Während in der demografischen Debatte häufig die niedrige Geburtenrate thematisiert wird, sind zwei Entwicklungen besonders relevant für Gynäkologen: Das Alter von Frauen bei der Geburt von Kindern wird jedes Jahr höher, und der Anteil von dauerhaft kinderlosen Frauen steigt seit Jahrzehnten an. Bei beidem liegt Deutschland international in der Spitzengruppe. Diese Entwicklung ist aus sozialer und medizinischer Perspektive problematisch: Viele kinderlose Frauen wollten ursprünglich Kinder und haben die Realisierung ihres Kinderwunsches aus beruflichen oder partnerschaftlichen Gründen mehrfach aufgeschoben. Dieser Aufschub führt immer häufiger in das Alter ab 35 Jahren, ab dem mit jedem weiteren Lebensjahr die Fekundität abnimmt und sich das Risiko von Schwangerschaftskomplikationen erhöht.

Gruppenspezifische Unterschiede

Die durchschnittliche Kinderzahl, die Verbreitung von Kinderlosigkeit und das Gebäralter variieren innerhalb der Sozialstruktur stark: Die Familienplanung unterscheidet sich deutlich zwischen Akademikerinnen, Frauen mit mittlerer und niedrigerer Bildung, zwischen Migrantinnen und Deutschen, aber auch zwischen Paaren in Großstädten und in ländlichen Kreisen. Dabei lassen sich in den letzten 10 Jahren bemerkenswerte Veränderungen im Geburten-Timing und in der Kinderzahl von einigen Bevölkerungsgruppen feststellen.

Verbesserte Datenlage

Bislang waren Aussagen über gruppenspezifische Kinderzahlen und zur Kinderlosigkeit in Deutschland aufgrund der Datenlage begrenzt [1]. Bei der Bevölkerungsstatistik liegen vor 2008 keine ordnungsspezifischen Geburtenraten vor, sodass sich daraus weder die Kinderlosigkeit noch das Erstgebäralter berechnen lassen. Beim Mikrozensus (MZ) wurde bis 2007 nur die Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder erfragt, wodurch gestorbene, ausgezogene oder im Haushalt des anderen Elternteils lebende Kinder nicht mitgezählt wurden. Inzwischen hat sich die Datenlage fundamental verbessert: Im MZ werden seit 2008 alle 4 Jahre Frauen nach der Geburt von eigenen Kindern gefragt.

Anhand dieser Daten ist es möglich, verbreitete Thesen zur Geburtenentwicklung auf den Prüfstand zu stellen und ggf. als Mythen zu widerlegen oder zu relativieren [2]. Häufig ist die Rede davon, dass die Geburtenrate immer weiter sinke oder dass die Familiengründung für die junge Generation nicht mehr so wichtig sei. Bei der endgültigen Kinderlosigkeit von Frauen wurden in der Literatur bis vor wenigen Jahren oft überhöhte Anteile von 30–33 % angegeben [3], der Mythos einer Kinderlosigkeit von 40 % bei Akademikerinnen hat sich medial stark verbreitet [4]. Auch bezüglich des Geburtsalters hat sich die öffentliche Wahrnehmung durch prominente Spätgebärende verändert. Im Folgenden werden daher Trends der Geburtenentwicklung, Ursachen von Kinderlosigkeit, Veränderungen des Erstgebäralters und Einstellungen zur Familiengründung analysiert.

Trends verschiedener Fertilitätsindikatoren

Bei der Analyse demografischer Trends kann man zwischen vier Indikatoren differenzieren, deren Aussagen sich unterscheiden, was häufig zu Fehlinterpretationen führt: Die periodische, zusammengefasste Geburtenrate (TFR, „total fertility rate“), welche die altersspezifischen Fertilitätsraten eines Jahres summiert, die Kohortenfertilitätsrate (CTFR, „cohort total fertility rate“), die die endgültige Kinderzahl eines Frauenjahrgangs angibt, die Zahl der Geburten innerhalb eines Jahres und der Anteil dauerhaft kinderloser Frauen.

TFR.

In keinem Land der Welt ist die zusammengefasste Geburtenrate (TFR, „total fertility rate“) über einen so langen Zeitraum so niedrig wie in Deutschland. Seit nunmehr 4 Jahrzehnten liegt sie unter 1,5 Kindern pro Frau. Dabei lag sie zwischen 1975 und 2013 in einem engen Korridor zwischen 1,24 und 1,45. Im Jahr 2014 hatte die TFR mit 1,47 zwar den höchsten Wert seit 4 Jahrzehnten erreicht, liegt jedoch immer noch zu rund 30 % unterhalb der Ausgleichsrate von 2,08 – also dem Wert, der für eine konstante Reproduktion notwendig wäre. Da die TFR im Zeitverlauf schwankt und neben dem Quantum an Geburten auch durch deren Timing beeinflusst ist [5], kann man hier (noch) nicht von einer Trendwende sprechen.

CTFR.

Im 20. Jahrhundert lag der höchste Wert für die Kohortenfertilitätsrate bei Frauen, die 1933 geboren sind, mit 2,22 lebend geborenen Kindern pro Frau. Seitdem ist die CTFR gleichmäßig gesunken und liegt beim Jahrgang 1965 bei 1,55 und beim Jahrgang 1969 bei 1,49 [6]. Dies ist der jüngste Frauenjahrgang, für den Geburtendaten bis zum Alter von 49 bzw. 45 Jahren vorliegen, deren Fertilitätsbiographie also als abgeschlossen gilt. Allerdings lässt sich die CTFR durch Extrapolationsmethoden auch für jüngere Frauen abschätzen. Eigene Extrapolationen mit neuen, zensusbasierten altersspezifischen Fertilitätsraten für die Jahrgänge 1966–1980 zeigen, dass die CTFR beim Jahrgang 1968 mit 1,49 ihren Tiefpunkt erreicht und bei den 1970er-Jahrgängen leicht ansteigt [7]. Beim Jahrgang 1975 wird demnach die CTFR zwischen 1,56 und 1,57 liegen, beim Jahrgang 1980 zwischen 1,54 und 1,59. Diese Entwicklung kann man durchaus als Trendwende bezeichnen.

Geburtenzahl.

Hier spielt neben der Geburtenrate auch die Anzahl der potenziellen Mütter eine wichtige Rolle. In Deutschland gab es 1964 mit 1,357 Mio. die meisten Geburten, seit 1972 waren es weniger als 1 Mio. und seit 1998 unter 800.000. Im Jahr 2014 haben 715.000 Kinder in Deutschland das Licht der Welt erblickt. Da ab 2020 die Gruppe der potenziellen Mütter sinkt, wird auch bei weiterhin konstanter TFR die Zahl der Geburten deutlich zurückgehen [8].

Kinderlosigkeit.

Tatsächlich liegt die Kinderlosigkeit bei den 1960er-Frauenjahrgängen bei 19,7 %, die höchste hat der 1969er-Jahrgang mit 22,1 %. Bei Akademikerinnen ist die Kinderlosigkeit v. a. in Westdeutschland hoch: Bei den in den 1960er-Jahren geborenen Frauen mit Hochschulabschluss liegt die Kinderlosigkeit bei 29,1 %. Ihr langjähriger Anstieg ist jedoch inzwischen gestoppt [9].

Kinderzahl nach Bevölkerungsgruppen

Die Geburtenentwicklung unterscheidet sich zwischen Bevölkerungsgruppen erheblich. Im Folgenden werden Analysen des MZ 2012 für Frauen der Jahrgänge 1965–1969 quantifiziert, also für die jüngste 5‑Jahres-Kohorte, deren Kinderzahlen quasi endgültig sind. Dabei wurde der zensusbasierte Gewichtungsfaktor verwendet. Die Werte zur Kinderzahl pro Frau im MZ sind mit 1,57 leicht höher als die CFR der Geburtenstatistik (1,51), was weniger am Stichprobenfehler liegt, sondern primär an erhebungsbedingten Differenzen . Denn im MZ sind im Unterschied zur Geburtenstatistik auch die Kinder von zugewanderten Frauen berücksichtigt, die im Ausland geboren wurden [10].

Die Geburtenentwicklung unterscheidet sich erheblich zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen (Tab. 1). Die größten Unterschiede zeigen sich bei der Kinderlosigkeit, während die durchschnittliche Kinderzahl pro Mutter weniger variiert und meistens bei ca. 2 liegt. Die Stadt-Land-Differenzen sind enorm: In Großstädten ist die Kinderlosigkeit fast doppelt so hoch wie in ländlichen Kreisen. Aber auch in Ostdeutschland, bei Migrantinnen, in der Ehe und bei Frauen mit niedrigerem Bildungsabschluss ist die Kinderlosigkeit deutlich niedriger als in der jeweiligen Referenzgruppe. Verheiratete Frauen in ländlichen Kreisen sind nur zu 8,4 % kinderlos, bei Akademikerinnen in einer westdeutschen Großstadt sind es mit 35,2 % mehr als 4‑mal so viele. Die Kinderzahl pro Mutter ist in Ostdeutschland geringer, hier sind Einkindfamilien stärker verbreitet. Generell haben Mütter mit niedriger Bildung am meisten Kinder – durchschnittlich 2,38. Bezogen auf alle Frauen ist bemerkenswert, dass selbst die Gruppen mit der höchsten Geburtenrate – Migrantinnen und niedrig Gebildete – im Durchschnitt weniger als 2 Kinder haben.

Tab. 1 Kinderlosigkeit und Kinderzahl von Frauen der Jahrgänge 1965–1969

Ursachen von Kinderlosigkeit

Die hohe Kinderlosigkeit hat sehr unterschiedliche Ursachen: Infertilität, fehlender Kinderwunsch und perpetuierender Aufschub der Familiengründung aufgrund der Rahmenbedingungen. Dabei gibt es zwischen diesen Gründen Interaktionen : Erstens kann sich der Kinderwunsch im Lebensverlauf im Kontext von Erfahrungen und Rahmenbedingungen verändern. Zweitens reduziert sich die Fruchtbarkeit mit zunehmendem Alter der Frau, sodass ein Aufschub des Kinderwunsches auf das Alter von 35 oder 40 Jahren dazu führen kann, dass Frauen aufgrund von Infertilität dauerhaft kinderlos bleiben [11].

Infertilität

Zum Teil lassen sich die Ursachen trotzdem quantifizieren: Während die Punktprävalenz von Infertilität bezogen auf 12 Monate einen Mittelwert von 9 % (Spannbreite: 3,5–16,7 %) hat [12], ist der Anteil von Frauen mit lebenslanger Infertilität deutlich niedriger, einige Autoren nennen 5 % [13]. Gruppenspezifische Analysen zeigen, dass der Anteil kinderloser Frauen in bestimmten Bevölkerungsgruppen nur bei 4–6 % liegt [9]. Insofern dürfte der Anteil von Frauen, die imgesamten Leben infertil sind, unterhalb der Spanne von 4–5 % liegen. Demnach sind die Ursachen der hohen Kinderlosigkeit in Deutschland primär auf motivationale und gesellschaftliche Faktoren zurückzuführen.

Fehlender Kinderwunsch

In mehreren Studien werden Kinderwünsche erhoben. Die Vergleichbarkeit ist allerdings schwierig, da sich neben den befragten Altersgruppen auch die Messkonzepte unterscheiden: Zum einen danach, ob der Kinderwunsch allgemein oder bezüglich einer Handlungsabsicht (z. B. im Generation and Gender Survey [GGS] innerhalb der nächsten 3 Jahre) erfragt wird. Zum anderen, ob nach dem realen oder dem idealen Kinderwunsch gefragt wird. Das Beziehungs- und Familienpanel pairfam („Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics“) operationalisiert den idealen Kinderwunsch durch die Frage „Wenn Sie einmal alle Hindernisse außer Acht lassen“. Hier liegt der Anteil von Frauen zwischen 15 und 37 Jahren, die lebenslang kinderlos bleiben möchten, bei 6,6 % [14]. Zudem zeigen die Eurobarometerdaten von 2011, dass sich der Anteil je nach Alter erheblich unterscheidet: Bei 15- bis 24-jährigen Frauen geben 4 % an, ihre persönliche ideale Kinderzahl sei null, bei 25- bis 39-Jährigen sind es 8 %, bei 40- bis 55-Jährigen 4 % und bei über 55-Jährigen 2 % [15].

Da sich die Kinderlosenquote zwischen gesellschaftlichen Gruppen erheblich unterscheidet, wird im Folgenden geprüft, inwieweit dies auch für die Kinderwünsche gilt. Dafür wird die Studie Familienleitbilder (FLB 2012) analysiert, bei der 5000 Personen im Alter von 20 bis 39 Jahren in Deutschland befragt wurden. Die Daten zeigen den Anteil an allen Frauen bzw. Männern an, die kinderlos sind und keinen Kinderwunsch haben (Tab. 2). Zunächst zeigen sich signifikante Geschlechtsunterschiede , Männer ab 30 sind etwas häufiger ohne Kinderwunsch als gleichaltrige Frauen. Die Wahrscheinlichkeit gewollter Kinderlosigkeit nimmt generell mit aufsteigender formaler Bildung ab, bei Männern ist dieser Trend deutlich stärker.

Tab. 2 Kinderlose Frauen und Männer ohne Kinderwunsch

Die geringe Zahl von jungen Erwachsenen ohne Kinderwunsch belegt die Bedeutung einer eigenen Familie: Die überwiegende Mehrheit, 85 % der 20- bis 39-Jährigen (FLB 2012), erachtet es als sehr wichtig oder wichtig, eigene Kinder zu haben. Nur für einen sehr kleinen Teil der jüngeren Bevölkerung ist dies unwichtig. Hinsichtlich des Kinderwunsches existieren keine Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern. Deutliche Einstellungsunterschiede, die seit Jahren in diversen Studien repliziert wurden, finden sich hinsichtlich des Geschlechts: Junge Frauen haben mit 62 % im Vergleich zu gleichaltrigen Männern (45 %) signifikant häufiger einen stark ausgeprägten Kinderwunsch.

Gesellschaftliche Ursachen

Die größte Gruppe der dauerhaft kinderlosen Frauen ist weder ihr Leben lang infertil noch ohne Kinderwunsch gewesen. Dieses Phänomen der nichtintendierten und nichtbiologischen Kinderlosigkeit beruht auf einem Zusammenspiel von kulturellen, strukturellen, ökonomischen und partnerschaftsbezogenen Faktoren, die zu einem Aufschub des Kinderwunsches geführt haben, der letztlich häufig in nichtintendierter Kinderlosigkeit resultiert.

Eine kulturelle Ursache ist der Wertewandel, der auf säkularen und emanzipatorischen Pfeilern aufbaut und Selbstverwirklichung sowie persönliche Freiheit in den Mittelpunkt stellt. Im Zuge dieses Prozesses haben sich seit den 1960er-Jahren die Einstellungen gegenüber Sexualität, Partnerschaft, Ehe und Familie fundamental geändert [16]. Ein Zusammenleben mit Partner ohne Heirat oder Kinderkriegen wurde normaler Bestandteil des Lebenslaufs und Kinderlosigkeit zunehmend sozial akzeptiert. Gleichzeitig haben sich die Ansprüche an Elternschaft zunehmend erhöht. Beispielsweise sind 84 % der 20- bis 39-Jährigen der Ansicht, dass Eltern bei der Erziehung vieles falsch machen können. Demgegenüber stehen gerade mal 10 %, die der Ansicht sind, dass Kinder „von allein“ groß werden [17]. Es wird ein starker sozialer Druck innerhalb der Gesellschaft wahrgenommen, dass Eltern „perfekt“ sein müssen [18].

Strukturelle Gründe liegen in der sprunghaft gestiegenen Beteiligung von Frauen am Bildungssystem und Arbeitsmarkt. Für die heutige Frauengeneration ist es selbstverständlich, erwerbstätig zu sein. Auch haben sich die Möglichkeiten in der Freizeit, von Reisen und bei der Partnerwahl erhöht, insbesondere in Großstädten. Die Entscheidung für ein Kind reduziert viele dieser neu gewonnenen Optionen. Je größer die Optionen, desto höher ist die Kinderlosigkeit; dies erklärt auch die hohe Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen und in Großstädten. Wenn zusätzlich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch eine auf Präsenzkultur basierende Arbeitswelt und durch mangelnde (qualitativ hochwertige und bezahlbare) Ganztagsbetreuungsangebote erschwert werden, stehen insbesondere hochgebildete Frauen faktisch vor der Wahl zwischen Karriere und Kindern.

Ökonomisch lässt sich die Kinderlosigkeit durch die gestiegenen Opportunitätskosten von Kindern bei Frauen erklären [19], die sich mit höherer Bildung und in wissensbasierten Arbeitsmärkten maximieren. Zudem kumulieren sie sich dynamisch im Lebenslauf, da familienbedingte Erwerbspausen und Teilzeitarbeit die Gehaltsentwicklung erheblich bremsen. Die Erwerbspausen reduzieren zudem das spätere Rentenniveau von Frauen, zumal sich dieses nur geringfügig an der Erziehung von Kindern, sondern primär an der Erwerbsbiographie orientiert. Dazu kommt das Phänomen, dass der berufliche Einstieg für die junge Generation mit vielen Unsicherheiten behaftet ist und sich die berufliche Etablierung in ein immer späteres Lebensalter verschiebt [20]. Der berufliche Konkurrenzdruck in globalen, wissensbasierten Arbeitsmärkten ist hoch, räumliche und zeitliche Flexibilität sind in dieser Phase zentrale Vorteile – Elternschaft entsprechend nachteilig. Der dyadische Aspekt verkompliziert die Entscheidung für Kinder, da der Zeitpunkt meistens in die berufliche, örtliche und finanzielle Lebensplanung beider Partner passen muss.

Perpetuierender Aufschub

Der Kinderwunsch wird immer weiter aufgeschoben. Gründe dafür sind zum einen, dass die beruflichen und privaten Optionen gestiegen sind, durch Elternschaft dagegen werden diese reduziert. Zum anderen sind Berufs- und Partnerschaftsbiographien zunehmend brüchig, und kinderlose Lebensformen werden gesellschaftlich akzeptiert. Dieses Aufschubphänomen lässt sich seit 1971 nachzeichnen: Das durchschnittliche Alter von Müttern bei der Geburt ihres ersten Kindes ist in Westdeutschland (24,33 Jahre) jährlich angestiegen und erreichte 29,69 Jahre im Jahr 2014 (Abb. 1). In der DDR bekamen die Frauen ihr erstes Kind sehr früh: Von 1960–1989 lag der Durchschnitt zwischen 22,1 und 23,2 Jahren: Nach der Wiedervereinigung ist das Erstgebäralter sprunghaft angestiegen und lag 2014 bei 28,39 Jahren. Der Wert für Deutschland insgesamt liegt bei 29,52 Jahren für das erste Kind. Ein weiterer Anstieg in den nächsten Jahren ist zu erwarten.

Abb. 1
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Erstgebäralter (Jahre) in Deutschland 1961–2014. BRD Bundesrepublik Deutschland, DDR Deutsche Demokratische Republik. (Mit freundl. Genehmigung des Autors M. Bujard, Wiesbaden; all rights reserved; Quellen: DDR 1961–1989 und BRD 1961–1987, bezogen auf Ehen [8]; 1988–2008 West und Ost 2002–2008, Schätzung basierend auf [22], 2009–2014: Bevölkerungsstatistik [21])

Spätes Erstgebäralter

Dieses durchschnittlich späte Erstgebäralter impliziert, dass weitere Kinder in einem noch späteren Alter geboren werden. Im Jahr 2014 lag das durchschnittliche Alter beim zweiten Kind bei 31,79, beim dritten bei 33,03 und beim vierten bei 34,17 Jahren. Frauen mit 4 Kindern haben ihr erstes Kind deutlich früher bekommen als andere Frauen; hinter den Durchschnittswerten verbirgt sich eine erhebliche Spannbreite. Für viele Frauen liegt das Erstgebäralter bei über 35 Jahren, wodurch sich das Zeitfenster für weitere Kinder enorm reduziert.

Abhängigkeit vom Bildungsgrad

Insbesondere bei Akademikerinnen ist das Erstgebäralter sehr hoch. Nach Bildungsgruppen differenzierte Daten zum Erstgebäralter liegen bisher nicht vor und werden anhand der Mikrozensen 2002–2014 hier berechnet: Dabei wurde die Variable „Kinderzahl im Haushalt“ so verwendet, dass nach Kindern unter einem Jahr und ohne weitere Kinder im Haushalt für 35- bis 42-jährige Frauen gefiltert wurde. Dieses wurde für alle 13 genannten Mikrozensen durchgeführt, wodurch sich eine Kohorten-Alter-Matrix mit Erstgebärquoten berechnen ließ. Aufgrund der Fallzahlen wurden 3 Kalenderjahre zusammengefasst und die Werte für 35- bis 42-jährige Akademikerinnen und Nichtakademikerinnen im 10-Jahres-Abstand verglichen (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Erstgeburten ab 35 Jahren nach Bildungsstand (%). (Mit freundl. Genehmigung des Autors M. Bujard, Wiesbaden; all rights reserved; Quelle: Mikrozensen 2002–2014, eigene Berechnung und Darstellung. Anmerkung: Die Anteile beziehen sich auf alle Frauen, nicht nur auf Mütter)

Die Befunde zeigen, dass bei Akademikerinnen ein großer Teil der Erstgeburten nach dem 35. Geburtstag stattfindet. Legt man eine Kinderlosigkeit dieser Kohorten von 28 % zugrunde, sind nur 45,8 % der Akademikerinnen an ihrem 35. Geburtstag bereits Mutter, und 26,2 % werden es danach. Bezogen auf die Mütter bekommen also 36,4 % ihr erstes Kind ab 35 Jahren, ein zweites Kind kommt dann entsprechend noch später. Anders ist das bei Nichtakademikerinnen: Hier liegt für 2012–2014 der Anteil von Erstgeburten ab 35 Jahren nur bei 9,4 %. Bemerkenswert ist auch der Anstieg der späten Erstgeburten innerhalb von nur 10 Jahren: Bei Nichtakademikerinnen ist er um 42 % gestiegen, bei Akademikerinnen um 40 %.

Abhängigkeit vom medizinischen Fortschritt

Dieser Anstieg von 2002 bis 2014 lässt sich nicht allein durch die beschriebenen gesellschaftlichen Ursachen des Geburtenaufschubs erklären. Für das 2007 eingeführte Elterngeld lässt sich bei Akademikerinnen zwar ein positiver Effekt auf Geburten ab 35 Jahren nachweisen [23]. Der Anstieg später Geburten um 40 % in 10 Jahren bedarf jedoch weiterer Erklärungen. Der Befund lässt vermuten, dass der medizinische Fortschritt und eine zunehmende Nutzung von reproduktionsmedizinischer Behandlung eine zentrale Rolle spielen. Assistierte Reproduktionstechniken (ART) wie In-vitro-Fertilisation (IVF) und intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ermöglichen zwar viele Schwangerschaften, allerdings können ART den altersbedingten Fruchtbarkeitsrückgang nicht kompensieren [24]. Dies liegt auch an der mit zunehmendem Alter abnehmenden Erfolgsquote der ART-Behandlung [25]. Das ART-Potenzial zur Reduzierung ungewollter Kinderlosigkeit wird auch durch eine geringe Nutzung begrenzt, da nur ein Viertel der Paare bei entsprechender Indikation 3 IVF bzw. ICSI-Zyklen vornehmen lassen [26]. Möglicherweise ist diese Quote bei Akademikerinnen in Deutschland inzwischen höher. Hier ist weitere Forschung notwendig, ebenso dazu, inwieweit auch konservative Maßnahmen wie hormonelle Stimulation oder Insemination durch eine häufigere Nachfrage zum Anstieg der Erstgeburten ab 35 Jahren beitragen.

Jedoch ist die Zunahme Spätgebärender auch mit gesundheitlichen Risiken verbunden, da u. a. die Prävalenz von Trisomie 21, Diabetes mellitus und Fehlgeburten progressiv mit dem Alter der Frau ansteigt. Auch das Risiko von Zwillingsgeburten nach ART von 22,6 % [25] ist zu beachten. Allerdings erscheinen die relativen Risiken (also im Vergleich zu jüngeren Müttern) weitaus höher als die absoluten Risiken, und die Mehrzahl von Schwangerschaften bei über 35-jährigen Frauen verläuft komplikationslos [26, 27]. Dass die Risiken später Mutterschaft antizipiert werden, zeigen die Einstellungen zum idealen Erstgebäralter.

Einstellungen zum idealen Erstgebäralter

Die Befunde belegen eine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit (Tab. 3): Das ideale Gebäralter für Frauen wird im Alter von 26,9 Jahren gesehen, also knapp 3 Jahre jünger als das tatsächliche durchschnittliche Erstgebäralter von 29,5 Jahren. Mit steigender formaler Bildung steigt das Idealalter für die erste Geburt leicht an: Befragte mit einer niedrigen Bildung sehen als Idealalter 26,3 für Frauen an. Bei den Hochgebildeten, die ihre Kinder auch tatsächlich später bekommen, sind es 27,7 Jahre. Jedoch sind die Unterschiede nach Bildungsgruppen weniger ausgeprägt als die tatsächlichen Zahlen für das Erstgebäralter. Insofern besteht bei Akademikerinnen eine noch stärkere Kluft. In den neuen Bundesländern, in denen bis vor einigen Jahren die Kinder noch sehr früh geboren wurden, wird dementsprechend das Idealalter für Frauen niedriger beziffert als im früheren Bundesgebiet.

Tab. 3 Ideales Alter für Frauen bei der Geburt des ersten Kindes

Bei der Betrachtung der prozentualen Verteilungen zeigen sich weitere Anhaltspunkte für ein Leitbild des idealen Erstgebäralters: Teenagerschwangerschaften werden nahezu von allen jungen Erwachsenen abgelehnt. Jedoch auch die sehr späte Geburt von Kindern, nämlich nach dem 35. Lebensjahr, wird nicht als ideal bewertet. Lediglich 1,7 % der Befragten sehen diesen Zeitraum als ideales Erstgebäralter für Frauen an. Betrachtet man die Männer, so denken 8,8 %, dass es ideal sei, nach dem 35. Lebensjahr eine Familie zu gründen (nicht in Abb. gezeigt). Späte Vaterschaft wird deutlich eher akzeptiert als späte Mutterschaft. Für Frauen sehen 62,1 % die Altersphase zwischen dem 25. und 29. Lebensjahr als ideal für die Geburt des ersten Kindes an.

In der Leitbildstudie wurden auch die Bedingungen erhoben, die erfüllt sein sollten, bevor ein Paar Kinder bekommt: Nur eine Minderheit (16,1 %) ist der Ansicht, dass ein Paar verheiratet sein muss, um Kinder zu bekommen. Jedoch halten 79,1 % der jungen Erwachsenen die finanzielle Absicherung für eine zentrale Bedingung, um eine Familie gründen zu können. Auch sieht eine Mehrheit (60,4 %) die Voraussetzung als zentral, dass die Frau im Beruf Fuß gefasst haben muss, unabhängig davon, ob ihr Partner arbeiten geht.

Fazit für die Praxis

  • Rund 92 % der jungen Frauen möchten eigene Kinder haben.

  • Die erste Schwangerschaft bedeutet für viele Frauen, dass damit zentrale berufliche und private Optionen wegfallen. Dies ist mit Ängsten und psychosozialem Stress verbunden.

  • Der Aufschub der Familiengründung in ein späteres Lebensalter …

    • verweist auf schwer auflösbare Zielkonflikte von Menschen innerhalb der reproduktiven Lebensphase und wird von den meisten nicht als ideal angesehen,

    • ist bei Akademikerinnen besonders ausgeprägt, bei denen 36,4 % der Mütter ihr erstes Kind erst ab 35 Jahren bekommen,

    • erhöht in Zukunft erheblich die Nachfrage nach reproduktionsmedizinischen Maßnahmen,

    • erhöht den Informationsbedarf in Medien und Praxen über biologische Grenzen der Fruchtbarkeit und zu Chancen, Risiken und Grenzen von assistierten Reproduktionstechniken (ART).