Mountainbiken ist eine der Trendsportarten der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, die ihren Status als trendige Fun-Sportart bewahren konnten. Inzwischen gilt Biken als etablierte Life-style-Sportart; kein Premiumautohersteller versäumt es, eine eigene Bike-Linie im Programm zu führen. Was der Snowboarder unter den Wintersportlern, ist der Mountainbiker unter den Radsportlern: der individuelle Nonkonformist, modisch, relaxt, cool.

Geschichte

Die ersten Bike-Freaks, die am Anfang ohne es zu wissen die Sportart Mountainbiken erfanden, waren 1973 junge Amerikaner um Gary Fisher und Joe Breeze. Mit schweren, kaum modifizierten „Schwinn cruisern“ veranstalteten sie ab 1973 Rennen in Marin County, nördlich von San Francisco. Dabei ging es darum, so schnell wie möglich den etwa 800 m hohen Mount Tamalpais hinunter zu fahren. Weil sie sich an technischen Unzulänglichkeiten störten, begannen sie ihre Bikes zu modifizieren und an den schweren Offroad-Einsatz anzupassen.

1980 gelang der kommerzielle Durchbruch. Mountainbikes waren plötzlich die Stars auf Fahrradmessen. Bis zum Boomanfang der 90er Jahre sollte es noch einige Zeit dauern. Die technische Weiterentwicklung der Bikes hat phantastische Materialien und Designs hervorgebracht. Das Fahrrad mutierte zum Hightechgefährt.

Am eindrücklichsten sind die Verbesserung des Fahrkomforts durch immer bessere Federungssysteme, die Entwicklung der Bremsleistung mit der Einführung von brauchbaren Scheibenbremsen schon in der Bike-Mittelklasse und die Diversifikation von sehr unterschiedlichen Bike-Typen. Wie auf dem Automarkt kann man vom sportlichen, bissigen Leichtgewicht, über den mittelschweren, komfortablen Alleskönner bis zum gutmütigen, zuverlässigen Lastesel alles bekommen. Einsatzzweck und Budget entscheiden über die Wahl des individuell idealen Bikes. Im Prinzip wurde Motorradtechnik — leichter, kleiner und mit dem Fahrer als Motor — in den letzten Jahren mehr und mehr in der Technik des Mountainbikes eingeführt.

Ende der 90er Jahre war eine Sättigung des Marktes auf hohem Niveau zu beobachten. Im Jahre 2000 besaßen 13,4 Mio. Amerikaner ein Mountainbike, wovon mehr als die Hälfte regelmäßig offroad unterwegs waren [18]. Neben der allgemeinen Stagnation im Markt wurden 2003 und 2004 Zuwachsraten in der Schweiz v. a. im mittleren und oberen Marktsegment beobachtet (Stettler A ,2005, persönliche Mitteilung, Inhaber XX.S Sports).

Disziplinen

Wettkampfmäßig wird der Bike-Sport in verschiedenen, von der „Union Cycliste Internationale“ (UCI) klar definierten Disziplinen betrieben. Die populärsten sind:

Cross Country (XC)

Diese Form ist seit 1996 und den Spielen in Atlanta olympisch. Die Rennen mit Massenstart dauern 2 bis 2 einviertel Stunden, führen auf einem mehrere Male zu befahrenden Rundkurs über ein ausgeprägt wellenförmiges Profil durchs Gelände auf Feld- und Waldwegen, stellenweise auch über Wiesen. Bedingung ist, dass alle Passagen unter allen Witterungsbedingungen fahrbar sind, die totale Höhendifferenz beträgt etwa 1500 m (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Typische Abfahrtshaltung des Cross-Country Weltmeister, Th. Frischknecht, Schutzbekleidung: Helm, Brille, Handschuhe

Langstreckenrennen (Marathon)

Im Unterschied zum XC wird hier von A nach B oder auf einer einmalig abzufahrenden, großen Schleife gefahren. Die Renndauer beträgt mindestens 4 h, die Distanz mindestens 80 km. Solche Rennen führen beispielsweise über mehrere Alpen- oder Dolomitenpässe, totale Höhendifferenzen um 5000 m sind gebräuchlich, streckenweise muss das Bike getragen oder geschoben werden.

Downhill (DH)

Die Extremvariante des Mountainbike-Sports, ausschließlich für Adrenalin-Junkies: Im Einzelstartverfahren geht es darum, innerhalb von 3–5 min mit technischem Können, akrobatischem Geschick und viel Mut eine Bergabfahrt mit einer Streckenlänge von 1500–3500 m so schnell wie möglich zurückzulegen. Dabei geht es in halsbrecherischem Tempo über Wurzeln, Stock und Stein, Spitzengeschwindigkeiten um 100 km/h sind an der Tagesordnung (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Szene aus einer Abfahrt: DH-Fahrer mit Integralhelm, Motocrossbrille, Brust- und Rückenpanzer, Fingerhandschuhen, Protektoren für Ellbogen, Knie und Unterschenkel

Daneben werden Rennen im „4-Cross- (4X-)Format“ gefahren. Wer „Boarder Cross“ kennt, weiß, was mit den Bikes veranstaltet wird: Downhill geht es auf einem kurvigen und mit Sprüngen durchsetzten Parcours darum, vor den 3 Konkurrenten ins Ziel zu kommen. „Dual Slalom“ (DS) ist ähnlich dem im alpinen Skirennsport bekannten Parallelslalom.

Was die meisten Freizeit-Biker betreiben, kommt am ehesten in die Nähe eines kurzen Marathons: eine Schleife über Wald- und Feldwege mit Aufstiegen und Abfahrten (Abb. 3). Der Reiz liegt darin, abseits der Hektik des Alltags, in der Natur auf einem Hightechgerät mit eigener Kraft zur inneren Ruhe zu finden, der Erholungswert ist unbezahlbar.

Abb. 3
figure 3

Wochenendausfahrt mit Freunden: Abwechslung vom sterilen Alltag

Gefahren

Das Mountainbiken hat den Ruf, nicht ungefährlich zu sein. Mehrere Publikationen in den letzten Jahren haben die Risikos dieser Sportart beleuchtet und finden, dass das Risiko per 1000 h bei 6,8 Verletzungen für Männer und 12,0 Verletzungen für Frauen liegt, also auf vergleichbarem Niveau mit dem alpinen Skisport [31, 32].

Tendenziell sind Mountainbiker Individualisten, sind also kaum in größeren Verbänden organisiert. Dies macht eine systematische Datenerhebung über das gesamte Kollektiv so gut wie unmöglich. Jede der Arbeiten muss deshalb vor dem Hintergrund eines klaren „selection bias“ gesehen werden. Die meisten haben sich mit der Demographie und den spezifischen Daten bei Rennfahrern beschäftigt [3, 26, 28, 31], einige wenige haben im größeren Rahmen Daten bei Nicht-Rennfahrern erhoben [17].

Ein ziemlich aktueller, umfassender Übersichtsartikel von Kronisch u. Pfeiffer [27] kommt zum Schluss, dass der Sport überwiegend von Hobbyfahrern betrieben wird, dass aber v. a. Daten für Wettkampfsportler in der Literatur zu finden sind, dass Überlastungsschäden häufig sind, aber kaum wissenschaftlich untersucht sind.

In einer groß angelegten fragebogenbasierten Untersuchung unter den Abonnenten der größten europäischen Zeitschrift „bike“ reagierten 3873 von 5000 angeschriebenen Lesern im Alter von 8–80 (durchschnittlich 25) Jahren. Lediglich etwa 10% der Biker hatten noch nie eine Verletzung erlitten, die anderen berichteten durchschnittlich pro Fahrer über 2,3 Verletzungen. Davon waren 85% leichterer Art, die ambulant behandelt werden konnten und maximal einen Trainingsunterbruch von 3 Wochen zur Folge hatten [17]. Schürfungen und Prellungen gehören einfach dazu und werden im Weiteren nicht mehr erwähnt. Wichtiger sind die gemeldeten 2,8% Fahrer mit einer Commotio cerebri in der Vergangenheit, nicht weniger als 187 Biker in diesem Kollektiv.

Das Verletzungsprofil der Spitzenbiker

Erfahrungen aus der Betreuung der Schweizerischen Mountainbike-Nationalmannschaft und des professionellen „Scott World Cup Teams“ von 1993–2001 sind die Basis für die folgende Daten [2]. Die Nationalmannschaft stellte sich in jenen Jahren aus durchschnittlich 45 Mitgliedern zusammen, das Profiteam bestand aus 12 Fahrern. XC-Fahrer dieser Klasse sind immer mit Helm und Handschuhen unterwegs, DH-Fahrer zusätzlich mit Protektoren an Ellbogen, Knie und Unterschenkel ausgerüstet, oft auch mit einer leichteren Version des Rückenprotektors, wie er im Motorradsport bekannt ist.

Fahrer beider Teams meldeten ihre Verletzungen, wenn sie entweder operiert werden mussten, oder mindestens 1 Woche nur wesentlich reduziert trainieren konnten. In der Verletzungsliste kamen dadurch v. a. Frakturen, Luxationen und Bandrupturen vor. Total wurden 116 relevante Verletzungen gemeldet, diejenigen mit den höchsten prozentualen Anteilen können der Abb. 4 entnommen werden. Anzumerken ist, dass andere klinisch wesentliche Verletzungen, wie HWS-Distorsionen mit Langzeitfolgen bei 3 Athleten, schwere abdominale Traumata bei 2 und eine petrochantäre Femurfraktur bei einem Athleten vorkamen.

Abb. 4
figure 4

Verletzungsmuster einer Gruppe internationaler Spitzenbiker (1993–2001)

Auch bei diesen technisch exzellenten Fahrern war die häufigste Unfallursache ein Sturz in einer Abfahrt. Trotz dem konsequenten Tragen des Helms erlitten die Fahrer der oben genannten Kollektive in 19% der Fälle eine Commotio cerebri.

Hobbybiker: Verletzungen, Verteilung und Häufigkeit

Bei Hobbybikern war es lange nicht gebräuchlich, einen Sturzhelm zu tragen. Laut Erhebungen der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung stieg der gemittelte Prozentsatz der helmtragenden Biker von 4% im Jahre 1990 auf 17% in 1999 und erreichte 56% im Jahre 2003 [36].

In der SUVA, der obligatorischen Unfallversicherung der Schweiz, sind die meisten Arbeitnehmer der Schweiz versichert; deren Unfälle werden zentral erfasst und ausgewertet. Damit ist dies eine der wenigen uns bekannten und zugänglichen Datenbanken, die eine Übersicht über die Verteilung der meist relevanten Verletzungen bei Hobbybikern ermöglicht. In der Periode von 1995–2002 wurden durchschnittlich 2155 Unfälle jährlich gemeldet (minimal 1585 im Jahre 1995, maximal 2821 im Jahre 2001). Durchschnittlich traten in dieser Zeit pro Jahr 2,6% Schädel-Hirn-Traumata (SHT) auf (56 Fälle/Jahr), die schwer genug waren, um im System registriert zu werden. Die Zahlen bestätigen die Resultate aus einer Studie von Gaulrapp et al. [17].

9,1% der erfassten Verletzungen waren Frakturen, 3% Luxationen und 21,3% Distorsionen, Band- und Sehnenverletzungen. Abb. 5 informiert über die prozentuale Verteilung der häufigsten Verletzungen. Eine Hüftfraktur kostete im Durchschnitt 132.000 SFr., eine Wirbelsäulenfraktur 71.000 und eine Schädel-/Hirnverletzung 94.000 SFr. [35].

Abb. 5
figure 5

Verletzungsmuster der SUVA-Versicherten Biker der Schweiz (1995–1998)

Prävention

Passiv

Dass ein Helm, wenn er richtig getragen wird, Schutz gegen Schläge gegen den Kopf bieten kann, ist bewiesen [16, 33, 37, 38] und hat sich, zumindest in der Schweiz, herumgesprochen. Dennoch wäre eine höhere Helmtragequote wünschbar, um die weitreichenden Folgen eines SHT zu vermeiden.

Commotio cerebri

In den letzten Jahren wurde in mehreren wissenschaftlichen Arbeiten gezeigt, dass nach einer ersten Commotio cerebri das Risiko weiterer Hirnerschütterungen steigt [20, 21], dass nach einer Re-Commotio die Symptome tendenziell stärker sind und die Zeit bis zur Symptomfreiheit länger dauert [13, 20, 24]. Was also v. a. im DH-Lager nicht unterschätzt werden sollte, ist die Gefahr möglicher, sehr lästiger Langzeitfolgen nach wiederholter Commotio cerebri. Hauptsächlich in der Welt der Kontaktsportarten wie American Football oder Eishockey wird diesem wichtigen Thema mehr und mehr Gewicht eingeräumt, das Problem wird zurecht multidisziplinär aufgegriffen, untersucht und beschrieben [1, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 14, 15, 19, 23, 25, 29, 30, 34, 38].

Eine klare aktuelle Richtlinie ist, dass ein Sportler nach einer Commotio cerebri nicht eher zum Sport zugelassen werden sollte, bevor alle Symptome verschwunden sind und auch unter bis zur Vollbelastung aufgebauter Sportaktivität keine Symptome mehr aufgetreten sind. Spezielle Erwähnung verdient der junge Athlet (<18 Jahren), da in dieser Gruppe die Genesung länger dauern kann und das noch reifende Hirn anfälliger ist für das sog. „Second-impact Syndrom“ mit teilweise katastrophalen Folgen (2. Commotio cerebri innerhalb weniger Stunden bis Wochen nach der 1. Commotio) [12, 20].

Aktiv

Mountainbiken hat technisch mit dem Radfahren auf befestigtem Untergrund wenig gemein, die Geheimnisse finden sich wie überall im Detail. Rutschen, Springen, Landen, die kontrollierte Kurventechnik in steilen Abfahrten sind Beispiele Mountainbike-spezifischer Fertigkeiten. Nichts ist besser, als einen drohenden Unfall zu vermeiden. Um die nötigen Fähigkeiten besser vermitteln zu können, haben es einige Ferienorte realisiert, dass sie im Sommer, ähnlich wie die Skischule im Winter, Mountainbike-Fahrkurse anbieten. Spezialisten bieten Aktivferien an, in denen man in die Geheimnisse der Fahrtechnik eingeführt wird [22].

Fazit für die Praxis

Mountainbiken ist populär und nicht ungefährlich. Die Verletzungshäufigkeit liegt auf vergleichbarem Niveau wie der alpine Skisport. Mountainbiker sollten sich ihrer technischen Grenzen bewusst sein um die Unfallgefahr zu minimieren. Fahrkurse können die aktive Sicherheit erhöhen, Helm, Brille und Handschuhe die passive Sicherheit. Medizinisches Personal im Mountainbike-Rennzirkus muss sich informieren über den aktuellen Stand der Forschung bezüglich der Commotio cerebri, um v. a. junge Athleten korrekt über den frühestmöglichen Moment der Sportwiederaufnahme beraten zu können.