Der immense Flüchtlingszustrom nach Deutschland führte in der Anfangszeit zu logistischen Problemen der Unterbringung, Nahrungsmittelversorgung, Registrierung und zu Unklarheiten bezüglich der behördlichen Zuständigkeiten sowie der bürokratischen Abwicklung. Daneben wurden zunehmend medizinische Probleme deutlich. Die anfängliche ehrenamtliche Betreuung ist einer mehr oder weniger geregelten medizinischen Versorgung gewichen. Trotzdem blieben besondere Probleme, die mit dem Zustrom der Asylsuchenden seit 2014 verbunden sind, bestehen. Die Entwicklung dieser Gesamtsituation soll hier mit besonderem Blick auf die Geburtshilfe erörtert werden.

Zeitlicher Überblick

Nicht nur Deutschland, sondern viele europäische Länder wurden 2014 mit der großen Anzahl an Flüchtlingen aus Krisen- und Kriegsgebieten konfrontiert. Zunächst stand die Akutversorgung des nicht enden wollenden Flüchtlingsstromes im Vordergrund. Es gingen Bilder durch die Presse, die Kinder, Frauen und Männer unter unwürdigen Bedingungen zeigten. Ausreichende Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung war bei extremer Hitze überhaupt nur durch die spontane Hilfe von Ehrenamtlichen ansatzweise möglich. Von einer flächendeckenden Versorgung war das weit entfernt. Die Menschen hungerten und dursteten, lagen im Regen auf Plastikfolien, hatten nur das, was sie am Körper trugen. Elementare Dinge wie Zelte, Essen, Wasser mussten vorrangig organisiert werden.

Initial war eine ansatzweise ausreichende Versorgung nur durch spontane Hilfe Ehrenamtlicher möglich

Die Flüchtlinge schlugen ihre Lager vor Behörden und Einrichtungen auf, um dort ggf. eine Registrierung oder Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Wer den Platz in der Warteschlange räumte, verlor seine Möglichkeit, in etwas geordnetere Unterkunftsverhältnisse zu wechseln – so die Annahme der Flüchtlinge und, wie sich zeigte, auch die Realität. Die gesamte bürokratische Abwicklung war über Monate unklar, Zuständigkeiten mussten neu verteilt werden, politische Machtkämpfe spielten sich im Hintergrund ab und verlangsamten die Abläufe weiter. Die Aufgaben waren aufgrund der täglich steigenden Zahl an Flüchtlingen nicht zu bewerkstelligen.

Medizinische Versorgung – humanitäre Hilfe

Neben diesen, einem Ausnahmezustand gleichenden Umständen, wurde schnell deutlich, dass die Flüchtlinge in den provisorischen Lagern dringend einer medizinischen Versorgung zugeführt werden müssen. Es bildete sich spontan ein Hilfsnetz aus freiwilligen, großteils medizinisch ausgebildeten Personen. Diese Helfer, die sich Sonderurlaub genommen hatten oder sich in ihrer Freizeit oder aus dem Ruhestand heraus zur Verfügung stellten, etablierten notdürftige Behandlungsräume. Es wurde alles zusammengesucht, was an Hilfen zur Verfügung stand, ausrangierte medizinische Einrichtungen, Medikamenten- und Instrumentenspenden. Die zuständigen Behörden waren lange Zeit restlos überfordert mit der Lösung der Probleme, die ein solcher Zustrom von Menschen mit sich bringt. Dank der freiwilligen Helfer funktionierte zumindest aber die medizinische Versorgung bald besser. Impfprogramme wurden gestartet, hygienische Maßnahmen zur Eindämmung der um sich greifenden Infektionen in den überfüllten Unterkünften wurden organisiert. Durch das Angebot von ärztlichen Sprechstunden konnten chronisch und akut Erkrankte identifiziert werden und, wenn sie vor Ort nicht behandelt werden konnten, in eine Klinik eingewiesen werden. Die Behandlungsmöglichkeiten vor Ort entsprachen für lange Zeit in keiner Weise dem eigentlich bei uns geforderten und geltenden Standard. Die Intimsphäre konnte in diesen provisorisch eingerichteten Behandlungsräumen nicht gewahrt werden. Die Forderung der dort arbeitenden Helfer nach geeigneteren Räumen mit fließend Wasser, Sanitäreinrichtungen und Heizmöglichkeiten wurde nicht gehört. Die Sprachbarriere stellte ein weiteres Problem dar. Aber auch hier konnte durch spontane Hilfe Englisch sprechender Mitflüchtlinge, die Dolmetschertätigkeit übernahmen, eine erste Lösung gefunden werden. Bei intimen Fragestellungen war dies jedoch nicht unproblematisch, da sich einander völlig fremde Menschen gegenüberstanden, die nur das gemeinsame Schicksal der Flucht teilten.

Strukturen wurden gefunden

Die Anzahl der täglich neu ankommenden Flüchtlinge übertraf die Anzahl der von den zuständigen Behörden zu leistenden Registrierungen um ein Vielfaches. Damit bestand über Monate völlige Unklarheit über die Anzahl der eingereisten Menschen, den Anteil innerhalb der Altersgruppen, über den Anteil an Männern, Frauen, allein reisenden Jugendlichen und Kindern, die ihre Eltern auf der Flucht verloren hatten. Erst als eine gewisse Grundstruktur mit Zeltunterkünften, freigeräumten Kasernen und umfunktionierten Schulsporthallen geschaffen war und erst als dort die Registrierung der bereits vorhandenen Flüchtlinge einsetzte, wurde nun auch von den zuständigen Ämtern das Augenmerk auf die medizinische Versorgung gelegt. Es wurde plötzlich deutlich, dass die freiwilligen Helfer in keiner Weise rechtlich abgesichert waren. Der von Anfang an geäußerte Appell der Helfer, Unterstützung materieller, menschlicher und auch psychologischer Art zu gewährleisten, wurde nun wenigstens gehört, wenn auch Maßnahmen zur Lösung der Probleme nicht in der notwendigen Geschwindigkeit umgesetzt wurden. Gleichzeitig setzte die zu erwartende Bürokratie ein: Auf einmal durfte vieles so nicht mehr sein. Es durfte nicht mehr so einfach geholfen werden. Damit kam bei vielen Helfern, die von der ersten Stunde an dabei waren und aufopferungsvolle Arbeit über Wochen geleistet hatten, Frustration und das Gefühl fehlender Wertschätzung auf. Dass sie nicht augenblicklich ihre Leistungen zurückzogen, lag nur daran, dass ihre Arbeit immer noch dringend notwendig war. Nachdem sich die anfänglich hoch akute Situation bezüglich der medizinischen Versorgung der frisch ins Land Gekommenen normalisiert hatte, gerieten neue Erfordernisse ins Blickfeld. Zunehmend kam zum Vorschein, dass die meisten Flüchtlinge durch ihre Flucht und die Umstände, die sie zur Flucht veranlasst hatten, schwer traumatisiert waren. Familien waren auf der Flucht getrennt worden, oder einzelne Familienmitglieder waren allein auf die Flucht gegangen. Frauen hatten ihre Kinder zurücklassen müssen, oder die Kinder hatten die Flucht nicht überlebt. Ein vor der Registrierung gar nicht bekanntes Problem war die große Anzahl Minderjähriger, die ohne Eltern oder Familienangehörige unterwegs waren. Psychologische Hilfe war notwendig, die zunächst gar nicht geleistet werden konnte. Je länger diese Situation anhielt, desto mehr zeigten sich auch psychosomatische Störungen.

Sexuelle Übergriffe

Die Frauen in den Unterkünften waren zusätzlich mit sexueller Gewalt konfrontiert. In den gemischt-geschlechtlichen Unterkünften gab es für die Frauen keinen ausreichenden Schutzraum. Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe oder Gewaltandrohungen wurden zunehmend zu einem Problem. Um dieses Problem zu lösen, wurden die Unterkünfte umstrukturiert und das Augenmerk vermehrt auf die medizinische Versorgung speziell der Frauen gelegt. Gynäkologisch-geburtshilfliche Sprechstunden wurden in den Unterkünften eingerichtet. Hier konnten sich die Frauen dem medizinischen Personal erstmals anvertrauen und entsprechende Hilfsmöglichkeiten in Anspruch nehmen.

Sprachbarriere

Erschwert wurde dies allerdings dadurch, dass besonders bei Frauen eine große Sprachbarriere besteht. Frauen sprechen noch seltener ausreichend gutes Englisch. Adäquate weibliche Dolmetscher zu finden gelang nicht so schnell. Dass die eigenen Kinder, auch die heranwachsenden Söhne oder sogar den Frauen unbekannte männliche Dolmetscher einspringen ist, gerade bei gynäkologischen Problemen, keine akzeptable Lösung. Das medizinische Hilfspersonal nutzte, aus der Not heraus, Übersetzungsprogramme wie Google Translate. Videodolmetschen sollte flächendeckend eingesetzt werden, was jedoch bis heute nicht umgesetzt wurde. Eigeninitiative war auch an dieser Stelle wieder die am besten funktionierende Lösung. Frauen, die neben ihrer Muttersprache gut Englisch oder sogar Deutsch beherrschten, begleiteten die hilfesuchenden Frauen zu den ärztlichen oder psychologischen Konsultationen. So war es zumindest möglich, die elementarsten Probleme der Frauen zu erfahren und ggf. weitere Schritte einzuleiten. Auf Initiative der Ärzteschaft/Ärztekammern wurden Listen erstellt von mehrsprachigen Ärzten in Kliniken und Praxen, die bereit waren, auch unentgeltlich professionelle Hilfe zu leisten.

Von der Sprachbarriere waren – und sind – Frauen in besonderer Weise betroffen

Inzwischen ist auch dieser Missstand von den zuständigen Behörden und Hilfsorganisatoren erkannt worden. Viele Flüchtlinge verfügen jetzt nicht nur über eine Gesundheitskarte, müssen also von niedergelassenen Ärzten nicht mehr kostenfrei behandelt werden, sondern es wird auch eine ausreichende Anzahl von Dolmetschern für die Sprechstunden innerhalb der Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung gestellt. Auf den ersten Blick schien sich der Zustand normalisiert zu haben. Es traten nun jedoch andere, von uns bis dahin verkannte Probleme in den Vordergrund.

Multiresistente Keime

Da es in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge wegen eines weniger kritischen Umgangs mit Antibiotika eine höhere Prävalenz multiresistenter Keime gibt [14] und dieses Risiko durch die Umstände der Flucht möglicherweise gestiegen ist, wurden Maßnahmen entwickelt, um eine weitere Verbreitung dieser Keime zu verhindern. In Anlehnung an die Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes wurden Screening- und Hygienemaßnahmen eingeführt.

Ein Screening auf MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) bei Aufnahme in ein Krankenhaus ist bei Asylsuchenden in den ersten 12 Monaten nach Ankunft in Deutschland zu empfehlen, [5, 6] da die Gruppe der Asylsuchenden als Risikogruppe für eine MRSA-Besiedelung angesehen werden kann. Ein Screening auf 4MRGN (multiresistente gramnegative Erreger) bei Krankenhausaufnahme wird nur bei Asylsuchenden empfohlen [7], die Kontakt zum Gesundheitssystem in ihrem Heimatland oder im Verlauf ihrer Flucht hatten bzw. die eine diesbezüglich unklare Anamnese haben. Wenn möglich sollte ein flächendeckendes Screening erfolgen, um Träger von multiresistenten Keimen zu identifizieren. Patientinnen, bei denen ein solches Screening nicht vor einer stationären Behandlung erfolgen konnte, erhalten bei Aufnahme ein Screening und werden erst nach negativem Ergebnis entisoliert. Träger von multiresistenten Keimen müssen während des gesamten stationären Aufenthaltes unter Isolationsbedingungen behandelt werden.

Präventionsmaßnahmen können als Diskriminierung interpretiert werden

Speziell für die Arbeit im Kreißsaal, die bekannterweise wenig planbar ist und häufig akut neue Bedingungen mit sich bringt, ist eine Isolations-Entbindung mit einem hohen logistischen Aufwand verbunden. Neben einer 1:1-Betreuung durch die Hebamme ist eine konsequente Schutzkleidung mit Kittel, Mundschutz, Kopfbedeckung und Handschuhen notwendig sowie ein Schuhwechsel bei Verlassen des Raumes. Alle Personen, die sich mit der Patientin beschäftigen, müssen diese Vorschriften einhalten. Diese Notwendigkeit stößt häufig auf großes Unverständnis bei den Patientinnen und den Besuchern oder wird als Diskriminierung interpretiert.

Nach einer Geburt unter Isolationsbedingungen muss der Kreißsaal aufwendig gereinigt werden, das beinhaltet auch die Reinigung der Vorhänge und aller Geräte. Alle offen liegenden Verbrauchsmaterialien müssen entsorgt werden. Lediglich der Inhalt, der in konsequent verschlossenen Schränken aufbewahrt wurde, kann belassen werden. Entbindungsabteilungen, die mit diesem Problem öfter konfrontiert wurden, versuchten schnell, eine gewisse Routine zu entwickeln. Bei anstehender Isolationsentbindung wird der Raum blitzartig in einen Isolationsraum verwandelt. Schränke werden mit Klebestreifen/Pflastern verschlossen, ein mit allen notwendigen Utensilien für eine Geburt ausgestatteter Wagen wird in den Raum gebracht. Allerdings können diese Vorschriften in Notsituationen, wie bei einer Schnellsectio, Schulterdystokie oder bei atonischer Nachblutung, nur unter Vernachlässigung der medizinisch notwendigen geburtshilflichen Standards eingehalten werden. Das kann nicht praktiziert werden, und die hygienischen Vorschriften werden zugunsten einer medizinisch korrekten Geburtshilfe außer Acht gelassen.

Somit ist die Verbreitung von Problemkeimen besonders in diesem Bereich nicht sicher zu verhindern. Ein besonderes Problem stellt die Versorgung kranker Neugeborener oder Frühgeborener von Flüchtlingsfrauen mit unklarem MRSA/MRGN-Status bzw. einer -Besiedelung auf neonatologischen Stationen dar. Besonders hier ist es von hoher Relevanz, die Ausbreitung multiresistenter Keime zu verhindern. Da neonatologische Versorgungsplätze eine knappe Ressource sind, ist eine Isolation, ggf. mit Sperrung von Behandlungsplätzen, ein zusätzliches ökonomisches Problem. Diese Problematik führt dazu, dass Frauen mit multiresistenter Keimbesiedelung und drohender Frühgeburt in Geburtskliniken nicht angenommen werden können, da weder für sie noch für die Neugeborenen eine adäquate Versorgung gewährleistet werden kann.

Spezifische Infektionskrankheiten der Herkunftsländer erfordern ein Umdenken

Nicht nur die hohe Prävalenz multiresistenter Keime, sondern auch Infektionen, die in unserer Gesundheitsversorgung ein untergeordnetes Problem darstellten, sind mit der Einreise der Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Ländern zu einer relevanten Problematik geworden. Viele Flüchtlinge leiden bei der Ankunft wegen der Strapazen der Flucht meist eher an banalen Atemwegs- oder Magen-Darm-Infekten, es ist aber auch mit parasitären Erkrankungen wie Skabies und Kleiderläusen zu rechnen. Hinter initial grippeähnlichen Symptomen, wie Fieber, Krankheitsgefühl, Muskel- und Gelenkschmerzen, könnten sich ungewöhnliche, in Herkunfts- oder Transitländern erworbene Krankheiten verbergen, warnt das Robert Koch-Institut (RKI) [8]. Das RKI hat eine Liste solcher möglichen Infektionen bei behandlungsbedürftigen Flüchtlingen zusammengestellt; das Spektrum reicht von Malaria über Tetanus und Meningitis bis hin zu Tuberkulose (Abb. 1). Diese Tabelle, in der die Krankheiten nach Herkunftsregionen der Flüchtlinge gelistet und die Symptome, Inkubationszeiten und möglichen Ausbreitungsgefahren aufgeführt sind, bietet eine Hilfestellung bei der Behandlung der ankommenden Asylsuchenden. Gibt es aufgrund der Umstände – etwa Inkubationszeit, Herkunftsland, Fluchtroute – Hinweise auf eine ungewöhnliche Krankheit, sind diese umgehend in Betracht zu ziehen und die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Hat ein Flüchtling nach Aufenthalt in einem Malariaendemiegebiet Fieber ohne andere ermittelbare Ursache, ist nach RKI-Angaben Malaria am wahrscheinlichsten.

Herkunftsland und Fluchtroute können Hinweise geben auf ungewöhnliche Infektionen

Abb. 1
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Mögliche ungewöhnliche Infektionskrankheiten bei Flüchtlingen in Deutschland. (Aus [8], Quelle: Robert Koch-Institut)

Bei der Betreuung der Schwangeren mit Infektionen müssen wir als geburtshilflich tätige Ärzte bei den uns nicht so vertrauten Infektionen das spezielle Risiko für das Ungeborene oder den Neonaten besonders beachten. Isolation, Hygienemaßnahmen besonders in den Flüchtlingsunterkünften und spezielle Aufklärung ist notwendig, um eine weitere Verbreitung zu vermeiden. Dabei spielt auch die mögliche Impfung eine entscheidende Rolle.

Impflücken schließen

Da davon auszugehen ist, dass bei allen Flüchtlingen mit fehlenden Impfdokumenten der Impfschutz nicht vollständig ist, hat die Ständige Impfkommission (STIKO) empfohlen [9], dass diese Impflücken bei Bewohnern von Gemeinschaftsunterkünften umgehend geschlossen werden müssen. Die Zuständigkeiten waren zwar durch die STIKO an den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) oder einen vom ÖGD beauftragten Arzt delegiert. Aber die Durchführung war vor allem in den Anfangszeiten des Flüchtlingsstromes noch nicht flächendeckend und führte zur weiteren Ausbreitung von Infektionen.

Zumindest sollten die Impfserien begonnen und die Impfungen dokumentiert werden, damit ein weiterbehandelnder Arzt den Schutz vervollständigen kann.

Tuberkulose (TB) ist in vielen Herkunftsländern häufiger als in Deutschland. Die Strapazen der Flucht und eine damit häufig eingeschränkte Immunabwehr begünstigen zudem die Reaktivierung einer latenten TB. Deshalb sollte unverzüglich nach Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft oder Erstaufnahmeeinrichtung ausgeschlossen werden, dass eine ansteckungsfähige Lungentuberkulose vorliegt. Diese Forderung erscheint logisch und unmittelbar nachvollziehbar. Die Realität sah aber vor allem in den ersten Monaten anders aus: Zwar wurden Reihenröntgenuntersuchungen durchgeführt, da aber die Registrierung der ankommenden Flüchtlinge noch völlig unzulänglich war, ließ sich auch an dieser Stelle keine befriedigende Vollständigkeit erzielen.

Fehlende medizinische Informationen

Bei der Auf- bzw. Übernahme der geburtshilflichen Betreuung der ankommenden schwangeren Flüchtlingsfrauen war die große Unbekannte die Betreuung der Schwangerschaft im Herkunftsland und auf der Zeit der Flucht. Einige Schwangere hatten sich in den Durchreiseländern noch in ärztliche Behandlung begeben, andere Schwangerschaften waren über lange Zeit völlig ohne Überwachung. Auch die Intensität der Schwangerenüberwachung in den Herkunftsländern unterscheidet sich doch erheblich von den Standards unserer Mutterschaftsrichtlinien. Außerdem konnte sie unter den Kriegs- und Krisensituationen auch nicht mehr flächendeckend angeboten werden. Wegen der potenziellen Risikofaktoren, anamnestischen Besonderheiten und der hohen Sectiorate in den Herkunftsländern sollten die zu betreuenden Schwangeren möglichst schnell einer hochqualifizierten Betreuung zugeführt werden. Die wichtigsten medizinischen Parameter sollten zeitnah und effektiv nachgeholt werden, um nicht mit zu vielen Überraschungen bei der Geburt konfrontiert zu werden.

Bei der vor allem am Anfang noch fehlenden Kostenübernahme waren hier die freiwilligen, ehrenamtlich tätigen medizinischen Helfer nicht ausreichend ausgebildet. Spezialpraxen und Kliniken versuchten, diese Lücke zu füllen, gelangten aber schnell an die Grenze ihrer Kapazitäten, da die reguläre Patientinnenversorgung auch aufrechterhalten werden musste.

Inzwischen ist durch eine fast flächendeckende Ausgabe der Gesundheitskarte an die Flüchtlinge das finanzielle Problem weitestgehend gelöst. Die besonderen Gegebenheiten bei der Betreuung schwangerer Flüchtlingsfrauen bestehen allerdings weiter. Frauen, die erst kurz vor dem Geburtstermin ins Land kommen, stellen ein besonderes Problem dar. Fehlende Untersuchungen können zum Teil nicht so schnell nachgeholt werden. Häufig ist die Dokumentation bis dahin erfolgter Untersuchungen lückenhaft. Dass die Frauen erst mit Geburtsbeginn im Kreißsaal, ohne jegliche Information über die Schwangerschaft, aufschlagen, ist keine Seltenheit. Neben den schon erwähnten Infektionsproblemen und möglichen Besiedelungen mit multiresistenten Keimen werden wir wieder vermehrt mit fetalen Erkrankungen konfrontiert, die erst nach der Geburt entdeckt werden.

Konsanguine Ehen

Wie in Abb. 2 [10] ersichtlich ist die Häufigkeit konsanguiner Ehen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge deutlich höher. Die medizinische Folge der Konsanguinität ist eine erhöhte Rate an autosomal-rezessiven und multifaktoriell vererbten Krankheiten. Fetale Fehlbildungen sind bei konsanguinen Partnerschaften mit einer Häufigkeit von bis zu 4 % um das Doppelte erhöht [11]. Es besteht eine erhöhte Abort- und Totgeburtsrate. Diese Problematik findet sich auch in der Erklärung der Neonatalen- und Kindersterblichkeitsrate in diesen Ländern.

Aus Konsanguinität folgen vermehrt autosomal-rezessive und multifaktoriell vererbte Krankheiten

Konsanguine Ehen stellen ein weltweites medizinisches und psychosoziales Problem dar, die akuten Auswirkungen sind aber besonders in der geburtshilflichen und neonatologischen Betreuung der Flüchtlinge zu beachten. Bei den Neugeborenen stoßen wir auf uns kaum bekannte Stoffwechselerkrankungen oder schwerste Fehlbildungen. Auch die Schwangeren selbst sind Trägerinnen von komplexen Erkrankungen, die uns als autosomal-rezessive Erkrankungen nicht geläufig sind, aber bei der Betreuung der Schwangerschaft und der Leitung der Geburt eine Rolle spielen können (Abb. 3).

Abb. 2
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Globale Häufigkeiten konsangiuner Ehen. (Aus [11], mit freundlicher Genehmigung von Alan Bittles, Centre for Comparativie Genomics, Murdoch, Australia, all rights reserved)

Abb. 3
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Stammbaum einer konsanguinen Ehe mit Vererbung einer autosomal-rezessiven Erkrankung

Unbefriedigende Beratung

Auch bei der längerfristigen Betreuung der Schwangeren sind Besonderheiten zu beachten. Um Schwangere angemessen zu betreuen und aufzuklären, Risiken zu benennen und einen „informed consent“ zu finden, bedarf es einer sprachlichen Ebene, die wir mit den Flüchtlingsfrauen nur schwer erreichen können. Wenn schwerwiegende Probleme auftauchen, etwa vermutete kindliche Fehlbildung oder maternale Risiken, die entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen, wie beispielsweise eine vorzeitige Entbindung, ist die Vermittlung dieser Sachverhalte wegen der bestehenden Sprachbarriere nur schwer möglich. Unter Umständen sind medizinische Konsequenzen notwendig, ohne dass man die Frauen darüber im Einzelnen aufklären kann – eine auch für die betreuenden Ärzte hoch unbefriedigende Situation.

Hohe Sectiorate in den Herkunftsländern

Das Risiko einer Schwangerschaft nach stattgehabter Sectio ist bei uns hinlänglich bekannt. Der Gefahr von Uterusrupturen, Plazentationsstörungen mit erhöhten Blutverlusten und der damit verbundenen maternalen Mortalität und Morbidität ist auf Dauer nur durch eine Reduzierung der Sectiorate zu begegnen. Kurzfristig bedarf es einer hochqualifizierten Diagnostik und entsprechender Geburtsplanung, um die maternale und fetale Gefährdung so gering wie möglich zu halten. In vielen Herkunftsländern ist der Umgang mit der Sectio als Entbindungsmodus grundsätzlich anders. Bei einer unkomplizierten Terminüberschreitung, bei Blasensprung ohne Wehentätigkeit und fast immer bei Status nach Sectio wird eine Sectio durchgeführt. Dies auch ungeachtet der Tatsache, dass die Anzahl der Vielgebärenden in diesen Ländern deutlich höher liegt als bei uns. Daraus resultieren Probleme, denen wir uns vermehrt stellen müssen. Eine 4. und 5. Sectio mit allen damit verbundenen operativen Besonderheiten muss beherrscht und nach unserem hohen medizinischen Standard durchgeführt werden. Plazentationsstörungen mit dem hohen Blutungsrisiko und der Ultima Ratio einer Sectiohysterektomie sind per se schon ein hochdramatisches Ereignis, das umgangen werden sollte. Der damit verbundene Verlust der Fertilität ist für viele Frauen kulturbedingt oft ein großes Problem, und, dass mit der Sectiohysterektomie das Leben der Frau gerettet werden konnte, hat in manchen Herkunftsländern eine geringere Priorität.

Fazit für die Praxis

  • Auch wenn die Aktualität des Flüchtlingsproblems in den Hintergrund geraten zu sein scheint, was vielleicht sogar nur ein saisonales Phänomen ist, sind wir in der medizinischen Versorgung weiterhin in höchstem Maße gefragt.

  • In Ballungsgebieten ist bereits ein gewisses Maß an Logistik erreicht. Kliniken, Praxen und Sprechstunden in den Flüchtlingsunterkünften sind auf die speziellen Erfordernisse weitestgehend eingestellt.

  • Hinsichtlich einer möglichen Integration der Asylsuchenden in unser Land wird es allerdings zu einer Umverteilung der zugereisten Menschen aus den Ballungsgebieten in andere Regionen des Landes kommen. Dort ist die Infrastruktur für die Betreuung noch in keiner Weise befriedigend aufgebaut und die Probleme zum Teil nicht bekannt. Diese Übersicht soll ein Anhalt sein und eine Hilfe dafür bieten, die vorhandenen Informationen entsprechend zu verbreiten.