Hintergrund und Fragestellung

Die Diagnose Prostatakarzinom wirft bei den betroffenen Männern viele Fragen auf. Welche Therapie ist am besten geeignet? Welche Folgen hat die Krankheit? Wie lange wird sie andauern? Obwohl die wichtigsten Informationen im Arzt-Patienten-Gespräch vermittelt werden, suchen viele Patienten nach zusätzlichen Informationen. Die Informationssuche ist eine wichtige Strategie im Umgang mit Angst und Unsicherheit. Jedoch sind nicht alle Quellen gleichermaßen unterstützend, v. a. wenn die Validität der Informationen zweifelhaft ist. Vor diesem Hintergrund wird insbesondere das Internet als Informationsquelle kontrovers diskutiert.

Krankheitsangst und Informationssuche bei Männern mit lokal begrenztem Prostatakarzinom

Bis zu 30 % der Männer mit einem Prostatakarzinom (PCa) berichten Angstwerte, die als klinisch relevant einzustufen sind [28]. Eine erhöhte Krankheitsangst mindert nicht nur die Lebensqualität [21], sondern beeinflusst auch die Therapieentscheidung und -adhärenz [25]. Gemäß der S3-Leitlinie [17] stehen Männern mit lokal begrenztem PCa (LPCa) vier Therapieoptionen zur Verfügung: die radikale Prostatektomie (RP), perkutane Radiotherapie (EBRT), Brachytherapie (BRT) und Active Surveillance (AS). Der langfristige Verlauf der Krankheitsangst scheint nicht mit der gewählten Therapiestrategie zusammenzuhängen [27]. Dennoch spielt zum Zeitpunkt der Therapieentscheidung die Krankheitsangst und die damit verbundene psychische Belastung eine große Rolle [2] und bei etwa einem Fünftel der Männer unter AS erfolgt der Wechsel zu einer invasiven Therapie aufgrund der Krankheitsangst und nicht aufgrund einer klinisch relevanten Krankheitsprogression [3].

Um ihre Angst zu bewältigen, suchen viele Patienten aktiv nach Informationen. Eine direkte Auseinandersetzung mit der Erkrankung geht mit einem besseren psychischen Wohlbefinden einher. Das aktive Vorgehen kann ein Gefühl von Kontrolle vermitteln und Unsicherheit verringern [18]. Insbesondere Krebspatienten haben ein großes Informationsbedürfnis, das sie häufig nicht erfüllt sehen [10]. Der Eindruck, nicht ausreichend informiert zu sein, kann die Krankheitsangst verstärken, v. a. dann, wenn rezipierte Informationen widersprüchlich und verwirrend sind [14]. In diesem Zuge wird das Internet als Informationsquelle intensiv diskutiert, da es einerseits niedrigschwellig Informationen anbietet, andererseits jedoch keine inhaltliche Korrektheit garantiert. Eine Studie [24] mit 1613 Melanompatienten zeigte, dass 94 % der Befragten das Internet als Informationsquelle als nützlich bewerteten. Ein Drittel der Befragten gab an, dass die Krankheitsangst durch die Internetrecherche abgenommen habe, während ein Drittel einen Anstieg der Angst berichtete. Die Nutzung des Internets hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen: Im Jahr 2017 verfügten bereits 93 % der deutschen Privathaushalte über einen Internetzugang [9] und etwa drei Viertel der über 60-Jährigen nutzten das Internet [8].

Ziel der Studie

Ziel der Studie war es zu untersuchen, inwiefern verschiedene Arten von Informationsquellen, die Anzahl der genutzten Informationsquellen und die wahrgenommene Informiertheit die krankheitsspezifische Angst bei Männern mit LPCa vorhersagen.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Studiendesign und Rekrutierungsprozedere

Die prospektive nicht-interventionelle Beobachtungsstudie basierte auf einer Nachbefragung der multizentrischen Versorgungsstudie HAROW, welche detailliert an anderer Stelle beschrieben wurde [12]. Männer, die sich initial für eine RP entschieden hatten, wurden basierend auf der Zeit seit der Therapieentscheidung zu Männern unter AS gematcht. Die Stichprobe umfasste 150 Männer nach RP und 142 Männer unter AS. Die Zeit zwischen der Behandlungsentscheidung und der Befragung reichte von 19 bis 78 Monaten (M = 47,96 ± SD = 15,4). Ein positives Votum der Ethikkommission der Charité-Universitätsmedizin Berlin lag vor (EA 1/242/13).

Materialien und Instrumente

Die krankheitsspezifische Angst wurde mit der deutschen Version der Memorial Anxiety Scale for Prostate Cancer (MAX-PC; [16]) erhoben (α = 0,93). Der MAX-PC umfasst 18 Items und ist in drei Subskalen gegliedert (Angst bezogen auf Prostatakrebs, PSA-Test, Rezidiv). Ein globaler Summenscore indiziert die Intensität der prostatakrebsspezifischen Angst (0–54 Punkte, Cut-off klinisch relevante Angst = 27 Punkte; [1]).

Die Art der genutzten Informationsquellen wurde in Anlehnung an Huber et al. [13] erfasst (α = 0,75): Anhand von acht verschiedenen Informationsquellen (Hausarzt/Urologe, andere Betroffene/Selbsthilfegruppe, Familie/Freunde, Internet, Radio/Fernsehen, Tageszeitungen/Zeitschriften, Gesundheitsliteratur, Medizinische Veranstaltungen/Kongresse) beurteilten die Teilnehmer, wie häufig sie diese in den vergangenen 12 Monaten genutzt hatten (Antwortkategorien: 1 = niemals bis 4 = oft). Zur Ermittlung der Anzahl genutzter Informationsquellen wurden die Antwortkategorien dichotomisiert (1 = nicht genutzt, 2–4 = genutzt) und ein Summenwert über alle Items gebildet. Die wahrgenommene Informiertheit wurde mit einem Item erhoben („Ich fühle mich gut über meine Erkrankung informiert“; Antwortkategorien von: 1 = stimme voll zu bis 4 = stimme gar nicht zu).

Statistische Analyse

Gruppenunterschiede zwischen RP- und AS-Patienten (Alter, Zeit seit der Therapieentscheidung, PSA-Wert, Anzahl der Informationsquellen) sowie zwischen Männern mit klinisch relevanter und nicht klinisch relevanter Krankheitsangst wurden mit dem t-Test für unabhängige Stichproben überprüft, bezüglich kategorialer Variablen (Gleason-Score) mit dem χ2-Test. Da bei der Zahl der Komorbiditäten, der wahrgenommenen Informiertheit, der Internetnutzung und der krankheitsspezifischen Angst die Normalverteilungsannahme verletzt war, wurde der non-parametrische Mann-Whitney-U-Test durchgeführt. Zur Vorhersage der Krankheitsangst wurde eine sequentielle multiple Regressionsanalyse berechnet. Im ersten Schritt wurde für Kovariablen kontrolliert, danach wurde die Informationsquelle „Internet“ in das Regressionsmodell aufgenommen, gefolgt von der Anzahl der Informationsquellen, der wahrgenommenen Informiertheit und den Interaktionstermen. Zur Berechnung der Effektstärke der inkrementellen Varianzaufklärung wurde f2 nach Cohen [5] herangezogen. Es bestand keine Multikollinearität zwischen den Prädiktorvariablen.

Für die Moderationsanalyse wurden die Prädiktorvariablen und die Interaktionsterme um ihre jeweiligen Gesamtmittelwert zentriert. In die Moderationsmodelle wurden die Anzahl der Informationsquellen und das Internet als Moderatoren, die wahrgenommene Informiertheit als Prädiktor der Krankheitsangst aufgenommen. Interaktionseffekte wurden mithilfe von Simple-slope-Tests überprüft [22]. Geringe und hohe Ausprägungen der kontinuierlichen Moderatorvariablen wurden berechnet, indem eine Standardabweichung von dem zentrierten Mittelwert der jeweiligen Variable subtrahiert bzw. addiert wurde. Die Moderationsanalyse wurde mit der PROCESS-Makro für SPSS (Modell 3) berechnet. Alle weiteren Analysen wurden mit der Statistiksoftware IBM SPSS Statistics 24 durchgeführt. Für die Analysen wurde ein Signifikanzniveau von α = 0,05 festgelegt.

Ergebnisse

Die Stichprobe ist in Tab. 1 beschrieben. Das mittlere Alter betrug 70 Jahre (SD = 7,2). Männer unter AS waren im Durchschnitt 4,3 Jahre älter und hatten einen durchschnittlich 1,4 ng/ml2 geringeren PSA-Wert.

Tab. 1 Deskriptive Stichprobenbeschreibung

Abb. 1 veranschaulicht die Nutzung der Informationsquellen. Die meisten Männer konsultierten ihren Arzt, gefolgt von Zeitschriften und Gesundheitsliteratur. Das Internet wurde von 38,9 % der Männer als Informationsquelle genutzt.

Abb. 1
figure 1

Nutzung der verschiedenen Quellen in Prozent (Mehrfachantworten möglich)

Die Krankheitsangst war in der gesamten Stichprobe gering (M = 10,88; SD = 9,73) und es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen. 8,57 % der Männer berichteten Angstwerte, die über dem klinischen Cut-off lagen. Diese Männer benutzten signifikant mehr Informationsquellen (M = 5,67; SD = 1,49) als Männer mit geringerer Angst (M = 3,72; SD = 2,13; p = 0,01). Um zu überprüfen, welche Faktoren die Krankheitsangst vorhersagen, wurde eine sequentielle multiple Regression durchgeführt (Tab. 2). Soziodemographische und klinische Variablen (Schritt 1) erklärten 13,3 % der Varianz im Kriterium Krankheitsangst (p < 0,001). Die Nutzung des Internets (Schritt 2) erklärte einen zusätzlichen Varianzanteil von 8,5 % (p < 0,001; f2 = 0,31). Die Anzahl der konsultierten Quellen (Schritt 3) leistete eine inkrementelle Varianzaufklärung von 3,6 % (p = 0,001; f2 = 0,19). Die wahrgenommene Informiertheit (Schritt 4) klärte weitere 6,6 % Varianz auf (p < 0,001; f2 = 0,27). Die Zweifachinteraktionen (Schritte 5–7) leisteten keine signifikante Varianzaufklärung (p = 0,168–0,465), während die Dreifachinteraktion (Informiertheit × Anzahl der Quellen × Internetnutzung) einen kleinen, aber signifikanten Varianzanteil aufklärte (\(\Updelta\)R2 = 0,016, p = 0,017, f2 = 0,13). Insgesamt erklärte das Modell 30 % (R2 adjustiert) Varianz der krankheitsspezifischen Angst.

Tab. 2 Multiple lineare Regression der krankheitsspezifischen Angst

Die Moderationsanalyse zeigte, dass der Zusammenhang zwischen wahrgenommener Informiertheit und Krankheitsangst sowohl durch die Anzahl der Informationsquellen als auch durch die Internetnutzung moderiert wird (p = 0,017). Simple-slope-Analysen (Abb. 2) ergaben, dass der Effekt der wahrgenommenen Informiertheit auf die Krankheitsangst für Männer, die eine hohe Anzahl an Informationsquellen nutzen, signifikant ist (B = 1,26; t  = 2,88; p < 0,01), wenn gleichzeitig das Internet oft genutzt wurde. Das bedeutet, dass für Männer, die das Internet häufig als Informationsquelle nutzten und sich wenig über ihre Erkrankung informiert fühlten, eine höhere Anzahl genutzter Informationsquellen mit einer stärkeren Krankheitsangst assoziiert war.

Abb. 2
figure 2

Signifikante 3‑fach-Interaktion

Diskussion

Je mehr Patienten das Internet als Informationsquelle nutzen, desto wichtiger wird ein Verständnis der Zusammenhänge von Online-Informationssuche und krankheitsspezifischer Angst. Die drei Kernergebnisse unserer Studie sind, dass (1) die Internetnutzung, die Zahl genutzter Informationsquellen und eine geringere wahrgenommene Informiertheit unabhängig voneinander die krankheitsspezifische Angst bei Männern mit LPCa erklären; (2) das Zusammenspiel der Zahl genutzter Informationsquellen und der wahrgenommenen Informiertheit nur bei Männern signifikant ist, die das Internet häufig nutzen; (3) fast 40 % der betroffenen Männer das Internet nutzen, um sich über ihren Prostatakrebs zu informieren [19].

In vorangegangenen Studien wurde bereits gezeigt, dass die Krankheitsangst sowohl mit der Informationsquellennutzung als auch mit der Informiertheit assoziiert ist [6]. Es war jedoch nicht klar, ob PCa-Patienten mit einer höheren Krankheitsangst eher dazu neigen, sich über möglichst viele Kanäle zu informieren [20] oder ob umgekehrt erst eine breitere Informationssuche zu einer höheren Krankheitsangst führt [23]. Unsere Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass auch das Zusammenspiel von Internetnutzung, Zahl der Informationsquellen und Informiertheit eine entscheidende Rolle spielt: Nur bei Männern, die das Internet verstärkt nutzen und die sich gleichzeitig weniger gut über ihren Prostatakrebs informiert fühlen, scheint eine höhere Zahl genutzter Informationsquellen mit einer höheren Krankheitsangst assoziiert zu sein. Folglich sind internetaffine Männer, die sich noch zu wenig zu ihrer Erkrankung informiert fühlen, besonders gefährdet, sich von der Informationssuche verunsichern zu lassen.

Das Internet stellt für Krebspatienten eine zunehmend wichtige Informationsquelle dar [4]. Ein Vorteil liegt in dem niedrigschwelligen Zugang zu Informationen. Mehr als ein Drittel der Teilnehmer unserer Studie gab an, sich im Internet über ihre Erkrankung informiert zu haben. Dabei ist zu beachten, dass unsere Studie im Jahr 2014 durchgeführt und die Diagnose im Mittel vier Jahre zuvor gestellt wurde. Mittlerweile benutzen bereits drei Viertel der Männer über 60 Jahren das Internet, im Alter von 50–59 Jahren sind es bereits 87 % und im Alter von 40–49 Jahren 95 % [8]. Zukünftig wird eine Generation von Männern mit einem LPCa diagnostiziert werden, für die die Internetnutzung zur Informationssuche bereits fester Bestandteil ihres (beruflichen und privaten) Lebens ist. Vor diesem Hintergrund sollte nicht diskutiert werden, ob das Internet eine geeignete Informationsquelle ist, sondern vielmehr wie Patienten das Internet nutzen können, um verlässliche Informationen zu ihrer Erkrankung zu erhalten.

Behandelnden Ärzten kommt hier eine zentrale Rolle zu: Sie müssen ihren Patienten helfen, sich in dem Dschungel an Informationen zurechtzufinden. Die Nutzung von Online-Informationen sollte im Arzt-Patienten-Gespräch thematisiert und der Patient über mögliche Risiken aufgeklärt werden. Viele Patienten wünschen sich eine Übersicht mit Links zu nützlichen Internetseiten [15]. Damit könnte das Risiko reduziert werden, dass Patienten mit ungeprüften und falschen Informationen konfrontiert werden. Auch onlinebasierte Beratungstools haben großes Potential, da sie den Patienten auch außerhalb des Beratungsgesprächs Zugang zu gesicherten Informationen bieten. Erste positive Befunde liegen z. B. für die onlinegestützte „Entscheidungshilfe Prostatakrebs“ der Patientenakademie der Deutschen Urologen vor [11].

Stärken der vorliegenden Arbeit sind die hohe externe Validität durch das multizentrische, nicht-interventionelle Studiendesign und eine vergleichsweise große Stichprobe. Eine Limitation unserer Studie ist das querschnittliche Design, das keine kausalen Interpretationen zulässt. Die Wirkungsrichtung sollte zukünftig im Rahmen von randomisiert kontrollierten Studien getestet werden.

Fazit für die Praxis

  • In zukünftigen Studien sollte erfasst werden, durch welche Quellen sich Patienten am besten informiert fühlen.

  • In Bezug auf das Internet sollten die unterschiedlichen Typen von Online-Quellen (z. B. Informationsvideos, Fachzeitschriften, Themenforen/Erfahrungsberichte) erhoben und von den Patienten bezüglich ihrer Nützlichkeit bewertet werden.

  • Immer mehr Patienten fragen „Doktor Google“ um Rat. Damit ändert sich auch die Rolle der Ärzten: diese sollten ihre Patienten dabei unterstützen, die Vielzahl an Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu strukturieren und zu interpretieren.

  • Eine Beratung zur kritischen Informationsquellennutzung könnte einen Weg darstellen, dem Patientenwunsch nach aktiver Informationssuche gerecht zu werden und dabei gleichzeitig die Verunsicherung zu reduzieren.