Einleitung

Als Hypospadie bezeichnet man die Fehlbildung des männlichen Geschlechts mit einer abnormen ventralen Mündung der Urethra. Fakultativ besteht zudem eine ventrale Penisschaftdeviation und/oder eine ventral unzureichend angelegte Vorhaut, die dorsale Vorhautschürze [1, 2]. Je nach Quelle findet sich eine Inzidenz von 0,80–8,20 auf 1000 Lebendgeburten [3]. Komplikationen der Hypospadiekorrektur umfassen neben Blutungen/Nachblutungen, Wundinfektionen, Meatusstenosen, Harnröhrenengen und -divertikeln auch die Entstehung von Harnröhrenfisteln [4,5,6,7].

Die HRF stellt eine operative Herausforderung dar

Die Harnröhrenfistel (HRF) als Komplikation einer Hypospadiekorrektur stellt selbst in erfahrener Hand eine operative Herausforderung dar [8]. Obwohl stetige Weiterentwicklungen der Operationstechnik das postoperative Resultat verbessert haben, treten Harnröhrenfisteln mit einer geringen Inzidenz selbst bei erfahrenen Operateuren auf [9]. Nach TIP-Urethroplastik (TIP: tubularisierte inzidierte Urethralplatte) finden sich Komplikationen in 5–10 % der Fälle, wobei der Großteil durch Harnröhrenfisteln bedingt ist [10]. Andere operative Techniken zur Hypospadiekorrektur weisen eine Fistelrate von bis zu 20 % auf [11].

Das Grundprinzip der Harnröhrenfistelkorrektur beruht auf dem separaten Verschluss der Harnröhre und der penilen Schafthaut nach Fistelexzision [12]. Hierdurch entstehen jedoch zwei eng benachbarte Nahtreihen, die wiederum eine Wundheilungsstörung mit konsekutivem Fistelrezidiv möglich machen [13]. Die Interposition von weiteren Gewebeschichten, wie beispielsweise Tunica dartos oder Präputium, verringern das Risiko eines Harnröhrenfistelrezidivs, eliminieren dieses jedoch nicht [14].

In dieser retrospektiven, multizentrischen Studie präsentieren wir die Ergebnisse zum Einsatz der PATIO-Technik (PATIO: „preserve the tract and turn it inside out“) nach Malone bei Harnröhrenfisteln nach Hypospadiekorrektur. Das Operationskonzept besteht darin, den Fisteltrakt nicht zu resezieren, sondern zu mobilisieren und in das Harnröhrenlumen im Sinne einer Inversionsplastik einzustülpen [15]. Angelehnt ist diese Operationstechnik an das bereits 1955 durch Naujoks beschriebene Verfahren zum Verschluss vesikovaginaler Fisteln [16]. Nach Präparation der vesikovaginalen Fistel von vaginal her und Einlage eines Katheters in die Fistel erfolgt in der Technik nach Naujoks das Vernähen der Fistel mit einer Tabaksbeutelnaht. Dadurch wird die Blasenschleimhaut nach innen eingestülpt und durch die nach außen durch die Urethra ausgeleiteten Nähte unter Zug gesetzt.

Material und Methodik

Insgesamt wurden 16 Jungen im Alter von 1–10 Jahren zwischen Januar 2006 und Juni 2016 zum HRF-Verschluss nach Hypospadiekorrektur vorgestellt. Die Mehrheit der Jungen (n = 10) wurde im Harold Hopkins Department of Urology des Royal Berkshire NHS Foundation Trust in Reading, England, operiert, 4 Jungen wurden in der Klinik für Urologie und Kinderurologie des Bonifatius Hospitals in Lingen und 2 weitere Jungen in der Klinik für Urologie und Kinderurologie des St.-Antonius-Hospitals in Eschweiler behandelt. Alle Kinder wiesen bei Vorstellung eine distale Harnröhrenfistel auf (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Distale Harnröhrenfistel bei einem 4‑Jährigen nach auswärtiger Hypospadiekorrektur

Bei allen Jungen wurde vor der Fistelkorrektur eine Harnröhrenstriktur mittels Urethroskopie ausgeschlossen. Peri- und postoperative Komplikationen wurden ausnahmslos dokumentiert.

Operationstechnik – PATIO-Repair

Die PATIO-Technik beruht auf dem Prinzip, dass der exzidierte, invertierte Fisteltrakt eine Art Ventil bildet, welches vor erneutem Eindringen von Urin schützt und somit eine Fistelheilung erst ermöglicht.

Bei der Operationstechnik wird der Fisteltrakt also nicht exzidiert, sondern mobilisiert und in das Harnröhrenlumen im Sinne einer Inversionsplastik eingestülpt. Nach kreisförmigem Umschneiden der Fistelöffnung (Abb. 2a) und akribischer Präparation des Fistelganges (Abb. 2b) wird ein 2/0-Nylonfaden durch den Fisteltrakt zum Meatus ausgeleitet (Abb. 2c). Hierdurch wird der Fisteltrakt in das Harnröhrenlumen eingestülpt (Abb. 2d). Eine sorgfältige Präparation ist besonders wichtig, um die Bildung eines Knopflochs im Fisteltrakt zu verhindern, denn dieses würde die Technik unbrauchbar machen.

Eine sorgfältige Präparation verhindert die Bildung eines Knopflochs im Fisteltrakt

Um den Fistelgang invertiert zu halten, wird dieser mit der äußeren Harnröhrenmündung vernäht (Abb. 2e) und dann an der Penisschafthaut mittels Einzelknopfnaht oder in der Modifikation aus Lingen der Faden mittels Anglerblei fixiert. Das subkutane Gewebe und die Haut werden dann mit einer feinen Vicrylnaht verschlossen (Abb. 2f), hierbei kann eine Längs- oder Quernaht verwendet werden. Aufgrund der schmalen Basis atrophiert das überschüssige Gewebe postoperativ (Abb. 2g) und führt zu einem ansprechenden kosmetischen Resultat (Abb. 2h). In der Mediathek der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. kann auf den Film zum PATIO-Repair („The PATIO-repair for uretthrocutaneus fistula: Preserve the tract and turn it inside out“; J. Kranz et al.) zurückgegriffen werden.

Abb. 2
figure 2

a Markierte Schnittführung um die Fistelöffnung (nach proximal zungenförmig erweitert). b Akribische Präparation des Fistelgangs. c Ausleiten eines 2/0-Nylonfadens durch den Fisteltrakt zum Meatus. d In das Harnröhrenlumen eingestülpter Fisteltrakt. e Vernähen des Fistelgangs mit der äußeren Harnröhrenmündung, um den Fisteltrakt invertiert zu halten. f Verschluss des subkutanen Gewebes und der Haut mit feiner Vicrylnaht. g Postoperative Atrophie des überschüssigen Gewebes. h Ansprechendes kosmetisches Resultat 3 Monate postoperativ

Vorteilhaft ist, dass die PATIO-Technik die Interposition von „abdichtendem“ Gewebe zwischen Harnröhre und der Penisschafthautnaht nicht ausschließt, in unserem Kollektiv war dies allerdings bisher nicht notwendig.

Postoperativer Verlauf

Die oben beschriebene Operation ist prinzipiell als ambulanter Eingriff möglich, sofern keine intra- oder perioperativen Komplikationen auftreten, die eine stationäre Aufnahme notwendig machen.

Eine antibiotische Abdeckung ist nicht erforderlich, wenn die zuvor angelegte Urinkultur keinen signifikanten Keimnachweis ergab. Die Einlage eines transurethralen Katheters ist intraoperativ empfehlenswert, postoperativ jedoch nicht zwingend notwendig.

Ergebnisse

Zwischen 01/2006 und 06/2016 wurden insgesamt 16 Jungen mit einem Durchschnittsalter von 4,7 (1–10) Jahren mittels PATIO-Technik nach Malone bei distaler Harnröhrenfistel nach Hypospadiekorrektur versorgt. Die Hypospadiekorrektur erfolgte mit Ausnahme eines Jungen auswärtig, weswegen nicht alle zur Korrektur der Hypospadie verwendeten Operationstechniken zur Auswertung vorliegen. 11/16 Jungen (68,75 %) wurden mit der 1994 durch Snodgrass beschriebenen tubularisierten inzidierten Urethralplattenurethroplastik behandelt.

Die durchschnittliche Operationsdauer der PATIO-Technik betrug 19 (15–31) min. Bei keinem der betroffenen Jungen wurde ein weiteres „abdichtendes“ Gewebe (wie Tunica dartos etc.) zur Reduktion der Rezidivrate zwischen Urethra und Penisschafthautnaht eingebracht. 9 Harnröhrenfistelkorrekturen erfolgten im Rahmen eines ambulanten Settings (England) ohne Verwendung eines transurethralen Katheters. Ein Patient aus Reading wurde über eine Nacht hinweg stationär betreut und nach Katheterentfernung am nächsten Tag entlassen. Die in Deutschland durchgeführten Operationen (6/16) erfolgten unter stationären Bedingungen, mit einem Aufenthalt von 1 bis 2 Tagen. Von diesen 6 Patienten hatten 5 Jungen einen transurethralen Katheter für eine Nacht. Nach Entfernung desselben kam die Miktion bei alle Jungen spontan und restharnfrei in Gang.

Es traten keine intra- oder unmittelbar postoperativen Komplikationen auf. Während eines mittleren Follow-up von 4,5 Jahren trat lediglich ein Harnröhrenfistelrezidiv auf (1/16, 6,25 %), keinerlei andere Komplikationen wurden beobachtet. Das Rezidiv wurde nochmalig mittels PATIO-Repair versorgt und blieb bis zum heutigen Tag rezidivfrei. Abb. 3 zeigt die prä- und postoperativen Resultate (nach 3 Monaten) zweier Jungen.

Abb. 3
figure 3

ac Ausgangsbefund einer distalen Harnröhrenfistel nach Hypospadiekorrektur. bd Postoperatives Resultat (3 Monate), ausgeheilte Harnröhrenfistel

Diskussion

Die Hypospadiekorrektur hat sich u. a. durch Weiterentwicklung operativer Techniken zu einem sicheren und zuverlässigen Verfahren mit einer sehr hohen Erfolgsquote entwickelt [17]. Allerdings kommt es selbst in geübter Hand zu Harnröhrenfistelrezidiven, gelegentlich sind auch mehrere Revisionen bis zur vollständigen Sanierung notwendig [18, 19]. Eine Harnröhrenfistel kann aufgrund einer Striktur oder Meatusstenose entstehen oder damit verbunden sein, daher sollte in jedem Fall eine Urethroskopie vor Fistelkorrektur durchgeführt werden.

Neben anderen Risikofaktoren, wie beispielsweise einer Devitalisierung des Gewebes, könnte ebenfalls die verwendete Naht(technik) zum Harnröhrenverschluss eine mögliche Ursache für die Entstehung eines HRF-Rezidivs sein.

Vor Fistelkorrektur sollte eine Urethroskopie durchgeführt werden

Die Arbeitsgruppe um Edney [13] zeigte bereits 2003 in einem Schweinemodell, dass die Fistelentstehung früh im Heilungsprozess beginnt. Das Harnröhrenepithel sowie die Penisschafthaut migrieren entlang des verwendeten Nahtmaterials. Die Wichtigkeit der extramukosalen Nahttechnik beim Harnröhrenverschluss wurde daher in dieser Arbeit hervorgehoben. Jedoch treten, wenn auch in geringerer Anzahl, HRF-Rezidive trotz dieser extramukosalen Technik auf. Zur Reduktion der Rezidivrate wurden verschiedene körpereigene Gewebe (lokales Subkutangewebe des Penis, Tunica vaginalis, Tunica dartos sowie Fascia lata) als abdichtende Schicht zwischen Harnröhren- und Penisschafthautnaht eingesetzt [20,21,22,23]. Auch finden Vorschubplastiken Verwendung [24].

Die in der hier vorliegenden Studie verwendete PATIO-Technik wurde 2008 von Malone [15] zur HRF-Korrektur beschrieben, verzichtet durch Schaffung eines körpereigenen Ventils, welches einen Urinrückfluss in den Fisteltrakt verhindert, gänzlich auf Nahtmaterial im Bereich der Harnröhre und reduziert somit die Rezidivrate.

Die PATIO-Technik schafft ein körpereigenes Ventil

Insbesondere distale Harnröhrenfisteln weisen ein erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen und Rezidive auf [22, 25, 26]. Viele Zentren empfehlen hier die Umwandlung in eine distale Hypospadie, v. a. wenn distal nur eine kleine Gewebebrücke besteht und folgend eine erneute Hypospadiekorrektur [22]. Betroffene Jungen würden somit einem, ggf. sogar weiteren komplexen Eingriffen gegenüberstehen, ohne Garantie auf ein besseres kosmetisches/funktionelles Resultat. Unter diesen Umständen kann die in unserem Patientenkollektiv verwendete Operationstechnik als „minimale“ Eingriffsform mit gutem kosmetischen Resultat angeboten werden.

Wie in unserer retrospektiven multizentrischen Studie gezeigt, liegt die Rezidivrate nach Korrektur der häufig rezidivierenden, distalen Harnröhrenfistel mittels PATIO-Repair bei nur 6,25 %. Auch wird die Operationsdauer, der Krankenhausaufenthalt, die Morbidität (aufgrund eines nicht notwendigen transurethralen oder suprapubischen Katheters) und die Unannehmlichkeiten, die ein derartiger Eingriff mit sich bringt, auf das Niedrigste reduziert. Die indische Arbeitsgruppe um Nerli [27] hat als einzige außereuropäische Arbeitsgruppe mit dieser Operationstechnik Erfahrung und berichtet ebenfalls über eine hohe Erfolgsquote ohne Rezidiv-HRF bei 10 behandelten Kindern.

Fazit für die Praxis

  • Die PATIO-Technik nach Malone zum HRF-Verschluss nach Hypospadiekorrektur ist eine einfach zu erlernende und prinzipiell ambulant durchführbare Technik, die nicht zwingend eine transurethrale Katheterisierung erfordert. Die zusätzliche Interposition von „abdichtendem“ Gewebe zwischen Harnröhre und Penisschafthautnaht zur weiteren Reduktion der Rezidivrate ist möglich, in unserem Kollektiv jedoch nicht notwendig gewesen.

  • Unsere multizentrischen Resultate der PATIO-Technik sind sehr zufriedenstellend. Eine Fistelrezidivrate von nur 6,25 % (1/16 Patienten) ist bei einem Eingriff mit einer generell höheren Rezidivrate tolerabel. Wie bei allen neuen Operationstechniken sind Langzeitergebnisse eines größeren Patientenkollektivs wünschenswert.