Digitalisierung im Gesundheitswesen

Der Bundesverband der Urologen (BvDU) verkündete am 09.04.2018: „Moderner Kanal zur Patientenkommunikation: Berufsverband der Deutschen Urologen startet ‚PraxisApp Urologie‘“Footnote 1.

Meldungen wie diese gehören mittlerweile zum Alltag. Egal ob eine neue, intelligente App zur Stärkung der Patientenbindung, ein System zur Vernetzung von Ärzten z. B. im Rahmen der Videosprechstunde oder auch die konsiliarische Befragung von Fachkollegen – eine digitale Kommunikation drängt stärker werdend auch in das Gesundheitswesen vor. Auch das gesetzliche wie berufsständische Umfeld reagiert: Nach dem E‑Health-Gesetz I wird die Version II folgen und der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt hat gerade ganz aktuell auf Vorschlag der Bundesärztekammer die Lockerung des Fernbehandlungsverbots beschlossen [2].

Doch was heißt Digitalisierung eigentlich: Das originäre Verständnis ist eine Umwandlung von analogen in digitale Inhalte – das Fax-Gerät wird durch ein E‑Mail-Programm ersetzt. Bedeutet dies nun, dass eben jedwede analoge Kommunikation verschwinden soll, Menschen nicht mehr miteinander reden und in letzter Konsequenz Ärzte durch Roboter ersetzt und Diagnosen durch „Künstliche Intelligenz“ gestellt werden? Aus Sicht der Autoren ist dies ein falsches Verständnis dessen, was Digitalisierung eigentlich zu leisten vermag.

Digitalisierung stellt einen Megatrend in unserer Gesellschaft dar, der mittlerweile alle Bereiche der Gesellschaft erreicht hat [8]. Im industriellen Umfeld etablieren sich längst völlig neue Produkte und Produktionsprozesse, die unter Einbindung von Cyber-physischen Systemen und Maschinen in digital gesteuerte Prozesse unter dem Schlagwort Industrie 4.0 völlig neue, digital gesteuerte Arbeitsabläufe erfordern. In unserem privaten Umfeld erledigen wir seit langem unsere Bankgeschäfte digital, kaufen online ein und kommunizieren über Social-media-Anwendungen. Im Gesundheitswesen zieht eine Digitalisierung zwar langsam ein, der Grad der Digitalisierung ist aber weit hinter dem anderer Branchen oder unserem Alltag. Nach wie vor werden viele Informationen, wenn überhaupt, nur mit Medienbrüchen zwischen verschiedenen Abteilungen eines Krankenhauses oder zwischen verschiedenen Einrichtungen ausgetauscht. Das Projekt der elektronischen Gesundheitskarte stagniert bzw. kommt nur langsam voran. Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland damit vielen anderen Ländern hinterher. Legt man einmal das EMRAM-Modell („electronic medical record adoption model“) der Organisation HIMSS (Healthcare Information and Management System Society) zugrunde, so zeigt sich der Nachholbedarf in deutschen Kliniken [6, 10].

Dimensionen der Digitalisierung

Digitalisierung im Krankenhaus wird häufig auf die medizinische Dokumentation reduziert und damit mit der Einführung einer elektronischen Patientenakte gleichgesetzt. Dies ist zugegebener Weise ein wichtiger Aspekt, trifft aber nicht alle Dimensionen und wird der Reichweite des Themas nicht annähernd gerecht. Wir wollen im Folgenden sowohl die Digitalisierung medizinischer Leistungserbringung wie auch die Bedeutung der Digitalisierung für sekundäre Prozesse (Logistik, Beschaffung, Verwaltung etc.) betrachten. Insbesondere soll dabei ein Augenmerk auf neue Steuerungsoptionen in Medizin und anderen Bereichen gelegt werden, die sich aufgrund von massiver Datenverfügbarkeit als unmittelbare Folge von Digitalisierungsaktivitäten ergeben. Vor allem muss aber nicht nur die technische Dimension der Digitalisierung, sondern auch die Rolle des Menschen betrachtet werden.

Der Mensch darf durch Digitalisierung nicht zum Räderwerk in einer elektronischen Maschine werden

Digitalisierung darf nicht dazu führen, dass der Mensch zum Räderwerk in einer elektronischen Maschine wird. Vielmehr müssen gerade im Krankenhausgeschehen digitale Tools und Prozesse Unterstützungsmittel für medizinisches und pflegerisches Handeln bleiben. Der menschliche Bezugsaspekt zum Patienten muss im Vordergrund stehen. Darüber hinaus verlangen der Umgang mit neuen digitalen Produkten und die Arbeit in digital gestützten Prozessen aber auch spezifische Kompetenzen. Strategien zur Digitalisierung müssen daher nicht nur Prozessveränderungen und den Einsatz neuer digitaler Werkzeuge umfassen, sie müssen darüber hinaus auch zentral einen Baustein zur Entwicklung der digitalen Gesundheitskompetenz („digital health literacy“) vorsehen.

Digitalisierung medizinischer Leistungserbringung

Das Zusammenführen von Daten- und Informationsströmen erlaubt eine in Deutschland häufig nicht gelebte Kooperationskultur zwischen den Akteuren. Das Selbstverständnis des deutschen klinischen Arbeitsplatzsystems (KAS) ist eine fachbereichsspezifische Anwendung (z. B. für den Bereich Pflege). Für eine stärker funktionsbereichübergreifende Datenverfügbarkeit werden zunehmend Projekte zu einer vollständigeren digitalen Zusammenführung existierender Datenbestände (elektronische Kurve) auch abteilungsübergreifend durchgeführt. Mit dem Einsatz mobiler digitaler Geräte wird das KAS auch für Tablett-PCs und Smartphones verfügbar gemacht. Die digitalen Informationen erreichen damit auch den mobilen „point of care“ (z. B. bei der Visite). Zumeist bleibt der Blick heute aber noch sektorbegrenzt.

Nur wenige Projekte öffnen bisher den medizinischen Datenaustausch für eine intersektorale Kommunikation (z. B. über eine elektronische Fallakte [4]). Eine entsprechende Schnittstelle könnte die Kommunikation mit einweisenden Ärzten oder nachsorgenden Stationen wie Rehabilitationseinrichtungen oder niedergelassenen Ärzten jedoch deutlich erleichtern.

Ein weiterer Bereich, die der Medizintechnik gerade im Bereich der Radiologie, war und ist ein Vorreiter der Digitalisierung. Aufnahmen werden direkt digitalisiert sowie archiviert und können mithilfe von Computerprogrammen vorbewertet werden. Dieses Streben nach einer digitalen Kommunikation ist zu einem Tenor in der Medizintechnik geworden, um nicht nur händisch dokumentierte, sondern auch durch technische Geräte entstandene Daten z. B. in der elektronischen Patientenakte verfügbar zu machen. Hier entstehen massive Potentiale für eine Entlastung der Mitarbeiter durch Unterstützung in den primär aber insbesondere auch in den Sekundärprozessen.

Digitale medizinische Daten sind Grundlage für entscheidungsunterstützende Systeme

Digitale medizinische Daten sind die Grundlage für die Einführung entscheidungsunterstützender Systeme [7]. Solche intelligenten Systeme sind in der Lage, sehr große und ggf. heterogene Datenmengen („big data“) effizient zu analysieren. So können die Systeme z. B. aktuelle Befunde mit anderen Befunden vergleichen und das in einer Größenordnung, in der ein Mediziner niemals Vergleiche durchführen könnte, wobei ein Algorithmus gleichzeitig wertvolle Hinweise zu einer Entscheidungsfindung beitragen kann. Systeme der künstlichen Intelligenz werden somit zu einem zentralen Baustein medizinischen Wissensmanagements werden.

Digitalisierung von Sekundärprozessen

Für einen reibungslosen Ablauf eines Krankenhauses muss eine Vielzahl von Sekundärprozessen etwa zum Management von Betten oder Sterilgut zur Versorgung mit Medikamenten und Speisen, zur Beschaffung von Materialien etc. orchestriert werden. Für eine Vielzahl dieser Einzelfunktionen setzen Krankenhäuser heute dedizierte informationstechnologisches (IT-)Systeme ein, die sicherlich einzelfunktionsbezogen gute Dienste leisten, die aber naturgemäß nicht notwendigerweise zu einer Optimierung komplexerer Prozesse und Schnittstellen beitragen.

Im europäischen Ausland existieren umfassendere Lösungen, in denen, basierend auf einer zentralen gemeinsamen Infrastruktur, Ressourcen verwaltet und Aufgaben koordiniert werden können [5]. Patienten befinden sich z. B. durch intelligente Leit- und Informationssysteme immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ein durch Ortungstechnologien unterstütztes „task management“ erlaubt die Optimierung der logistischen Flüsse (z. B. im Bereich der Hol- und Bringdienste). Eine enge Integration dieser Funktionen („service logistics“) mit Funktionen zur Steuerung medizinischer Leistungserbringung („clinical logistics“) führt Informationen zur logistischen Steuerung mit dem KAS zusammen und ermöglicht eine gemeinsame Sicht auf einen kooperativen Prozess: Ärzte, Pflege oder auch Administration verfolgen ein gemeinsames Ziel einer optimalen Therapie des Patienten unter gleichzeitiger Einhaltung betriebsnotwendiger Rahmenbedingungen.

Datengetriebene Steuerung des Krankenhauses

Auf Basis der durch die Digitalisierung gewonnenen Daten lassen sich wertvolle Informationen für die Steuerung eines Krankenhauses gewinnen. Auch hier kann ein Blick in das europäische Ausland mögliche Optionen aufzeigen [1].

Am Standort Aarhus in Dänemark wurde die Idee der integrierten „clinical and service logistics“ weiter gedacht zum „hospital cockpit“. Die stetige Verfügbarkeit von Daten erlaubt es zunächst, Ressourcen optimiert zu verwalten und zu bewirtschaften. So ist z. B. jederzeit der Standort eines mobilen medizintechnischen Gerätes bekannt und es kann ohne große Suche auf dieses zugegriffen werden. Die Transparenz über die Nutzung eines solchen Systems erlaubt eine effiziente Resourcenplanung etwa in Bezug auf Standortplanung, Beschaffung von Geräten, „predictive maintenance“ etc. In Verbindung mit einem integrierten, digital unterstützten „task management“ wird es in Echtzeit möglich, überlastete Funktionsbereiche zu erkennen und sogar vorherzusagen.

Digitale Gesundheitskompetenz

Das Verständnis vieler Krankenhäuser zur Digitalisierung ist stark technologisch geprägt. Gleichwohl stellt sich die Frage, inwiefern ein digitales Krankenhaus auch weiterhin ein empathisches sein kann, oder auch soll. Das Gesundheitswesen ist, im Unterschied zu anderen Branchen der Industrie 4.0, stärker durch den Faktor „Mensch“ geprägt und wird es perspektivisch gerade in den Primärprozessen weiterhin sein. Doch wie verhält sich der Mensch in einer sich digitalisierenden Welt mit einer hohen technologischen Innovationsgeschwindigkeit?

Ein souveräner Umgang mit digitalen Technologien setzt digitale Kompetenzen voraus

Ein souveräner Umgang mit digitalen Technologien setzt digitale Kompetenzen voraus. Der selbstbestimmte Mitarbeiter ist in der Lage, Chancenpotenziale wie auch Risikosituationen zu erkennen. Beispiele sind Chancen zur Dokumentationsunterstützung entlang von Prozessen oder aber auch Risiken, die sich u. a. durch unbedachte Verhaltensweisen in Hackerangriffen äußern können.

Digitalisierung ist somit nicht nur eine technische Sicht, sondern erfordert von Krankenhäusern ebenso Konzepte, um die Souveränität der Mitarbeiter in sich digitalisierenden Prozessen sicherzustellen. Der Faktor Mensch entscheidet durch Akzeptanz maßgeblich mit über die Effizienz und Effektivität neuer Prozesse. Neben Konzepten der Ausbildung bedarf es somit auch einer kontinuierlichen Weiterbildung.

Strategien zur Digitalisierung des Krankenhauses

Digitalisierung verstanden als Produkt ist ein häufig anzutreffendes Selbstverständnis der Krankenhäuser. Hier bedarf es eines Mentalitätswandels in Deutschland: Digitalisierung ist ein Prozess im Sinne einer digitalen Transformation. Dieser Prozess muss geleitet und gelenkt werden, bedarf einer Vision und darf nicht aus Sicht der Technologie, schon gar nicht aus Sicht einer einmaligen Produktinvestition gedacht werden. Das Fraunhofer Institut für Software- und Systemtechnik (ISST) bezeichnet ein solches Vorgehen als „digital health innovation engineering“ – also die strategische Auseinandersetzung mit einer zu erarbeitenden digitalen Vision sowie deren kontinuierliche Weiterentwicklung (Abb. 1).

Abb. 1
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Methode des „digital health innovation engineerings“. (Aus [9], mit freundl. Genehmigung ©Fraunhofer ISST alle Rechte vorbehalten)

„Digital health innovation engineering“

Digitalisierung muss gestaltet werden und hat zum Ziel, Innovationen hervorzubringen. Dieser ingenieursmäßige Ansatz erfordert Methoden und Strategien. Wesentlich ist es hierbei, das Verständnis zu schaffen, dass Digitalisierung im Sinne digitaler, kaufbarer Produkte lediglich ein kleiner Teil eines ganzheitlichen Change-Prozesses ist. Somit ist Digitalisierung kein einmaliges Workshop-Format, sondern erfordert ein strategisches Innovations- und Changemanagement.

Die Gestaltung digitaler Innovationen muss aus Sicht der bestehenden Prozesse gedacht werden: Wie stark bilden meine bestehenden Prozesse die Versorgungsrealität ab? Welchen digitalen Reifegrad haben diese? Welche Akteure bzw. Rollen müssen in einem Prozess Hand in Hand arbeiten?

Der Prozess ist das Bindeglied zwischen Menschen aber auch zwischen Mensch und Technik, wobei Technik wiederum auf neuartige Weise Menschen miteinander verbindet. Ein schlechter analoger Prozess, in welchem Menschen nicht zusammenarbeiten, kann durch Digitalisierung nicht verbessert werden und wird zu einem schlechten digitalen Prozess. Das „digital health innovation engineering“ bietet deshalb Erhebungs- und Messinstrumente, um Transparenz über Prozesse und deren digitalen Reifegrad zu erhalten. Reifegrad meint hierbei das bereits genutzte Potenzial zur Umsetzung eines reibungslosen Prozesses. Reibungspunkte sind zumeist an Schnittstellen identifizierbar, verdeutlicht am Beispiel des Entlassmanagements: Krankenhausintern müssen Pflege, Sozialdienst und „case management“ eng verzahnt arbeiten und Daten austauschen. Hinzu kommen externe Schnittstellen zu Kostenträgern oder auch Heil- und Hilfsmittellieferanten.

Genau an diesen Schnittstellen zwischen Akteuren können digitale Produkte unterstützen, wie z. B. digitale Patientenakten, digital erhobene und ausgewertete Assessments (z. B. „nursing needs assessment instrument“) oder auch intersektorale Vernetzungsstrukturen wie die elektronische Fallakte. Ziel ist es, entscheidungsrelevante Daten immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben, Leistungserbringer zu entlasten und eine Fokussierung auf den Kernprozess zu ermöglichen.

Wie „digital“ bestehende Prozesse bereits sind, wo noch Raum zur Entwicklung besteht und wo dringender Handlungsbedarf gegeben ist, misst das Fraunhofer ISST mit seinem Reifegradmodell.

Ein Reifegradmodell zur Bestimmung des digitalen Krankenhauses

Organisationen, insbesondere im Gesundheitswesen, stehen vor der Herausforderung, ihren Weg in der Vielfalt der verschiedenen Digitalisierungsanagebote zu finden. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass Digitalisierung nicht ein Ziel an sich, sondern ein Unterstützungs- und Umsetzungsinstrument für die eigenen Prozesse und Strategien darstellt. Die Einstufung einer Institution in ihrer digitalen Reife ist also immer eine individuelle, die in Bezug auf den Status quo und eine Zukunftsvorstellung (Darstellung) des Hauses durchgeführt werden muss. Wir betrachten daher im Rahmen der Bestimmung des Reifegrades einer Einrichtung immer drei verschiedene Teilmodelle, die unterschiedliche, relevante Teilthemen konzeptualisieren:

  • Das Teilmodell „change management“ betrachtet, inwieweit eine Einrichtung in einem systematischen organisatorisch verankerten Rahmen Digitalisierungsoptionen und ihr Potential zur Veränderung von Arbeitsprozessen (in Medizin, Logistik oder Verwaltung) beobachtet, bewertet und ggf. umsetzt.

  • Das Teilmodell „Digitalisierungsdimensionen“ betrachtet verschiedene Dimensionen (Medizin, Logistik, BWL und Mensch) und klassifiziert den Status quo der Nutzung von digitalen Technologien in diesen Bereichen

  • Das Teilmodell „strategische Zielsetzung“ betrachtet konkrete Strategien eines Krankenhauses („wo will ich in 5–10 Jahren stehen?“, „wie ist meine Positionierung im Vergleich und ggf. Wettbewerb zu anderen Häusern?“ etc.)

Aus einer Gegenüberstellung der verschiedenen entwickelten Teilmodelle kann eine Roadmap zur weiteren Digitalisierung des Hauses (bzw. des Verbunds von Häusern) abgeleitet werden, aus der heraus konkrete Digitalisierungsprojekte aber auch ein Zeitmanagement für die kommenden Schritte zu einer Verstärkten Digitalisierung entwickelt werden können.

Verschiedene Ansätze aus dem industriellen Bereich können eine Orientierung zur strukturellen Erhebung der „digitalen Reife“, zur Identifikation von Unternehmenszielen und zur Überwindung der dazwischenliegenden Gaps geben. Die acatech-Studie „Industrie 4.0“ z. B. leitet innerhalb der vier Gestaltungsfelder Ressourcen, Informationssysteme, Kultur und Organisationsstruktur aus den Ziel- und Ist-Zuständen notwendige Maßnahmen zur Zielerreichung ab [11]. Speziell im Krankenhaussektor kann eine Einstufung nach dem EMRAM-Modell der HIMSS Aufschluss über den Grad der Digitalisierung liefern, wobei der Fokus auf der Integration von Patientendaten und somit der „Papierlosigkeit“ eines Krankenhauses liegt [6].

Vernachlässigt wird hier aber ein Faktor: Die sich digitalisierende Welt ist gekennzeichnet durch kurze Entwicklungszyklen digitaler Produkte und somit sich schnell verändernden Markt und Wettbewerbssituationen. Neue Produkte erfordern zumeist auch das Neu- bzw. Umdenken der Arbeitsabläufe, welche durch Mitarbeiter und auch den Patienten mitgetragen werden müssen. Wichtig ist daher nicht nur, sich mit den aktuellen Rahmen- und Marktbedingungen zu beschäftigen, sondern ein geeignetes „change management“ für den Umgang mit sich wandelnden Umgebungsbedingungen zu etablieren.

Ein „change management“ für den Umgang mit sich wandelnden Umgebungsbedingungen ist wichtig

Bereits 1991 hat Humphrey mit dem Capability-maturity-Modell [10] für den Bereich der Softwareprozesse ein Modell vorgeschlagen, dessen grundlegende Implikationen auf andere Bereiche übertragbar sind (Abb. 2). Im Kern unterscheidet er Arbeitsprozesse als „ad hoc“ (d. h. jede Person führt eine Aufgabe individuell auf die ihr am besten erscheinende Art durch), als „repeatable“ (d. h. es gibt eine Art impliziten Konsens unter den Beteiligten über Vorgehensweisen) oder als „defined“ (d. h. Arbeitsprozesse sind schriftlich fixiert und können z. B. als Grundlage für Schulungen oder aber auch für die Veränderung von Vorgehensweisen dienen). Aufgaben gelten als „managed“, wenn es einen organisatorisch verankerten Prozess gibt, um diese zu beobachten und zu verbessern und als „optimized“, wenn es ein Kennzahlen- und Überwachungssystem gibt, um Veränderungsprozesse nachvollziehbar zu bewerten. Ein gleiches Reifegradbewertungsschema kann auch für den Umgang mit Digitalisierungsfragestellungen angewendet werden: das betrachtet eine Spannbreite, in der jede Stelle individuell über den Einsatz digitaler Tools und Techniken entscheidet bis hin zu einem zentralen instanziierten Prozess, der Digitalisierungsoptionen bewertet, sie auf einer strategischen Roadmap sortiert und standardisierte mit Erfolgskennzahlen bewertete Projekte aufsetzt und kontinuierlich evaluiert.

Abb. 2
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Dimensionen der Prozesssteuerung nach Humphrey (Aus [3], mit freundl. Genehmigung ©Fraunhofer ISST, alle Rechte vorbehalten)

Aus einer Ist-gegen-Soll-Gegenüberstellung lässt sich ein Roadmapping entwickeln

Im Rahmen der Betrachtung von Digitalisierungsdimensionen können verschiedene Kategorien entlang der Dimensionen Medizin/Pflege, Logistik, Controlling und Mensch betrachtet werden und der Status quo der Digitalisierung für das jeweilige Haus erfasst werden. Beispiele für Kategorien der Dimension Medizin können z. B. der Grad der Integration medizinischer Daten („inhouse“) oder auch der Grad des elektronischen Datenaustausches in intersektoralen Behandlungsstrukturen sein. Eine (s. auch Abschn. „Digitale Gesundheitskompetenz“) ganz wesentliche Dimension hier ist die Berücksichtigung des Faktors Mensch, etwa in der Fragestellung, wie eine digitale Gesundheitskompetenz für die Mitarbeiter des Hauses erreicht bzw. ausgebaut wird, oder wie Mitarbeiter in Fragen der zunehmenden Digitalisierung eingebunden werden. Es werden aber genauso Kategorien in Bezug auf Patienten berücksichtigt (digitale Aufklärung, Einbeziehung von Apps für Information oder Therapie etc.).

Aus einer Dokumentation des derzeitigen Status quo in den verschiedenen Kategorien kann zunächst einmal ein Gesamtüberblick zum Stand der Digitalisierung für ein Krankenhaus erreicht werden, es kann aber darüber hinaus ein vergleichendes Bild mit anderen Häusern (im Verbund mit vergleichbaren Leistungsparametern) aufgebaut werden (Abb. 3). Grundsätzlich sollte es das Ziel sein, die Ergebnisse der Betrachtungen zu den Digitalisierungsdimensionen gegen die Festlegungen zur strategischen Zielsetzung zu stellen, aus der hervorgeht, welche Position das Krankenhaus in einem vorgegebenen Zeitfenster in der Zukunft einzunehmen plant. Aus dieser Ist-gegen-Soll-Gegenüberstellung lässt sich ein Roadmapping entwickeln, das auf einer Zeitachse aufzutragende Ziele und Zwischenziele identifizieren und zu deren Erreichung durchzuführende Entwicklungsprojekte aufzustellen hilft.

Abb. 3
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Digitalisierungsdimensionen. (Aus [3], mit freundl. Genehmigung ©Fraunhofer ISST, alle Rechte vorbehalten)

Schlussfolgerung

Digitalisierung ist kein Produkt, welches einmalig in einem Warenhaus eingekauft werden kann. Digitalisierung bedarf vielmehr einer sich stetig weiterentwickelnde Vision, die einen kontinuierlichen Transformationsprozess erfordert, welcher Hand in Hand mit einem strategischen Innovationsmanagement gehen muss. Digitalisierung bedeutet den digitalen Reifegrad aber auch die digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter zu kennen. Neben den Produktinvestitionen müssen für einen solchen Prozess deshalb insbesondere Kosten für die Freistellung von Personal im Rahmen des Innovationsmanagements sowie Schulungsmaßnahmen berücksichtigt werden.

Fazit für die Praxis

  • Im internationalen Umfeld haben sich z. T. bereits avancierte Lösungen etabliert. Auch deutsche Kliniken erkennen zunehmend die Bedeutung der Digitalisierung und beginnen vermehrt, sich mit Digitalisierungsstrategien auseinanderzusetzen.

  • Durch ein in der Vergangenheit eher zögerliches Vorantreiben des Themas sowohl auf der Ebene nationaler Infrastrukturen als auch auf der Ebene von einzelnen Häusern oder Verbünden kann ein Blick über den Tellerrand helfen, Potentiale zu erkennen helfen und Bausteine für eigene Entwicklungen aufzuzeigen.