich daher die Frage, welche Faktoren Rückenschmerzen begünstigen und ob Übergewicht in der Epidemiologie von Rückenschmerzen eine wichtige Rolle spielt.

Die Prävalenz von degenerativ bedingten Bandscheibenveränderungen variiert stark. Anhand von modernen kernspintomographischen Reihenuntersuchungen konnte festgestellt werden, dass bei symptomlosen Probanden 10–81% „bulging discs“, 3–63% Protrusionen, 20–83% Signalminderungen der Bandscheibe, 3–56% Osteochondrose und bei 6–56% anuläre Risse der Bandscheiben vorlagen [3]. Diese Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter und ist in den Segmenten LWK4/LWK5 sowie LWK5/SWK1 am höchsten. Diese Ergebnisse bestätigen ältere Autopsiestudien von Miller, der bei 20-Jährigen zu 16% und bei 70-Jährigen zu 98% Bandscheibendegenerationen fand [9].

Während der Zusammenhang zwischen Alter und betroffenem Segment auf der einen Seite und Bandscheibendegeneration auf der anderen Seite weitgehend geklärt ist, gilt dies für andere Faktoren nicht in gleichem Maße. In einer Metaanalyse von 65 epidemiologischen Studien konnte nur in einigen Studien ein Zusammenhang zwischen Geschlecht und Bandscheibendegeneration festgestellt werden, in anderen nicht [8]. Rauchen führt zu häufigerem Husten, frühzeitiger Osteoporose und Vasokonstriktion. Daher wird Rauchen als ein Risikofaktor für die Bandscheibe angesehen. In mehreren Studien konnte dieser Zusammenhang auch nachgewiesen werden [5, 7].

Schwere Belastungen der Wirbelsäule, insbesondere durch berufliche Exposition werden ebenfalls als Risikofaktor betrachtet. Viele Studien konnten hier einen Zusammenhang feststellen, aber einige auch nicht [3]. Ein Störfaktor bei der Analyse der epidemiologischen Daten der beruflichen Exposition ist der „gesunde Arbeiter“, denn Patienten mit Bandscheibenbeschwerden werden häufiger einen Arbeitsplatzwechsel anstreben und dadurch die Analyse der Daten erschweren. Paradoxerweise werden wiederholte nichttraumatische Belastungen in der Arbeitswelt als schädlich und körperliche Belastungen in der Sportwelt als günstig betrachtet. Trotzdem wurden in mehreren Studien bei Elitesportlern mit extremen Trainingsbelastungen erhöhte Bandscheibengegenerationszeichen gefunden [3].

Bei der Analyse des Risikofaktors Übergewicht ergeben sich ebenfalls Schwierigkeiten. Üblicherweise wird zur Definition des Übergewichts der Body Mass Index BMI (kg/m2) herangezogen. Hier wird zwischen Muskulatur und Fett nicht differenziert. Für die tatsächliche Belastung der Bandscheibe ist weiterhin von Bedeutung, wo das Gewicht lokalisiert ist, oberhalb oder unterhalb der jeweiligen Bandscheibe. Schließlich kann nur anhand von aufwendigen Longitudinalstudien geklärt werden, ob zunächst die Schmerzen vorhanden waren und dann das Übergewicht gebildet wurde oder umgekehrt.

In einigen, aber nicht in allen Studien konnte ein Zusammenhang zwischen Übergewicht nach BMI und Bandscheibendegeneration hergestellt werden. Böstmann wies eine Rate von 27% Übergewichtigen nach BMI bei Krankenhausbehandlungen von Bandscheibenvorfällen nach, in der allgemeinen Bevölkerung lag diese Rate nur bei 16% [4]. Bei einem BMI >27,5 war in einer finnischen Studie das Risiko für eine stationäre Behandlung von Bandscheibenerkrankungen mehr als 2fach erhöht [7]. Am signifikantesten war dieser Zusammenhang aber bei einer erhöhten Taillen-Hüft-Rate mit entsprechend vermehrtem abdominellem Gewicht, das oberhalb der betroffenen Bandscheibe lokalisiert und entsprechend biomechanisch wirksam war [5].

Aufgrund der beschriebenen Störfaktoren sind eindeutige Ergebnisse aus epidemiologischen Studien selten. Daher wurde in jüngster Zeit der Fokus zunehmend auf Zwillingsstudien gelegt, um die beschriebenen und weitere störende Faktoren zu eliminieren. Die meisten genannten Risikofaktoren sind in ihrer Bedeutung bei Zwillingsstudien reduziert, dafür ergibt sich eine familiäre Häufung von Bandscheibenproblemen. Diese Häufung kann genetisch oder sozial bedingt sein. Um diese Frage zu klären, wurden eineiige und zweieiige Zwillinge untersucht. Inkludiert wurden die kernspintomographischen Bilder von 86 Paaren eineiiger und 154 Paaren zweieiiger Zwillinge in einer Studie. Von entscheidender Bedeutung scheint danach der genetische Faktor für degenerative Veränderungen wie Osteochondrose und „bulging disc“ zu sein [14].

Obwohl ein genetischer Faktor nachgewiesen ist, bleibt unklar, ob hierfür ein spezifisches Gen oder eine größere Anzahl von Genen verantwortlich ist. Vitamin-D-Rezeptorgene, Kollagen-IX-Allele sowie Metalloproteinase-3 könnte in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zukommen [3]. Weitere Studien sind hier jedoch noch erforderlich, um die Bedeutung dieser und anderer Gene abschließend zu klären.

Fazit für die Praxis

Die Zelldichte von Anulus fibrosus und Nucleus pulposus der erwachsenen Bandscheibe ist vergleichsweise gering, die Versorgung der Zellen ist mit zunehmendem Alter reduziert, der Wasser- und Proteoglykangehalt nimmt ab. Des Weiteren wird die Belastungsfähigkeit der Bandscheibe durch zu hohe oder statische Belastungen geschmälert. Die Belastungen auf die Bandscheibe sind im Stehen und Liegen geringer als im Sitzen, durch Flexion der Wirbelsäule oder Gewichtsaufnahme kranial der Bandscheibe werden diese Belastungen noch erhöht. Verletzungen der Integrität der Bandscheibe können die Folge sein, z. B. Risse am Anulus fibrosus mit mechanischer oder chemischer Schädigung der Nervenwurzel oder Bildung nozizeptiver Schmerzfasern an der Bandscheibe. Rauchen, erhöhte Arbeitsbelastungen und auch Übergewicht sind Risikofaktoren für die Bandscheibe, der größte Einfluss auf die Prävalenz von Rückenschmerzen scheint aber genetisch vermittelt zu sein. Angesichts der sozialökonomischen Bedeutung von Rückenschmerzen sollten daher die genetischen Einflussfaktoren in zukünftigen Studien näher erforscht werden.